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Die Helvetier und die Römer.

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Einst lebte in der Schweiz ein grosses keltisches Volk, die Helvetier. Ihre Städte und Dörfer standen vorab im mittleren und westlichen Schweizerland. Sie trieben Ackerbau und Viehzucht und waren glücklich dabei.

Unter ihnen lebte aber ein mächtiger Fürst, namens Orgetorix. Der war sehr ruhmsüchtig. Es gefiel ihm nicht, bloss ein Fürst in den Gauen Helvetiens zu sein. Er wollte nach Gallien ziehen, wo heute Frankreich liegt, und dann die Römer angreifen und Rom erobern. Von dort aus wollte er die Welt beherrschen. Er begann die Hirten in allen Gauen heimlich aufzuhetzen und liess ihnen sagen: „Warum wollt ihr denn in einem so kleinen und dürftigen Lande bleiben und zeitlebens arme Hirten sein? Lasst uns aufbrechen und das Land der Gallier erobern, wo der gute Feuerwein wächst. Niemand wird eurer Tapferkeit widerstehen können.“ Nach und nach stimmte ihm in geheimen Versammlungen fast alles Volk zu, und sie beschlossen, zusammen mit Weib und Kind zur Eroberung Galliens auszuziehen.

Aber endlich vernahmen die höchsten Fürsten des Landes doch seine Anschläge und luden ihn vor Gericht, damit er sich verantworte, denn sie bedrohten ihn als einen Landesverräter mit dem Feuertode. Jedoch Orgetorix kam zum öffentlichen Gerichtstage nicht allein, ihn begleiteten zehntausend Männer seines Gaues, die ihn vor seinen Feinden beschützen sollten. Doch da strömte das ganze helvetische Volk herbei, und es drohte ein furchtbarer Bruderkrieg auszubrechen. Da stürzte sich Orgetorix ins eigene Schwert und starb.

Nach seinem Tode vergassen aber die Helvetier seine grossen Pläne nicht mehr. Sie blieben unzufrieden in ihrem schönen Berglande. Und eines Tages beschlossen sie dennoch, in Gallien einzubrechen, um das fruchtbare Land zu gewinnen. Sie rüsteten also für drei Monate Lebensmittel. Darnach steckten sie ihre zwölf Städte und vierhundert Dörfer in Brand, denn nie mehr wollten sie nach Helvetien zurückkehren. Sieg oder Tod war ihr Losungswort.

Mit Frauen und Kindern, die sie in Wagenburgen mitschleppten, zogen sie am grossen Lemansee entlang gegen Genf, ihrer über zweimalhundertfünfzigtausend Menschen. Ihr oberster Anführer war der alte, schneeweisse Held Diviko, der einst als junger Mann die Römer zurückgeschlagen hatte.

Aber die Römer hatten den Anzug der Helvetier schon vernommen. In Eilmärschen rückte ihnen ihr berühmtester Feldherr, Julius Cäsar, entgegen und schlug sie in einer furchtbaren Schlacht bei Bibracte, nicht mit überlegener Tapferkeit, aber mit besseren Waffen und grösserer Kriegskunst. Über hunderttausend Helvetier bedeckten das Schlachtfeld. Die Überlebenden zwang der römische Feldherr, wieder in ihr eben verlassenes Land zurückzukehren, wo sie ihre Städte und Dörfer wieder aufbauen mussten. Aber Kraft und Mut des helvetischen Volkes war für immer gebrochen.

Bald rückten römische Besatzungen und Heere ins Land, die auch die tapfern Walliser und die wilden Rhätier im heutigen Graubündnerland unterwarfen. Diese gingen nach und nach in ihnen auf und nahmen sogar ihre Sprache an, die die Rhätier der wundervollen Bergtäler des Engadin heute noch sprechen. Grosse Städte entstanden, wovon Vindonissa im Aargau und Aventicum im Waadtland die grössten waren. Durch das ganze Land hinauf vom Lemansee bis zum Bodensee und bis ins Hochgebirge des Oberrheins gingen die römischen Türme.

Wenn nun die wilden deutschen Stämme jenseits des Rheins, die Alamannen und Sueben, ins Land der Helvetier einzubrechen drohten, flammte auf dem nächsten römischen Wachtturm am Rhein ein Feuer auf und dann auf dem etwas weiter abliegenden und dann auf dem noch weiter entfernten. Und so gingen nach und nach die Alarmfeuer von einem Wachtturm zum andern himmelan bis zu den Hauptlagern der römischen Soldaten, aus denen diese, sobald sie die Gefahr erkannten, mit Macht auszogen und zum bedrohten Rhein eilten, um die deutschen Völker von dem Fluss, der überall feste Grenzhäge hatte, abzuhalten.

Mehr als zweihundert Jahre beherrschten also die Römer das Land Helvetien, bis eines Tages die Alamannen und Sueben, wie ein langgestauter Bergstrom, über den Rhein hereinbrachen, alles vor sich niederwarfen und das schöne Land in Besitz nahmen. Die römischen und helvetischen Männer schlugen sie fast alle tot, aber ihre Frauen und Kinder liessen sie leben, und heute noch kann man manch einem träumerischen, hellen Kinderäuglein ansehen, dass sein Urahne einstmals zu jenem seltsamen verschollenen Volke gehörte, das einst aus Helvetien auszog, den sonnigen Süden zu erobern.

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