Читать книгу Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin - M.E. Lee Jonas - Страница 10
Kapitel 6 Zwei seltsame Abgesandte aus Rosaryon
ОглавлениеAls sie im Hotel angelangt, steht ein Kleiderständer mit einem Abendkleid vor ihrer Zimmertür. Aufgeregt schiebt sie es in ihr Zimmer und liest den Zettel:
Mit den besten Empfehlungen!
Hexe Strada.
Sie linst kurz unter die Folie und hüpft zufrieden unter die Dusche. Bevor sie sich umzieht, holt sie noch schnell ihr Tagebuch hervor. Verträumt streicht sie über das Foto von Diggler und Lincoln und beginnt, wie jeden Tag ganz genau zu protokollieren, was sie getan hat und wie es ihr in Wirklichkeit geht.
J.J. weiß nicht, was noch auf sie zukommt, aber sie weiß, was alles passieren kann. Deshalb will sie sichergehen, dass ihre wahren Beweggründe nicht verschleiert werden, falls ihr irgendetwas zustößt.
Als es leise an der Tür klopft, trägt sie bereits das schwarze knielange Kleid. Vorsichtig öffnet sie Tür. Auf dem Flur steht ein stattlicher Mann mit großem Zwirbelbart, der sich höflich verbeugt.
»Hexe Jezabel. Ich bin dein Chauffeur. Der Hexenrat wünscht, dass ich dich pünktlich zum Eggtower bringe. Darania möchte nicht, dass du weiterhin zu offiziellen Terminen mit dem Besen anreist. Ich warte vor dem Hoteleingang auf dich.«
J.J. starrt auf den Mann im schwarzen Anzug und stutzt. Noch bevor sie etwas erwidern kann, dreht der Chauffeur sich um und eilt den Gang zurück.
»Sehr unhöflich, dieses Personal. Ich hätte mir meinen Chauffeur auch sehr gern selbst ausgesucht, liebe Darania«, meckert das Mädchen schlecht gelaunt los.
»Tut mir leid, Rosinante, wie du siehst, habe ich heute einen Fahrdienst zugeteilt bekommen. Dann wartest du so lange hier und passt auf unser Zimmer auf.«
Sie streicht dem Besen über das Reisig und holt ihre Tasche, bevor sie das Zimmer verlässt. Nachdenklich fährt sie in das Erdgeschoss. Dieses spontane Treffen ist ihr nicht geheuer.
»Hoffentlich stellen mir diese Abgesandten keine peinlichen Fragen. Ich bete, dass dieses Treffen nichts mit Großmutter zu tun hat«, denkt sie verunsichert.
Als sie die Lobby verlässt und die große Drehtür betritt, stockt sie. Vor dem Eingang steht eine äußerst pompöse, schwarze Stretchlimousine, die von etlichen Schaulustigen umringt wird.
Der komische Chauffeur öffnet umgehend die Hintertür, als er J.J. erblickt. Dabei drängt er die aufdringlichen Wesen beiseite und hilft dem verärgerten Mädchen beim Einsteigen. Genervt lässt sie sich in den bequemen Rücksitz fallen und wartet, dass die Tür sich endlich schließt.
»Ich dachte, dem Hotelier gehen die Schaulustigen auf den Geist. Dann verstehe ich nicht, warum sie mir so ein Geschoss vor die Tür stellen«, denkt sie empört.
Der Innenraum dieses Wagens erinnert sie sowohl von der Größe als von der Einrichtung an die Limousinentasche ihrer Großmutter. Mit dem kleinen Unterschied, dass, außer ihr, kein anderer Fahrgast zugegen ist, was die Größe dieses Wagens schon wieder lächerlich wirken lässt.
Der Wagen erhebt sich und schleppt sich im Schritttempo durch die Verkehrsebene. Das Mädchen sieht aus dem Fenster und knetet nervös ihre Hände. Es macht ihr zu schaffen, dass sie nicht weiß, wer oder was sie erwartet. Sie hat das Schreiben nicht gelesen, obwohl Hexe Cybill es ihr extra auf den Monitor geschickt hat. Den hat das Mädchen in letzter Zeit jedoch überhaupt nicht mehr hochgefahren.
Warum auch?
Der Mensch, dessen Nachricht sie so sehnsüchtig erwartet, ist fort und von dem Rest möchte sie im Moment nichts hören. Na ja, so ganz stimmt das auch nicht. Eigentlich ist es so, dass sie sich vor den Nachrichten aus der realen Welt fürchtet.
Über das Leben und die Geschehnisse außerhalb dieses Reiches möchte sie im Moment nichts wissen, da es nur ihre Gefühle durcheinanderbringen würde und das kann sie sich nicht leisten. Dieser zusätzliche Schmerz würde alles eskalieren lassen.
J.J. schließt die Augen und baut in Gedanken eine große Mauer um ihre Erinnerungen.
Dann sinkt die Limousine langsam zu Boden. Der Chauffeur öffnet die Tür und senkt den Blick, während er ihr behilflich die Hand reicht. J.J. starrt auf den hell erleuchteten Eggtower und steigt zögerlich aus. Als sie den gläsernen Fahrstuhl betritt, erhebt sich die Limousine bereits wieder nach oben.
Im Restaurant wird sie schon ungeduldig von den Hexen Cybill und Onstasia erwartet. Diese sind ebenfalls sehr glamourös gekleidet, was jedoch nichts über die Bedeutung dieses Abends aussagt, da die weiblichen Zauberreichbewohner zu später Stunde meist in ihren schönsten Kleidern ausgehen.
Die Hexenratmitglieder bringen sie an einen Tisch, ganz am Ende des Restaurants, das heute Abend eigens für dieses Treffen reserviert zu sein scheint. In dem sonst gut besuchten Restaurant befindet sich nämlich kein anderer Gast. Dieser Anblick ängstigt das Mädchen etwas.
Mit erhobenem Kopf geht sie zu der langen Tafel, an der bereits die restlichen Hexenratmitglieder sitzen. Als diese J.J. bemerken, erheben sie sich, um sie zu begrüßen. Darania lässt sich eine spitze Bemerkung natürlich nicht nehmen:
»Jezabel. Wie schön, dass du auch endlich da bist. Wir haben uns schon einen kleinen Aperitif bestellt, da wir ja nicht wussten, wann du kommst.«
Hämisch grinsend erhebt die Oberhexe ihr Glas.
J.J. presst die Lippen zusammen und setzt sich an das andere Ende des Tisches.
»Ich wollte dir nur genügend Zeit geben, um dir eine gute Willkommensrede für mich auszudenken. Es wäre mit der Zeit langweilig, wenn du immer das Gleiche loslassen würdest«, kontert das Mädchen und blitzt Darania provozierend an.
Die eine oder andere Hexe verkneift sich ein Lachen und verdeckt dies mit einem eiligen Griff zum Glas.
J.J. sieht an der Tafel entlang und bemerkt nun auch die zwei unbekannten Gäste. An deren Kleidung und Haltung kann sie erkennen, dass es sich hierbei um die Abgeordneten aus Rosaryon handeln muss.
Die beiden sehen das Mädchen ruhig, aber eindringlich an. Der Mann erhebt sich.
»Guten Abend, Hexe Jezabel! Mein Name ist Orton. Ich bin ein Gesandter des weisen Rates. Neben mir sitzt Hexe Valiria, die rechte Hand von Marla. Wir fühlen uns geehrt, dich endlich kennenlernen zu dürfen«, sagt er ruhig.
Dieser Abgesandte hat schlohweiße Haare und trägt ein lindgrünes Gewand. Wenn er spricht, senkt er leicht den Kopf, was J.J. noch gut von ihrem kurzen Besuch im weisen Phad kennt. Hexe Valiria scheint etwas jünger zu sein. Sie hat lange, nussbraune Locken und ihre Augen glitzern im Kerzenschein wie ein glasklarer See im Sommer. Die Abgesandte fixiert das Mädchen und nickt ihr leicht abwesend zu.
J.J. lächelt unsicher zurück.
»Ich freue mich, euch kennenzulernen. Hattet ihr eine angenehme Anreise?«, fragt sie höflich, bemerkt aber sofort die genervten Blicke der anderen Hexenratmitglieder.
»Nun ja, die Lichtverhältnisse sind für uns immer eine große Herausforderung. Ebenso die komplizierten, technischen Gegebenheiten. Wie du sicherlich weißt, fliegen unsere Besen in Xestha nicht so gern. Es ist für uns deshalb stets ein nachhaltiges Erlebnis, in den dunklen Phad zu reisen.«
J.J. spürt den Unmut in Ortons Worten und amüsiert sich innerlich köstlich.
Darania scheint das höfliche Geplänkel allerdings zu nerven. Laut seufzend erhebt sie sich und gibt Orton zu verstehen, dass er sich wieder setzen kann.
»Hexe Jezabel, liebe Mitglieder des Hexenrates, werte Abgesandte. Ich hoffe, dass wir einen interessanten und aufschlussreichen Abend verbringen werden, an dem es keine bösen Überraschungen gibt.
Es ist erst wenige Tage her, dass Junghexe Jezabel, die uns vom Spiegel der Tore als schwarze Prinzessin angekündigt wurde, sich nach längerem Zögern endlich in den schwarzen Phad eingefunden hat. Dies war auch für uns Mitglieder des Hexenrates eine außergewöhnliche und anstrengende Phase, die uns viel organisatorisches Geschick abverlangt hat. Aber nun ist ja alles bestens.
Soweit ich es aus eurem Schreiben entnehmen konnte, haben wir uns hier zusammengefunden, um über den weiteren Werdegang der schwarzen Prinzessin zu sprechen. Ich brauche die jeweiligen Legenden nicht noch einmal vorzutragen, da ich mir sicher bin, dass jeder an diesem Tisch sie in- und auswendig kennt.
Der besondere Umstand, dass ein Wesen, welches dazu in der realen Welt geboren wurde, frei wählen konnte, welchem Phad es seine Fähigkeiten zur Verfügung stellt, hat sowohl bei Hexe Jezabel als auch bei uns für große Anspannung gesorgt.
Obwohl es mir natürlich von Anfang an klar war, dass sich die schwarze Prinzessin für den dunklen Phad entscheidet. Vergessen wir nicht ihren Familienstammbaum, der bis zu dem Fehlverhalten ihrer Großmutter, Hexe Vettel, eine durchgehend lupenreine Linie des schwarzen Blutes darstellt.
Ich kann ohne Umschweife behaupten, dass Hexe Jezabel sich schon außerordentlich gut bei uns eingelebt hat und den Verpflichtungen, die der schwarze Phad ihr abverlangt, sehr gut nachkommt. Bereits nächste Woche soll ihre offizielle Amtseinführung stattfinden, die wir natürlich gebührend feiern werden. Ganz Xestha befindet sich deshalb schon im Ausnahmezustand. Im Anschluss daran wird sie ihr Quartier beziehen, um sich in Ruhe ihrer Bestimmung widmen zu können.
Orton, Hexe Valiria, was sind eure Beweggründe, die uns zu der Ehre kommen lassen, dass sich weise Abgesandte freiwillig in den schwarzen Phad begeben?«
Darania lächelt die beiden Abgesandten erwartungsvoll an. Gekünstelt und kühl, wie man es von ihr gewohnt ist.
J.J. ist sich sicher, dass die Oberhexe in den letzten Tagen die Hölle durchgemacht haben muss. Ihr Plan, die schwarze Prinzessin im Geheimen durch ein anderes Wesen ersetzen zu lassen, wurde durch J.J.s freiwillige Einkehr in den dunklen Phad vereitelt. Also hat sich die Oberhexe den neuen Gegebenheiten vorerst geschlagen gegeben. Aber das Mädchen traut dem Frieden nicht. Ihre gemeinsame Vorgeschichte spricht eine andere Sprache. Deshalb ist J.J. der abwertende Unterton in Daranias Ansprache auch nicht entgangen. Amüsiert lächelt das Mädchen in sich hinein und sieht erwartungsvoll zu den Abgesandten. Dabei bemerkt sie, dass Hexe Valiria die Oberhexe trotzig und mit zusammengekniffenen Lippen anstarrt.
Eine Weile herrscht unangenehmes Schweigen.
Orton sieht verunsichert zu seiner Begleiterin und steht erneut auf, als er begreift, dass Hexe Valiria der Oberhexe wohl nicht antworten möchte.
»Wir danken euch für die kurzfristige Einladung zu dieser offenen Zusammenkunft. Leider wurde der weise Phad erst gestern über die Einkehr der schwarzen Prinzessin in den dunklen Phad unterrichtet. Es scheint, als wurde uns diese wichtige Information fälschlicherweise etwas länger vorenthalten.
Aber nun hat ja alles seine Richtigkeit.
Es ist uns sehr wohl bekannt, dass die schwarze Prinzessin die Wahl hatte, auf welchem Phad sie leben möchte. Aber vergessen wir nicht die letzte Option: Hexe Jezabel hätte sich ebenso für ein Leben in der realen Welt entscheiden können! Immerhin hat sie eine menschliche Mutter. Diese Besonderheit hast du, werte Darania, seit ihrer Geburt starrsinnig ignoriert. Wir wissen inzwischen von der heimlichen Liaison Sir Konrads mit Hexe Vettel, die ja nun zu unserer aller Bereicherung seit ein paar Monaten zur Probe in Rosaryon lebt.«
Als der Abgesandte Oma Vettel erwähnt, lächelt er J.J. an. Das Mädchen schreckt zusammen und schluckt. Für einen kurzen Moment schließt sie die Augen und versucht ihre Gefühle zu blockieren.
Hexe Valiria scheint dies nicht zu entgehen. Die Abgesandte lächelt das Mädchen an und nickt, als wolle sie bestätigen, dass alles in Ordnung sei.
Die Hexenratmitglieder dagegen scheinen von Ortons Rede nicht beeindruckt. Gelangweilt nippen sie an ihren Gläsern und warten darauf, dass der Abgesandte endlich fortfährt.
»Wir sind nicht in euer Reich gekommen, um euch zu belehren, aber es erschien uns wichtig, dass alle Missverständnisse beseitigt sind, bevor die schwarze Prinzessin ihr Amt endgültig antritt.
Auch wenn ihrer Existenz eine unerlaubte Liaison voranging, muss sie über all ihre Möglichkeiten in Kenntnis gesetzt werden! Hexe Jezabel hat keinen Fehler begangen. Ihre Bestimmung wurde bei ihrer Geburt festgelegt. Trotzdem wurde sie von euch seit ihrer frühesten Kindheit gedrängt, eine Entscheidung bezüglich ihres Daseins als Hexe zu treffen. Das war purer Egoismus.
Die Essenz ihrer Ankunft lag nicht nur in der verbotenen Liaison ihrer Großeltern, sondern in der Besonderheit, dass sie dazu das Blut der realen Welt in sich trägt. Die Mischung des Blutes aller Welten ist das Geheimnis ihrer Existenz.
Allein die Tatsache, dass Jezabels Vater, selbst ein Mischblut, eine Frau aus der realen Welt heiratete, konnte diese Legende überhaupt erst erschaffen.
Ihre Großmutter, Hexe Vettel, hat in all den Jahren vergeblich versucht, euch auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Ihr habt jedoch starrsinnig auf die Gesetzmäßigkeiten der beiden Phade gepocht, obwohl es offensichtlich war, dass Jezabel ebenso menschlich ist.
Wir können Hexe Vettel also keinen Vorwurf machen, weil sie ihre Enkelin jahrelang in der realen Welt versteckt hielt. Dies war kein Verbrechen, sehr geehrte Darania!
Wir ihr wisst, leben wir Rosaryer in ewiger Balance. Dies setzt Gerechtigkeit, absolute Loyalität und Aufrichtigkeit voraus. Deshalb war es uns wichtig, dass Jezabel weiß, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, ohne dass sie dafür bestraft werden könnte.
Was nützt ihr das Privileg wählen zu können, wenn sie am Ende doch nur für fremde Zwecke benutzt wird?«
Der Abgesandte hält inne und sieht die verunsicherten Hexenratmitglieder streng an. Darania verdreht genervt die Augen und winkt ab.
»Das haben wir oft genug diskutiert. Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. Ich denke, Hexe Jezabel weiß, wer ihre Eltern sind. Außerdem kann ich euch versichern, dass sie sich freiwillig für den dunklen Phad entschieden hat«, antwortet sie schnippisch, ohne auf die Vorwürfe einzugehen.
J.J. rutscht nervös auf ihrem Stuhl herum. Diese Valiria fixiert sie unentwegt, was ihr langsam richtig unangenehm wird. Auch Ortons Blick bleibt nun an ihr haften.
»Dieses junge Mädchen ist nur deshalb so mächtig, weil das Blut aller Welten in ihr fließt. Ausnahmslos! Ich bin mir sicher, dass ihr, hochverehrte Hexenratmitglieder, wisst, worauf ich hinausmöchte. Soweit wir erfahren haben, hat Junghexe Jezabel ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten bereits in der Arena unter Beweis gestellt.
Die Frage ist jedoch, ob sie es weiß. Auch wenn dies nun nicht mehr die Angelegenheit der Rosaryer ist, mussten wir sichergehen, dass dieses Mädchen alle Fakten kennt, seien sie auch noch so unangenehm«, fährt Orton geheimnisvoll fort und beendet damit seine Rede. Als sich der Abgesandte setzt, herrscht beklemmende Stille im Raum. Niemand scheint auf das Gesagte antworten zu wollen, selbst Darania sagt kein Wort.
J.J. bemerkt, dass die Hexenratmitglieder den Abgesandten höchst verärgert ansehen. Sie versteht im Moment zwar nicht, worauf Orton hinauswill, aber der Abgesandte hat doch eigentlich keine Neuigkeiten auf den Tisch gebracht. Das Einzige, was sie störte, war sein Tonfall, als er darüber sprach, dass sie das Blut aller Welten in sich trägt.
»Entschuldige bitte, Orton. Ich verstehe nicht so ganz, worauf du hinauswillst. Für mich hat sich das so angehört, als wäre mein Blut durch meine menschliche Mutter verunreinigt. Das hat, soweit ich es beurteilen kann, aber keinen Einfluss auf meine magischen Fähigkeiten. Wieso ist es euch nun so wichtig, darauf rumzureiten, dass ich das Blut dieser Welt auch in mir trage?«, fragt J.J. verstört.
Orton dreht sich zu ihr und lächelt verkrampft. Hexe Valiria hingegen schnauft, was das Mädchen für einen kurzen Moment ablenkt. Irgendwie ist ihr diese Abgesandte suspekt.
»Was ist mir dir los? Wie kommst du plötzlich darauf, dass das menschliche Blut deiner Mutter weniger wertvoll sei? Diese Wesen können vielleicht nicht zaubern oder große Dämonen beschwören, trotzdem sind sie ebenso mächtig wie wir. Nur in anderer Hinsicht. Beispielsweise haben sie Tugenden. Sie sind fleißig, meist aufrichtig und geduldig. Das Entscheidende ist jedoch ihre Emotionalität!
Ihre Fähigkeit zu fühlen ist stärker ausgeprägt als bei jedem anderen Wesen. Das ist etwas, was man bei den Bewohnern des dunklen Phads manchmal sehr vermisst. Nein, Kindchen, dein Blut ist nicht verschmutzt. Ganz im Gegenteil, es ist sehr kostbar!«, zischt die Abgesandte los.
J.J. zieht die Augenbrauen nach oben und holt Luft. Sie hätte große Lust dieser Hexe zu sagen, dass sie sie nicht ausstehen kann. Valirias Worte versteht das Mädchen aber sehr wohl. Auch wenn sie im Moment eine ganz andere Einstellung zum Thema Gefühle hat.
Das Mädchen lehnt sich zurück und starrt zu Darania, die ungewohnterweise nicht lauthals kontert. Die Oberhexe sitzt mit gesenktem Blick auf ihrem Stuhl und reibt sich die Schläfen. Das verwirrt das Mädchen noch mehr. Selbst Onstasia, die sonst nicht auf den Mund gefallen ist, hält sich mit Boshaftigkeiten zurück. Die Stimmung an der Tafel wird mit jeder Minute bedrückter.
Hexe Valiria schüttelt entsetzt den Kopf und erhebt sich.
»Wir sind nicht gekommen, um Hexe Jezabels Entscheidung infrage zu stellen oder sie zu beeinflussen. Ich denke, sie wird von euch schon genug geblendet. Es ist jedoch unverantwortlich, ihr die restlichen Möglichkeiten vorzuenthalten. Ich hoffe inständig, dass ihr euch über die Konsequenzen tatsächlich im Klaren seid!
Dies soll allerdings nicht mehr unsere Angelegenheit sein.
Wir sind auch noch aus einem anderen Grund gekommen:
Im Gegensatz zu euch behandeln wir Rosaryer alle Wesen, einschließlich die Menschen, mit ebenbürtigen Respekt. Es gibt Grenzen und diese müssen auch von euch eingehalten werden!
Wir wissen, dass Darania keinen Skrupel hat, mächtige Zauber in der realen Welt anzuwenden, obwohl sie weiß, dass sie damit das Gleichgewicht stört und unschuldige Menschen in Gefahr bringt. In letzter Zeit sollen sich derartige Ereignisse gehäuft haben. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Grenzen zur realen Welt verschwimmen und es zu einer unabwendbaren Katastrophe käme, die nur die mächtigsten Geschöpfe überleben könnten. Die Menschen würden, ohne es zu bemerken, in einen sinnlosen Kampf hineingezogen, da sie die Existenz eines Zauberreiches nicht akzeptieren. Sie haben also einen unsichtbaren Feind, der sie gnadenlos vernichten könnte.
Uns ist zugetragen worden, dass ein Dämon in die reale Welt gesandt wurde, der nur durch Nutzung eines dunklen Zaubers vernichtet werden konnte. Sollte sich herausstellen, dass du etwas damit zu tun hast, wird das dieses Mal deutliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die reale Welt, liebe Darania, ist nicht deine Angelegenheit!
Betrachte dies also als letzte Warnung!«
Hexe Valirias Stimme wird mit jedem Wort lauter. Für eine Rosaryerin spricht sie außerdem ungewohnt unbeherrscht. Mit ernster Miene dreht sie sich nun zu J.J.
»Hexe Jezabel. Wir befürchten, dass der Hexenrat deine Unwissenheit für seine Belange benutzt, während er im Hinterhalt etwas Abscheuliches plant.«
J.J. schnappt empört nach Luft. Erwartungsvoll starrt sie zu Darania, aber der Oberhexe scheinen die Vorwürfe nicht sonderlich nahezugehen. Im Gegenteil, sie beginnt herzhaft zu lachen.
»Bitte schön! Ich werde euch bestimmt nicht aufhalten. Ihr habt keine Beweise für diese konfusen Unterstellungen. Ein Dämon hat sich also in der realen Welt gezeigt und wurde mit einem dunklen Zauber vernichtet. Das erklärt natürlich einiges!
Zum Beispiel, warum die Fähre seit zwei Wochen nicht mehr besetzt ist. Wir konnten bis jetzt nur spekulieren, was mit Sander geschehen ist. Mancher hatte ihm sogar eine Affäre mit einer der Sirenen angehangen. Aber nun wissen wir ja Bescheid.
Hexe Valiria, entschuldigt bitte meine Ungeduld, doch soweit ich weiß, sollte es bei dieser Zusammenkunft nicht um mich gehen. Im Moment fühle ich mich deshalb einem Hinterhalt ausgesetzt. In eurem Schreiben habt ihr um ein Treffen bezüglich der schwarzen Prinzessin gebeten, redet jedoch zwei Drittel der Zeit davon, dass ihr mich aus welchen Gründen auch immer, beobachten lassen wollt.
Hexe Jezabel hat sich aus freien Stücken in den schwarzen Phad begeben und somit sehr wohl eine eigene Entscheidung getroffen. Nächste Woche ist ihre offizielle Amtseinführung, danach wird sie das Buch schreiben. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Meine Zeit ist zu kostbar, um sie mit solchen Floskeln zu verschwenden. Quwill, informiere den Elonyk über die Bedenken des weisen Rates.
Ich hoffe, ihr habt eine angenehme Heimreise! Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt. Ich muss noch zu einem anderen Termin!«
Darania verbeugt sich kurz vor den Abgesandten und verlässt daraufhin eilig das Restaurant.
J.J. kommt sich vor wie im Theater. Den dramatischsten Abgang hat sich auf jeden Fall Darania gesichert. Wenn es etwas gibt, das das Mädchen von dieser Hexe lernen kann, dann die Art, wie man mit heiklen Situationen umgeht. Diese Abgesandte hat Darania bewusst provoziert, aber die Oberhexe hat den Spieß umgedreht und den beiden Rosaryern damit den Wind aus den Segeln genommen. Herrlich!
Es bleibt also alles beim Alten. Daranias Macht scheint unantastbar und J.J. hat keine Ahnung, was hier eigentlich vor sich geht.
Furiase und Hystasia nicken sich zu und erheben ihre Gläser.
»Lasst uns einen Toast auf die schwarze Prinzessin aussprechen! Auf Prinzessin Jezabel«, sagt Furiase laut, während sie das Mädchen dämonisch angrinst, bevor sie das Glas in einem Zug leer trinkt. Sorgfältig tupft sie sich die Mundwinkel ab und sieht die Abgesandten eindringlich an.
»Es ist mir ein Rätsel, warum Marla das nicht über den Spiegel der Tore mit uns klären konnte. Wieso schickt sie euch zu uns? Wir wären niemals auf die Idee gekommen, nach Rosaryon zu reisen. Auch dann nicht, wenn Hexe Jezabel in den weisen Phad gegangen wäre«, zischt sie verständnislos.
J.J. bemerkt, dass die Stimmung der restlichen Hexenratmitglieder sich wandelt. Hatte sie vor ein paar Minuten noch den Eindruck, dass die Worte der Rosaryer den Hexenrat einschüchtern, begreift sie nun, dass diese nur abgewartet haben, welche Informationen ihnen diese beiden bringen. Mit einem Schlag wird dem Mädchen bewusst: Dieses Treffen wird keinen Einfluss auf deren Pläne haben!
Furiase fährt sich durch ihr Haar und starrt die Abgesandten gleichgültig an. Jegliche Höflichkeit ist aus ihrem Gesicht gewichen.
Hexe Valiria schielt verstohlen zu Orton, der augenscheinlich nach beschwichtigenden Worten ringt, während sich auf seiner Stirn Schweißbäche bilden. Das Mädchen befürchtet, dass dieser Abend sehr unschön enden wird, und hofft, dass ihm bald ein paar nette Dinge einfallen. Und da entdeckt sie etwas Ungeheuerliches.
Sie stutzt und sieht noch einmal ganz genau hin. Nein. Es ist keine optische Täuschung. Die braune Strähne hinter Valirias rechtem Ohr beginnt zu blinken! Auch wenn der hohe Kragen ihres Mantels die braunen Locken umschließt, bleibt dies dem Mädchen nicht verborgen. Entsetzt starrt sie die Abgesandte an.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, denkt sie fassungslos und springt auf.
Quwill und Furiase sehen das Mädchen verwirrt an. J.J. ringt nach Worten, aber es ist ihr nicht möglich, etwas zu sagen. Sie schließt die Augen und holt Luft, da ihr Blut plötzlich stark zu pulsieren beginnt.
»Ich muss sofort hier weg!«, denkt sie wütend.
»Es wird gute Gründe haben, warum Marla sich nicht über den Spiegel der Tore bei uns gemeldet hat. Ist es nicht so, Orton? Ich danke euch trotzdem für diesen aufschlussreichen Abend. Entschuldigt mich bitte, aber ich werde mich jetzt auch zurückziehen. Dieser Abend war lang genug.«
J.J. vermeidet jeglichen Blickkontakt mit diesen Abgesandten und eilt, ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Fahrstuhl.
Während sie durch das Restaurant spurtet, kann sie hören, dass Stühle über den Boden quietschen und Furiase laut lacht. Hektisch drückt das Mädchen auf den Knopf und wartet auf den Fahrstuhl. Vor Schreck bekommt sie kaum noch Luft und befürchtet, gleich ohnmächtig zu werden. Die Abfahrt kommt ihr wie eine Ewigkeit vor. Als sie das Restaurantgebäude endlich verlassen kann, sinkt sie in die Knie.
»Das kann doch nicht wahr sein! Sind die denn von allen guten Geistern verlassen?«, beginnt sie wütend loszufluchen.
Da erhebt sich der Fahrstuhl erneut in die Höhe, was ihr zu verstehen gibt, dass die nächsten Hexen das Treffen verlassen möchten. Hektisch sucht sie nach einem Unterschlupf und versteckt sich schnell hinter einer Hauswand. Fassungslos schüttelt sie den Kopf.
Als sie hört, dass sich die Türen des Fahrstuhls wieder öffnen, lugt sie vorsichtig um die Ecke. Furiase, Hystasia und Quwill steigen wild gestikulierend aus dem Fahrstuhl und fliegen nach kurzer Diskussion Richtung Amtsgebäude. Daraufhin erhebt sich der Fahrstuhl erneut, um den Rest der Gesellschaft abzuholen. Onstasia und Cybill steigen als Erste aus und geleiten die beiden Abgesandten auf den Platz. Nachdem sie sich höflich verabschiedet haben, folgen sie den anderen Hexenratmitgliedern.
J.J. tritt aus dem Schatten und starrt die Abgesandten, die nun zögerlich auf sie zukommen, wütend an.
»Was habt ihr euch dabei gedacht? Findet ihr das etwa lustig? Ich dachte, du bist langsam zu alt für solche Spielchen, Großmutter! Was hast du dir von dieser dummen Aktion erhofft?«, zischt J.J. los und blitzt die falschen Abgesandten böse an.
Oma Vettel, immer noch in Gestalt der Abgesandten Valiria, schreitet auf sie zu.
»Du hast mir leider keine andere Wahl gelassen. Wie konntest du einfach weggehen, ohne mit uns darüber zu sprechen? Du machst es dir zu einfach, Jezabel. Jedes Mal wenn du dich in die Enge getrieben fühlst, schreibst du einen kurzen Abschiedsbrief und rennst weg, lässt dich verleugnen.
Hast du dir auch nur einmal Gedanken gemacht, wie es uns oder deinen Freunden damit geht? Broaf ist außer sich vor Sorge, genau wie wir auch. Was wir dort oben über die Grenzen gesagt haben, entspricht allerdings der Wahrheit. Keine Angst, ich bin nicht hier, um dich umzustimmen. Ich respektiere deine Entscheidung, Jezabel. Aber du solltest die Konsequenzen bedenken! Auch die, die deine Nächsten davontragen.
Es gibt Dinge, die du noch nicht verstehen kannst. Ich kann dir jedoch versichern, dass ich nicht zusehen werde, wie du durch deine Unwissenheit katastrophale Entscheidungen triffst. Es gibt da etwas, was ich dir unbedingt sagen muss.«
Vorsichtig tritt Oma Vettel an J.J. heran. Die braunen Locken haben sich schon fast vollständig zurückgebildet. Die weißen blinkenden Haare umsäumen wieder das noch jugendliche Gesicht.
Das Mädchen hält jedoch nur bedrohlich die Hände vor ihren Körper, um ihre Großmutter abzuwehren.
»Bleib dort stehen! Ich will nichts mehr hören! Du gibst mir Ratschläge, die du selbst nicht befolgen willst. Was soll das? Du hast gerade alle Regeln gebrochen, die Marla dir zur Auflage gemacht hat, und dazu noch einen dunklen Zauber angewendet. Wahrscheinlich hat Hexe Vivellia dir wieder dabei geholfen, also hast du auch Kontakt zum schwarzen Phad gehalten. Wenn Marla davon erfährt, bist du erledigt! Ich will, dass ihr mich in Ruhe lasst! Geht. Sofort! Und lasst euch nie wieder im schwarzen Phad blicken! Wenn ihr in zwanzig Minuten immer noch in Xestha seid, rufe ich höchstpersönlich die Skulks!«
J.J.s Stimme ist brüchig und sie hat große Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Ihr Körper bebt und ihr Blut lässt sich kaum noch kontrollieren. Wütend trabt sie an den beiden vorbei und rennt los.
»Bitte, Jezabel! Du musst etwas Wichtiges wissen! Bitte hör mir zu«, schreit ihre Großmutter verzweifelt hinterher.
Aber das Mädchen hält sich nun trotzig die Ohren zu und rennt weiter. Oma Vettel und Konrad, der den Abgesandten Orton verkörpert hat, sehen sich betrübt an. Sie sind weise genug, um zu wissen, dass es keinen Sinn hat, dem Mädchen jetzt zu folgen, befürchten sogar, dass sie ihre Drohung wahr machen würde. Traurig schmeißen sie sich ihre Umhänge mit den großen Kapuzen über und fliegen zurück in den weisen Phad.
J.J. rennt, ohne anzuhalten, bis zum Hotel durch. Als sie endlich ihr Zimmer erreicht, liegt dort bereits ein Umschlag vor der Tür. Wütend hebt sie ihn auf und schmeißt die Tür hinter sich zu. Dann versteckt sie sich im Badezimmer, da mit einem Schlag ihre Angst zurückkommt.
»Ihr Narren! Was habt ihr euch nur dabei gedacht?«, brüllt sie in den dunklen Raum, während sie hemmungslos weint. Immer wieder schüttelt sie entsetzt den Kopf. Dabei fällt ihr Blick auf den Umschlag, den sie vorhin wütend in die Ecke geschmissen hat. An dem Siegel kann sie erkennen, dass er vom Hexenrat stammt.
»Das ist seltsam. Wir hatten doch gerade erst ein Treffen«, denkt sie irritiert und reißt den Umschlag auf:
Sehr geehrte Hexe Jezabel, schwarze Prinzessin!
Die neuen Erkenntnisse zwingen uns leider zur Eile. Wir haben uns deshalb entschlossen, deine Amtseinführung vorzuziehen und dieses große Fest bereits in drei Tagen zu feiern. Um alle nötigen Dinge zu klären, treffen wir uns morgen früh im Amtsgebäude.
Darania
J.J. liest den Brief und winkt ab.
»War ja klar. Ach, was soll’s? Ein paar Tage früher oder später.
Ich möchte zu gern wissen, was Konrad und Großmutter mit dieser Aktion erreichen wollten? Wollten sie mich durcheinanderbringen? Aber das wäre doch Blödsinn. Dann hätten sie einen anderen Weg gefunden und nicht so etwas Auffälliges getan. Und was muss ich so dringend wissen? Nein! Ich will gar nichts mehr wissen.«
Sie steht auf und hält ihren Kopf unter eiskaltes Wasser, da er fürchterlich brummt.
Dann geht sie in ihr Zimmer und holt ihr Tagebuch hervor. Nachdem sie noch ein paar Zeilen zum heutigen Protokoll hinzugefügt hat, legt sie sich schlafen.
In dieser Nacht erscheint ihr Linus im Traum:
Sie sitzen auf dem Berg in der Nähe vom Funnypark und unterhalten sich. Es ist kein aufgeregtes Gespräch. Sie kann fühlen, dass sie sehr entspannt ist. Friedlich und vollkommen frei. Ihre Schwermütigkeit ist einer besonderen Sicherheit gewichen. Der Sicherheit, dass er auch jetzt noch auf sie aufpasst. Linus ist irgendwo da draußen. Ein Windhauch trägt seinen Duft zu ihr. Sie schließt die Augen und atmet ihn tief ein.
Als sie erwacht, kann sie sein Lächeln noch sehen.
»Ich werde es schaffen, Linus! Ich werde dich finden!«, flüstert sie in das leere Zimmer.