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Der Bundesschwur im Rütli.

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Seit unvordenklichen Zeiten lebten die Leute der drei Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden in Ruhe und Frieden um ihren vielarmigen Bergsee. Kein wildes Kriegsgeschrei ängstigte das Land. Von morgens früh bis abends spät klang durchs Land das Herdengeläute, und durch die Flühe schallte das Jauchzen der Talleute. Am Abend aber wurde durch die Volle von hoher Alp ins tiefe Tal der Alpsegen gerufen. Und wenn der Alpenwind, der Föhn, brausend von den Bergen zu Tal stieg und um die stillen Tätschhäuschen tobte, gingen die tröstlichen Klänge der Kirchenglocken durchs Land. Nur selten kam jemand an die Fähre zu Brunnen, um über den wilden grünen Urnersee, in dem sich der ewige Schnee des Urirotstock spiegelt, hinaufzufahren und nach Rom zu pilgern.

Als aber Albrecht, der Herzog in Österreich, deutscher König wurde, war es mit dem Frieden der drei Länder auf einmal aus. Bisher hatten die Kaiser des Deutschen Reiches das Alpenland in den Bergen im Frieden gelassen und hatten sich damit begnügt, die schuldige Reichsabgabe von den drei Ländern entgegenzunehmen. Und die Waldleute befanden sich wohl dabei und segneten Kaiser und Reich.

König Albrecht aber hatte heimlich im Sinn, das wohlgedeihende Land mit den schönen Bergseen seinem Herzogtum Österreich für immer einzuverleiben und das Hirtenvolk zu seinen Untertanen zu machen. Und wie nun die drei Länder das merkten und von ihm als dem deutschen Kaiser und König die Bestätigung ihrer alten Freiheiten verlangten, schickte er ihre Boten heim, und eines Tages kamen seine Reichsvögte ins Land, um dort zu wohnen und die Länder durch Bedrückung aller Art nach und nach für Österreichs Herrschaft kirre zu machen.

Der gewalttätigste und mächtigste war der Landvogt Gessler, der über Uri und Schwyz regierte. Obwohl er eine feste Burg zu Küssnacht hatte, fing er doch noch eine starke Feste im Lande Uri am Steg zu bauen an, die er höhnisch Zwing-Uri nannte. Ein anderer Landvogt, Beringer von Landenberg, sass auf seiner Burg zu Sarnen ob dem stillen See und Dorf und herrschte über Unterwalden. Auf der Burg Rotzberg nid dem Kernwald hielt er noch einen frechen Edelknecht, den Wolfenschiessen. Auch auf der kleinen Felseninsel im Lowerzersee unter der finstern Rigihochfluh wohnte ein Untervogt.

Diese Landvögte nun trieben es immer frecher. Sie plagten die Leute mit Zehntenabgaben und Frondiensten und machten ihnen auf jede Art das Leben schwer. Da verstummten die Jauchzer auf den Alpen, und der Alpsegen klang wie eine Klage durch die Bergwelt. Und wie’s auch die Vögte trieben, die Landleute konnten nirgends Recht bekommen, denn ihr Schirmherr, König Albrecht, hatte ja die Vögte selber ins Land gesetzt.

Eines Tages wollte der Landvogt Landenberg einem Bauer, namens Heinrich an der Halden im Melchtal, dessen Sohn er wegen einer Kleinigkeit gestraft hatte, das schönste Paar Ochsen wegnehmen lassen. Da ergrimmte sein Sohn Arnold, schlug einem Schlossknecht einen Finger von der Hand weg und floh. Racheschnaubend forderte der Landvogt den Sohn vom alten Vater. Doch der wusste nicht, wo sich sein Sohn hingeflüchtet hatte. Da schrie der Vogt: „Ist mir der Sohn entgangen, nehm’ ich den Alten!“ Und alsobald liess er dem alten Mann die Augen ausstechen, also dass das ganze Unterwaldnerland aufjammerte vor Entsetzen und verhaltener Wut.

Der Landvogt auf der Insel Schwanau aber war nicht besser. Er liess eine Jungfrau von Arth in der schönen Bucht am Zugersee, namens Gemma, abfangen, in die er sich verliebt hatte, die aber von ihm, weil er ein Bösewicht war, nichts wissen wollte. Die sperrte er nun in einen finstern Turm ein und schwor, sie erst herauszulassen, wenn sie ihn liebhaben wolle. Aber sie wollte immer noch nichts von ihm wissen. Da entzog er ihr alle Speise und Trank, also dass sie hätte verhungern müssen. Aber sie hatte in Arth einen Liebsten. Der fuhr eines Abends, als der Mond zwischen den beiden Mythen stand, heimlich an die Insel heran. Als er nun unter dem Turm in seinem Fischerkahn stand, warf er so lange mit Seerosen, die rings um die Insel wuchsen, nach dem Fensterlädlein der Jungfrau, bis sie heraussah und merkte, wer ihrer wartete. Aber wie sollte sie vom Turm herunterkommen? Doch weil sie gut schwimmen konnte, empfahl sie ihre Seele Gott und sprang zum Fenster hinaus in den See hinunter. Sie wäre auch glücklich davongekommen, hätten sie nicht die Schlingen der Seerosen unter Wasser gehalten. Als ihr Geliebter ihr nun beisprang und sie heraufzog, war sie schon tot. Da bettete er sie weinend in seinen Kahn und fuhr mit ihr leise, wie er gekommen, davon. Zu Arth aber stellte er sie vor der Kirche aus, denn es war eben Sonntagmorgen, als er mit der toten Braut heimkam. Da ergrimmten die Leute und schwuren in ihren Herzen dem Vogt auf Schwanau blutige Rache.

Am schlimmsten jedoch trieb es der Landvogt Gessler auf seiner Burg zu Küsnacht. Er sagte, er wolle die Bauern so windelweich machen, dass man sie um den kleinen Finger winden könne. Man solle nur warten, bis er die Burg Zwing-Uri fertig erbaut habe. Er brandschatzte die Leute, wie er konnte, und in Uri mussten sie ihm die Steine selbst zur neuen Burg ziehen. Er wurde so frech, dass er am Feste des heiligen Jakob zu Altorf im Lande Uri auf offenem Platze eine Stange aufrichten liess mit einem Hute darauf und befahl, wer immer vorübergehe, habe sich bei schwerster Strafe vor dem Hute zu beugen wie vor des Kaisers Majestät. Das erfüllte das Hirtenvolk mit tiefem Ingrimm.

Damals wohnte zu Steinen am kleinen See von Lowerz der Landammann des Tales von Schwyz, namens Werner Stauffacher. Dieser hatte an den Weg ein stattliches Holzhaus erbauen lassen. Als er nur eines Abends mit seiner Frau Margreth vor dem Hause auf einer Bank sass, ritt der Landvogt Gessler mit seinen in Leuten vorbei. Wie der nun das ansehnliche Holzhaus sah, hielt er an und fragte: „Wem gehört dies schöne Haus?“ Werner Stauffacher, der wohl wusste, wie ihm der Landvogt als dem Landammann von Schwyz übel wollte, antwortete vorsichtig: „Herr, es ist des Kaisers Haus und Eueres und mein Lehn.“ Aber der Landvogt runzelte die Stirne und sagte barsch: „Ich bin an meines Herrn Albrecht statt Regent im Lande und will nicht, dass die Bauern Häuser bauen ohne meine Bewilligung. Ich werde fürderhin nicht mehr dulden, dass ihr also frei lebt, als wäret ihr euere eigenen Herren. Ich werde euch’s künftig zu verwehren wissen.“ Damit ritt er hochmütig weiter.

Da sass nun der Stauffacher und grämte sich bitter. Aber seine Frau, eine aufrechte Schwyzerin, legte ihm die Hand auf die Schulter und begann ihm zuzureden, er und die starken Männer des Tales sollten doch diese Tyrannei nicht länger ertragen. Sie sollten sich zusammentun in allen drei Ländern um den See. Es gebe ja überall so viel zu klagen. Und dann sollten sie beraten, wie sie sich vom Joche der frechen Vögte befreien könnten.

Werner Stauffacher nahm sich die Worte seines wackeren Weibes zu Herzen, und eines Morgens, in aller Frühe, fuhr er in einem schweren Nauen über den Urnersee. Bald sass er zu Altorf unter dem Bannwald im Hause des Urner Landammanns Walter Fürst. Diesem klagte er seines Landes Elend und Bedrückung und offenbarte ihm, dass er nicht länger gewillt sei, des Landes Schmach mitanzusehen. Walter Fürst war von dem Besuche freudig überrascht. Er stimmte ihm in allem bei, da auch das Land Uri unter diesen fremden Schelmen leide, die des Kaisers Schirmrechte in Herrscherrechte verwandelten und sie bald zu Leibeigenen erniedrigten. Und da zeigte es sich, dass eben auch Arnold von Melchtal in Walter Fürsts Hause verborgen war, dessen Vater der Landvogt Landenberg die Augen hatte ausstechen lassen. Er wurde herbeigerufen, und er beteuerte hoch und heilig, dass auch das Land Unterwalden schon längst zum Aufstande gegen die Bedrücker bereit sei.

Nun gelobten sich die drei Männer feierlich in die Hand, alles daranzusetzen, um die Zwingherrschaft der Vögte zu stürzen und dem schwerbedrückten Land die alte gute Freiheit zurückzuerkämpfen. Also machten sie aus, dass nun ein jeder von ihnen, ihrem alten Bundesbrief vom Jahre 1291 getreu, der zu Schwyz heute noch im Turme liegt, in seinem Lande nach vertrauenswerten Talgenossen sich umschauen solle. Danach solle er mit ihnen eines Nachts auf der stillen Wiese beim Mythenstein, die man das Rütli nenne, sich einfinden. Dort wollten sie weiter raten und den alten Bund der Väter erneuern. Es solle aber sonst die Abrede geheim gehalten werden. Und sie setzten die Nacht fest, in der sie zusammenkommen wollten.

In einer kühlen Bergnacht, am sechsten Tag des Wintermonats nach Martini, da stieg von Seelisberg herab eine Schar Hirten auf die stille, vom Bergsee umwellte Wiese. Es war Arnold von Melchtal mit zehn Talgenossen aus Unterwalden, darunter der Keller von Sarnen und der Winkelried von Stans. „Hier ist das Rütli,“ sagte einer aus der Schar, „wir Unterwaldner sind die ersten auf dem Platze.“

Sie machten ein kleines Feuer an, um das sie sich herumsetzten, der Freunde aus den Ländern Uri und Schwyz gewärtig. Der Mond stand hoch ob den Schneebergen, und sein heller Schein baute einen goldenen Steg über den See. Auf einmal sprang ein Unterwaldner auf und zeigte auf die stillen Wasser hinab, in deren goldenen Schein eben ein schwerer Nauen stach. „Die Schwyzer kommen!“ sagte er. Und jetzt tauchte das Schiff vollends auf und näherte sich rasch dem grünen, felsenumzirkten Gelände. Da stieg als erster Werner Stauffacher, der Landammann von Schwyz, ans Ufer, und ihm folgten zehn Talmänner, von denen die Altlandammänner Konrad ob Yberg und Konrad Hunn in gar hohem Ansehen standen. Herzlich begrüssten sie einander am stillen Weidfeuer. Und nun erzählten sich die Hirten von der Länder Not und der Vögte Übermut.

Auf einmal zeigten sich im Gefelse ob der stillen Waldwiese wandelnde Lichtlein, und bald danach stieg Walter Fürst von Uri auf die Waldwiese herunter. Mit ihm kamen zehn Targenossen, deren angesehenste Werner von Attinghausen und der Meier von Silenen waren. Auch der gehörnte Träger des grossen Heerhorns von Uri, des Uristiers, erschien mit ihnen.

Mit Freuden wurden sie von den Männern von Schwyz und Unterwalden aufgenommen. Es war schon spät in der Nacht, als sie sich ob den drei Quellen, die auf der Wiese entspringen, zusammentaten und gemeinsam ratschlagten, wie sie ihre Länder von dem Joche der Landvögte befreien könnten. Und als sie nun einig waren in allem, erhoben die Talleute der drei Länder von Uri, Schwyz und Unterwalden die Hände und schwuren den ewigen Bund. Und sie schwuren bei Gott und allen Heiligen, was unser liebster deutscher Dichter nachmals so schön in Verse gebracht hat:

„ Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,

In keiner Not uns trennen noch Gefahr!

Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

Eher den Tod als in der Knechtschaft leben.

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

Und unnicht fürchten vor der Macht der Menschen.“

Den Aufstand gegen die Landvögte aber hatten sie in offener Abstimmung wie an der Landsgemeinde bis zum kommenden Neujahrstag verschoben.

Jetzt fing es an zu tagen. Um die Bergfirsten glühte das Morgenrot, und auch die Firnen begannen sich allmählich zu röten, und langsam dämmerte es über den stillen Bergsee.

Da erhob der Landammann, der mitten im Kreise der Eidgenossen stand, das Schwert und zeigte nach den roten Bergen. „Es ist hohe Zeit, dass wir heimkehren!“ sagte er kurz.

Bald raschelte und knackte es im Wald, und von den schmalen Felsenpfaden rollten Steine in die Tiefe. Die Urner und Unterwaldner stiegen wieder über die Berge in ihre Länder zurück. Auf dem See aber, der nun leuchtete wie ein Fensterscheiblein im Sonnenaufgang, trieb der schwere Nauen der Schwyzer hurtig am Mythenstein vorbei gen das noch stille Gestade von Brunnen. Im Schiffe aber stand Werner Stauffacher, auf sein breites Schwert gestützt, und sah mit dräuenden Augen nach den beiden Hakenbergen ob Schwyz, ob denen der Morgenstern leuchtete.

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