Читать книгу Werwolfsgeheul - Melanie Ruschmeyer - Страница 8

Aufbruchstimmung

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In den letzten drei Tagen hatte sich mein Verstand nur um diese eine Sache gedreht. Sie ließ mich nicht mehr los und beeinträchtigte jegliches Handeln. Vollends ging ich darin auf und tat mich schwer es geheim zu halten. Aber es hatte auch einen gewissen Charme ein Geheimnis zu haben, welches so gefährlich und süß zugleich war.

Am liebsten wäre ich sofort nach meinem endgültigen Entschluss aufgebrochen, doch ich übte mich in Geduld. Auf der einen Seite hätte es zu viel Aufsehen erregt, wenn ich umgehend verschwunden wäre und zum anderen brauchte ich einen wasserdichten Plan. Mein Geruch würde schnell im Wolfsrevier erkannt werden. So viel Glück wie damals, hatte man nicht zwei Mal. Außerdem war ich in dieser Zeit auch nicht alleine gewesen. Meine damalige Begleitung hatte zu dem noch wesentlich mehr Erfahrung mit dieser drohenden Gefahr, die von den Werwölfen ausging, als ich. Leider würden sie mir nun nicht zur Seite stehen können und ich musste mich voll und ganz auf meinen eigenen Instinkt verlassen.

Chinesisch war wirklich keine einfache Sprache, das musste ich zugeben. Ich hatte mich mit ihr auseinandergesetzt um in der Region nicht als Tourist zu gelten. Die Zeit zum Lernen war knapp bemessen, doch ich war voller Zuversicht dass meine schnelle Auffassungsgabe mir erneut ein Rettungsanker sein würde.

Vor allem würde ich Nahrung brauchen und das war das größte Problem, was sich mir stellte. Ich weigerte mich in der Stadt oder auf dem Land dem Jagdtrieb nachzugehen, ich wollte keine Menschen töten. Des Weiteren würde diese Art der Nahrungssuche zusätzlich schlafenden Hunde wecken und das war bei weitem nicht das, was ich mir wünschte! Außerdem wusste ich nicht, wie ich die Unmengen von Blutkonserven transportieren sollte.

Als wir nach Deutschland geflogen waren hatte sich Li darum gekümmert, dass wir unsere Ration hatten mitnehmen können. Er wusste genau wie er die Geräte umgehen oder austricksen konnte. Nun war ich auf mich alleine gestellt. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie er es angestellt hatte die Konserven durch den Zoll und die ganzen Beamten zu schmuggeln. Ihn zu fragen, hätte etliche andere Rückfragen zur Folge gehabt und ich wollte niemanden auch nur den kleinsten Anhaltspunkt dalassen. Dies war meine Schlacht. Eine Schlacht, in die ich niemanden hineinziehen wollte. Angst einen erneuten Krieg herauf zu beschwören, kam mir dabei gar nicht. Genau genommen, war jetzt der beste Zeitpunkt um meine Jagd zu beginnen. Die Werwölfe waren in den Grenzgebieten beschäftigt, oder führten Verhandlungen mit Carlos. Was es auch immer wahr, in diesen Unruhen sah ich die Möglichkeit unterzutauchen.

Schließlich hatte sich mir auch eine Variante eröffnet das Blut einzuschmuggeln. Über die drei Tage hinweg hatte ich unseren Essensvorrat etwas dezimiert.

Die Post hatte es mir möglich gemacht meinen Plan etwas umzugestalten, aber dennoch einwandfrei durchzuführen. Ich fand eine Zustellmöglichkeit, in der ich den Tag der Auslieferung bestimmten konnte. Das Blut wurde somit bei der Post eingelagert. Auch wenn ich es als Kühlware kennzeichnete, glaubte ich nicht recht, dass sich jemand daran hielt. Wenn es auch nicht mehr allzu frisch wäre, war es immer noch besser, als nichts. Meine Wahl für den Auslieferungsort fiel auf ein altes, fast abgerissenes Lagergebäude. Bei dem Wucherpreis, den ich denen dafür bezahlt hatte, war es auch das Mindeste, dass sie mein kostbares Gut pünktlich überbringen würden. Anfangs wollten sie mir ein Schließfach andrehen, doch gleich nach meiner Landung direkt in die Stadtmitte zu fahren, um mein Paket entgegenzunehmen, war mir doch etwas zu riskant. Schließlich wollte ich mich nicht sofort in den Menschenmassen der Großstadt tummeln und eine leichte Zielscheibe abgeben. Das war mir einmal zu viel in Hong Kong passiert! Mein Plan war weitaus ausgefeilter.

Heute würde ich zum Flughafen aufbrechen müssen, um letzten Endes rechtzeitig an dem besagtem Ort zu sein, wenn das Paket geliefert wurde.

Es war alles perfekt auf einander abgestimmt. Heute war Alexander mit den anderen zu einem Basketballspiel verabredet. Wir Frauen hatte nicht sonderlich das Interesse daran und ich hatte bereits angekündigt, dass ich während des Spiels einkaufen ginge. Am Anfang war Josy total begeistert gewesen und ich hatte schon Sorge, wie ich sie loswerden sollte. Doch es war alles anders gekommen. Zwei der kleinen Vampirwölfe waren erkrankt. Sie hatten Fieber und Josy würde zu Hause bleiben müssen. Es war nicht so schlimm, wie es anfangs ausgesehen hatte. Trotz allem blieb sie bei den Kleinen und ihrer verängstigten Mutter.

Manchmal hatte eben auch ich pures Glück, obwohl es mir trotzdem um die kleinen Welpen leid tat. Aber sie würden wieder gesund werden und das war die Hauptsache.

Um mir wenigstens einen kleinen Vorsprung zu verschaffen, hatte ich einen Zettel hinterlassen, der meine Familie auf eine ganz andere Fährte bringen sollte:

Ich habe mich so eben entschlossen nach Deutschland zu fliegen und das Grab meiner Mutter aufzusuchen, auch wenn ich nicht genau weiß, ob es wirklich existiert. Es war mehr eine Kurzschlussreaktion, denn der Todestag von Alexanders Mutter hatte mich wach gerüttelt. Auch ich hoffe einen Ort zu haben, an dem ich Trauern und meine Mutter besuchen kann. Ich entschuldige mich schon jetzt für meine aufbrausende Art, aber es ließ mich nicht mehr los. Ich werde zurück sein, sobald ich mich richtig von ihr verabschieden konnte.

Alles Liebe,

Sarah

Eigentlich war das schon ziemlich gemein, denn Alexander hatte mir versprochen mich zu diesem Grab zu begleiten. Genau auf diese Geste vertraute ich im stillen. Er sollte sich überstürzt aufmachen und mich suchen. Die Zeit, die ich dabei gewann, wäre von unschätzbarem Wert. Allerdings nutzte ich seine Zuwendung schamlos aus, was mich in jeglicher Hinsicht sehr traf. In meinen Augen gab es aber keine andere Möglichkeit.

Vermutlich würde Alex anfangs keine großen Nachforschungen anstellen. Obgleich mir Li wohl sehr schnell auf die Schliche kommen würde, dass ich einen ganz anderen Flug angesteuert hatte, als es den Anschein hatte.

Wieder einmal nervte mich der Verkehr und ich fluchte innerlich über meine eigene Dummheit nicht das Motorrad genommen zu haben. Irgendwie hätte ich das Teil schon zum Laufen gebracht und das Fahren wäre sicher mit den Vampirinstinken eine Leichtigkeit gewesen. Okay, ich gab zu, dass sich hier die erste Lücke in meinem Plan auftat und ich hoffte, dass ich mich nicht noch mehr Fehldiagnosen gegenübersah.

Genervt zuckte mein linkes Auge und ich krallte mich in das Lenkrad. Dabei gab ich Obacht dass meine Fingernägel nicht meine Lederhandschuhe löcherten. Genau genommen hatte ich genügend Zeit mich in aller Seelenruhe aus dem Staub zu machen und trotzdem wollte ich jede Sekunde herausholen, die ich nur finden konnte. Alles stand im Zeichen der Panik und füllte mich komplett aus wie ein Ballon, der sich unaufhörlich aufblies. Adrenalin suchte sich seine Wege und reizte mich extrem. Wie die Lava in einem Vulkan heizte es mich an und wollte mich zum explodieren bringen. Doch trotz meiner eigentlich gut durchdachten Planung, ließen mich die negativen Gedanken nicht alleine. Alles kreiste um die Zeit und all dass was ich damit verband. Ich war mir sicher, dass Li sehr schnell die richtigen Schlüsse ziehen würden. Vielleicht auch zu schnell?! Alexander, so hoffte ich, würde sich in diesem Augenblick nichts von ihm sagen lassen. Er wäre getrieben von seinen Schuldgefühlen mich alleingelassen zu haben.

Mein Puls raste wie von einem Marathon getrieben. Die Gedanken waren so wild, dass ich sie nicht bändigen konnte. Immer wieder aufs Neue schoben sie sich an die Oberfläche und raubten mir den Verstand. Ich wünschte mir wenige Minuten der Klarheit, in denen es nicht an den Schläfen pochte. Fühlten sich so die Verbrecher, wenn sie wussten, dass ein Verbrechen vor ihnen lag? Oder fühlten sie sich so, wenn sie bereits wussten, dass ihnen jemand auf den Fersen war?

Warum war dies so schlimm für mich, wenn ich doch bereits eine Flucht hinter mir gehabt hatte? Gut, ich hatte damals geglaubt einen Plan gehabt zu haben, aber er war löchriger als ein Käse gewesen! Dennoch war ich den Maguire entkommen und hatte mich trotz allem nie einem derartigen Gefühlschaos gegenüber gesehen.

Es traf mich wie ein Faustschlag. Die Erkenntnis war so klar, wie die Windschutzscheibe vor mir. Ein kleiner Funke signalisierte mir, das ich nicht nur aus Rache zu Carlos gehandelt hatte. Ich war wütend und zwar nicht nur auf ihn! Ich war auch wütend auf Alexander, der etwas vor mir verheimlicht hatte, was in meinen Augen so wichtig erschien. Nicht nur der Adrenalinkick wühlte mich auf, sondern auch die Tatsache, dass man mich erneut um Fakten betrügen wollte. War ich etwa wieder aus reiner Kurzschlussreaktion abgehauen?

Ein bitterer Geschmack legte sich auf die Zunge. Noch konnte ich umdrehen. Meine Lider wurden schwer, als ich über das Für und Wieder nachdachte.

Stets hatte ich meinen Weg finden wollen. Hatte stark sein wollen. Auch wenn ich es in den letzten Monaten oft bewiesen hatte, würde diese eine Hürde mir immer im Weg stehen. Drehte ich jetzt um, würde ich diesen Schritt wohl für den Rest meiner Ewigkeit bereuen.

Ein lautes Knurren erfüllte meine Kehle und die magische Energie meines zweiten Ichs schien mich erschaudern zu lassen.

Nein, ich durfte nicht zulassen, dass jemand anderes diesen Schritt tat. Er gehörte mir, mir ganz allein. Es war meine Aufgabe das Gleichgewicht zwischen Vampiren und Werwölfen wieder herzustellen und die Welt von einem Schandfleck zu befreien, der schon längst seiner Taten willen hätte ermordet werden müssen!

Nicht noch einmal würde ich zulassen, dass jemand meinetwegen starb oder Schmerzen litt!

Plötzlich brach ein Huporchester los und ich schreckte zusammen. Mehrere Fahrzeuge bremsten abrupt ab und betätigten wütend ihre Hupen.

Ich war derart vertieft gewesen, dass mir nicht aufgefallen war, das ich eine rote Ampel übersehen hatte. Egoistisch fuhr ich weiter. Ich hatte es nun mal eilig, müssten die anderen halt warten!

Aber auch ich sollte kurz darauf wie eine Schnecke vorwärts kommen, weil der Verkehr wieder einmal in dieser großen Stadt fast zum Erliegen kam. Das Hupen und der Lärm der Motoren wurde mir allmählich zu wider. Instinktiv musterte ich die hohen Gebäude der Metropole. Das Licht spiegelte sich in ihren Fenster und regnete in Staubkörnchen auf die unzähligen Passanten herab. Was hätte ich dafür gegeben einfach von Dach zu Dach springen zu können! Auch wenn ich früher als Mensch wohl niemals darüber nachgedacht hatte, war es mittlerweile für mich schon fast zur Normalität geworden. Es zerrte bereits bei geringem Stau an meinen Nerven. Wofür im Besitz unmenschliche Kräfte und übernatürliche Fähigkeiten sein, wenn sie hinter Verschluss bleiben mussten?

Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis ich den Parkplatz des Flughafens erreichte. Mein Handy ließ ich im Wagen, schützte es jedoch vor diebischen Blicken und packte es in die Beifahrerklappe. Ich verzichtete gerne auf dieses moderne Gerät, denn Li sollte nicht glauben, dass ich ihm meine Ortung über Satellit leicht machen würde.

Um das Auto brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Wenn es wirklich irgendwann abgeschleppt werden würde, würde das Geld ohnehin für sich sprechen.

Bei der Information erkundigte ich mich nach den beiden Flügen, die ich zuvor im Internet herausgesucht hatte. Wenige Plätze waren noch frei. Zwei Zwischenstopps musste ich in Kauf nehmen; Tokio und Shanghai. Allerdings würde selbst Li mich nicht mehr mit seinem privaten Jet einholen können, wenn man davon ausgehen konnte, dass er auf meinen gezinkten Brief hereinfiel. Auch der Flug nach Deutschland war mit Zwischenstopps verbunden und die Frau an der Information musterte mich fragend, da ich keine Begleitung für ein zweites Ticket bei mir hatte. Schließlich würde einer der gebuchten Plätze leer bleiben, aber das konnte sie nicht wissen. Doch schließlich war auch sie nur ein Geldeintreiber und hakte nicht nach.

Ich bezahlte mit meiner Karte und begab mich in den Check-In. Alexander würde durch die Kontobewegungen sehr schnell herausbekommen wohin ich geflogen war, aber auch darum machte ich mir sonderlich wenig Gedanken. Die Zeit stand für sich und zwar für mich! Ganz egal was meine Gedanken versuchten mir einzureden, ich wusste doch, dass ich es schaffen würde.

Eines jedoch überschattete alles. Es umfing mich wie ein Netz. Jeder Widerstand war zwecklos. Das imaginäre Netz schnürte mich ein; quetschte und drückte. Eine Ohnmacht ließ mich schwanken und ich sah mich gezwungen, auf einen der Wartesitze platz zu nehmen. Etwas packte mich und wollte mich in die tiefe Dunkelheit meines Unterbewusstseins ziehen. Die erste große Lücke meines gut durchdachten Plans holte mich ein und ich schnappte nach Luft. Ohne es zu wollen glitt meine Hand zu der Brust und tastete nach dem Ring an der Kette. Er war noch da! Er würde immer da sein! Dennoch stand dieses geliebte Stück gerade für etwas, was ich vollends vergessen hatte. Den Seelenbiss! Ein Fluch und ein Segen! Er war wie ein Kompass! Alexanders Herz würde ihn sofort nach Osten ziehen, spätestens aber, wenn er in Deutschland angekommen war um sein Versprechen mir gegenüber einzuhalten. Er würde fühlen, dass er dort nicht richtig war. Vielleicht schätzte ich ihn falsch ein und er würde schneller verstehen, dass sein geliebter Seelenbiss eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatte, als ihm lieb war…

Im Flugzeug stiegen mir immer wieder verführerische Gerüche in die Nase. Zwischen dem widerwärtigen Nebel aus Parfüm, Make up, Cremes, Deodorants und Schweiß drückte sich eine seltene Blutgruppe hervor. Wie süßer Honig gaukelte sie mir vor getrunken werden zu wollen. Ich hatte das Gefühl verrückt zu werden! Warum gerade in dieser Enge? Dazu kam noch das rhythmische Schlagen von unzähligen Herzen. Wie ein Konzert der weltbesten Band klimperte es in meinen Ohren. Ich krallte mich in den Lehnen meines Sitzes fest und schaute panisch auf die Uhr. Erst zwei Stunden vergangen und der Flug schien noch endlos zu sein. Ich sackte in meinem Sitz zusammen und fühlte mich so beengt, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Warum hatte man mir auch noch zusätzlich einen Sitz zwischen zwei Männern gegeben, die nicht gerade dünn waren? Tief atmete ich ein und guckte an die Decke. Die Schalter für das Licht und die Flugbegleitung vermochten mich nicht zu beruhigen und so schloss ich die Augen. Es war so schwer dies alles zu verdrängen. Die Begierde schoss in mir hoch wie ein Pfeil. Sie stach in mein Herz und vergoss ihr bitteres Gift in meinen Lebenskreislauf. Nichts schien mich zur Ruhe zu bringen. Die Hände zitterten und der Atem ging schwerfällig. Der Speichelfluss hörte nicht auf und beherrschte meinen Mund wie Wasser das Meer. Während sich alles zu drehen anfing, glaubte ich am eigenen Leib zu erfahren, wie es war verrückt zu werden. Ich drehte durch! Es war so weit! Kriegerisch kämpfte ich dagegen an. Drängte die ganzen Gefühle in eine Kiste und schloss sie zu.

Hastig schlug ich die Augen auf und suchte nach Ablenkung. Grummelnd griff ich nach einer Zeitung, die in der Rückenlehne meines Vordermanns verborgen war und blätterte geistesabwesend darin herum. Irgendetwas musste mich doch einfach ablenken können?! Doch egal was ich las, die Zeilen wurden ständig von den Gesprächen der Umgebung untermalt. Auch wenn die Menschen im Glauben waren, sehr leise zu sprechen, drangen ihre Unterhaltungen wie Donnerschläge an mein Ohr heran. Hier und da nahm ich ungewollt Dinge auf, die ich nicht wissen wollte und die wohl auch niemanden etwas angingen.

In dieser kurzen Zeitspanne hatte sich dieses Bild ziemlich oft wiederholt, doch der gewünschte Effekt von Gelassenheit und Gleichgültigkeit blieb leider aus.

Schließlich zerknüllte ich wutentbrannt das Papier, warf es auf den Boden und fluchte wie wild. Wie ein wütendes Kind stampfte ich auf den Boden, als wenn ich nicht das bekommen hatte, was ich wollte. Der Ton, den ich erzeugte, war dumpf und quoll wie eine Welle durch den Gang. Für einen Sekundenbruchteil erstarrte ich und war nur glücklich darüber, das Flugzeug nicht beschädigt zu haben. Die verwunderten und abwertenden Blicke aus meiner näheren Umgebung sprachen für sich, aber das war mir egal. Nicht, das ich diese sowieso schon die ganze Zeit in Anspruch genommen hätte, denn wer trug schon eine Designersonnenbrille in einem Flugzeug und war so blass wie ein Toter?

Schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust, griff nach meinem Kopfhörer, der auf meinen Schoß lag und versuchte mich auf den Film zu konzentrieren. Die ersten Szenen flimmerten gerade über die Bildschirme.

Bei den letzten Flügen war es mir sichtlich besser ergangen. Denn meine übertriebene Nahrungsverweigerung zeigte nun erneut seine potenzielle Kraft. Zwar hatte ich extra daran gedacht genügend vor Abflug zu trinken, aber die ganze Zeit zuvor hatte ich in Abstinenz gelebt. Natürlich von den zwei Malen abgesehen, wo Marie im Haus gewesen war. Ich hatte mir den ersten Vorfall nicht genug zu Herzen genommen, was sich als fatalen Fehler herausstellte. Nun wusste ich, wie sich ein Pfarrer fühlen musste und beneidete ihn in keinster Weise, selbst dann nicht, wenn er sich freiwillig für dieses Leben entschieden hatte.

Mein Experiment schien allerdings zu geringen Teilen Erfolg zu zeigen. Trotz meines Hungers verspürte ich noch keine erneute Einschränkungen meines Sehvermögens und Ermüdungserscheinungen. Alles in Allem ein kleiner Trost, der leicht dadurch getrübt wurde, dass ich gereizt und unausstehlich war.

In so einem kleinen Raum wie einem Flugzeug war es trotz allem verhängnisvoll. Die Schläge eines jeden Herzens wurden von den Wänden wie Schallwellen zurückgeworfen und ich glaubte fast, dass ich sie magisch anzog. Wie ein schwarzes Loch sog ich sie in mir auf und jeder mörderische Gedanke zog sich schmerzhaft in mein Bewusstsein. Eine Zeit lang hatte ich sogar mit mir gehadert, ob ich meinem Trieb nicht einfach freien Lauf lassen sollte. Kurz darauf verwarf ich die Idee wieder. Denn wie sollte ich ein Flugzeug steuern? Na ja, ich hätte auch einfach die Besatzung am Leben lassen können. Doch irgendwie wollte mir nicht in den Sinn, wie ich nach der Landung unauffällig meiner Jagd nachgehen konnte, wenn ich wieder einmal einen Pfad der Verwüstung hinterließ!

Nein! Nein! Nein! Nein, nicht schon wieder! Immer wieder nötigte mich mein Instinkt dazu diese Worte in meinem Kopf zu materialisieren und so drückte ich parallel den Lautstärkeknopf auf meiner Lehne. Mein Sitznachbar hatte sich keine Kopfhörer gekauft, aber mittlerweile war dies auch nicht mehr von Nöten, denn er konnte die Sätze und die Filmmusik bereits von mir aus gut abfangen. Es war mir egal wie ich auf die vielen Sterblichen wirkte. Vermutlich hätte ich an ihrer Stelle auch über mich gelacht oder gelästert. Aufgeblasene Wangen, zusammengepresste Lippen, fanatischer Blick zum Bildschirm, knirschende Zähne, ein krankhafter Zwang den Lautstärkeknopf zu zerstören und ein Gesamtanblick, als wenn ich derart Flugangst hätte, die schon an Wahnsinn grenzte. Irgendwie begann ich an meiner Plan zu zweifeln und das schon nach so kurzer Zeit!

Auch wenn die Lautstärke bereits ihr Maximum erreichte, wollten meine Reflexe die Fingerspitze und den Knopf nicht trennen. Sie waren zu einer Einheit geworden. Wie unter Trance drückte ich weiter und starrte auf den flimmernden Bildschirm. Der Film war ziemlich langweilig. Selbst die vielen Actionszenen konnten ihn nicht aufleben lassen und das Blut was hier und da an den Darstellern klebte, half nur unwesentlich dazu bei mich zu beruhigen. Ganz um Gegenteil! Es ließ Bilder in meinem Kopf entstehen, die ich nur sehr schwer los wurde. Eine Verschwörung, wie so oft! Warum traf eigentlich nur mich das blanke Pech?

Dann glaubte ich etwas gehört zu haben. Etwas, was nicht zum Film passte und schüttelte einfach nur leicht den Kopf. Angespannt wie eine Bogensehne beugte ich mich vor und kniff krampfhaft die Augen zusammen. Wie ein Tier fixierte ich meine Beute. Nichts sollte mich von diesem kleinen Kasten über den Köpfen meiner Vorderleute ablenken.

Doch dann hörte ich wieder etwas. Ein Gemurmel drang an mein Ohr und ich glaubte fast zu zerplatzen. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass durch diese Lautstärke noch immer Stimmen von Außen an mich herantraten. Ich wollte sie endlich in weite Ferne wissen. Mein rechtes Augen begann widerspenstig zu zucken.

Ich konnte gar nicht aufhören den Lautstärkeknopf zu drücken, es mutierte zu einer regelrechten Sucht! Immer schneller drückte ich den Knopf.

Plötzlich bemerkte ich eine träge Reaktion zu meiner Linken und fluchte aufs Neue innerlich darüber, dass man mir ein Ticket zwischen zwei Menschen verkauft hatte.Wie toll wäre es wohl gewesen links oder rechts zu sitzen und nur einen nervigen Nachbarn zu haben?!

Der Druck auf meinem linken Ohr ließ nach und der Kopfhörer wurde leicht angehoben. Der Lärm der Umgebung prasselte auf mich ein wie ein schlimmer Jahrhundertregen.

››Putenbrust oder Lachs?‹‹, schrie eine quirlige Frauenstimme in mein Ohr und ich zuckte unter dem brutalem Ton zusammen. Er war so nah wie ein donnernder Gong! Erschütterungen vibrierten durch all meine Zellen und ließen einen Schmerz im Kopf entstehen, der mich um den Verstand brachte. Ich fühlte wie das Tier in mir sich zu winden begann. Es kämpfte gegen die drohende Gefahr einer Niederlage.

In diesem Augenblick sah ich Rot. Blutrot! Und es war nicht der Schleier, der mir die Sicht nahm, es war das endgültige Gefühl in die Tiefe gezogen zu werden. Ein Abgrund, der von Wut und Zorn nur so strotzte. Ich fühlte mich wie ein Stier vor dem Stierkampf. Er wusste, dass er irgendwann unterliegen würde. Dennoch würde er noch einmal mit aller Kraft das rote Tuch jagen, was ihn so sehr verpönte!

Sicherlich, es war die Arbeit einer Flugbegleitung und eigentlich konnte sie auch überhaupt nichts dafür, aber das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.

Blitzschnell befreite ich mich mit einem gekonnten Griff von meinem Gurt. Die Frau wusste gar nicht wie ihr geschah, als sie plötzlich den Kopfhörer in Händen hielt und verdutzt einen leeren Platz anstarrte. Wie ein Blitz war ich aufgestanden und hatte mich im Gang postiert. Die Wut drückte sich in undurchsichtigem Dampf aus meinen Nasenlöchern und das Feuer brach über meine Augen herein wie ein Urknall. In Zeitlupe drehte die arme Frau den Kopf und verstand nicht was ihr gerade bevorstand. In ihren Augen musste ich wie ein fleischgewordener Albtraum wirken. Das Gewitter, das sich über meinem Kopf imaginär entfaltete, forderte meine Nackenhaare auf sich zu sträuben. Ich war innerlich so geladen, dass der Druck einfach irgendwo hinaus musste.

››Ist es zu viel verlangt, einfach diesen beschissenen Film zu schauen?‹‹, fragte ich hysterisch und legte ein Knurren nach, was jedes Wiederwort im Keim erstickte. Die Flugbegleitung hätte mir richtig leid tut können, wenn ich nicht gerade außer Kontrollen geraten wäre. Sie stand wie angewurzelt da und zitterte. Aus ihrem offen stehendem Mund kam nichts heraus, sie suchte nach Worten, die sie sich sowieso nicht trauen würde auszusprechen. Im Gegensatz zu mir musste sie Fassung bewahren. Für liebe, nette Worte und gutes Aussehen wurde sie schließlich bezahlt.

››Jetzt übertreiben sie mal nicht. Die Frau tut nur ihren Job!‹‹ Der Mann eine Reihe vor mir stand auf und wollte die Dame verteidigen. Es war eine reine Kurzschlussreaktion, der ich mich unterwarf und damit endgültig komplett unbeliebt machte. Die ganze Zeit hatte ich ungewollt den Unterhaltungen um mich herum gelauscht; sie regelrecht abgefangen, wie falsch zugestellte Post. Etliche Dinge, die niemanden interessierten oder etwas angingen! Allesamt platzen aus mir heraus, wie aus einer unzensierten Schlagzeile.

››Willst du mich auf den Arm nehmen? … Sag doch der Flugbegleitung mal, was du zu deinem Freund neben dir gesagt hast! ´Die hat ja einen geilen Arsch, die würde ich gerne mal …´ Gehört das etwa zur ihrer normalen Arbeit, mal ganz davon abgesehen, dass sie dich sowieso nicht einmal mit ihrem Hintern anschauen würde, so wie du aussiehst?‹‹ Wie eine Furie schaute ich durch die Reihen von Köpfen, die natürlich allesamt auf mich gerichtet waren und zeigte auf zwei Frauen: ››Und du solltest es lieber bleiben lassen und deiner Sitznachbarin und angeblich besten Freundin deine Beschwerden erzählen. Als du zur Toilette gegangen bist, hat sie nämlich erst einmal gewaltig über dich hergezogen.‹‹ Ich hatte kein Interesse der Szene zu folgen. Ich sah lediglich wie die eine Freundin die andere wütend fixierte.

Wie mit dem Wagon einer Achterbahn fuhr ich über Kufen und Gefühle wie nichts Gutes. Die Sucht ließ mich Dinge sagen, die ich gar nicht wollte. Ich wurde zu etwas Scheußlichem. Ich konnte der Droge jedoch nicht entkommen. Ich musste sie ausschwitzen, um sie loszuwerden.

››Ach und du da, ich bin keine Verrückte. So welche wie ich werden jährlich zur Miss World gekürt!‹‹

Ich konnte gar nicht mehr auf hören und die Gesichter wurden immer fragwürdiger. Irgendwann hatte ich alle mit ihren Problemen, Beschwerden und dummen Kommentaren beworfen und sackte glücklich und mit einem breitem Lächeln zurück in meinem Sitz. Die pochenden Schläfen rieb ich mir genussvoll und glaubte endlich es hinter mich gebracht zu haben.

››Ach so, sie hätte ich beinahe vergessen‹‹, sagte ich wieder total ruhig und drehte mich zu der verängstigten Flugbegleitung, ››ich habe keinen Hunger, aber danke der Nachfrage.‹‹ Der Durst jedoch wirkte sich natürlich anders auf mich aus und stellte meine eben noch so euphorisch darlegte Aussage in Frage. Bis in die letzten Gefilde meines rebellierenden Magens suchte er sich seinen Weg und knurrte laut und deutlich. In genau diesem Augenblick musste ich wie ein Model wirken, dass zwar Hunger, aber einfach nur total fanatisch auf ihre Figur achtete. Wahrscheinlich hätte ich in dieser Sekunde Scham oder Peinlichkeit empfinden sollen, doch da war rein gar nichts. Leer. Der Akku war leer und musste aufgeladen werden, denn er hatte gerade all seine Kraft verbraucht.

Ich setzte meinen Kopfhörer wieder auf und überging sämtliche verdutzte Blicke. Nach wenigen Minuten begann ich sogar langsam Gefallen an dem eben noch so ödem Film zu bekommen. Die Explosion hatte mir doch tatsächlich geholfen. Der Dampf, den ich abgelassen hatte, plagte mich nur noch teilweise und war einer Verträglichkeit geglichen, derer ich nie für möglich erachtet hätte.

Später wurde mir bewusst, dass ich vielleicht schon viel eher hätte, wie eine Furie reagieren sollen. Die Blicke waren anfangs zwar sehr negativ und bei vielen war das Herz kurz zum Stillstand gekommen, aber danach war wirklich Ruhe eingekehrt. Niemand wagte mehr etwas über mich zu flüstern oder gar, mich auch nur eine Sekunde anzusehen!

Wenn man aber einmal meine ganzen Eskapaden in dieser Zeit zusammenfasste, kam man schnell zu dem Punkt, dass ich genau die Person war, die man auf keinen Fall neben sich im Flugzeug sitzen haben möchte!

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