Читать книгу Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin - M.E. Lee Jonas - Страница 11

Kapitel 7 Marlas Erkenntnis

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»Es ist geschehen. Die schwarze Prinzessin hat ihre Entscheidung gefällt. Trotz meiner Hoffnung, dass Jezabel sich wegen der vergangenen Ereignisse auf ihre Familie besinnt, hat sie den dunklen Phad gewählt. Ein weiteres Mal hat das Böse gesiegt.

Ich habe mir all die Jahre überlegt, ob nicht allein schon der Name einen Hinweis auf ihre tiefste Gesinnung gibt. Ich meine, warum sollte sich die schwarze Prinzessin ausgerechnet für den weisen Phad entscheiden? Das Dunkle entscheidet sich selten für Loyalität.

Der große Vaun hatte eine Vision. Er wollte, dass das Zauberreich eines Tages zu seinen Wurzeln zurückfindet. Sicherlich sind für die perfekte Balance zwei gleichwertige Gewichte nötig, aber heißt das wirklich, dass wir für unseren Respekt mit Heimtücke und Gier belohnt werden?

Ohne es zu bemerken, haben auch wir in den letzten Jahren gekämpft, weil wir Opfer unserer Angst geworden sind. Der Angst, dass wir unserer Aufgabe nicht mehr gerecht werden können. Wir tragen ebenso Schuld an den aktuellen Ereignissen. Versteckten unsere Geheimnisse nur unter dem Schutzmantel der Gerechtigkeit. Sind wir wirklich die besseren Wesen?«

Marla schreitet langsam durch den Saal. Das Echo ihrer Schritte ist sanft. Während sich ihre Hände verkrampfen, hält sie den Kopf gerade.

Sie hat die Nachricht bekommen, dass Jezabel sich dem dunklen Phad verpflichtet hat und das Amt der Buchmacherin dort antreten wird. Rosaryon hat den Kampf um diese Legende verloren. Seit mehreren Tagen berät sich deshalb der Rat der Weisesten.

»Ich gebe mir allein die Schuld. Ich war verblendet und habe hochmütige Entscheidungen getroffen. Mein Weg wurde mir vorgegeben. Ein einziger Biss in diese Blüte hat mein Schicksal besiegelt. Und das des weisen Phads ebenso.

Ich war neun Jahre alt, als ich den Thron des weisen Phads bestieg. Ein kleines Mädchen. Verunsichert, aber voller Mut und Hoffnung. Durch Konrads Verschwinden wurde mein Geist getrübt. Ich war voller verzweifelter Wut. Haderte mit meinem Schicksal. Anstatt mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, habe ich jede Minute damit verbracht, nach ihm zu suchen. So wurde ich blind.

Ich mache mir deshalb große Vorwürfe. Jezabel ist ebenfalls noch ein Kind und dazu in der realen Welt aufgewachsen. Anstatt mich ihrer anzunehmen, habe ich sie verstoßen, indem ich ihr mein Reich versagte. Ich war so auf die Rettung der Lebensbäume konzentriert, dass ich nach Vettels Geständnis eine falsche Entscheidung traf. Wie viele Möglichkeiten blieben Jezabel also?«

Marla hält inne und seufzt. Dann schreitet sie an der Tafel mit den Würdenträgern entlang und sieht ihnen in die Augen.

»Ich gab Sir Konrad den Vorrang. Ich sagte euch, dass wir ihm seine Tat nachsehen müssen, damit wir die Lebensbäume retten können. Aber das war eine Lüge! Tief in mir weiß ich, dass es nur der Wunsch war, meinen Bruder wieder an meiner Seite zu wissen. Wäre es ein anderes Wesen gewesen, hätte ich es auf der Stelle bestraft. Wir können nicht leugnen, dass Konrads Fähigkeiten den Erhalt unseres Reiches sichern, aber wäre es nicht unsere Aufgabe gewesen, eine andere Lösung zu finden?

Es war keine gerechte Entscheidung, ihn wieder aufzunehmen, sondern Egoismus.

Ich habe also nicht als Oberhaupt des weisen Phads entschieden, sondern als Schwester. Als Schwester eines Mannes, der vor über vierzig Jahren ganz bewusst unser Gesetz gebrochen hat. Auch wenn er nicht vorhatte, den dunklen Phad zu dienen, so hat er durch seine Liaison mit Vettel mein Vertrauen missbraucht. Die Freude über seine Wiederkehr hat einen Schmerz gelöscht, der mich eine sehr lange Zeit gelähmt hat. Aber er wurde nur ersetzt. Durch die Erkenntnis, dass auch ich fehlbar bin. Ich fühle mich nicht mehr imstande, den weisen Phad zu beschützen. Ich denke, es wäre das Beste für Rosaryon, wenn ein anderer die Führung übernähme.«

Die Köpfe der Ratsmitglieder erheben sich gleichzeitig. Mit großem Entsetzen sehen sie der Kindskönigin ins Gesicht. Die letzten Wochen, diese furchtbaren Ereignisse und die Wahrheit über Konrad haben dort tiefe Spuren hinterlassen.

Orton erhebt sich.

»Wir sollten keine überstürzten Entscheidungen treffen. Ich weiß, dass du jeden Entschluss mit Bedacht getroffen hast. Es war nicht unsere Wahl, dass du die Kindskönigin wirst, sondern deine Bestimmung. Wir haben keine Zeit uns im Meer der Selbstvorwürfe zu verlieren. Wir müssen handeln!

Ich gebe dir recht, dass die Entscheidung, Konrad und Vettel unbescholten aufzunehmen, nicht ganz im Sinne unserer Gesetze war. Ich bin mir allerdings sicher, dass jeder hier am Tisch deine Beweggründe nachvollziehen kann. Auch wir haben Familien. Ein Privileg, das dir leider verwehrt wurde.

Ich denke nicht, dass du Schuld an Jezabels Entscheidung trägst. Sie hatte eine eigene Wahl. Die ganzen Jahre wurde das Privileg, das sie durch ihre Bestimmung hat, als Problem gehandelt. Lassen wir Daranias primitive Versuche, dem Schicksal vorzugreifen, einmal beiseite. Anstatt sich vernünftig mit der Legende auseinanderzusetzen, hat man sie verzaubert und in der realen Welt versteckt. Sie hatte ebenso wie wir keine Möglichkeit, sich in Ruhe über ihren Weg Gedanken zu machen. Auch sie konnte nur auf Tatsachen reagieren, die durch Vettels Handeln erst entstanden sind.

Trotzdem habe ich Zweifel, dass dieses Mädchen gänzlich dem dunklen Phad untergeben ist. Vaun war ein großer Visionär. In den letzten Minuten seines Daseins hat er diese Prophezeiung ausgesprochen. Er sprach von Schuld, die getilgt werden muss. Er sprach nicht davon, dass Jezabel die Verantwortung dafür trägt oder gar die Lösung erschafft. Er sagte, dass sie ein Buch schreiben wird, mehr nicht. Wir, die Oberhäupter beider Phade, haben die Legende so weitergegeben, wie es der jeweiligen Gesinnung am nächsten kommt. Wie sollte sie also entscheiden?

Ich bitte dich, in dieser schweren Zeit ein wenig Abstand zu Jezabels Entscheidung zu nehmen und den Fokus auf deine eigene Aufgabe zu legen. Eine derartige Neuerung, wie deine Amtsenthebung, würde Rosaryon nicht unbeschadet überwinden. Vielleicht ist es eure gemeinsame Bestimmung. Immerhin ist sie die Enkelin deines Bruders. Ihr wurdet beide vom Schicksal berufen, ein sehr bedeutendes Amt anzutreten. Genau, wie du durch die Glariatorisblüte erwählt wurdest, um als Kindskönigin des weisen Phads erkannt zu werden, wurde sie als schwarze Prinzessin geboren. Vielleicht solltest du diesen Aspekt mehr Bedeutung zusprechen und kannst ihre Entscheidung damit besser verstehen.«

Marla schluckt und legt den Kopf in die Hände.

Orton erhebt noch einmal seine Stimme.

»Allerdings hätte ich noch eine Frage, bevor wir uns an die Bewältigung der wichtigen Probleme begeben. Ich habe gehört, dass es vor zwei Tagen ein außergewöhnliches Treffen in Xestha gab.

Zwei Mitglieder dieses Rates sollen sich mit der schwarzen Prinzessin getroffen haben. In deinem Namen. Kannst du uns etwas darüber berichten?«

Marla lacht und sieht zu den Würdenträgern.

»Ich habe niemanden in den dunklen Phad geschickt. Wenn ich eine Audienz bei Darania oder Jezabel wünsche, gehe ich zum Spiegel der Tore. Darania hat mich natürlich kontaktiert und gefragt, welchen Grund es gäbe, zwei Abgesandte nach Xestha zu schicken. Ich war schockiert, wusste aber sofort, wer dieses Treffen arrangiert hat.

Ich ging zu Konrad und fragte, ob er wisse, was es damit auf sich habe. Er ist immer noch Jezabels Großvater und war voller Kummer wegen ihrer Entscheidung in Xestha leben zu wollen. Er machte sich Vorwürfe und Sorgen.

Sie wollten sichergehen, dass sie freiwillig dageblieben ist und dass es ihr gut geht.

Unter der Bedingung, keine Entscheidungen im Namen des weisen Rates zu treffen, ließ ich ihn und Vettel gehen, damit sie das Mädchen sehen können. Ich bin mir sicher, dass sie nichts unversucht ließen, sie umzustimmen. Aber es war vergebens. Jezabel hat sie erkannt und unter der Drohung, die Skulks zu holen, fortgejagt.

Ich weiß, dass dieses Verhalten den beiden nicht zusteht, zumal Vettel nur auf Probe in unserer Gesellschaft weilt. Ich ließ sie jedoch gewähren, da sie uns mit dieser List keinen Schaden zufügen konnten. Ganz im Gegenteil, hätten sie Jezabel umstimmen können, wäre es für uns sogar ein Vorteil gewesen.

Es gab keine Probleme an diesem Abend. Außer dass Darania die Amtseinführung daraufhin vorgezogen hat. Sie befürchtete wohl, dass Jezabel sich doch noch anders entscheiden könnte. Wie ihr seht, hat diese dunkle Seele sehr viel Respekt vor uns.«

Die Mitglieder des weisen Rates starren Marla entsetzt an. Die Kindskönigin versucht die Lage wieder zu entspannen.

»Ich habe Konrad gebeten, niemandem zu verraten, dass ich über diese Sache Bescheid wusste. Auch Vettel nicht. Er wird es also abstreiten, um mich zu schützen. Ich selbst sehe allerdings keinen Grund, euch zu belügen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Auch wenn es euch entsetzt, ich schäme mich nicht dafür.

Darania hat auch nicht fair gespielt. Sie hat Jezabel mit einer List in den dunklen Phad gelockt und nutzt ihre Naivität und Gefühle aus. Manchmal bleiben uns nur wenige Möglichkeiten. Dann ist auch für ein weises Wesen eine List nötig. Wenn ihr mich dafür rügen wollt, bitte. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen. Diese abscheuliche, dunkle Seele hat meinen Neffen getötet, als er zu uns in den weisen Phad fliehen wollte. Sie hat meinen Bruder gefoltert, was ihr trotz der Umstände nicht zustand. Sie wollte sein Lythargium stehlen, damit die Lebensbäume aussterben und Rosaryon zugrunde geht. Also was sollte ich tun? Kämpfen ist für uns keine Option. Auf jeden Fall nicht mit Waffen.«

Marlas Stimme ist stark, aber voller Verbitterung.

Die Würdenträger sehen sich ratlos an. Orton erhebt beschwichtigend die Hand.

»Das habe ich mir bereits gedacht. Aber erlaube mir meinen Unmut darüber, dass du uns so wenig Loyalität zutraust, dass du solche Entscheidungen alleine triffst. Zumal ich erfuhr, dass sie auch noch unter meinem Namen dorthin gereist sind.

Um dieses Thema abzuschließen, möchte ich dich bitten, uns in Zukunft in deine Sorgen einzuweihen. Ich bin mir sicher, dass solche geheimen Vorgänge dann nicht mehr nötig sind. Sie schaffen nur Unsicherheit oder schlimmer noch, Misstrauen.

Gut, ich würde sagen, dass wir uns nun auf die dringendsten Probleme konzentrieren sollten. Balier hat Kunde, dass es in der realen Welt große Probleme gibt, deren Ursachen höchstwahrscheinlich im Zauberreich zu suchen sind. Möchtest du uns also Bericht erstatten?«

Hexe Valiria schüttelt energisch den Kopf und erhebt sich. Marla und Orton sehen sie verwirrt an.

»Ich bin mir sicher, dass Orton ein sehr weises Mitglied dieses Rates ist, aber so ganz bin ich damit nicht einverstanden. Ich bin mir ebenfalls überzeugt, dass du uns nicht hintergehen wolltest, aber du sagtest, dass Konrad niemandem verraten durfte, dass du über ihre List Bescheid wusstest. Auch Vettel nicht. Also ist sie davon ausgegangen, dass sie uns alle hintergeht, als sie unter meinem Namen ein Treffen mit dem Hexenrat einberief.

Ich entschuldige meine Direktheit, aber das hätte in einer furchtbaren Katastrophe enden können. Immerhin reden wir hier von Vettel! Es ist kein Geheimnis, das sie wortgewaltig und temperamentvoll ist. Eine explosive Mischung, wenn es um politische Themen geht. Ich wage zu behaupten, dass man bei Konrad sichergehen konnte, dass er weise handelt. Aber bei Vettel?

Und die Tatsache, dass sie bewusst einen Fehler begangen hat, sollen wir erneut unter den Teppich kehren? Sie hat sich wiederum gegen ihre Auflagen erhoben und lebt einfach weiter in unserer Mitte. Ein bisschen mehr Konsequenz würde unserem Ansehen sicherlich nicht schaden.«

Hexe Valiria sieht verständnislos durch die Runde. Die anderen Würdenträger nicken zustimmend.

»Ich kann deinen Unmut verstehen. Allerdings muss ich dir widersprechen. In den letzten Monaten war niemand so vielen Hürden ausgesetzt wie Vettel. Sie hat Fehler gemacht, aber nicht an jenem Abend. Und kann man es wirklich einen Fehler nennen, wenn sich jemand verliebt?

Ich denke, dass es eher eine Bürde war, dass es gerade der Bruder der Kindskönigin war, der ihr Herz eroberte. Um den Weg, den sie durch diesen Umstand gehen musste, beneide ich sie nicht. Vettel hat immer nur versucht, Konrad und ihre Familie zu beschützen und Darania aufzuhalten. Am Ende hat sie sogar alles zurückgelassen, um bei Konrad sein zu können.

Unsere Gesetze sind klar, aber sie können Gefühle nicht einfach so ausschalten. Glaube mir, eine aufrichtigere Entscheidung als die des Herzens gibt es nicht.

Vettel ist sicherlich für jedes einzelne Wesen eine große Herausforderung, aber sie ist aufrichtig! Ich habe sie vom ersten Tag an ganz genau beobachten lassen. Jede Kleinigkeit, die uns übrigens ebenso passieren kann, haben wir ihr als groben Verstoß angekreidet und dafür eine Abmahnung geschickt. Wir haben sie nicht verschont. Wir sollten uns nicht dazu herablassen, sie als Sündenbock abzustempeln.

Was war zuerst da? Die Legende oder Vettel?

Sie musste ihr ganzes Leben lang kämpfen, ohne eine Chance, Darania für ihre Schandtaten belangen zu können. Sie hat ihren Sohn verloren! Deshalb sollten wir bei all unseren hohen Erwartungen den Respekt nicht verlieren. Sie ist nicht aus Eigennutz in den dunklen Phad gereist. Sie wollte ihre Enkelin beschützen! Wenn ihr es trotzdem als nötige Konsequenz anseht, dass sie für meine Unaufrichtigkeit bestraft wird, dann bitte. Es wäre jedoch nicht gerecht und weiterhelfen würde es uns auch nicht. Selbst wenn wir sie verbannen und in die reale Welt zurückschicken würden. Was würde das ändern?

Konrad wäre unglücklich und würde ihr im schlimmsten Fall folgen. Vettel würde als magieloses Wesen in einem verwunschenen Haus festsitzen und sicherlich keine Möglichkeit auslassen, an Jezabel heranzukommen. Es würde also mehr Probleme bringen, als es löst. Ich stimme dir zu, dass sie sehr exzentrisch ist, aber das ist nicht immer von Nachteil. Wie du an unseren Problemen siehst, kann eine zurückhaltende Haltung auch gefährlich sein.«

Marlas Worte schallen laut durch den Raum.

Im Gegensatz zu den anderen Ratsmitgliedern teilt Valiria die Meinung der Kindskönigin nicht. Kopfschüttelnd dreht sie sich weg und gibt Balier zu verstehen, dass er seinen Bericht vortragen kann.

Die Stimmung im Rat der Weisesten ist angespannt. Der Hexenrat hält alle wichtigen Informationen sehr lange zurück. Über wichtige Details, wie die Amtseinführung Jezabels, werden sie absichtlich erst in letzter Minute informiert. Und diese ist morgen früh.

Der Kurier hat die Nachricht und die Extraausgabe des Xesthaner Boten erst heute Morgen an Marla übergeben, die daraufhin erneut eine Konferenz einberufen hat, obwohl sie den Würdenträgern gerade erst einen Tag frei gegeben hatte. Aber auch ohne diese Neuigkeit hätten sie weitertagen müssen. Balier, ein Abgesandter, der in der realen Welt nach dem Rechten schaut, ist soeben unerwartet eingetroffen. Mit sehr unangenehmen Neuigkeiten.

»Die Ereignisse nehmen leider sehr bedenkliche Formen an. Ich komme gerade aus der realen Welt und möchte nichts beschönigen. Ich pflichte Marla bei: Im Moment müssen wir jede Quelle nutzen, die uns Informationen über die Ereignisse im dunklen Phad bringen kann. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass Darania weitaus mehr im Schilde führt, als sich in der Sicherheit zu wiegen, dass die schwarze Prinzessin dem dunklen Phad dient. Das würde auch nicht zu ihrer Persönlichkeit passen. Ihren Status als höchstes Wesen des dunklen Phads gibt sie nicht kampflos her. Deshalb denke ich, dass Konrads und Vettels Instinkte sie nicht getäuscht haben. Im Gegenteil, ich bin sogar davon überzeugt, dass Jezabel in Gefahr ist! Auch wenn sie das selbst noch nicht sieht.

Lassen wir mal das schwarze Blut beiseite. Welche Gefahr stellt das Mädchen für uns dar? Soweit ich es beurteilen kann, reagiert ihre Magie auf emotionalen Stress. Was bei rein menschlichen Kindern in einem Wutausbruch enden würde, entlädt sich bei ihr in Form von dunklen Versen. Vettel hat uns bereits ausführlich darüber berichtet. Aber Jezabel trägt ebenfalls das Blut unserer Gemeinschaft in sich. Ich glaube, wenn das Mädchen sich sicher fühlen würde, gäbe es keine Probleme. Sie ist verwirrt, weil sie plötzlich Entscheidungen treffen muss, deren Ursprung sie nicht beeinflussen konnte. Sie ist schlichtweg überfordert, braucht Hilfe und Unterstützung, wie unsere Kinder auch. Wir wurden auch nicht allwissend geboren, sondern leben von den Erfahrungen unserer Ahnen.

Warum sage ich das? Ganz einfach: Jezabel ist ein vierzehnjähriges Mädchen, das erst seit ein paar Wochen im dunklen Phad lebt und schon morgen früh als siebtes Mitglied des Hexenrates eingetragen wird. Woher soll sie die Weisheit nehmen, diesen Entschluss begründen zu können? Sie wird geleitet, abgelenkt. Der Hexenrat plant ein großes Prozedere und spannt sie in die Vorbereitungen ein. Dass sie nach dem Treffen mit Konrad und Vettel die Amtseinführung vorgezogen haben, macht einmal mehr deutlich, dass wir dringend handeln müssen.

Der Hexenrat gaukelt den Einwohnern Xesthas vor, dass Jezabel für all die Neuerungen zuständig ist. Sie selbst bekommt davon jedoch überhaupt nichts mit, lebt abgeschirmt in einem Hotel. Soweit ich erfahren habe, bezieht sie morgen ein eigenes Haus, dessen Sicherheitsvorkehrungen jeden König vor Neid erblassen ließen.

Jezabel hat keine Ahnung, was um sie herum passiert. Meines Erachtens blockieren diese dunklen Hexen sie bewusst, um in der Zwischenzeit ihre eigenen Pläne vorbereiten können. Meine Herrschaften, sie benutzen dieses Mädchen, um uns zu stürzen und die reale Welt zu erobern!

Ich gebe Orton recht, es geht nicht mehr darum, ob Jezabel das Buch schreibt oder nicht. Darania verfolgt ganz andere Pläne. Ich hoffe, dass wir noch genug Zeit haben, das Schlimmste zu verhindern.

Liebe Mitglieder, unsere Aufgabe beschränkt sich nicht nur auf die Erhaltung Rosaryons, sondern auf die gesamte Balance. Die Natur spiegelt sich und das ist gut so. Seit Jahrhunderten bewahren wir deshalb auch die Naturgesetze in der realen Welt. Aber auch dort häufen sich besorgniserregende Ereignisse.

Ich muss euch leider mitteilen, dass die Grenzen verschwimmen. Das Tor nach Xestha ist manche Tage dauerhaft sichtbar. Ich habe mit den zuständigen Würdenträgern gesprochen, die mir mit unerschütterlicher Überzeugung erzählten, dass die Anwesenheit der schwarzen Prinzessin für diese außerordentlichen Probleme verantwortlich sein soll. Seit Tagen werden die Eingänge bewacht, damit die Menschen nicht auf uns aufmerksam werden. Die Xesthaner, die sich in der realen Welt aufhalten, wurden aufgefordert, sich umgehend im dunklen Phad einzufinden. Es wurde von neuen, großen Aufgaben gesprochen, die es zu bewältigen gibt. Was mir am meisten Sorge bereitet, ist die erschreckende Tatsache, dass sich ein Dämon in der realen Welt gezeigt hat. Er soll sich im Meer manifestiert und ungeniert zu erkennen gegeben haben. Ich weiß, dass er dort war, um Jezabel zu beeindrucken, aber sie hat ihn nicht gerufen!

Dieser Dämon war kein geringerer als Sander! Ich habe Vettel aufgesucht und sie hat mir berichtet, dass das Mädchen einen Sanddämon beschwor, der den Fährmann verschlungen hat. Vettel selbst konnte nichts tun, da sie keine Zauber mehr mit Rosinante vollenden kann. Ich möchte diesen kurzen Moment nutzen, um euch ebenfalls zu bitten, sie nicht mehr mit Jezabels Taten zu behelligen, da sie nicht verantwortlich dafür ist!

Allerdings war es ein genialer Schachzug von Darania den Fährmann in die reale Welt zu entsenden. Sie wusste, über welche Fähigkeiten Jezabel verfügt und konnte sicher sein, dass das Mädchen ihn vernichten wird. Immerhin hat sie Fjigor gerufen. Aber was hat sie damit erreicht? Genau! Der Fährmann ist verschwunden und der Traubenperlensee seitdem herrenlos.

Die Kreaturen in dessen Tiefe sind hungrig, und die Einzige, die ihre Gier jetzt noch stillen kann, ist Darania. Das heißt, sie hat sich dieses Territorium gesichert, während sie Jezabel die Drecksarbeit erledigen ließ. Dass die Grenzen zur realen Welt verschwimmen, ist also nicht Jezabels Werk! Es ist Daranias dunkle Energie, die sich Stück für Stück in Richtung reale Welt verlagert. Was offiziell als großes Problem dargestellt wird, ist eine bewusste Entscheidung Daranias. Um ihr Volk zu bändigen, nutzt sie Jezabels Anwesenheit und erklärt so die außergewöhnlichen Ereignisse.

Diese dunkle Hexe zeigt keine Scheu, ihre Gier nach allumfassender Macht über die Grenzen des Zauberreiches hinaus zu stillen. Sie verbreitet ganz bewusst Chaos, denn an dem Tag, als Sander in der realen Welt erschien, blieben die Menschen nicht außen vor. Der Fährmann hat mitten am Tag eine gewaltige Welle erzeugt, die Jezabel provozieren sollte. Havelock ist ein Hafendorf, dessen Einwohner vom Muschelfang und der Fischerei leben. Es war beabsichtigt, dass die Bewohner etwas mitbekommen.

Es stellte sich wiederum als Vorteil heraus, dass einer der Unsrigen in der Wetterzentrale arbeitet. So konnte er die Menschen beruhigen, indem er es als einmaliges Wetterphänomen abtat. Leider blieb es nicht dabei.

Es scheint, als wäre das Meer seitdem vergiftet. Die Menschen sind beunruhigt, da sich die Fische zurückziehen. Außerdem erbebt die Erde öfter und viel stärker, als es in dieser Gegend üblich ist, und die Tage sind ungewöhnlich dunkel. Unsere Boten aus anderen Orten der realen Welt berichten ebenfalls von ungewöhnlicher Anspannung. Die Menschen reagieren plötzlich ungewohnt aggressiv und gehen grundlos aufeinander los. Darania scheint schon seit längerer Zeit ihre bösen Samen in der realen Welt verstreut zu haben. Ich denke, wir können nicht mehr nur tatenlos zusehen. Marla, wenn wir uns weiterhin in Rosaryon verstecken, wird es zu einer großen Katastrophe kommen. Es geht hier um weitaus mehr als nur um Jezabels Entscheidung.«

Die Würdenträger sehen sich entsetzt an.

Marla erhebt sich.

»Ich danke dir, Balier. Das hätte ich mir denken müssen! Das ist also ihr wahres Ziel. Darania tritt ihre eigenen Ahnen mit Füßen. Sie legt keinen Wert auf die Legende des Vaun. Auf jeden Fall nicht darauf, dass die wahre Prinzessin das Buch vollendet. Sie will allein herrschen! Und alles, was ihr im Weg steht, wird vernichtet.

Die reale Welt ist jedoch auch nicht unsere Aufgabe, sondern die der Menschen. Wir sollten uns nicht in ihren Kreislauf einmischen. Allerdings hast du recht. Sie haben keine Möglichkeit, sich gegen diese dunkle Magie zu wehren. Sie würden nicht einmal bemerken, wenn sie sich Darania untergeben. Wie sollen wir das verhindern? Glaubt ihr wirklich, dass Darania stark genug ist, dieses Werk zu vollenden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Bewohner des dunklen Phads daran interessiert sind, sich in der realen Welt auszutoben. Sie wollen auch keinen Krieg.«

Orton erhebt sich erneut.

»Das glaube ich auch nicht, werte Marla. Aber die Verbannten! Wenn sie es geschafft hat, den Fährmann zu überlisten, verfügt sie über weitaus mehr Mittel, als die üblichen Artefakte des dunklen Phads! Darania hat Sander nicht gerufen. Das kann nur sein Herrscher!«

Marla wird kreidebleich und sinkt in die Knie. Balier eilt hinüber und hilft ihr auf. Die Kindskönigin befreit sich aus seinem Griff und sieht ihn verzweifelt an.

»Dann sind wir verloren! Ebenso wie die Menschen! Aber wie soll ihr das gelingen? Die Unterirdischen hören auch nicht auf Darania.«

Orton starrt die Kindskönigin traurig an.

»Aber auf Jezabel! Balier hat erzählt, dass sie einen Sanddämon gerufen hat! Sie kommuniziert mit den Kreaturen aus dem verbannten Reich. Also trägt sie doch das Blut Muldochs in sich. Aber wie ist das möglich?«

Der Würdenträger lässt sich entsetzt auf seinen Stuhl fallen und seufzt.

»Wir tragen es alle in uns! Das Reich Muldoch ist ebenso alt wie unser Reich. All unsere Ahnen haben es an uns weitergegeben. Mit jeder neuen Generation wurde es schwächer. Also war das Blut der realen Welt letztendlich doch ausschlaggebend, dass Jezabel als schwarze Prinzessin geboren wurde. Ich glaube nicht, dass sie das weiß.

Das ist eine Katastrophe! Wenn ihre Gefühle überhandnehmen, reicht ein einziger Funke und die Situation eskaliert«, flüstert Marla hoffnungslos. »Darania provoziert sie bewusst, damit dieses Blut überhand gewinnt. Wir müssen sie augenblicklich von ihr wegholen! Aber wie soll uns das gelingen? Selbst wenn wir an sie herankämen, würde sie uns nicht glauben! Es würde sie nur noch mehr verwirren!«

Orton, Balier und die anderen Würdenträger erheben sich.

»Wir sollten weise vorgehen. Morgen früh ist Jezabels Amtseinführung. Wir werden gratulieren und ihr suggerieren, dass wir ihre Entscheidung akzeptieren.

Balier, du solltest alle dir zur Verfügung stehenden Wesen in die reale Welt schicken. Gebt euch nicht zu erkennen. Auch nicht den dunklen Hexen. Verhaltet euch unauffällig!

Ich kann die Rosaryer nicht vor die Tatsache stellen, dass sie sich entgegen ihrer Natur einem Kampf stellen müssen. Ich werde ihnen jedoch sagen, in welcher Situation wir uns befinden. Wir sollten gemeinsam mit ihnen entscheiden, wie sich Rosaryon wehrt! Marla, Konrad hat sehr lange Zeit unter den Menschen gelebt. Ich möchte, dass er uns berät. Er kennt ihre Eigenarten und Lebensgewohnheiten besser als jeder andere hier. Ich denke, wir sollten uns nun etwas ausruhen, damit wir morgen früh weiterplanen können. Die letzten Tage waren lang. Einen geschwächten Geist können wir uns nicht leisten«, beendet Orton seine Rede.

Er verneigt sich und verlässt eilig den Saal.

Die anderen Ratsmitglieder verneigen sich ebenfalls und gehen stumm zum Ausgang. Marla bleibt allein zurück.

Heute Morgen hatte sie den Entschluss gefasst, ihr Amt als Oberhaupt des weisen Phads niederzulegen. Sie fühlte sich nicht mehr würdig. Zu schwach, um die Gesetze ihres Reiches zu beschützen. Nun begreift sie, dass alles einem höheren Plan unterliegt. Keine Prüfung war umsonst.

Darania hat es wirklich geschafft, alle zu blenden, sie in die Irre zu führen, damit sie im Geheimen das Böse verbreiten kann. Und das alles unter dem Deckmantel eines vierzehnjährigen Mädchens, dessen größtes Problem im Moment ein nicht vergänglicher Liebeskummer zu sein scheint. Und das nicht die leiseste Ahnung hat, was wirklich um sie herum geschieht. Nun kann Marla verstehen, was all die Jahre in Vettel vorging. Die ehemalige dunkle Hexe hat das falsche Spiel Daranias durchschaut, konnte aber nichts dagegen unternehmen, weil sie niemand ernst nahm.

Die Kindskönigin erhebt sich und begibt sich zu ihrem Lebensbaum. Am nächsten Morgen, dem Tag von Jezabels Amtseinführung, findet sie eine seltsame Nachricht vor ihrem Büro.

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin

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