Читать книгу Ein Engel für Luzifer - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 5

Angelique- Ein Engel auf Erden

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Ein leises Knacksen ertönte aus dem Lautsprecher. »Der Engel mit der Nummer 238874 wird gebeten, sich in Halle 1 zu melden, der Engel mit der Nummer 238874 bitte!« Erneut knackste es und Angelique seufzte.

Wie, um sich zu vergewissern, blickte sie auf das kleine Schildchen, das sie wie jeden Morgen an ihrer Bluse befestigt hatte – obwohl sie wusste, was sie dort lesen würde. ›Angelique, Personalnummer 238874‹ stand in großen Lettern auf diesem. Seufzend erhob sie sich.

In Gedanken ging sie durch, was sie heute gemacht hatte, und was jetzt dazu führen konnte, dass man sie in Halle 1 rief. In dieser Halle saß Gabriel, einer der neun Erzengel, und wenn man zu ihm gerufen wurde, konnte man sicher sein, etwas wirklich Übles ausgefressen zu haben.

Gemächlichen Schrittes schlenderte sie die Allee entlang, an deren Ende sich der Weg in mehrere neue aufteilte, und über den sie zu den Hallen gelangen würde. Wieder knackte es in den Lautsprechern. »Engel 238874, heute noch!«, erklang es und Angel zuckte schuldbewusst zusammen.

»Jaja, ein Engel ist doch kein D-Zug!«, murrte sie leise, legte aber einen Zahn zu. Wenn Gabriel rief, ließ man ihn nur warten, wenn es einen triftigen Grund dafür gab. Und den hatte sie eindeutig nicht. Kurz danach erreichte sie die Tore von Halle 1 und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor sie ein Lächeln aufsetzte und nach einem Klopfen eintrat.

Gabriel saß auf einem breiten Stuhl mit kopfhoher Lehne, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihr finster entgegen. Sein Schreibtisch war, im Vergleich zu ihrem eigenen, sehr aufgeräumt, nur ein einziger Aktenordner lag auf diesem. »Erzengel, du hast nach mir gerufen?«, lächelte Angelique ihn an und die Falte zwischen seinen Augenbrauen wurde noch ein wenig tiefer.

»In der Tat!«, knurrte er sie an. »Hast du mir was zu sagen?«

Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste!«

Wortlos deutete Gabriel auf den kleinen Zimmerbrunnen, der neben ihm stand und sie trat näher. »Oh, der ist aber hübsch!«

»Engel 238874 – sehe ich so aus, als wäre ich zu Späßen aufgelegt?«, donnerte ihr Gabriel entgegen und Angelique zog den Kopf zwischen ihre Schultern.

»Im Moment gerade nicht ist vermutlich die falsche Antwort?«, murmelte sie.

Der Todesblick, den sie jetzt zugeworfen bekam, ließ ihr jeden weiteren Scherz im Hals stecken bleiben. Beschwichtigend hob sie beide Hände. »Schon kapiert, bin still. Wo liegt denn jetzt das Problem?«

»Schau dir den Brunnen an.«

»Also, Gabriel. Ich dachte, ich habe etwas ausgefressen. Ich weiß nicht, ob ich dann jetzt wirklich ...«

»Sieh! In! Den! Brunnen! Angelique!«

Hastig warf sie einen Blick auf das Wasser. Kleine Blasen stiegen aus ihm auf, wurden langsam immer größer und zerplatzten dann schließlich an der Oberfläche. Nachdem sich das Brodeln beruhigt hatte, erschien auf der Wasseroberfläche ein Bild. Angelique sah einen riesengroßen Gebäudekomplex mit verspiegelten Fenstern vor sich. Dann wechselte das Szenario und zeigte einen Raum im Inneren, offenbar eines der Appartements in diesem Haus.

Auf einem Kingsize-Bett rekelten sich zwei Personen, sichtbar intensiv miteinander beschäftigt. Irritiert glitt ihr Blick wieder zu Gabriel, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte. »Warst du nicht vor vier Wochen eingeteilt in der Abteilung zur Beobachtung von Erkrankungen auf der Erde?«, fragte er gepresst.

Angelique nickte, und sah erneut in den Brunnen. »Ja, aber ich verstehe nicht ...« Dann verstummte sie, denn das Bild im Wasser zeigte jetzt das Gesicht einer der beiden Personen. »Oh ...«, entwich es ihr ertappt.

»Oh?«, echote Gabriel gefährlich leise. »Oh ist alles, was du dazu sagen kannst?« Seine Faust donnerte in den Brunnen, und das Bild verschwand. »Angelique, du hast schon wieder in die Ereignisse auf der Erde eingegriffen, obwohl du weißt, dass es uns untersagt ist!«

»Aber Gabriel ... diese Juliette, ich meine ... hast du dir ihre Akte mal angesehen?«, versuchte sie, sich zu verteidigen. »Ihre Mutter ist schwer krank, sie hat enorme Mengen an Schulden und dann kommt da dieser arrogante Mistsack St. Claire, und bietet ihr Geld gegen Sex an? Ich musste eingreifen!«

»Ist das zufällig derselbe, mit dem sich deine ach so arme Juliette da gerade auf dem Bett herum wälzt?«

Erneut flogen ihre Augen zum Brunnen, wo sich das Wasser zwischenzeitlich wieder beruhigt hatte. »Ja«, gestand sie dann leise.

»Lass mich kurz zusammenfassen, Angelique. Das Mädchen hat dir leidgetan, weil sie von ihrem Chef ein unmoralisches Angebot bekommt und du hast beschlossen, einzugreifen?«

Sie nickte kleinlaut.

»Und dann kommst du auf die tolle Idee, sie ausgerechnet mit dem zu verkuppeln, dem sie zu Willen sein muss?«, fragte Gabriel nach.

Erneut ein Nicken, diesmal eifriger. Vielleicht würde sie ja doch keinen Ärger bekommen? Schließlich hatte sie zwei Menschen zueinander geführt!

»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Manchmal frage ich mich, ob du in deiner Ausbildung überhaupt nur ein einziges Mal zugehört hast!«, fuhr Gabriel sie an und sie zuckte zusammen. »Wie lautet die oberste unserer Regeln?«

Angelique schloss die Augen. »Du darfst unter keinen Umständen in die Ereignisse auf der Erde eingreifen, auch wenn du durch deine Arbeit die Möglichkeit dazu hättest«, leierte sie den Satz herunter, den jeder Engel sozusagen mit der Muttermilch zu lernen bekam.

»Aha? Und wer hat in die Ereignisse eingegriffen, als er die Möglichkeit dazu hatte, aber nicht die Befugnis dazu?«

»Ich.«

»Du weißt, dass ich dir das nicht durchgehen lassen kann, oder? Du hast die wichtigste unserer Regeln gebrochen. Und du weißt, genau so gut wie ich, dass es nicht das erste Mal ist.«

»Aber ...«

»Nein, Angelique. Kein aber. Ich habe dir deine Flausen schon viel zu lange durchgehen lassen. Zu Anfang hatte ich die Hoffnung, dass es besser wird mit dir, aber ...«, Gabriel schüttelte seufzend den Kopf und seine Stimme bekam einen weicheren Klang, »... es ist vermutlich am besten, wenn du am eigenen Leib erfährst, das Menschen ihren eigenen Weg gehen müssen!«

Ihr Kopf ruckte hoch und sie starrte den Erzengel an. »Wie ... wie meinst du das?«

Er erhob sich und trat an seinen Schreibtisch, von dem er die Akte nahm, die sie zuvor schon gesehen hatte. »Du wirst auf die Erde gehen, Angelique. Ich entziehe dir sämtliche Fähigkeiten, die mit deinem Status als Engel einhergehen und du wirst lernen, dich durchzuschlagen. Allein, ohne Hilfe.«

Fassungslos starrte sie Gabriel an, der ihr die Akte hinhielt. »Was ist das?«, fragte sie, obwohl sie schon ahnte, was es sein würde.

»Das ist deine Vita. Du wirst sie lesen, damit du deine Aufgabe kennst, es steht alles Wichtige darin.« Der Erzengel legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. »Viel Erfolg, Angelique!« Sie wollte etwas erwidern, wollte widersprechen, doch der Druck auf ihrer Schulter wurde abrupt stärker, und dann ... wurde ihr schwarz vor Augen.

***

Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch, ihr Herz raste und klopfte heftig gegen ihre Brust. Gott sei Dank, es war nur ein Albtraum!, schoss es ihr durch den Kopf. Draußen war es noch dunkel und sie stellte erleichtert fest, dass sie offensichtlich in ihrem Zimmer war.

Dann stutzte sie. Dunkelheit?

Im Himmel gab es solche Dinge wie Tag und Nacht nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Zwar gab es auch hier Arbeits- und Ruhephasen, aber nicht solche typisch menschlichen Dinge wie hell und dunkel. Schlagartig wurde ihr klar, dass Gabriel es ernst gemeint hatte.

Mit einem Klumpen an schlechtem Gefühl im Magen erhob sie sich und trat zitternd an das Fenster. Der Blick nach draußen bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Draußen im Morgengrauen konnte sie eine Stadt erkennen, noch im Aufwachen befindlich. Vereinzelt brannten bereits Lichter in den Hochhäusern, die sie vor sich sah.

Sie befand sich ziemlich weit oben, so viel war klar. Ihr Blick huschte unruhig durchs Zimmer. Sie hatte doch eine Akte bekommen, wo war sie nur? Da, auf dem Boden neben dem Bett. Hastig ließ sie sich wieder auf ihr Bett plumpsen und zerrte die Akte hervor.

Doch bis auf ein kleines Buch befand sich nichts darin. Frustriert entwich ihr ein Knurren. Mit klopfendem Herzen öffnete sie das kleine Buch und sie keuchte auf. Das Buch war – leer. Nichts stand darin, nur leere Seiten. ›Du wirst sie lesen, damit du deine Aufgabe kennst, es steht alles Wichtige darin‹, hatte Gabriel gesagt ... sie blätterte alles durch, aber das Ergebnis blieb das gleiche. Sie hatte nichts. Keine Informationen.

»Dieser ...«, entwich es ihr zischend, als sie begriff. Sie würde tatsächlich nichts an Informationen bekommen, denn ihre Aufgabe war es, so zu leben, wie die Menschen. Und die wussten bekanntermaßen nichts von dem, was auf sie zukam. Sie mussten sich alles erarbeiten, aus ihren Fehlern lernen.

Seufzen klappte sie das Buch wieder zu und ließ es aufs Bett sinken. Nachdenken, Angelique!, ermahnte sie sich. Erneut ließ sie ihren Blick durchs Zimmer schweifen und blieb am Kleiderschrank hängen. Vielleicht würde sie einen ersten Anhaltspunkt bekommen, wenn sie nachschaute, welche Art Kleidung dort hing.

Schlichte, schwarze Röcke und weiße Blusen, soweit das Auge reichte. Auf einem Bügel, fein säuberlich gefaltet hingen rote Tücher der Art, wie man sie sich an der Bluse um den Hals wickelte, um ›adrett‹ auszusehen. Auf einem der Regalböden lag ein Schildchen, das sie nun in die Hand nahm. ›Angelique, Four Seasons Housekeeping‹ las sie.

Mit einem Scheppern fiel das Schild auf den Boden. Housekeeping? Gabriel hatte sie in ein Hotel verfrachtet? Nein, nicht in irgendeins, es musste auch noch das Four Seasons sein! Unwillkürlich trat ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie sich an das letzte Mal erinnerte, in dem dieses luxuriöse Hotel eine Rolle gespielt hatte.

Es war eine Charity-Veranstaltung gewesen und sie – nun ja, sie hatte ein klitzekleines Bisschen nachgeholfen, eine junge Frau mit ihrem Seelengefährten zusammenzuführen. »Aber sie hatten es beide verdient!«, maulte sie leise. »Annabell hatte beschissene vier Jahre hinter sich und Jonathan war zu der Zeit auch nicht gerade vom Glück geküsst!«

Ein Blatt in einem weiteren Regalboden erregte ihre Aufmerksamkeit. Vielleicht waren dort ja die Informationen, nach denen sie sich so sehnte ...? Sie griff danach und warf einen Blick darauf. ›Wochenplan Angelique le Ciél - Bis auf weiteres Housekeeping im Ty-Warner-Penthouse, Gast Lord Adrian Scott‹, las sie und riss die Augen auf. Le Ciél? Sie konnte es nicht glauben, Gabriel hatte ihr den Namen ›vom Himmel‹ verpasst?

»Seltsame Art von Humor, mein lieber Erzengel!«, knurrte sie und zerknüllte das Blatt in ihrer Hand. Himmel, sogar ihre Stimme klang französisch, nicht nur ihr Name. Sie würde Gabriel jede Feder seiner Flügel einzeln herausreißen, wenn sie ihn jemals wieder zu Gesicht bekam! Ein lautes Schrillen ließ sie zusammenzucken. Es dauerte eine Weile, bis sie das Telefon als den Verursacher ausgemacht hatte und hastig zum Hörer griff. »Ja?«

»Guten Morgen, Ms. le Ciél, Weckservice. Ihr Dienst beginnt in einer Stunde, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Arbeitstag!«, ertönte eine Stimme aus der Hörmuschel.

»Ähm ja, vielen Dank!«, entgegnete sie.

Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, betrachtete sich Angelique in dem großen Spiegel, der an ihrem Kleiderschrank angebracht war. Sie sah tatsächlich ... adrett aus. Der schwarze Rock ging züchtig genau bis an ihre Knie, die weiße Bluse in Kombination mit dem roten Tuch ließen sofort erkennen, dass sie zum Personal gehörte und abgerundet wurde das Gesamtbild dadurch, dass sie ihre langen, dunkelblonden Haare zu einem strengen Dutt gedreht hatte.

Sie sah durchweg brav aus. Wie ein Engel!, dachte sie mit sarkastischem Grinsen. Dann verließ sie mit klopfendem Herzen ihr Zimmer und machte sich auf den Weg in die Kelleretagen des Hotels, wo sich das Personalcatering befand und sie ihr Frühstück zu sich nehmen würde. Woher sie wusste, wohin sie zu gehen hatte, war ihr nicht klar, aber sie vermutete, dass auch hier der Erzengel seine Flügel im Spiel hatte.

Gleich nach dem Frühstück, es gab ein reichhaltiges Buffet mit allem, was das Herz begehrte, betrat sie erneut den Fahrstuhl und benutzte die Personalkarte, die sie ebenfalls im Schrank gefunden hatte, dazu, in die Etage zu fahren, in der sich das Ty-Warner-Penthouse befand. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwarten und wie sie sich verhalten sollte, wurde ihr mit einem Mal klar. Gabriel hatte sie hierher geschickt, aber sie hatte nicht den geringsten Schimmer, was ein Housekeeping eigentlich für Aufgaben hatte!

Beim genannten Penthouse angekommen klopfte sie, und nachdem sie ein herrisches »Herein« von drinnen vernahm, öffnete sie mittels ihrer Karte die Tür und trat ein. Am Fenster stand ein Mann im eleganten Anzug, und als er sich zu ihr umdrehte, schoss ihr nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: »Himmel, ist der heiß!«

Ein Engel für Luzifer

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