Читать книгу Schattenjagd - Maya Shepherd - Страница 6

2. Winter

Оглавление

Nachdem ich mehrere Runden durch die alten Burgruinen gegangen war, hatte ich mich bei Dämmerung leise zurück in unser Haus geschlichen. Der Fernseher lief im Wohnzimmer und aus Elizas Zimmer drang leise Musik. Ich verschloss meine Zimmertür und zog die nassen Klamotten aus. Eigentlich hätte ich eine warme Dusche nötig gehabt, aber ich wollte nicht, dass irgendjemand mitbekam, dass ich wieder da war. Ich kroch unter meine Bettdecke und schmiegte mein Gesicht an Miss Snowwhites weiches Fell, die auf meinem Kissen auf mich gewartet hatte. „Du bist die Einzige, die Eliza genauso wenig leiden kann wie ich“, flüsterte ich ihr zu, während ich sie hinter den Ohren kraulte. Sie gab ein zustimmendes Schnurren von sich. Seit Liams Tod fühlte ich mich wie eine Fremde in meinem eigenen Zuhause. Wenn ich alleine war und an Liam dachte, empfand ich eine unbeschreibliche Leere. Ich konnte nicht einmal sagen, ob ich ihn überhaupt vermisste. Was war das zwischen uns gewesen? Hatte er sich in mich verliebt gehabt oder ich mich in ihn? Ich würde nie eine Chance bekommen, das herauszufinden. Er war tot. Ich hatte ihn umgebracht.

Wenn ich hingegen an Eliza dachte, brannte die Wut wie ein Feuer in mir. Sie hatte mir nicht nur Lucas und Liam genommen, sondern jetzt auch noch unsere Eltern. Eliza war zurück und schon drehte sich alles wieder nur um sie. Sie war ein halbes Jahr wortlos verschwunden gewesen und niemand machte ihr Vorwürfe. Ich war nur ein paar Tage weg gewesen, wurde aber mit enttäuschten Blicken betrachtet. Sie verlangten von mir, dass ich meine Schwester mit offenen Armen wieder in unserer Familie aufnahm, aber das konnte ich nicht. Jedes Mal, wenn ich sie ansah, explodierte etwas in mir. Ich wollte ihr wehtun, so wie sie mir wehgetan hatte.

Ein leises Klopfen, kaum hörbar, riss mich aus meinen Gedanken. Ich schlich zur Tür und presste mein Ohr dagegen. „Wer ist da?“

„Mona“, kam flüsternd die Antwort. Erleichtert atmete ich auf und öffnete die Tür. Ihr langer Pony versteckte beinahe komplett ihre Augen, dazu hatte sie wie üblich den Kopf gesenkt. „Darf ich reinkommen?“

Ich ließ sie eintreten und schloss behutsam hinter ihr die Tür. Die Musik aus Elizas Zimmer war verstummt. Ich wusste, dass meine Schwester uns belauschen würde.

„Wie geht es dir?“, fragte ich Mona und bot ihr durch eine Geste an, neben mir auf dem Bett Platz zu nehmen. Sie ließ sich unsicher neben mich sinken und seufzte. „Liam war der Letzte, der mir von meiner Familie geblieben ist. Ich denke oft an ihn, vor allem, weil ich über ihn nicht reden darf.“ Sie sah mich flehend an. „Du bist die Einzige, in deren Gegenwart ich seinen Namen aussprechen kann.“

Ich spürte, wie mein Herz sich verschloss. Mona war jetzt meinetwegen alleine auf der Welt. Es war seltsam, dass sie ausgerechnet mit mir über ihn reden wollte. „Es tut mir leid, was passiert ist.“

Wir führten das Gespräch nicht zum ersten Mal. Sie schüttelte immer wieder den Kopf, wenn ich mich bei ihr entschuldigte. „Es war nicht deine Schuld. Du hattest keine andere Wahl. Liam wusste das. Er nimmt es dir nicht übel.“ Sie sagte es voller Überzeugung und ohne jeden Zweifel. Meistens redete sie über ihn, als wäre er noch da. Nicht tot, sondern nur verreist.

Mona sah erneut auf ihre schlanken Finger. Die blauen Flecken auf ihrer Haut wurden langsam blasser. Nur noch ein paar gelbe Schatten waren von ihnen übrig. Seit Liams Tod hatte sie keine Magie mehr benutzt. „Seine Leiche liegt immer noch in dem Anwesen. Irgendjemand sollte ihn begraben.“

Ich wusste, dass sie mit irgendjemand uns meinte. Alleine die Vorstellung, ihn noch einmal sehen zu müssen, verursachte mir Gänsehaut. „Hinter dem Haus?“

„Nein, wir haben eine Familiengruft. Er gehört zu seinen Eltern.“ Monas eigene Eltern mussten ebenfalls dort liegen, genau wie ihre Großmutter, die sie aufgezogen und als Medium unterrichtet hatte.

„Wie sollen wir nach Waterford und vor allem zu dem Anwesen kommen? Ich habe weder einen Führerschein noch ein Auto.“

Sie zögerte, bevor sie erneut den Kopf hob und mir in die Augen blickte. „Du könntest Lucas fragen.“

Perplex riss ich die Augen auf. „Kommt nicht in Frage!“

Dieses Mal sah sie nicht wieder weg, sondern rückte näher an mich heran. „Bitte! Wir können ihn doch nicht einfach dort liegen lassen. Er hatte auch seine guten Seiten, das weißt du!“

Ich stand auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. „Wir fahren mit dem Zug nach Waterford und nehmen ein Taxi zu dem Anwesen.“

Mona hob zweifelnd die Augenbrauen. „Und was willst du deinen Eltern sagen?“

„Mir doch egal! Willst du Liam nun beerdigen oder nicht?“, fuhr ich sie schnippisch an. Mona zuckte zusammen.

„Ich will nicht, dass du Ärger bekommst. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich.“

„Sie können sich ruhig daran gewöhnen, dass ich nicht länger die brave Tochter bin. Ich habe genug davon, immer zurückzustecken und dabei zuzusehen, wie Eliza einen Mist nach dem anderen baut, ihr aber immer wieder verziehen wird. Jetzt bin ich an der Reihe!“

„Hörst du dir überhaupt mal selbst zu? Wir kennen uns noch nicht lange, aber ich weiß, dass du so nicht bist. Du liebst deine Eltern und du willst ihnen keine Sorgen machen. Lass dich nicht von deinem Zorn überwältigen! Sei wütend auf Eliza, aber lass es nicht an deinen Eltern aus.“

Ich stöhnte genervt auf. Seitdem Mum sich um Mona kümmerte, verehrte Mona sie förmlich. Sie half ihr im Haushalt, sah vor dem Essen ihre Lieblingssendung mit ihr im Fernsehen und verließ nur in ihrer Begleitung das Haus. „Na gut, dann eben nicht. Wir könnten diesen Will fragen, ob er uns abholt. Eliza hat bestimmte seine Nummer im Handy gespeichert.“

Mona schüttelte energisch den Kopf. „Will hat versucht, Liam umzubringen. Er sollte nicht dabei sein, wenn wir ihm die letzte Ehre erweisen.“

„Dann weiß ich auch nicht weiter“, blockte ich ab und wandte ihr den Rücken zu. Sie zögerte einen Moment, verließ dann aber genauso leise wie sie gekommen war mein Zimmer. Ich hatte nicht unfreundlich zu ihr sein wollen, aber in den letzten Tagen verlor ich oft die Geduld. Der Arzt hatte mich genau wie Mona und Eliza für eine Woche von der Schule krankgeschrieben. Morgen würde ich wieder gehen müssen. Für mich war es nicht einmal halb so nervenaufreibend wie für Mona, die noch nie in einer öffentlichen Schule, geschweige denn überhaupt einer Schule gewesen war. Oder Eliza, die vor einem halben Jahr unter anderem abgehauen war, weil sie sich in der Schule nicht mehr hatte blicken lassen können. So gut wie jedes Mädchen verachtete sie und die meisten Jungs sahen in ihr eine Schlampe. Aber ich fürchtete mich davor, in den Alltag zurückzukehren. Das Leben konnte doch nicht einfach weitergehen, während mein Herz in einer Zeitschleife festhing.

Mona und ich saßen in der hintersten Reihe des Schulbusses, während Eliza meinen Platz neben Lucas eingenommen hatte. Ich konnte nicht aufhören, voller Eifersucht auf ihren Hinterkopf zu starren und mir zu wünschen, dass er auf der Stelle explodieren würde. Es war schlimmer als je zuvor. In der Zeit bevor Eliza abgehauen war, waren Lucas und ich nicht zusammen gewesen. Ich hatte zwar immer davon geträumt, mir aber nie Hoffnungen gemacht. Doch jetzt, wo ich wenige Monate an seiner Seite hatte verbringen dürfen, konnte ich den Schmerz, ihn an Eliza verloren zu haben, nicht ertragen.

Einzig Monas Unruhe lenkte mich etwas ab. Sie knetete unablässig ihre Hände und schaute vor lauter Nervosität immer wieder in ihren kleinen Handspiegel. Ihre Schuluniform war faltenfrei. Sie hatte sie zum Erstaunen meiner Mutter selbst gebügelt und das mehrfach. Elizas Bluse hingegen war völlig verknittert, weil sie sie am Vorabend einfach nur auf ihr Bett geschmissen hatte, anstatt sie in den Schrank zu hängen. Sie konnte mir mit ihren falschen gesäuselten Worten nichts vormachen. Früher oder später würde ihr wahres Ich doch wieder zum Vorschein kommen.

Als der Bus hielt, eilte ich an meiner Schwester und Lucas vorbei, als würde ich sie nicht kennen. Mona folgte mir eilig mit gesenktem Kopf. An der Bushaltestelle hatten sich ungewöhnlich viele Schüler versammelt. Ich wusste genau, warum sie hier waren. Sie wollten die berühmt berüchtigte Eliza sehen. Nur eine Person wartete meinetwegen hier: Dairine. Sie stürmte mir mit weit geöffneten Armen entgegen und drückte mich so fest an sich, dass ich kaum Luft bekam. „Endlich bist du wieder da!“, rief sie glücklich aus. Sie hatte mich bereits in der letzten Woche besuchen wollen, doch ich hatte das abgeblockt. Wir hatten nur ein paar Mal kurz miteinander telefoniert, wobei ich mich auffallend wortkarg gegeben hatte. Trotzdem war ich froh, dass sie mich nun nicht mit sorgenvoller Miene begrüßte, sondern in ihrer üblich fröhlichen Art. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und löste sich von mir. Ihre eisblauen Augen wanderten über Mona, die verängstigt auf ihre Füße blickte.

„Mona, das ist meine beste Freundin Dairine. Dairine, das ist Mona“, stellte ich sie einander vor. Natürlich wusste Dairine bereits über Mona Bescheid. Ich hatte ihr am Telefon schon von unserem Gast erzählt. Meine Eltern hatten dafür gesorgt, dass sie offiziell als Monas Pflegefamilie beim Jugendamt eingetragen wurden. Sie würde uns also nicht so bald wieder verlassen.

Ich konnte Dairine ansehen, welchen seltsamen Eindruck die verschüchterte, geradezu scheue Mona auf sie machte. Trotzdem behielt sie ihr freundliches Lächeln bei und streckte Mona ihre Hand entgegen. „Freut mich, dich endlich kennenzulernen!“

Monas Hand zuckte, als wollte sie die Begrüßung erwidern, doch dann ballte sie ihre Hand zur Faust und murmelte „Mich auch“. Dairine zog ihre Hand zurück und räusperte sich. „Sollen wir reingehen?“

Ich warf einen Blick zurück zu dem Schulbus und sah gerade noch, wie Lucas beschützend seinen Arm um Eliza legte, um sie vor den neugierigen Augen der anderen abzuschirmen. Er führte sie an allen vorbei in das Schulgebäude. Sie zusammen zu sehen, tat jedes Mal aufs Neue weh.

„Müssen wir wohl“, erwiderte ich geknickt. Wenigstens waren Eliza und Lucas eine Stufe über uns, sodass ich sie zumindest während der Unterrichtsstunden nicht ertragen musste. Nur noch ein Jahr und ich wäre beide los, denn es war ihr letztes Schuljahr. Lucas würde vermutlich Medizin in Dublin studieren. Vielleicht hatte ich Glück und Eliza ging auf Kosten unserer Eltern mit ihm. An einem College würde sie jedoch mit Sicherheit nicht angenommen werden. Für sie wäre es schon ein großer Erfolg, eine Stelle als Putzfrau zu finden.

Mona folgte uns wortlos. Sie drückte sich eng an die Wände und wich den anderen Schülern aus. Natürlich entging trotzdem niemandem ihr seltsames Verhalten. Sie betrachteten sie mit argwöhnischen Blicken. Wir nahmen im Kursraum unsere Plätze in der hintersten Reihe ein. Ich überließ Mona den Platz am Fenster und setzte mich stattdessen zwischen sie und Dairine. Die anderen trudelten ebenfalls ein und pünktlich zum Klingeln betrat Mrs. Kelly das Klassenzimmer. Sie war unsere Musiklehrerin gewesen, bevor Liam als ihre Vertretung an unsere Schule gekommen war. Sie jetzt hier zu sehen, führte mir noch einmal deutlich vor Augen, dass Liam nicht zurückkommen würde. Mein Blick glitt unwillkürlich zu dem Klavier, an dem er dicht hinter mir gesessen hatte und vor dem ganzen Kurs seine Hände auf meine gelegt hatte, um mir die einzelnen Noten beizubringen. Ich erinnerte mich daran, wie sein Atem in meinem Nacken gekitzelt und ich sein Herz an meinem Rücken klopfen gespürt hatte. Sein herber Geruch lag in meiner Nase, als wäre es erst Minuten her, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte und nicht Tage. Ich spürte, wie sich mein Hals zuzog und konzentrierte mich auf den Tintenfleck auf meinem Tisch. Jetzt bloß nicht heulen!

Plötzlich klopfte es an der Tür und alle sahen neugierig auf.

„Herein“, rief Mrs. Kelly und die Tür wurde schwungvoll aufgerissen. Eliza trat ein. „Hallo Mrs. Kelly, ich bin zu Ihnen versetzt worden.“

Mein Gesicht wurde mindestens genauso bleich wie das der Lehrerin. Mrs. Kelly war eine ruhige Person, die wenig Durchsetzungsvermögen besaß. Mädchen wie Eliza tanzten ihr auf der Nase herum. Offenbar hatte sie schon ihre Bekanntschaft gemacht und in nicht wirklich guter Erinnerung behalten.

Dass Eliza nun hier war, konnte nur bedeuten, dass der Direktor beschlossen hatte, sie wegen ihrer langen und vielen Fehlzeiten das Schuljahr wiederholen zu lassen. Ich hätte mich vermutlich darüber gefreut, wenn es nicht gleichzeitig bedeutet hätte, dass ich nun selbst in der Schule keine Ruhe mehr vor ihr hatte.

Mrs. Kelly strich sich unruhig eine Haarsträhne hinters Ohr. „Nimm Platz“, sagte sie schlicht und deutete wahllos in den Kursraum. Elizas Blick suchte meinen, als sie ihn fand, gab ich ihr deutlich zu verstehen, dass sie sich so weit wie möglich von mir wegsetzen sollte. Sie biss sich auf die Lippe und ich konnte ihre Verzweiflung sehen, ohne dass sie mich berührte. Wenigstens akzeptierte sie meinen Wunsch und nahm in der ersten Reihe Platz.

„Nachdem meine Vertretung versucht hat, euch die Musik praktisch näherzubringen, wenden wir uns nun wieder der Theorie zu. Ich habe die Noten zu ein paar klassischen Musikstücken der einzelnen Epochen dabei, die wir in den nächsten Wochen besprechen werden“, sagte Mrs. Kelly euphorisch.

Sie gab sich Mühe, aber es war genau wie immer: Niemand hörte ihr zu.

Das Klingeln zur Mittagspause war die reinste Erlösung. Dairine und ich hatten bereits alle Schulsachen zusammengepackt, um als eine der Ersten aus dem Raum zur Cafeteria stürzen zu können, als mir einfiel, dass Mona nun ebenfalls zu uns gehörte. Ich fühlte mich für sie verantwortlich und wusste, dass sie ohne mich an ihrem ersten Schultag völlig alleine dastehen würde. Sie saß an ihrem Platz, auf dem Tisch vor sich den Block und die Stifte unberührt ausgebreitet, während sie gedankenverloren aus dem Fenster sah. Dachte sie an Liam und verfluchte mich dafür, dass sie nun in dieser schrecklichen Schule festsaß?

Ich berührte sie sanft an der Schulter, aber sie schreckte trotzdem zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Sie zog tief die Luft ein und wischte sich schnaufend über die Stirn. „Entschuldige“, sagte sie leise.

„Wir haben jetzt Mittagspause und können in der Cafeteria etwas essen gehen“, erklärte ich ihr und half ihr dabei, ihre Sachen wieder in der braunen Ledertasche zu verstauen, die meine Eltern ihr zum Schulanfang geschenkt hatten. Wir verließen als Letzte den Kursraum und dementsprechend voll war es in der Cafeteria. Die Schüler drängten sich aneinander vorbei und die Luft bebte von dem Geschrei und Gelächter. Mona starrte entsetzt auf die Menschenmassen. Sie wich panisch einen Schritt zurück.

„Das sieht schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist“, versicherte ihr Dairine mit einem aufmunternden Lächeln.

„Ich muss mal auf die Toilette“, erwiderte jedoch Mona ausweichend.

„Komm, ich zeig sie dir“, bot ich ihr an, doch sie schüttelte energisch den Kopf.

„Nein, ich brauche einen Moment für mich alleine.“ Sie sah mich flehend an. „Bitte!“

Ich hielt es für keine gute Idee, sie alleine zu lassen, wollte mich ihr aber auch nicht aufdrängen. „Geh den Gang runter und dann links. Wahrscheinlich hast du Glück und es ist gerade nicht viel los.“

Sie nickte und rannte förmlich davon.

„Sie tut sich schwer, oder?“, fragte Dairine besorgt. Wir reihten uns in die Schlange vor der Essensausgabe ein.

„Sie war noch nie auf einer Schule“, antwortete ich. „Obwohl ich jeden Tag hier bin, würde ich manchmal am liebsten auch einfach davonlaufen.“ Zu spät erkannte ich die Anspielung auf meine Schwester.

Dairine bemerkte es ebenfalls, sagte aber nichts dazu.

Wir luden uns zwei Kaffee auf das Tablett. Beide schwarz, so wie wir ihn mochten. Dazu stellten wir zwei stille Mineralwasser, eine große Portion Pommes und eine Tüte M&M’s. Dairine und ich hatten eine Routine in unserer gemeinsamen Mittagspause entwickelt. Während ich zahlte, ging sie vor, um uns einen Platz zu suchen. Als ich die Kasse verließ, winkte sie mir bereits grinsend von einem Platz am Fenster aus zu. Wenn man schon kein Glück in der Liebe hatte, sollte man wenigstens Glück bei der Platzvergabe in der Cafeteria haben. Ich nahm ihr gegenüber Platz und schob das Tablett zwischen uns. Als ich den ersten Schluck von meinem Kaffee nahm, entdeckte ich Eliza und Lucas. Sie saßen in der Mitte des Raumes und Lucas’ Hand lag ungerührt auf der meiner Schwester. Nicht nur, dass wir uns ihretwegen getrennt hatten, musste er jetzt auch noch öffentlich zur Schau stellen, wem seine Gefühle wirklich galten. Tief in meinem Inneren hatte ich immer gewusst, dass ich ihn mehr liebte als er mich. Aber ihn jetzt mit Eliza zu sehen, zerriss mich förmlich von innen. Es gab nichts Schlimmeres, als den Menschen, den man liebte, jeden Tagen sehen zu müssen und zu wissen, dass er nie zu einem gehören würde. Alles was mir übrig blieb, war, von ihm zu träumen, in der Gewissheit, dass es nie mehr als das sein würde. Aber selbst meine Träume hatte Eliza mir zerstört. Ich sah Liam in ihnen. Jede Nacht. Es war der tröstende Blick in seinen Augen, in dem Moment als das Leben aus ihnen wich.

Dairine warf mir eine Pommes ins Gesicht und streckte mir die Zunge raus. „Schau gar nicht hin!“

Ich wusste, dass ich auf sie hören sollte, aber ich spürte erneut diese glühende Hitze in mir, die sich wie ein Lauffeuer durch meinen gesamten Körper zog. Meine Hände schlossen sich fester um den Kaffeebecher, sodass die Flüssigkeit überschwappte und sich über den Tisch ergoss. Ich stand auf und schüttelte Dairines ausgestreckten Arm von mir ab. Zielstrebig bahnte ich mir einen Weg durch die Tischreihen und Schüler. Vor Wut zitternd blieb ich vor Lucas und Eliza stehen. Sie sahen beide besorgt zu mir auf, doch niemand rechnete mit der Ohrfeige, die ich Eliza vor der gesamten Schülerschaft verpasste. „Ich hasse dich!“

Sie legte ihre Hand auf ihre rote Wange und sah mit Tränen in den Augen zu mir empor. Lucas stand auf und stellte sich zwischen uns. „Bist du jetzt zufrieden? Geht es dir dadurch irgendwie besser?“

Ich fühlte mich von ihm gedemütigt, verraten und betrogen. Erst jetzt bemerkte ich, dass die ganze Cafeteria uns anstarrte. Röte stieg mir die Wangen empor und ich rannte unter dem Gejohle meiner Mitschüler davon. Warum hatte ich das getan? Warum hatte ich mich nicht beherrschen können? Das war doch gar nicht meine Art!

Dairine fand mich im Kursraum für die nächste Stunde. Sie trug meine Wasserflasche und ein in Folie gewickeltes Sandwich in den Händen, das sie mir mit einem Lächeln reichte. „Manchmal muss man seinen Gefühlen einfach freien Lauf lassen“, sagte sie, um mich zu trösten.

Ich nahm einen großen Schluck und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe mich selbst nicht. Ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe! Was soll denn jetzt nur Lucas von mir denken?“

„Dir kann völlig egal sein, was Lucas denkt!“, fuhr mich Dairine aufgebracht an. „Er hat dich mit deiner Schwester betrogen!“

„Es war nur ein Kuss“, erwiderte ich. Schlimm genug, aber ich hatte das Bedürfnis, es richtigzustellen.

„Trotzdem! Deine Schwester ist auch nicht besser. Mittlerweile kann ich verstehen, warum du nicht wolltest, dass sie zurückkommt. Sie sorgt nur für Ärger!“

„Sie hat es auch nicht leicht“, nahm ich Eliza überraschenderweise in Schutz. Dairine sah mich skeptisch an. „Gerade knallst du ihr vor der ganzen Schule eine und sagst, dass du sie hasst und jetzt verteidigst du sie?! Was ist los mit dir?“

„Ich weiß es nicht“, rief ich verzweifelt aus. „Jedes Mal, wenn ich Eliza sehe, brennen mir die Sicherungen durch! Ich hasse sie nicht einmal. Ich bin wütend auf sie, aber sie bleibt doch trotzdem meine Schwester. Ich hätte gern, dass sie wieder abhaut, aber ich möchte nicht, dass ihr etwas wirklich Schlimmes passiert. Macht das irgendeinen Sinn für dich?“

Dairine sah mich nachdenklich an. „Hast du schon mal mit jemandem darüber geredet?“

Ich hob kritisch die Augenbrauen. „Du meinst einen Psychodoktor?“

Dairine hob beruhigend die Hände. „Die sind gar nicht so schlimm. Nach unserem Umzug war ich auch ein paar Mal bei einem. Das hat mir irgendwie geholfen, die Dinge klarer zu sehen. Es tut gut, mit jemand Unbeteiligtem zu reden. Du könntest zur Schulpsychologin gehen.“

„Dann halten mich doch alle erst recht für verrückt!“

„Es muss doch keiner mitbekommen!“

„So etwas spricht sich immer rum. Außerdem bin nicht ich diejenige, die ein Problem hat, sondern Eliza. Sie ist doch abgehauen, hat Drogen genommen und mir meinen Freund ausgespannt. Sie sollte zum Arzt gehen.“

Dairine seufzte, als andere Schüler den Raum betraten. „War nur ein Vorschlag. Vielleicht legt es sich mit der Zeit auch von alleine wieder.“

Ich hatte daran meine Zweifel, sprach es aber nicht laut aus.

Zehn Minuten später begann der Kunstkurs. Mrs. Murphy sah sich irritiert um. „Sollten wir nicht heute eine neue Schülerin bekommen?“, fragte sie uns. Eliza saß auf der anderen Seite des Raums. Sie beachtete mich nicht mehr, doch jetzt schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Mona!“

Erst da erkannte ich, dass ich sie durch meinen Ausraster in der Cafeteria völlig vergessen hatte. War sie etwa immer noch auf der Toilette? Hektisch stand ich auf. „Ich glaube, ich weiß, wo sie ist“, sagte ich zu der Lehrerin, bevor ich aus dem Kursraum stürzte. Was, wenn ihr etwas passiert war? Und das an ihrem ersten Schultag, während ich auf sie hatte aufpassen wollen? Mein Herz pochte heftig gegen meine Rippen, als ich die Tür zur Mädchentoilette aufstieß. Es war still und der Raum sah leer aus, doch eine der fünf Kabinen war verschlossen. „Mona?“, rief ich besorgt.

Ein Schniefen drang hinter der Tür hervor. Ich klopfte leicht dagegen. „Mona, bist du das?“

„Ich hatte Angst“, sagte sie entschuldigend.

„Mach bitte die Tür auf und wir reden in Ruhe darüber.“ Einen Moment blieb es still, doch dann hörte ich, wie sie ihre Füße von dem Toilettendeckel auf den Boden stellte und den Riegel zurückschob. Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt und ich blickte in ihr verweintes Gesicht.

„Was war los?“, fragte ich sie und reichte ihr ein Taschentuch.

Sie putzte sich die Nase und sprach, ohne mich anzusehen. „Als ich auf die Toilette gegangen bin, war niemand da, aber dann kamen plötzlich andere Mädchen.“

„Haben sie dir etwas getan?“

„Nein, sie haben sich unterhalten und gelacht. Ich habe mich nicht mehr aus der Kabine getraut. Nach ihnen kamen andere. Es hat nicht mehr aufgehört.“

Es hätte nichts gebracht, ihr zu sagen, dass es albern war, sich nicht aus der Kabine zu trauen, weil andere Mädchen die öffentliche Toilette ebenfalls besuchten. Mona wusste das sicher genauso gut wie ich. Aber es änderte nichts an ihrer Angst. Sie hatte Probleme, die sie ohne professionelle Hilfe wohl nicht würde lösen können. Vielleicht hätten wir uns zusammen für eine Therapie anmelden sollen.

„Ich komme zu spät in den Unterricht und das an meinem ersten Tag“, sagte sie verzweifelt.

„Das ist nicht so schlimm!“, versuchte ich sie zu trösten. „Mrs. Murphy ist nett. Wir sagen ihr, dass du dich verlaufen hast. Dafür wird sie Verständnis haben.“

„Aber was ist mit morgen?“, fragte sie gequält. „Winter, ich schaffe das nicht!“

Ich fasste einen Entschluss. Es gab nur einen Weg, ihr etwas Hoffnung zurückzugeben. Ich nahm sie an der Hand und sah ihr fest in die Augen. „Wir müssen beide über unseren Schatten springen. Wenn du mit mir zurück in den Unterricht gehst, frage ich Lucas nach der Schule, ob er mit uns zu eurem Anwesen fährt, um Liam zu beerdigen.“

Ihre Augen leuchteten auf. „Wirklich?“

„Versprochen!“ Es würde meine ganze Willensstärke kosten, erst recht nach dem, was heute in der Cafeteria geschehen war.

Meine Hände waren feucht, jedoch nicht vom Regen, sondern vor Nervosität. Ich atmete noch einmal tief durch und drückte schließlich auf die Klingel. Ich hoffte auf Mrs. Riley, die mich schon immer gemocht hatte, doch als die Tür aufging, stand Toby vor mir: Lucas’ jüngerer Bruder. Er war zwölf Jahre alt und musterte mich von oben bis unten. Meine Haare klebten mir vom Regen im Gesicht. „Was willst du?“, blaffte er mich schließlich unfreundlich an. Als Toby klein gewesen war, hatten wir ihn alle süß gefunden, aber je älter er wurde, desto unausstehlicher wurde er.

„Ich möchte Lucas sprechen, ist er da?“, antwortete ich und versuchte mir dabei nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich war.

„Was willst du von ihm?“, grinste mich Toby frech an. „Ist er jetzt nicht mit Eliza zusammen?“

Gab es pro Familie eigentlich immer nur für einen die guten Gene und der andere bekam nur den Rest? Oder wie war es sonst zu erklären, dass Toby nicht einmal halb so viel Charme besaß, wie Lucas in seinem Alter gehabt hatte? „Ich würde gerne persönlich mit ihm reden. Also ist er da?“ Ich kochte innerlich.

„Vielleicht“, erwiderte Toby. „Was ist es dir wert?“

Erstaunt starrte ich ihn an. War das gerade sein Ernst? Er wollte, dass ich ihn dafür bezahlte, dass er nachsah, ob sein Bruder da war? Das war zu viel! Ungeduldig schob ich Toby, der wild protestierte, zur Seite und schrie: „Lucas!“

Toby zerrte an meinem Arm. „Das ist Hausfriedensbruch!“, rief er wütend.

„Lucas!“

Toby schob mich am Rücken in Richtung Tür. Mit seinen zwölf Jahren war er nur noch ein Kopf kleiner als ich und besaß schon enorme Kraft.

„Lucas!“

Ich hörte, wie im oberen Stockwerk eine Zimmertür schwungvoll geöffnet wurde und jemand die Treppe heruntergerannt kam. Es war Lucas und als er sah, wie ich mit Toby kämpfte, begann er laut zu lachen. „Was ist bei euch beiden denn los?“

„Sie ist einfach reingestürmt!“, behauptete Toby, während ich sagte: „Er wollte mich erpressen.“

Lucas strafte Toby mit einem strengen Blick. „Mach, dass du davonkommst oder ich sage es Mum!“

„Petze“, knurrte Toby, als er die Treppe hochschlich. Ich wusste genau, dass er uns belauschen würde.

Verlegen sah ich an Lucas vorbei, auf die Wand hinter ihm. „Können wir draußen reden?“

Er stellte keine Fragen, sondern zog sich einfach seine Schuhe an und warf sich eine Jacke über. Ich wartete bereits vor der Tür unter dem kleinen Vordach auf ihn. Er stellte sich direkt neben mich und schloss die Tür. „Was gibt es?“

Ich atmete noch einmal tief ein und aus. „Es tut mir leid, wie ich mich in der Schule benommen habe.“ Ich sah ihm in die Augen. Er war mir so nah unter dem kleinen Vordach, während der Regen gegen unsere Beine schlug. Meine Hose war jetzt schon völlig durchweicht. Ich wünschte mir, dass er mir die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen würde, so, wie er es früher immer getan hatte. Ein Blick auf seine weichen Lippen löste ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust aus. Er fehlte mir so sehr. Gerade nach dem, was mit Liam passiert war.

Doch Lucas hielt Abstand zu mir. Seine ganze Körperhaltung drückte Zurückhaltung aus. „Du solltest dich nicht bei mir, sondern bei Eliza entschuldigen.“

Es tat weh, dass er sich wieder auf ihre Seite stellte, doch dieses Mal hatte ich es wenigstens verdient. „Ich weiß, aber ich gehe ihr lieber aus dem Weg. Das ist besser für uns beide.“

„Sie leidet sehr darunter. Eliza ist hauptsächlich deinetwegen zurückgekommen.“

Ich lachte traurig auf. „Das glaubst du doch selbst nicht! Eliza ist zurückgekommen, weil sie alleine nicht mehr zurecht kam.“ Ich sah, dass er mir widersprechen wollte und hob die Hand. „Ich bin nicht gekommen, um über meine Schwester zu reden, sondern um dich um einen Gefallen zu bitten.“

Er sah mich überrascht an. „Was ist los?“

„Mona wäre es wichtig, Liam in ihrer Familiengruft zu beerdigen. Er war ihr Cousin und das letzte Mitglied ihrer Familie. Könntest du uns bitte nach Waterford zu dem Anwesen fahren?“

Er zögerte, aber dann nickte er. „Ich hole nur kurz die Autoschlüssel.“

„Lucas?“

„Ja?“

„Sag bitte Eliza nichts davon.“

Ich sah sein Unbehagen. „In Ordnung“, sagte er dennoch.

Mona saß zwischen uns auf der weichen Vorderbank des Pick-ups. Er war erst am Morgen aus der Reparatur gekommen und lief nun besser denn je. Ich vermisste das Rattern des alten Motors. Wir fuhren durch den schmalen Waldweg, der zu dem Anwesen der Dearings führte. Alles erinnerte mich hier an Liam, wie musste es Mona dann erst gehen? Sie war hier aufgewachsen, hatte ihr ganzes Leben an diesem Ort verbracht. Doch sie ließ sich keine Gefühlsregung anmerken, sondern starrte stur geradeaus. Das alte Gebäude, welches komplett mit Efeu bewachsen war, tauchte vor uns auf. Das Tor stand immer noch weit offen, so, wie wir es bei unserer eiligen Flucht zurückgelassen hatten. Ich konnte mich nur bruchstückhaft daran erinnern. Ich wusste, dass Lucas an meiner Seite gewesen war.

Der Pick-up kam knirschend auf dem Schotter zum Stehen. Keinem von uns fiel es leicht, auszusteigen, sodass wir einige Sekunden reglos verharrten, bis Lucas schließlich ausstieg. Wir gingen zu der unverschlossenen Tür. Mona öffnete sie und sofort stieg mir der bekannte Geruch des Anwesens in die Nase. Staub, alte Teppiche, moderndes Holz. Als ich das erste Mal hier gewesen war, hatte es erdrückend auf mich gewirkt, jetzt rief es die Erinnerung an Liam wach. Liam mit seinem wilden Blick und seinem schnellen Körper, der mich durchs Haus jagte und dabei Freude empfand. Liam, der mich auslachte. Aber auch Liam, der mich voller Stolz durch seine Ahnengalerie führte. Er hatte zwei Seiten gehabt und ich hatte beide zu schätzen gelernt. Das Holz des Parkettbodens knarrte bei jedem Schritt unter unseren Füßen. Wir gingen am Wohnzimmer vorbei. Die Tür stand offen und mein Blick fiel auf den Kamin. Davor hatten wir uns geküsst. Es war ein erzwungener Kuss bei einem blöden Spiel gewesen, aber dennoch spürte ich die Hitze, die er in mir hinterlassen hatte. Ich wusste wieder, wie Liams Haar sich zwischen meinen Fingern und wie sich seine Haut auf meiner angefühlt hatte. Ich hatte ihn gern gehabt, trotz allem, was gewesen war.

„Winter, kommst du?“, rief Lucas plötzlich. Er stand bereits in der Tür zur Küche. Hinter ihm konnte ich eine leblose Gestalt auf dem Boden liegen sehen. Ich erkannte ihn an seinen dunklen Stiefeln, die er im Unterricht oft offen gelassen hatte, um besonders lässig zu wirken. Er trug die schwarze Lederjacke, die sein Haar und seine Augen noch heller erscheinen ließ. Nein, ich konnte ihm nicht ins Gesicht blicken. Ausgeschlossen!

Ich ging rückwärts, während Lucas mich besorgt ansah. „Was ist los?“

„Ich kann das nicht“, stammelte ich. „Ich kann ihn nicht ansehen!“

Lucas war rasch bei mir, hielt mich an den Armen fest. „Beruhige dich! Du musst uns nicht helfen. Wir schaffen das auch alleine. Setz dich in den Pick-up und warte dort auf uns. Dreh die Musik voll auf, wenn es dir hilft.“ Er gab mir den Autoschlüssel in die Hand. Ich sah zu ihm auf und er drückte mich an sich, streichelte mir übers Haar. Seine Nähe vertrieb die Kälte in mir. Wir lösten uns voneinander und ich lief, ohne mich noch einmal umzudrehen, aus dem Anwesen und schloss mich im Pick-up ein.

Eine gefühlte Ewigkeit später kamen Lucas und Mona zurück. Sie hatte geweint und wirkte noch zittriger als sonst. Sie ließ sich wortlos neben mich auf die Bank gleiten, während Lucas den Motor startete. Die ganze Fahrt über sagten wir nicht ein Wort. Als wir Slade’s Castle erreichten, sprang Mona ungehalten aus dem Wagen und rannte ins Haus. Ich wollte ihr nach, doch Lucas hielt mich zurück. Seine Hand lag auf meiner. „Warte!“

Ich sah ihn überrascht an. Meine Haut begann zu kribbeln und mein Herz zu klopfen. Lucas zog seine Hand zurück und sah mich ernst an.

„Es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich zu dir war. Ich habe dir nie bewusst etwas vormachen wollen. Ich habe mir wirklich gewünscht, dass das mit uns funktioniert. Ich mag dich sehr gern. Du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich vermisse dich jeden Tag! Es tut mir weh, dich leiden zu sehen und ich wünsche mir, dass wir irgendwann wieder Freunde sein können. Aber ich weiß, dass das jetzt noch nicht möglich ist.“

Ich senkte den Blick und sah auf meine Hände. Lucas fehlte mir nicht nur als mein fester Freund, sondern vor allem auch als mein bester Freund. Ich hatte meine ganze Freizeit immer mit ihm verbracht. Er kannte mich besser als jeder andere.

„Winter, ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.“ Das hatte er heute bewiesen.

„Ich weiß“, sagte ich kleinlaut. Dann sah ich ihn an. „Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst.“ Es fiel mir schwer, die Worte auszusprechen, da sie indirekt Eliza mit einbezogen. Sie hatte ihn nicht verdient! Aber was machte das schon, wenn sie die Einzige war, die Lucas wollte. Ich liebte ihn zu sehr, um ihm etwas Schlechtes wünschen zu können. Doch er konnte nicht von mir erwarten, dass ich dabei zusah, wie er sich mit Eliza ins Unglück stürzte. Ich würde nichts dagegen unternehmen, sondern versuchen, wegzusehen. Meine Augen davor verschließen, so lange, bis es weniger wehtat – wann immer das auch sein mochte.

Schattenjagd

Подняться наверх