Читать книгу Time of Lust | Band 3 | Devote Begierde | Roman - Megan Parker - Страница 7
ОглавлениеFancy Pain
Die folgenden Stunden verbrachte Santiago mit Amistad und Cheyenne auf der Dachterrasse. Sie wollten ungestört sein ... genossen vermutlich eine Entspannungsmassage und die allgemeine Ruhe vor dem Sturm. Alice folgte mir auf mein Zimmer, wo Natalie und Jana schon ungeduldig darauf warteten zu erfahren, was passiert war.
Erst kurz vor sechzehn Uhr platzte Santiago überraschend herein. Er nahm Jana zur Seite und umarmte sie liebevoll, dann besprach er sich flüsternd mit ihr und sie begann zu weinen. Man konnte sehen, dass es ihm leidtat. Aber schließlich trennte er sich wieder von ihr und zeigte im Vorbeigehen auf Alice und mich.
»Was ist mit Natalie?«, fragte Damian, der eben zur Tür hereingekommen war.
»Sie bleibt hier!«
Natalie schossen augenblicklich Tränen in die Augen und sie sank auf ihre Knie ... Aber sie bettelte nicht, denn wir alle wussten, dass er das hasste.
»Nimm sie mit!«, forderte ihn Damian auf. »Vielleicht ergibt sich heute für sie noch eine Chance, dir ihre Liebe zu beweisen.«
»Weißt du mehr als ich?«, fragte Santiago.
Damian lächelte. »Was heute Abend betrifft, auf jeden Fall. Aber ich meinte nichts Bestimmtes, nagle mich nicht fest, es ist nur eine Ahnung. Du kannst sie nicht ständig einsperren, sie hat für ihren Fehler gebüßt. Jetzt sollte sie dir beweisen, wie sehr sie dich liebt. Gib ihr eine Chance!«
»Von mir aus. Dann kommt sie auch mit. Gehen wir! Cheyenne wartet schon am Steg.«
Auf dem Weg hinunter zum Speedboot erblickte ich zum ersten Mal die Yacht, die für Santiagos großen Tag gechartert worden war. Wie ein richtiges Kreuzfahrtschiff lag sie etwas weiter draußen vor Anker und trug die Aufschrift Cuba Libre. Ich zählte vier lange Decks, auf denen sich bereits zahlreiche Personen tummelten, zwei fremde Boote hatten Gäste abgeliefert und entfernten sich wieder, ein weiteres legte an. Die zwanzig Mädchen von heute Vormittag waren unter der Aufsicht von Amistad bereits hinübergebracht worden, erzählte uns Damian. Wir wären die Letzten. Danach würden wir in See stechen, Richtung Miami, und für den Abend würden noch weitere Gäste erwartet.
Santiago war unbeschreiblich attraktiv in seinem schwarzen Anzug und ich bedauerte mal wieder, nicht mit ihm allein ein Rendezvous haben zu können, ihn stattdessen diesmal sogar mit fremden Mädchen teilen zu müssen. Er selbst war sich zweifellos bewusst, wie umwerfend er aussah, er zelebrierte seinen Auftritt auf der Cuba Libre wie einen Staatsbesuch und strahlte beim Anblick der zahlreich erschienenen Gäste Stolz und Zufriedenheit aus. Jede von uns Mädchen wäre vermutlich gern neben ihm gegangen, aber bei seinem ersten Rundgang an Bord ließ er sich, wie so oft, von Cheyenne begleiten.
Ich selbst konnte mich kaum entscheiden, wo es mich zuerst hingezogen hätte, so viel Sehenswertes weckte meine Neugier. Trotzdem wollte ich mich, wie auch Alice und Natalie, stets in der Nähe von Santiago aufhalten – nur um zu sehen, was ihn in seiner Abgebrühtheit noch beeindrucken konnte.
Im Freien gab es mehrere Cocktail-Bars, einen großen Pool, zwei Whirlpools, Sonnenliegen und einen Sandplatz für Beachvolleyball. Einige Mädchen waren im Wasser oder aalten sich in der Sonne, andere unterhielten sich an der Bar. Ich fühlte mich richtig privilegiert, dass ich ein Kleid tragen durfte, im Gegensatz zu den angemieteten Mädchen, die in ihren weißen Bikinis herumhüpfen und ihre Körper zeigen mussten. Die geladenen Gäste begrüßten Santiago überschwänglich, gratulierten ihm zu dieser vielversprechenden Veranstaltung und gaben während ein paar Minuten Smalltalk hauptsächlich ihrer Freude Ausdruck, an diesem Event teilnehmen zu können. Nur die schlecht Informierten erwähnten dabei seinen Geburtstag. Edward erklärte uns, dass die Restaurants und Suiten in den obersten Etagen angesiedelt wären, wir jedoch gingen nach unten und dort sah die Welt völlig anders aus ...
Ich hatte fast das Gefühl, in eine Höhle abzutauchen, als wir die Holztreppe hinunterstiegen, zwei massive Türen hinter uns ließen und nach der letzten der Geräuschpegel abrupt in die Höhe schnellte. Rauch, Lärm und süßlicher Zigarrenduft strömten uns entgegen, während wir uns in fast vollständiger Dunkelheit verloren. Das Auge musste sich zwischen all den umherirrenden Lichtpunkten und den Lichtkegeln der Scheinwerfer erst an die Umgebung gewöhnen. Irgendwann entdeckte ich die kleine Bühne und fünf dunkelhäutige Tänzerinnen, die ihre Körper zu kubanischer Musik leidenschaftlich bewegten. Es gab auch bereits einige Gäste, die sich vom Temperament dieser Mädchen mitreißen ließen. Der gesamte Club war eine einzige Tanzfläche, die wir gemeinsam überwinden mussten, um in den nächsten Raum zu gelangen. Erleichtert atmete ich auf, als wir es geschafft hatten. Obwohl auch hier ein angesagtes Nachtlokal eindrucksvoll nachgebildet worden war, war die Musik nun erträglich und man konnte etwas mehr als nur die Hand vor Augen erkennen.
Wieder tanzten Mädchen auf einer Bühne, diesmal jedoch weit aufreizender gekleidet, und im Gegensatz zu vorhin ... an Stangen. Gegenüber der Bühne erstreckte sich eine goldene Bar über die gesamte Länge, an einer Seite gab es eine leicht erhöhte, bequeme Liegefläche aus rotem Samt ... und an der anderen Seite drei gemütliche Logen, ebenfalls etwas erhöht. Als ich mich schließlich zweimal im Kreis gedreht hatte ... und mir so einiges bekannt vorkam, durchfuhr plötzlich ein eisiger Schauer meinen Körper ... Wir befanden uns in einer verkleinerten Nachbildung des Empires! Sofort hatte ich wieder dieses zierliche hübsche Mädchen im Kopf, das Santiago dort auf der Bühne angebunden vor den Augen aller entjungfert hatte. Während er nun einige Gäste begrüßte, suchten meine Augen nach einschlägigen Geräten auf oder neben der Bühne. Es gab jedoch nur Pole-Stangen. Ich überlegte, ob er Lilienné wirklich von dieser Party fernhalten wollte, oder ob sie vielleicht als Mitternachtsattraktion geplant war. Und wieder lief mir Gänsehaut über den Rücken.
Bevor man uns weiterführte, trank Santiago ein Glas Champagner an der Bar. Er bemerkte meine unsicheren Blicke und streckte einladend eine Hand nach mir aus. »Was bedrückt dich, mein Kleines?«
Nur zögerlich brachte ich es über meine Lippen. »Soll das ... das Empire sein?«
Er setzte sich auf einen Barhocker, nahm mich zwischen seine Beine und nickte stumm. Dabei verfolgte er aufmerksam die Reaktion in meinen Augen. Er wusste genau, dass ich damals ein gewaltiges Problem mit dieser Schau-Entjungferung gehabt hatte und vermutlich dachten wir gerade beide daran.
»Wirst du Lilienné heute noch hierher bringen lassen?«, wollte ich wissen.
Für einen Moment blieb er ausdruckslos. Dann wirkte er betroffen. »Das denkst du von mir?«
Ich schluckte. »Nein ... ich ... ich weiß auch nicht.«
Er nickte nachdenklich und streichelte über mein Gesicht. Ich wusste nicht, was ich von ihm denken sollte, aber ich hätte ihm alles zugetraut. Währenddessen kam er mir näher und seine Lippen legten sich auf meine. Er begann, mich ganz langsam und zärtlich zu küssen – und ich musste es in meinem Gefühlschaos erwidern, doch in seinen Armen fühlte ich meine Sorgen und Zweifel dahinschmelzen. Ich besann mich darauf, ihn nicht schon im Voraus zu verurteilen. Als er sich von mir löste, suchte ich die Nähe zu seinem Ohr und flüsterte: »Es tut mir leid. Ich liebe dich.«
»Santiago, bitte entschuldige«, störte Amistad unsere Vertrautheit. Er wandte sich ihm zu. »Darf ich dir Mr Harry Mayor vorstellen ... ›The Genuine Master of Fancy Pain‹. Er ist Experte für verbotene Spiele und hat sich bereiterklärt, für uns eine kleine Privatveranstaltung zu organisieren.«
Mr Mayor und seine Show waren ein Geschenk von Christian, Santiagos bestem Freund, der mir noch als »Schlangenbeschwörer« in Erinnerung war und der leider wegen einem Spitalaufenthalt selbst an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen konnte.
»Mr Mayor wird uns persönlich durch die nächsten Räume führen«, ergänzte Amistad.
Santiago schüttelte dem Mann im Frack höflich die Hand, während dieser auf höchst eindrucksvolle, um nicht zu sagen, amüsante Weise, mit einer komplizierten Präsentation seines Geschäftsfeldes begann. Er war gut einen Kopf kleiner als Amistad, dafür sprach er aber mindestens doppelt so schnell und doppelt so viel in exakt derselben Zeit. Mit hektischen Bewegungen, wilder Gestik und einem unruhigen Stand verpackte er seinen Redeschwall auf so interessante Art, dass selbst Santiago ziemlich perplex in seiner eigenen Haltung erstarrte und eine ganze Weile die Geduld aufbrachte, all den übertrieben detaillierten Ausführungen zu folgen. Äußerlich war Mr Mayor von eher hagerer Gestalt, sein Gesicht kantig, sein längeres schwarzes Haar und den extravaganten Oberlippenbart trug er im Stil eines Zirkusdirektors. Durch seine spektakuläre Art zu reden gewann er jedoch zweifelsohne an Größe und bald hatte man den Eindruck, dass er mit Leichtigkeit die Aufmerksamkeit des ganzen Clubs für sich beanspruchte.
Irgendwann musste Santiago allerdings dieses Schauspiel mit einem schlichten »Ja. Gut.« beenden, denn er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, womit ihm Mr Mayor nun zur Genüge den Mund wässrig gemacht hatte. Also folgten wir dem Zeremonienmeister in sein gelobtes Land.
Es befand sich einen Stock tiefer, unter dem Meeresspiegel, wo kleine runde Schiffslukenfenster die Räume in ein besonderes Ambiente tauchten. Durch ein Entre gelangten wir in den großen Saal, in dem man auf sehr imposante Weise Naturlandschaften nachgebildet hatte – wie bei einer Mustergartenschau. Es gab Kunstrasen, einen nierenförmigen Teich und diverse auf den ersten Blick harmlos erscheinende Attraktionen, die durch Schotterwege und kleine Holzbrücken miteinander verbunden waren. Eine überdimensionale Sandkiste, knietief mit Schlamm befüllt, eine brombeerfarbene Badewanne, randvoll mit glibberiger Masse bedeckt, ein gläsernes Terrarium, in dem man vor lauter Schlangen kaum noch die Rückwand erkennen konnte, und vieles mehr. Im hinteren Bereich wurde eine großzügige Fläche freigelassen. Dort lagen Ketten und Ringe bereit, um gut zehn Personen zu fesseln. Zwei kleine Käfige hingen an Seilen von der Decke und weckten meine Neugier.
Aber Mr Mayor wollte uns vorweg das Jacuzzi noch genauer erklären, es war bereits eingelassen ... und wie bei einer Gegenstromanlage schlug der flüssige Inhalt heftige Wellen. Skeptisch traten wir alle näher. Das Wasser zeigte eine eigenartige Rosafärbung. »Mr Santiago ... wenn ich Ihnen das kurz erklären darf ...«, präsentierte er stolz seine neueste Attraktion. »Was Sie hier vor sich sehen, ist kein normales Jacuzzi, kein Sprudelbecken, kein Whirlpool und keine Massagewanne, es gibt keinen Strom, keine Technik, kein ...«
»Mr Mayor ... kommen wir zum Punkt!«, ermahnte ihn Santiago.
»Natürlich.« Er grinste. »Was Sie hier vor sich sehen ... sind vier lebendige Exemplare der Japanischen Riesenqualle! Sie bewegen das Wasser, ohne Technik, ohne alles, in einer blanken Wanne, von der Decke beleuchtet. Das ist Weltklasse!«
»Der rosa Schleim lebt also?«
»Selbstverständlich, den Tieren geht es ausgezeichnet! Jedes Einzelne von ihnen misst gut einen Meter im Durchmesser und verfügt über Millionen frisch polierter Nesselzellen.« Mr Mayor vollzog in seiner Euphorie einen kleinen Luftsprung und grinste siegessicher.
»Und Sie gehen mit diesen Tieren normalerweise baden?«, fragte Santiago provokant.
Mr Mayor lachte. »Oh nein, ich nicht, aber meine Stammkunden sind begeistert. Man sagt, das Gift wäre sehr anregend und durchblutungsfördernd ... Diese Qualle ist ganz neu auf dem Markt und ich habe bereits Vorbestellungen für die nächsten Monate!«
»Also ich weiß nicht, ob ich mich für ›anregend‹ und ›durchblutungsfördernd‹ begeistern kann«, überlegte Santiago skeptisch.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr Santiago, Sie werden es ohne ›fremde Hilfe‹ vermutlich nicht schaffen, sich in dieses Becken zu legen. Das Nesselgift ist ausgesprochen schmerzhaft, an gewissen Stellen ist es nahezu unerträglich! Die Augen sollten unbedingt geschützt werden. Und wer hier nach ein paar Minuten wieder herauskommt, dessen Haut ist höchstwahrscheinlich krebsrot und die Wirkung des Giftes hält in abgeschwächter Form noch Stunden an. Bei empfindlicher Haut sehen Sie bis zu zwei Tage lang eine Rötung. Im Gegensatz zur Feuerqualle hinterlässt sie jedoch garantiert keine Narben. Wie gesagt, dieses Tier ist einmalig und Weltklasse!«
Santiago nickte nun überzeugt und drehte sich langsam zu mir um. »Zieh dich aus!«
Ich lachte. »Nein, auf gar keinen Fall!« Das war ja wohl nicht sein Ernst.
»Du ziehst dich auf der Stelle aus!«, fauchte er und ich erschrak vor seiner aufgebrachten Miene.
»Nein, bitte nicht!«, flehte ich.
Daraufhin bohrte sich nur noch wortlos sein strenger Blick in meine Augen.
Ängstlich betrachtete ich den rosa Schleim. Die vier Quallen hatten sich vollständig ausgebreitet und es war überhaupt kein klares Wasser mehr zu sehen. Ich wollte mich da nicht reinlegen und meine Haut verbrennen lassen. Das würde mir den ganzen Abend verderben. Mir wurde übel, denn ich wusste, wenn Santiago sich einmal für etwas entschieden hatte, dann ließ er sich nicht mehr davon abbringen und jedes Flehen bestärkte ihn sogar noch in seiner Absicht. Trotzdem wollte ich es dieses Mal riskieren, mit meinem schmerzlichsten Blick und meiner unterwürfigsten Stimme. »Warum ich? Da draußen sind zwanzig Mädchen, die dir alle etwas beweisen wollen. Warum nimmst du nicht eine von denen? Ich will nicht den Rest des Abends entstellt herumlaufen. Bitte! Ich möchte auch hübsch sein an deinem Geburtstag. Du weißt, dass es mir nicht um die Schmerzen geht, ich mache alles für dich, aber warum gerade das? Und warum gerade jetzt? Bitte!«
Santiago schnaubte erzürnt und wandte sich an Amistad.
Eigentlich dachte ich, mein Schicksal wäre damit besiegelt. Amistad würde mich auch ohne Schutzbrille da hineinstoßen. Ich überlegte ernsthaft, ob ich mich wehren sollte. Doch anders als erwartet hatte Amistad tatsächlich einen Einwand zu meinen Gunsten: »Wir haben diesen Teil eigentlich erst für den späteren Abend vorgesehen, wenn Publikum dabei ist.«
Santiago sah mich unschlüssig an.
»Bitte!«, flüsterte ich.
Daraufhin nickte er verärgert und ging weiter.
Ich konnte es nicht fassen. Erleichtert atmete ich auf und hätte Amistad auf der Stelle die Füße küssen wollen. Er hatte mich aus der Todeszelle gerettet. Aber sein Blick sagte mir, dass er das jetzt nicht wollte.
Wir gingen nach draußen in den Vorraum, wo Mr Mayor noch einige organisatorische Dinge erklärte. Ich lehnte mich etwas abseits mit dem Rücken gegen eine Holzkiste und überließ es diesmal lieber Natalie und Alice, in Santiagos Nähe zu bleiben.
Die Japanische Killerqualle ... Genau genommen wollte ich auch später keine Bekanntschaft mit ihr machen, schließlich musste ich an morgen denken und krebsrot würde ich mit der sechzehnjährigen Lilienné noch viel weniger mithalten können ...
Mr Mayor erklärte, dass es vorgesehen war, die Gesellschaft zu späterer Stunde unter der Hand in zwei Klassen zu teilen ... in jene, die an der großen Show im Ballsaal teilnehmen und nach dem mitternächtlichen Feuerwerk verabschiedet werden sollten ... und jene, die von Damian oder Santiago persönlich zu der parallel stattfindenden VIP-Veranstaltung in den Räumlichkeiten hier unten geladen werden sollten. Plötzlich erschreckte mich etwas von hinten. Ich kreischte und sprang von der Kiste weg. »Sie hat geknurrt ... die Kiste ... sie hat geknurrt!«, keuchte ich panisch und wartete vergebens darauf, dass jemand mir zur Hilfe eilte. Alle sahen mich nur an.
»Ja«, bestätigte Mr Mayor, »das kann ich Ihnen aber noch nicht verraten. Der Kleine ist als krönender Abschluss der Privatveranstaltung geplant und darf daher vermutlich erst in den frühen Morgenstunden an die frische Luft.«
Santiago blickte fragend in die Runde. Alle Männer zuckten vorgeblich ahnungslos mit ihren Schultern.
Der Kleine? Wer war das nun wieder? Vielleicht sollte ich mich doch besser mit der Qualle anfreunden? In der Holzkiste waren einige kreisrunde Löcher eingefräst, aber keine Aufschrift, kein Hinweis auf den Inhalt. Dem Knurren nach musste es ein sehr großer Hund sein, vielleicht eine Dogge? Eine fette Dogge mit Bronchitis! Hoffentlich war es überhaupt ein Hund. Ich musste kurz nachdenken ... aber ... einen Löwen hatte ich noch nie knurren gehört ...
Wir kehrten zurück in den schwimmenden Empire-Club. Mittlerweile hatte Damian alle gecasteten Mädchen nach unten gelotst und sie sollten sich nun auf der Tanzfläche bewegen. Amistad und Cheyenne begaben sich in die samtrote Kuschelzone. Santiago setzte sich mit uns Mädchen an die Bar, bestellte Champagner und musterte beiläufig die fremden Grazien. Im Scheinwerferlicht glitzerten die mit Perlen bestickten weißen Bikinis besonders auffällig. Sie zierten sehr schmeichelhaft die nackten schlanken Körper, die sich nun bewusst aufreizend bewegten, um ihm zu gefallen! Ich hoffte inständig, dass Estelle nur eine Schwester hatte und all die anderen gebrandmarkten Mädchen, die jemals bei ihm gelebt hatten, Einzelkinder waren!
Es dauerte nicht lange, bis er eine der kleinen Schönheiten ausgewählt hatte. Damian musste sie für ihn an die Bar holen. Santiago gab ihr ein Glas Champagner in die Hand. Sie strahlte, als hätte sie soeben den Hauptpreis gewonnen, wobei ihre Augen genauso beeindruckend funkelten wie ihre makellosen Zähne. Sie hatte hellbraune lange Haare mit künstlichen Wellen und einem perfekt geglätteten Pony, der ihre Stirn verdeckte. Das Besondere in ihrem Gesicht waren jedoch ihre hellen türkisgrünen Augen. Sie erschienen fast zu groß und gleichzeitig verwässert, so befremdend, als wäre sie nicht von diesem Planeten. Sofort war klar, warum er sich für sie entschieden hatte. Für Santiago gab es vermutlich nichts Anziehenderes, als ein Mädchen mit »permanenten« Tränen in den Augen! Eine Besonderheit, die ihm einiges an Mühe ersparte und ihn permanent in eine gewisse Sicherheit hüllte. Wenn man ihr in die Augen sah, hatte man das Gefühl, in die Südsee einzutauchen.
Auch Santiago war diesem Naturschauspiel hilflos ausgeliefert. Er hing an ihren beiden Unterwasser-Atollen fest und kam nach wenigen Worten des flüchtigen Kennenlernens sehr direkt zu seiner wichtigsten Frage: »Bist du Jungfrau?«
Daraufhin schüttelte sie etwas verlegen ihre hübschen Haare und schenkte ihm einen entschuldigenden Blick.
Man konnte direkt mit ansehen, wie sich alles in ihm verkrampfte. Aber gleichzeitig schmerzte ihn offenbar der Verlust dieser einzigartigen Schönheit so sehr, dass er sich beim nächsten Blick in ihre Augen zu etwas ganz Seltenem durchrang – er fragte weiter: »Und wie viele Lover hattest du schon?«
»Noch keinen«, gestand sie und amüsierte sich dabei selbst ein wenig über ihre Antwort.
Er lächelte verunsichert.
»Es war kein ›Lover‹ ...«, erklärte sie. »Es war ein Unfall.«
Santiago schien überrascht und erfreut zugleich. »Welche Art von Unfall?«
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, entgegnete sie.
Normalerweise gab er sich mit einer solchen Antwort nicht zufrieden. Niemals. Aber irgendetwas in ihm ließ ihn zögern. In seinem Ausdruck sah ich einen Hauch von Mitgefühl, dann nickte er verständnisvoll und küsste sie. Sie tranken ... Er streichelte ihre nackte Taille ... und es dauerte nicht lange, bis er ihr ein eindeutiges Angebot machte ... »Ich will zwischen deine Beine, Baby. Erlaubst du das?«
Sie schüttelte den Kopf und hauchte: »Nein.« Dann streckte sie sich zu seinem Ohr und flüsterte: »Zwing mich! Ich will beherrscht werden!«
Diese Worte aus dem unschuldigen Mund einer Meerjungfrau rieselten wie Goldstaub über seine Seele. Er sagte nichts mehr, stellte sein Glas zur Seite und verließ mit ihr die Bar. Sie stiegen in einen Lift, der hinauf zu den Suiten führte.
Ich sah Alice an. Sie war die Einzige, die außer mir diese Unterhaltung mitbekommen hatte und mit der ich mein Leid teilen konnte. Auch ihr stand der Schmerz ins Gesicht geschrieben und sie suchte in meinen Augen nach Halt. In Gedanken fielen wir einander heulend um den Hals, wie zwei Kinder, deren Vater in den Krieg gezogen war. Er würde mit ihr schlafen. Kurz erinnerte ich mich an das Champagnerglas in meiner Hand und daran, es nicht im Affekt zu zerdrücken. Wieso war er so einfach einzufangen?! Wer wusste denn, ob sie überhaupt die Wahrheit gesprochen hatte? Welches Mädchen, das grundsätzlich noch Jungfrau war, nur leider einen »Unfall« gehabt hatte, würde sich in einem One-Night-Stand freiwillig »beherrschen« lassen? Okay, vermutlich wusste sie nicht, was Santiago darunter verstand. Mir reichte schon, dass ich es wusste. Was war das überhaupt für ein Unfall gewesen? War sie einem Typen auf den Schwanz gefallen? Vielleicht einem Zuhälter. Und er bestrafte sie für ihr Ungeschick, indem er sie als seine Nutte arbeiten ließ. Dabei entdeckte sie dann ihre Leidenschaft, sich von Wildfremden dominieren zu lassen?
Ich seufzte schwer und mein Hilfe suchender Blick traf sich kurz mit Amistad. Der lehnte sich gerade entspannt auf dem roten Kuschelsofa zurück und zog Cheyenne an seine Brust. Hitze stieg in mir auf. Gott, ich war eifersüchtig! Warum war es bei fremden Mädchen so viel schlimmer als bei unseren eigenen. Ich empfand nicht mal annähernd diesen Seelenschmerz, wenn er mit Jana schlief oder mit Alice, mit Natalie, egal. Vielleicht war es, weil ich wusste, irgendwann würde ein anderes Mädchen sein Herz erreichen, irgendwann würde er sich neu verlieben ... und dann würde er uns austauschen.