Читать книгу Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin - M.E. Lee Jonas - Страница 7

Kapitel 3 Ein langersehnter Gast

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Es war ungefähr ein Uhr morgens, als Oma Vettel ihre Enkelin neben dem Bett auffand. Die alte Dame hatte es sich gerade mit einem Glas Wein in der Küche gemütlich gemacht, um sich von ihrer anstrengenden Anreise aus Rosaryon zu erholen, als sie J.J.s Schreie hörten.

Das war für Oma Vettel mehrfach erschreckend, da sie in diesem Moment ja noch nicht wusste, dass J.J. sich in Havelock versteckt. Broaf wollte es ihr eigentlich gerade erst schonend beibringen. Nachdem sie den Diener also sehr verständnislos angesehen hat, ist die alte Dame panisch nach oben gespurtet.

Jetzt sitzen die Drei in der Küche und schlürfen heißen Tee. J.J. sitzt neben Oma Vettel, ihren Kopf auf deren Schulter gelehnt.

»Da haben wir ja einen schönen Schlamassel! Das ist wirklich eine sehr verzwickte Situation. Es war Selbstschutz! Was sonst?

Der Junge wollte sie verfluchen! Jede Hexe aus Rosaryon hätte sich in diesem Fall gewehrt!

Ich muss mir überlegen, wie wir dieses Problem lösen, mein Kind. Wir wären also wieder am Anfang. Darania gibt nicht auf! Es wäre ja auch viel zu einfach gewesen.

Na gut. Dann müssen wir eine gemeinsame Lösung finden.

Aber du, meine liebe Jezabel, gehst jetzt erst einmal schlafen!

Broaf, du kochst uns eine große Kanne starken Kaffee. Ich habe nur drei Tage Zeit und es gibt viel zu erledigen. Na los. Ab mit dir ins Bett, junge Dame!«

Oma Vettel küsst ihre Enkelin auf die Stirn und schiebt das erschöpfte Mädchen von der Eckbank.

J.J. winkt Broaf kurz zu und geht hinauf in ihr Zimmer. Das Mädchen ist wirklich müde und immer noch verstört wegen der seltsamen Sache mit Linus. Als sie ihr Zimmer betritt, wird sie von einem lauten Schnarcher begrüßt. Lincoln liegt in seinem Körbchen und schläft wie ein Murmeltier. Anscheinend hat der Halfie nicht mitbekommen, dass sie vorhin aus dem Bett gefallen ist.

Sie deckt den kleinen Halbtagshund behutsam zu und geht ins Bett.

Ganz im Geheimen hofft sie, dass sie noch einmal von Linus träumt und ihn fragen kann, was das alles zu bedeuten habe. Das Mädchen schläft jedoch völlig erschöpft ein und wacht erst am nächsten Mittag wieder auf.

Als sie sieht, wie spät es ist, springt sie erschrocken auf. Nur drei Tage hat ihre Großmutter Zeit, bevor sie wieder nach Rosaryon muss. Die will das Mädchen auf keinen Fall verschlafen!

Sie flitzt in ihr Badezimmer und schiebt sich die Zahnbürste in den Mund. Dann rennt sie in ihr Ankleidezimmer und wirft sich hastig ein hellblaues Kleid über. Als sie in die Küche stürmt, erschreckt sie kurz, da sie dort niemanden vorfindet. Da fällt ihr ein, dass sie während Vettels Aufenthalt gemeinsam im Esssalon speisen wollen und eilt verlegen hinüber.

Die Bewohner und Oma Vettel sitzen bereits gesprächig an der langen Tafel und genießen das Mittagessen. Broaf hat sich heute richtig ins Zeug gelegt und ein gigantisches Büfett aufgebaut. Als das Mädchen hineingestürmt kommt, sehen alle verdutzt auf.

»Tschuligung. Hab veschlafen. Baf? Baf ist demm los«, stammelt das Mädchen völlig aus der Puste, worauf die Bewohner, einschließlich ihrer Großmutter, loslachen.

J.J. nimmt die Zahnbürste aus dem Mund, um nachzufragen, was so lustig sei, und wird knallrot. Verlegen versteckt sie die Zahnbürste hinter ihrem Rücken und rennt ohne Kommentar wieder hinauf, um ihr Waschritual zu beenden.

Mit erhobenen Händen und knallroten Wangen kehrt sie in den Esssalon zurück.

»Voll peinlich! Tut mir wirklich leid! Als ich gesehen habe, dass es schon Mittag ist, wollte ich mich beeilen. In der Hektik habe ich wohl ein paar Arbeitsschritte vergessen. Hallo Großmutter!«, rechtfertigt sie sich leicht beschämt.

Oma Vettel, die immer noch kichert, wirft ihr einen Handkuss zu und bittet sie zu Tisch. Automatisch geht das Mädchen zu ihrem Stammplatz neben Lincoln. Als sie ihren Stuhl zurückzieht, hält sie inne und starrt betrübt auf den leeren Platz rechts neben sich. Seitdem Diggler und Flick nicht mehr in diesem Haus sind, hat sie nicht mehr an dieser Tafel gesessen. J.J. schluckt und sieht zu Lincoln, der ebenfalls traurig auf den Stuhl starrt.

»Du solltest dich beeilen. Das Büfett wurde schon ganz schön geplündert. Wie es aussieht, hat Oma Vettel einen ordentlichen Hunger mitgebracht«, sagt der kleine Halbtagshund und zwinkert ihr verschmitzt zu.

J.J. schielt kurz zu ihrer Großmutter, die sich gerade genüsslich ein großes Stück Steak in den Mund schiebt, und grinst. Dann schnappt sie sich ihren Teller und packt ihn ebenfalls randvoll. Die Anwesenheit von Oma Vettel scheint sich wie ein spontaner Genesungsschub auf das Mädchen auszuwirken, denn so einen großen Appetit hatte sie schon lang nicht mehr.

Oma Vettel dagegen beobachtet ihre Enkelin mit zusammengekniffenen Augen und lädt sich hastig die vierte Portion Steak mit Bohnen auf ihren Teller, was den einen oder anderen Anwesenden heimlich schmunzeln lässt. Jeden Bissen krönt die alte Dame mit einem ausgedehnten »Hmmm!«

J.J. zieht die Augenbrauen nach oben und räuspert sich.

»Und Großmutter, wie hat es denn so mit der Ernährungsumstellung geklappt?«, fragt sie verschmitzt. Denn als Neurosaryerin sollte Oma Vettel eigentlich streng vegetarisch leben. Die alte Dame starrt ihre Enkelin biestig an und beißt sich verlegen auf die Lippen. Verstohlen sieht sie an der Tafel entlang und beginnt ganz leise zu erzählen:

»Das könnt ihr euch nicht vorstellen! Ich war stark. Sehr stark!

Ich habe mich an alles gehalten, was sie von mir verlangten. Ich verzichtete auf Fleisch und Fisch, aß nur noch Obst und Gemüse. Nach drei Wochen begann mein Körper jedoch ganz merkwürdig zu reagieren. Tagsüber hatte ich Schüttelfrost und in der Nacht Hitzewallungen, von denen ich angsteinflößende Träume bekam!

Eines Nachts, ich wähnte mich auf einem unserer großartigen Picknicks, wälzte ich mich keuchend im Bett umher, sodass Konrad mich ganz besorgt aufweckte. Ich war schweißgebadet und sah mich mit großen Augen um. Als ich begriff, dass ich wieder im Vegetarierparadies bin, war ich etwas beleidigt, da ich mir im Traum gerade ein saftiges Steak zum Munde führte.

Ich sagte: »Konrad! Entweder bekomme ich bald ein richtiges Steak oder ich werde zur Werwölfin!«

Aber er lachte nur und beichtete, dass es ihm ähnlich erginge. Schließlich hat Konrad viele Jahre in Neuseeland gelebt und ist ebenfalls ein großer Freund von BBQs. Trotzdem versuchte ich durchzuhalten. Ich hoffte, dass mein Körper sich irgendwann an dieses Blattzeugs gewöhnt. Aber ich sollte mich gewaltig irren. Es wurde immer schlimmer!

Eines Morgens, der Tau lag noch frisch über dem weisen Phad, haben sie mich im großen Gemüsefeld von Hexe Jelula aufgegriffen. Denn als Konrad in jener Nacht bemerkte, dass ich nicht mehr in meinem Bett lag, hat sich ein Suchtrupp auf den Weg gemacht, der mich schließlich, lediglich mit meinem Nachtgewand gekleidet, im Dickicht der großen Kürbisse fand. Ein Lasso in der einen und eine Bratpfanne in der anderen Hand.

Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich und dieses Lasso dorthin gekommen sind. Als sie mich aufweckten, war ich selbst sehr erschrocken!

Daraufhin habe ich meine zweite Verwarnung von Marla bekommen, weil sie mir nicht glaubte, dass ich geschlafwandelt bin. Sie ist wirklich sehr, sehr streng mit mir. Ich finde sie schon etwas zu kleinkariert. Na ja, was soll’s? Seit diesem Vorfall verschließt Konrad eben jeden Abend die Haustür!«

Ein großer Seufzer entfährt der alten Dame, bevor sie sich das nächste große Stück Steak in den Mund schiebt.

J.J. lacht laut los.

»Aber hier darfst du zugreifen?«, fragt sie völlig perplex.

Oma Vettel schluckt hastig den Happen hinunter und nickt.

»Die Regeln gelten nur für Rosaryon! Soweit ich weiß. Na ja, ich denke, dieses kleine Steak hier geht schon in Ordnung. Aber wie ich gehört habe, lasst ihr es euch ohne mich nicht mehr so gut gehen. Ich finde, ihr solltet die gemeinsamen Essen und ein paar gelegentliche Feste ruhig wieder einführen. Es wird euch sicherlich sehr guttun!«

Die Bewohner nicken verhalten und prusten zeitgleich los. Sie wollten höflich sein und Oma Vettel nicht beschämen. Aber die Geschichte über ihre Albträume wegen der erzwungenen Ernährungsumstellung ist einfach zu lustig. In bunten Farben malen sie sich nun aus, wie die alte Dame in dieses Feld geschlichen ist und sich mit einem Lasso auf die Lauer gelegt hat. Oma Vettel ist darüber nicht verärgert, sondern amüsiert sich ebenfalls köstlich. Selbst Broaf lässt sich zu dem einen oder anderen Lacher hinreißen.

Nachdem der Nachtisch verputzt ist, räumen alle gemeinsam den Tisch ab. Dann gehen die Bewohner hinauf in ihre Zimmer. Oma Vettel, Broaf und J.J. setzen sich in die Küche.

»Ich finde es gut, dass hier mal etwas Moderneres steht. Das Rot der Schränke finde ich zwar etwas zu dunkel, aber sonst gefällt mir die Küche sehr gut!«, schwärmt Oma Vettel und zwinkert dem Diener zu, der daraufhin heimlich die Augen verdreht.

Sie setzt sich zu J.J. auf die Eckbank und nimmt deren Hand.

»Wir müssen eine Entscheidung treffen, Liebes! Ich sagte dir ja am Tag meiner Amtsniederlegung, dass du dich auch aus dem Register des dunklen Phads löschen lassen solltest. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass sie dich in solch eine heimtückische Falle locken würden.«

Die alte Dame beißt sich auf die Lippen und nickt.

»Ja! Ich bin davon überzeugt, dass dies eine Falle des Hexenrats war! Darania wusste, dass eine von uns beiden diesen Vergessenszauber aussprechen würde, um Linus zu retten. Als ich dem Hexenrat anordnete, mich aus dem Hexenregister zu löschen, hatten sie die Gewissheit, dass du es tun wirst, da Rosinante ja nun zu dir gehört. Jezabel, ich weiß, dass du noch haderst, weil du von ganzem Herzen hoffst, einen Gegenzauber zu finden. Vielleicht findest du ihn sogar, das weiß ich nicht. Es war pures Glück, als wir damals herausfanden, dass die Lythargien den Bann wieder aufheben können. Aber soweit ich weiß, hat Linus keinen Gedankenstein.

Deshalb möchte ich, dass du die Zeit, die dir das Leben schenkt, weise nutzt. Wenn dein Herz dir also sagt, dass du in der realen Welt leben möchtest, dann musst du dich umgehend aus dem Register des dunklen Phads löschen lassen!

Ich bin ehrlich. Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt noch möglich ist. Auch wenn es dir gegen den Strich geht, du bleibst die schwarze Prinzessin. Diese Sache ist noch lange nicht ausgestanden. Deshalb sollten wir dringend handeln! Wenn der Hexenrat sich querstellt, müssen wir uns etwas anderes überlegen.

Es tut mir leid, aber du kannst dich nicht ewig hier verstecken! Wie du siehst, ist deine Bestimmung stärker. Du hast jetzt schwarzes Blut. Würdest du auf diesem Anwesen bleiben, wären somit auch die anderen Bewohner, einschließlich Broaf, in ständiger Gefahr!

Glaube mir, die reale Welt ist kein Ort für eine dunkle Junghexe, die verzweifelt ist«, spricht Oma Vettel weise.

J.J. presst die Lippen zusammen und senkt den Kopf.

»Das sind keine neuen Informationen. Wo bleiben die Lösungen?«, denkt sie genervt.

Plötzlich muss sie wieder an den Traum mit Linus denken, in dem der Junge ihr gesagt hat, dass sie nach Xestha zurückkehren müsse.

»Wenn ich mich für den dunklen Phad entscheide, kann ich dann jederzeit hierher zurückkommen? Kann ich dann auch hier leben, so wie du?«, fragt sie leise.

Oma Vettel sieht betrübt zu Broaf und drückt die Hand ihrer Enkelin ganz fest.

»Nein. Ich habe dir doch erzählt, dass ich nur hier leben durfte, weil ich als Spionin für den Hexenrat agierte. Du kennst meine Geschichte.

Du müsstest in Xestha leben, so wie alle anderen dunklen Hexen auch. Nur besondere Funktionäre leben in der realen Welt. Das ist auch gut so. Es würde in einer Katastrophe enden, wenn diese dunklen Seelen sich in der realen Welt austoben würden. Sicherlich kannst du Broaf besuchen. Es wird jedoch nicht mehr so sein wie bisher. Du bist die schwarze Prinzessin!«

J.J. seufzt und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.

Oma Vettel streicht ihr sanft über den Rücken.

»Ich denke, du solltest zum Spiegel der Tore gehen und um eine Audienz bei Darania bitten. Sag ihr, wie du über die Sache denkst. Dann siehst du, wie sie reagiert. Ich kann gern mitkommen, aber der Spiegel wird nicht mehr auf mich reagieren!«

Die alte Dame steht auf und sieht Broaf eindringlich in die Augen. Der Diener eilt zu J.J. und nimmt sie an der Hand.

»Wir gehen alle gemeinsam!«, sagt er entschlossen und öffnet Oma Vettel die Tür.

Als das Mädchen im Keller vor den großen Spiegel tritt, wird ihr ganz mulmig zumute. Verunsichert dreht sie sich zu ihrer Großmutter.

»Du musst zuerst die Kerzen anzünden. Im Uhrzeigersinn. Das ist sehr wichtig! Beginne mit der Kerze, die auf zwölf Uhr steht«, weiht ihre Großmutter sie ein.

J.J. nimmt ein langes Zündholz und geht zu der großen Kerze, die hinter dem Spiegel der Tore steht. Mit zittrigen Händen hält sie die kleine Flamme gegen den großen Docht, der daraufhin in einer blauen Stichflamme auflodert. Erst als sich diese wieder zurückzieht und gelblich vor ihrem hastigen Atem herumtänzelt, geht sie langsam weiter. Als die letzte Kerze brennt, stellt sie sich nervös vor den großen Spiegel und wartet.

Oma Vettel und Broaf verstecken sich und nicken ihr aufmunternd zu.

Als die Fratzen in dem breiten, goldenen Rahmen sich mit schmerzverzerrter Miene zu drehen beginnen, holt das Mädchen tief Luft. Dieses gruselige Spektakel hat sie erst ein Mal gesehen. Damals, als sie mit ihrem Gedankenstein gereist ist und erfahren hat, dass sie die schwarze Prinzessin ist. Nun, wo sie direkt davorsteht, ist sie von dieser machtvollen Erscheinung geschockt. Die Gesichter und Körper dieser Gestalten sind miteinander verschmolzen und winden sich, mit offenen Mündern, in dem goldenen Rahmen, der sich dabei zu verflüssigen scheint.

J.J. beginnt bei diesem Anblick zu zittern. Das Glas des zwei Meter hohen Spiegels verändert sich. Die Dunkelheit verschwindet und verwandelt sich in dichten grauen Nebel. Nun bläht sich das Glas bedrohlich nach außen. J.J. tritt erschrocken einen Schritt zurück und sieht verängstigt zu ihrer Großmutter, die ihr aufmunternd zuzwinkert. Der Nebel löst sich langsam auf und gibt zarte Umrisse frei. Es dauert nur wenige Sekunden, bis sie in das glasklare Gesicht von Hexe Cybill starrt.

Die Kammerwächterin steht mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Spiegels und starrt sie provozierend an. Dabei schüttelt sie verächtlich den Kopf und beginnt höhnisch zu lachen.

Das beunruhigt J.J. im ersten Moment. Sie schielt zu ihrer Großmutter, die genervt die Augen verdreht. Broaf hat große Mühe, die alte Dame zurückzuhalten.

»Jezabel! Welche Überraschung! Ist es eigentlich unser Karma, das du jedes Mal zuerst auf mich triffst? Na ja, ich halte ja nicht viel von diesen Dingen. Trotzdem bin ich gespannt, was du uns dieses Mal zu sagen hast!«

Die dunkle Hexe starrt das Mädchen mit einem kühlen Lächeln an.

J.J. ist plötzlich wie versteinert und schluckt. Die makellose Erscheinung dieser Hexe verunsichert sie noch mehr.

Erst als Oma Vettel sich deutlich räuspert, beginnt das Mädchen zu sprechen.

»Ich wollte eigentlich mit Darania sprechen. Ich habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Wann kann ich mit ihr rechnen?«, fragt sie mit fester Stimme, während sie die Kammerwächterin provozierend ansieht, ohne eine Miene zu verziehen.

Hexe Cybill schüttelt verächtlich den Kopf und kommt ganz nah an den Spiegel heran.

»Soweit ich weiß, solltest du dich bereits vor einem Monat bei ihr melden. Aber du hast es ja wieder einmal nicht für nötig gehalten, dich an unsere Gesetze zu halten. Du hast dich wieder versteckt. Und jetzt sollen alle springen, wenn du pfeifst?

Was willst du eigentlich damit erreichen? Ist das so ein Familiending der Winterhardts? Die Parallelen zum Leben deiner Großmutter sind äußerst erschreckend. Mit dem Unterschied, dass es dieses Mal keinen Gedankenstein gibt, den ihr Linus bringen könnt, nicht wahr? Wie fühlt es sich an, ein Wesen unwiderruflich verflucht zu haben?«, fragt Cybill mit zorniger Stimme.

J.J. ist geschockt. Sicher, diese Hexen nehmen sie nicht ernst. Aber was war das denn? Ist Cybill etwa auch so eine frustrierte Hexe, die den Jungen heimlich angehimmelt hat?

Erzürnt rennt das Mädchen zum Spiegel.

»Hör mir gut zu, Cybill. Ich bin die schwarze Prinzessin! Ich weiß, was ihr getan habt, und ich weiß auch, was ihr vorhabt. Aber dieses Mal werdet ihr nicht gewinnen! Ich habe vielleicht denselben Fehler gemacht wie meine Großmutter, weil ich auch jemanden schützen musste, den ihr für eure Belange missbraucht habt. Im Gegensatz zu ihr werde ich mich von euch aber nicht schikanieren lassen! Sag Darania, dass ich sie in einer Stunde am Spiegel erwarte!«, blafft sie die überraschte Kammerwächterin an, die sie nun mit offenem Mund anstarrt und nach Worten ringt.

»Sie ist nicht hier! Darania befindet sich auf einem wichtigen Termin und kommt erst morgen früh ins Zentrum zurück. Ich sage ihr, dass sie sich gegen neun Uhr eurer neuseeländischen Zeit am Spiegel der Tore einfinden soll! Und übrigens:

Du weißt gar nichts! Niemand hat irgendjemanden manipuliert. Auf jeden Fall nicht Linus!«, zischt sie das Mädchen böse an.

Der Spiegel verdunkelt sich augenblicklich, sodass J.J. keine Chance hat, darauf zu reagieren. Das Glas zieht sich zurück und die Fratzen erstarren.

Das Mädchen sieht verwirrt zu ihrer Großmutter, die aus ihrem Versteck hervorkommt und dabei kichert, was das Zeug hält. Broaf hält sie dabei unbewusst immer noch am Arm fest. Dem Mädchen entgeht nicht der verlegene Gesichtsausdruck ihrer Großmutter, als sie ihn sacht aus seiner Hand zieht.

»Es fasziniert mich immer wieder, wie ähnlich du mir doch bist! Der hast du es ja ordentlich gezeigt! Nun gut, wir müssen also erst mal abwarten! Ich denke, dass sie jetzt eines ihrer geheimen Treffen abhalten werden. Das mit Darania ist garantiert nur eine Ausrede. Cybill wollte nur Zeit schinden!

Wir sollten hinaufgehen und uns ein paar passende Worte für Darania überlegen«, sagt Oma Vettel dennoch zufrieden.

J.J., die immer noch auf den Spiegel starrt, dreht sich lächelnd zu ihr.

»Das hat Spaß gemacht. Nein, nicht Spaß. Es hat sich gut angefühlt. Die Worte »Ich bin die schwarze Prinzessin« haben anscheinend große Macht«, denkt J.J. im Geheimen.

Sie nimmt ihre Großmutter an die Hand und geht mit ihr hinauf in die Küche. Dort beginnt Oma Vettel immer wieder zu kichern, was J.J. langsam sehr unangenehm ist.

»Großmutter, jetzt beruhige dich doch endlich! Ich war sauer, deshalb habe ich so schroff mit ihr geredet. Eigentlich habe ich am ganzen Körper gezittert«, sagt das Mädchen genervt, während sie sich einen Schokoladenkeks in den Mund schiebt.

Oma Vettel lässt sich davon allerdings überhaupt nicht beirren. Sie stellt sich mitten in die Küche und öffnet theatralisch die Arme.

»Ich bin die schwarze Prinzessin! Also habt gefälligst alle Angst vor mir«, singt sie mit geschwollener Stimme. Dabei formt sie ihren Mund wie ein Fisch, reißt die Augen ganz weit auf und schreitet wie ein Storch durch den Salat. Ihre Mimik ist so ausdrucksstark, dass selbst Broaf nicht an sich halten kann und lauthals loslacht.

J.J. schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und stöhnt.

»Das ist ja wie im Kindergarten hier! Großmutter, was hast du jetzt vor?«, fragt sie demonstrativ laut, um dieser peinlichen Situation zu entkommen.

Oma Vettel hält kurz in ihrer Vorstellung inne und presst nachdenklich die Lippen zusammen.

»Ich habe heute Morgen bei Mrs. Rogan angerufen und ihr ein paar Dinge erklärt. Ich habe ihr versprochen, dass du spätestens nächsten Monat zurück nach Marton kommst! Du solltest dein Leben wieder in den Griff bekommen, Kleines. Ich verlange ja nicht, dass du vergisst, was passiert ist. Aber ich möchte, dass du endlich wieder lebst!

Und des Weiteren möchte ich anmerken, dass ich es nicht noch einmal dulden werde, dass du dich heimlich bei Broaf versteckst. Du hast ihn damit in eine sehr unangenehme Lage gebracht, junge Dame! Aber wie du siehst, habe ich alles Wichtige vorerst geregelt, damit ich etwas Zeit für meine weltlichen Belange habe. Ich fahre später mit Broaf zu Iris ins Dorf. Das ist gut für mein Gewissen, so habe ich Konrad nur halb angeschwindelt. Wenn ich Glück habe, hat sie tatsächlich ein weltveränderndes Problem. Dann wäre ich aus dem Schneider!«

Oma Vettel klatscht zufrieden in die Hände und kichert.

J.J. sitzt nervös am Tisch.

»Schon wieder warten, bis ich eine Entscheidung treffen kann.«

Genervt schnappt sie einen Keks und zerbröselt ihn.

Die Nachrichten von Ava gehen ihr nicht aus dem Kopf. Ständig muss sie darüber nachdenken. Sie würde sich zu gern einen Rat von ihrer Großmutter holen, hat aber Angst, dass sie dann erfährt, dass Ava sie hintergeht. Das möchte J.J. nicht mehr. Davon hat sie genug.

Von dem Traum mit Linus hat sie noch niemandem etwas erzählt. Es soll ihr Geheimnis bleiben. Die anderen würden ihr sowieso nur betroffen auf die Schulter klopfen und behaupten, dass es ein Traum war, in dem sie ihre Schuldgefühle verarbeitet. Aber so war es nicht. Zumindest hofft sie das!

Morgen früh muss sie also mit Darania reden. Oma Vettel besteht darauf, dass sich J.J. aus dem Register des dunklen Phads löschen lässt, obwohl sie bezweifelt, dass dies noch möglich ist.

J.J. ist sich jedoch gar nicht mehr so sicher, ob sie das überhaupt noch will. Als Hexe Cybill ihr vorhin am Spiegel der Tore sagte, dass Darania erst morgen früh Zeit habe, war sie innerlich erleichtert. Aber das kann sie ihrer Großmutter nicht sagen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie bemerkt hat, dass diese grobe Sprache und die Nutzung ihres Prinzessinnentitels sie innerlich total entspannt haben. Im Moment ist das wahrscheinlich die ehrlichste Seite an ihr. J.J.s Emotionen sind dunkel und aggressiv. Sie fragt sich oft, ob das schwarze Blut für ihre extremen Gefühlsschwankungen verantwortlich ist.

»Oder ist es umgekehrt, und ich habe schwarzes Blut, weil ich so dunkel fühlen kann?«

Oma Vettel kommt zu ihr und sieht sie besorgt an.

»Möchtest du mit zu Iris kommen? Sie würde sich bestimmt sehr freuen, dich wiederzusehen. Außerdem solltest du mal hier rauskommen. Du hast dich lang genug vor der Welt da draußen versteckt.«

Sie streicht dem Mädchen über die Schulter und sieht sie fragend an.

Aus reiner Gewohnheit schüttelt J.J. den Kopf, kneift dann aber die Lippen zusammen und seufzt.

»Du hast ja recht. Ich sollte wirklich mal an die frische Luft. Ich habe allerdings keine Lust, mir von Iris die Wangen wundkneifen zu lassen. Wieso machen das alte Leute eigentlich immer? Tschuldigung, Großmutter, war nicht so gemeint.

Na gut. Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gern zum Strand gehen! Ich weiß, es ist Herbst und die See ist rau. Aber ich will ja auch nicht schwimmen oder picknicken, sondern einfach nur herumlaufen und ein paar Muscheln sammeln! Wäre das für dich in Ordnung?«, fragt sie schüchtern.

Oma Vettel nickt hocherfreut und dreht sich zu Broaf.

»Würdest du sie am Strand absetzen?«, fragt sie erleichtert.

»Es wäre mir ein außerordentliches Vergnügen«, antwortet der Diener.

Broaf ist froh, dass J.J. sich langsam zu erholen scheint. Auch ihm ist nicht entgangen, dass die Anwesenheit Vettels dem Mädchen guttut.

Na ja, nicht nur ihr. Alle Bewohner, einschließlich seiner Person, blühen seit Oma Vettels Eintreffen regelrecht auf. Dass dieser Besuch nur sehr kurz ist, trübt die Freude allerdings ein wenig. Trotzdem summt der Diener ein fröhliches Lied und beginnt umgehend mit den Vorbereitungen für die gemeinsame Fahrt ins Dorf.

J.J. steht derweil in ihrem Zimmer und denkt nach. Sie weiß nicht genau, warum sie zum Strand wollte. Draußen ist es windig und sehr kalt. Richtig ungemütlich. Okay, sie hatte keine Lust auf weitere Diskussionen mit ihrer Großmutter, aber dieser Impuls kam so plötzlich. »Meer!«, blitzte es vor ihrem geistigen Auge auf, als ihre Großmutter sie fragte, ob sie mit ins Dorf fahren wolle.

»Ich habe mich lange genug versteckt. Außerdem muss ich meine Gedanken ordnen und mir überlegen, wie ich Großmutter behutsam beibringe, dass ich mich noch nicht aus dem Register des dunklen Phads löschen lassen möchte. Ich denke, dass sie das nicht verstehen wird. Aber ich möchte keine Entscheidungen aus schlechtem Gewissen treffen. Es ist mein Leben! Mein Blut! Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass es ein Fehler war, muss ich dann wenigstens nicht wieder irgendjemanden hassen, den ich eigentlich sehr liebe. Es ist eben alles sehr kompliziert.«

Sie geht in ihr Ankleidezimmer und zieht sich warme Kleidung an. Dann packt sie noch schnell ihr Tagebuch in die Tasche und hüpft die Treppe hinunter. Plötzlich ist sie ganz aufgeregt und freut sich auf den spontanen Ausflug.

Oma Vettel und Broaf warten in der Küche und albern derweil etwas herum. Das Mädchen beobachtet amüsiert, wie sich ihre Großmutter haarklein jedes Detail des neuen Kühlschranks erklären lässt. Mit entzücktem Gesichtsausdruck steht die alte Dame neben Broaf und lässt alle zwei Sekunden ein lang gezogenes »Ohhh« los, das von einem anerkennenden Schulterklopfer gekrönt wird. Der Diener ist sichtlich stolz, dass ihr der Kühlschrank so gut gefällt. Ständig fährt er sich verlegen durch sein Haar und räuspert sich.

Als J.J. in die Küche schleicht, bestellen sie sich gerade einen Sonnenaufgang mit extra viel Eis. Oma Vettel öffnet neugierig die Kühlschranktür und schlägt verzückt die Hände zusammen.

»Wie aus dem Bilderbuch und kein Glas zu viel! Das ist wirklich ein sehr, sehr schöner Kühlschrank, Broaf! Prost!«, singt Oma Vettel fröhlich und hält dem Diener neckisch grinsend ihr Glas entgegen. Schüchtern erwidert dieser den Trinkgruß und schlürft unbeholfen an seinem Energiecocktail. J.J. entgeht nicht, dass die beiden längere Augenkontakte krampfhaft vermeiden.

Das Mädchen fühlt sich etwas fehl am Platz. Sie stellt sich hinter ihre Großmutter und räuspert sich verlegen. Oma Vettel zuckt zusammen und dreht sich um. Als sie ihre Enkelin bemerkt, ist sie sichtlich erleichtert. Auch Broaf scheint froh zu sein, dieser verkrampften Situation endlich entfliehen zu können.

»Bist du fertig, Liebes? Dann wollen wir auch gleich losfahren«, stottert Oma Vettel schüchtern grinsend.

Nun ist J.J. vollends überzeugt, dass sich zwischen den beiden im Moment etwas Emotionales anzubahnen scheint. Das wäre allerdings eine Katastrophe! Zumindest für Broaf. Immerhin reist Oma Vettel sehr bald zu Konrad zurück. Und dem Mädchen ist nicht entgangen, dass dieser Umstand dem Diener auch ohne diese Plänkelei schon sehr mitnimmt. Das möchte sie ihm ersparen, da sie weiß, was Liebeskummer bedeutet.

»Broaf hat eine aufrichtige Seele. Es wäre grausam, wenn er den Rest seines Daseins leiden müsste.«

Seufzend nimmt das Mädchen ihre Tasche und schlendert mit den beiden zum Auto.

Sie setzt sich auf die Rückbank und holt Luft.

Es ist ein seltsames Gefühl. Alles um sie herum erscheint ihr anders, unwirklich, nicht mehr richtig. Das, was sie früher so fasziniert hat, jede magische Pflanze, jeder zauberhafte Baum, die endlose Einfahrt, all diese Dinge scheinen sie nun mit aller Macht erdrücken zu wollen.

Nachdenklich sieht sie aus dem Fenster und versucht sich zu konzentrieren, da sie plötzlich sehr traurig wird. Die Schatten der Alleebäume, die sich sonst in den Wagenfenstern austoben, fehlen. Es ist Herbst und die Sonne macht für ein paar Wochen Pause. Ungewollt hört J.J. ihrer Großmutter zu, die im Gegensatz zu ihr völlig euphorisch über diese vermissten Dinge schwärmt.

Das Mädchen lauscht der wohlklingenden Stimme Vettels und versucht sich zu entspannen. Sie schließt die Augen und seufzt, was ihrer Großmutter nicht entgeht. Besorgt dreht sich diese um und zwinkert aufmunternd. J.J. versucht entspannt zurückzulächeln, was ihr nicht wirklich gelingt.

»Gott sei Dank dauert die Fahrt ins Dorf nicht lang.«

Dem Mädchen geht das theatralische Geflöte ihrer Großmutter mittlerweile nämlich gehörig auf den Geist:

»Toller Wald, tolle Menschen, toller Vogel, toller Tag …

Ja, Großmutter. Das könntest du immer haben, wenn du nicht in das puderrosa Zauberreich gezogen wärst«, denkt sie gereizt.

J.J. bemerkt, dass ihre Laune immer schlechter wird, und ist erleichtert, als sie endlich den Strand sehen kann. Mit jedem Meter, dem sie dem Meer näher kommen, wird sie innerlich ruhiger.

Auf dem kleinen Parkplatz vor der Bucht hält Broaf an und sieht besorgt in den Rückspiegel. J.J. bemerkt das und lächelt ihn zufrieden an. Sie ist dennoch froh, dass sie aus diesem Wagen entkommen kann. Nur noch ein paar Minuten, bis sie endlich allein ist.

Der Diener kennt sie viel zu lang und hat in den letzten Wochen viel zu sehr mit ihr gelitten, als dass er nicht bemerken würde, dass das Mädchen eigentlich nur wieder flieht.

»Bist du sicher, dass du allein hier bleiben möchtest? Ich könnte dir Gesellschaft leisten, wenn ich Vettel bei Iris abgesetzt habe«, bietet er fürsorglich an.

J.J. zieht die Stirn kraus und schüttelt energisch den Kopf.

»Nein! Danke, Broaf, aber das ist nicht nötig! Und schickt mir bitte auch nicht Myrrda hinterher! Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen! In Xestha war ich auch allein unterwegs! Du kannst mich in zwei Stunden abholen. Ich denke, dann wird es auch schon dunkel werden!«, antwortet sie schroff.

Ohne es zu wollen, ist ihre Laune am Tiefpunkt angelangt. Deshalb gibt sie ihm deutlich zu verstehen, dass sie jetzt aussteigen möchte.

Bevor die beiden weiterfahren, streicht Oma Vettel ihr noch sanft über die Wangen.

»Manchmal denke ich, dass es besser gewesen wäre, wenn ich dich in der realen Welt gelassen hätte. Vielleicht war es nur purer Egoismus von mir, dir den Gedankenstein zurückzuschicken. Ich mache mir große Vorwürfe, Kleines. Bitte pass gut auf dich auf! Ich verspreche dir, dass wir für alles eine Lösung finden werden!«

J.J. schluckt und nickt. Broaf sieht sie besorgt an und startet den Motor. Das Mädchen ist erleichtert, als der Wagen endlich losfährt, und läuft schnell hinunter zum Strand.

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 02: Die schwarze Prinzessin

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