Читать книгу Satisfaction - Ein Rebell vor dem Herrn - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 8
Der werfe den ersten Stein
ОглавлениеWas hatte mich nur geritten, mich so aufzuführen? Während ich Sam hinterher starrte, konnte ich mein eigenes Verhalten nicht begreifen. Aber wenn es um Nora ging, schaltete sich mein sonst so gut funktionierendes Gehirn schlichtweg aus. Ich konnte dieses Weibsbild einfach nicht ausstehen! Es war nicht einmal die Tatsache, dass sie sich an Samuel gehangen hatte, als sei er ihr persönliches Spielzeug. Nein, meine Abneigung ihr gegenüber ging viel tiefer.
Es war mittlerweile schon ein paar Jahre her, aber vor meinem inneren Auge spulten sich die Ereignisse ab, als seien sie erst gestern gewesen. Mein Bruder David war zu dem Zeitpunkt frisch verlobt und die Eheschließung mit seiner Sarah sollte alsbald folgen. Die Planungen dazu liefen schon auf Hochtouren, denn meine Mutter ging in ihrer Rolle als Organisatorin der Festlichkeiten vollkommen auf.
Zwei Wochen vor der Hochzeit stand ich zufällig am Fenster meines Zimmers, als ich Nora über unseren Hof schleichen sah. Sie befand sich auf dem Weg zur Scheune, in der mein Bruder das Holz aufschichtete, das wir im Winter zum Heizen des Kamins benutzen würden. An sich war das nichts verwunderliches, denn David arbeitete für den Förster und war nicht nur für unser Feuerholz zuständig, sondern für das der ganzen Gemeinde. Was mich allerdings stutzig machte, war die Tatsache, dass sich Nora so verstohlen umsah, als habe sie etwas zu verbergen.
Ich hatte meine Neugier nicht im Zaum halten können und war nach unten gegangen, um ihr hinterherzuschleichen. Was ich allerdings dort durch das Fenster sah, ließ mich noch heute, fast fünf Jahre später, vor Zorn und Scham erröten. Vermutlich wäre ich unter anderen Umständen sofort in den Schuppen gestürmt und hätte die beiden zur Rede gestellt, aber genau in dem Moment hörte ich näherkommende Stimmen. Also hatte ich mich nur wütend gegen die hölzerne Wand geschlagen, mich umgedreht und die noch nicht einmal geschlossene Ehe meines Bruders dadurch gerettet, dass ich seine Verlobte Sarah und meine Mutter in ein Gespräch verwickelte. Geschickt lotste ich die beiden von der Scheune weg und schwor mir, David den Kopf abzureißen, wenn ich ihn allein in die Finger bekam.
Und das hatte ich auch getan. Ich schnaufte in Erinnerung daran, wie ich meinen Bruder zusammengestaucht hatte und ihn auf die Bibel schwören ließ, dass er Nora nicht mehr wiedersehen würde, weil ich ihn sonst auffliegen ließe. Vermutlich hätte ich es nicht wirklich getan, aber ... die Drohung allein hatte offenbar gereicht, denn wenige Monate nach der Hochzeit zogen David und Sarah aus Chearfield weg in ein Nachbardorf. Nora wusste bis heute nicht, dass ich sie und meinen Bruder erwischt hatte, aber ... seit diesem Tag war sie mir ein gewaltiger Dorn im Auge.
Was mich aber am meisten überrascht hatte, war die Aussage Samuels, am morgigen Gottesdienst teilzunehmen. Ich hatte mich gefreut. Wirklich. Bis zu dem Moment, in dem ich mich freudig zu Sam umgedrehte und er verkündete, dass er mich morgen kurz vor der Messe abholen würde. Bei mir zuhause. Natürlich verstand ich seine Beweggründe, er wollte schließlich über den Garten sprechen, aber ... meine Eltern würden das völlig anders sehen. Ich konnte mir jetzt schon meine Mutter vorstellen, wie sie vor ihrem inneren Auge damit beginnen würde, die Gästeliste für die Hochzeit aufzustellen, mein Kleid auszusuchen, und sich dann auch noch Gedanken darüber machte, ob Sam der Richtige für mich war.
Bei uns im Dorf galt ein öffentlicher Auftritt fast so viel wie eine Verlobung, und wenn man dann auch noch gemeinsam den Sonntagsgottesdienst besuchte ... Ich fuhr herum und marschierte auf das Haus zu. Kurz, bevor ich die Tür erreicht hatte, hielt ich jedoch inne. Hatte Samuel nicht etwas davon gesagt, sich anderen Dingen zuwenden zu wollen? Wenn ich also nicht erneut in den Genuss des Anblicks einer Hand um sein Teil kommen wollte, wäre es vielleicht besser, einfach nach Hause zu gehen.
Frustriert starrte ich nach oben. Eine Bewegung an einem der Fenster ließ mich schnauben. Stand dieser Kerl tatsächlich dort und beobachtete, was ich tat? Na, das konnte er gern haben. Ich zwang mir ein freundliches Lächeln auf die Lippen und hob die Hand, um zu winken. »Bis morgen!«, rief ich, und machte mich dann noch einmal auf den Weg in den Garten, um mein Arbeitsmaterial, das ich auf keinen Fall hierlassen würde, einzusammeln.
Schweigend ging ich neben Samuel her. Noch immer konnte ich nicht fassen, dass er tatsächlich um halb zehn vor der Tür unseres Hauses gestanden hatte und mich zur Messe abholte. Meine Mutter hatte ihn schweigend von oben bis unten gemustert - er trug eine schwarze Jeans und ein ordentlich gebügeltes Hemd, und sogar seine strubbeligen Haare hatte er mittels Gel in eine vernünftige Form gebracht! - und ihm dann schließlich mit einem vorsichtigen Lächeln die Hand gereicht, als er sich vorstellte.
Bei meinem Vater kam er nicht ganz so leicht davon, und ich glaubte, im Erdboden versinken zu müssen, als Dad ihm mit ernster Miene das Versprechen abnahm, gut auf mich aufzupassen, und meine Schicklichkeit zu wahren. Das Einzige, was mir ein wenig Genugtuung verschaffte, war das Lächeln Samuels, welches bei jedem Wort meines Vaters ein wenig gequälter zu werden schien.
Meine Eltern hatten beim gestrigen Abendessen vollkommen anders auf meine Offenbarung, mit Pfarrer Wrights Sohn zur Messe zu gehen, reagiert, als ich es erwartet hatte. Meine Mutter begann mitnichten, bereits die Namen unserer Kinder auf einem Blatt Papier zu notieren, sondern wechselte einen besorgten Blick mit Dad, der seine Stirn deutlich in Furchen legte. Eigentlich hatte ich sie bei dieser Gelegenheit fragen wollen, warum Sam damals Chearfield verlassen und man ihn zur Persona non grata degradiert hatte, aber deren Reaktion hielt mich davon ab.
Je weiter wir uns vom Haus meiner Eltern entfernten, umso mehr schien Samuel sich zu entspannen, obwohl wir auf unserem Weg mehrfach erst überrascht angestarrt und dann betont freundlich gegrüßt wurden. Nachdenklich kaute ich auf meiner Lippe herum und versuchte genug Mut zu sammeln, um ihn zu fragen, was damals vorgefallen war.
»Warum stellst du nicht einfach die Frage, die dir so auf der Seele brennt, kleines Unschuldslamm?«, kam es schließlich nach einer Weile des Schweigens von Sam und er warf mir einen amüsierten Seitenblick zu.
Ertappt zuckte ich zusammen und fühlte die Hitze in meine Wangen schießen. Ich holte einmal tief Luft, und dann ...
»Samuel?« Eine ungläubige Stimme hielt mich davon ab, meine Frage zu stellen und ich sah nach vorne. Fast hätte ich aufgeseufzt, als sich Magdalena Wright sichtlich fassungslos näherte und ihren Sohn anstarrte, als sei er ein Außerirdischer. Vermutlich fühlte er sich gerade auch als ein solcher, denn wir schienen die Attraktion des Tages zu sein. Ohne, dass ich es bemerkt hätte, waren wir am Vorplatz der Kirche angekommen.
»Hi Mom«, presste Sam hervor.
Magdalena Wright sah mich strahlend an und ich ahnte, dass nicht viel fehlte und sie würde mich umarmen. »Gott zum Gruße, Deliah!«, zwitscherte sie drauflos. »Wie toll, dass Samuel sich schon so gut eingelebt hat.« Ein Seitenblick traf ihren Sohn. »Ich hörte ja schon davon, dass du dich um seinen Garten kümmerst, aber dass es dir gelingen könnte, ihn sogar zur heiligen Messe zu überreden ...«
»Es war meine Idee, Mutter!«, fiel Sam ihr ins Wort und Magdalena fiel die Kinnlade herunter. »Und jetzt entschuldige uns bitte, wir wollen doch nichts von Vaters Predigt verpassen!«
Bevor ich noch irgendwelche Einwände erheben konnte, hatte Samuel mich an der Hand genommen und zog mich unter den verblüfften Blicken seiner Mutter hinter sich her ins Innere der Kirche.
»Was sollte das denn?«, zischte ich Sam gepresst entgegen, kaum, dass wir dem Sichtfeld Mrs. Wrights entronnen waren und versuchte, meine Hand aus seiner Umklammerung zu befreien, was mir allerdings nicht gelingen würde, ohne für Aufsehen zu sorgen.
»Freu dich lieber, Unschuldslamm«, kam es leise von ihm. »Du kannst dir der Gebete meiner Mutter sicher sein!« Der kalte Unterton in seiner Stimme ließ mich aufblicken. Mit fest aufeinandergepressten Lippen sah Samuel nach vorne und ich tat es ihm gleich.
Im Mittelgang zu den Kirchenschiffen stand Pfarrer Wright und starrte seinen Sohn nicht weniger verblüfft an, als es eben schon seine Mutter getan hatte. Dann huschte sein Blick zu mir und die Augen von Sams Vater verengten sich, während sich gleichzeitig der Griff um meine Hand schmerzhaft verstärkte. Oh, schoss es mir durch den Kopf. ›Hier ist viel mehr im Argen, als ich glaubte.‹
Kurzentschlossen zauberte ich ein freundliches Lächeln auf mein Gesicht, nickte dem Pfarrer zu und dirigierte Samuel dann mit sanftem Druck in eine der hinteren Bänke. Mir war klar, dass ich um des Friedens willen so viel Distanz zwischen Vater und Sohn bringen musste, wie es nur ging. Ich drehte mich zu Sam und stellte eine Frage, für die ich mich im gleichen Moment innerlich schalt. »Sollen wir lieber wieder gehen?«
Überraschung glomm in seinen Augen auf, aber dann schüttelte er verbissen den Kopf. »Nur über meine Leiche!«
Okay, das war deutlich. Ich nickte ergeben und verkniff mir das Augenrollen. Wenn Samuel glaubte, sich unbedingt selbst kasteien zu müssen, dann sollte es eben so sein. Die Kirche füllte sich zusehends und noch immer hielt er meine Hand. Ich war sicher, dass es heute auf all den Kaffeekränzchen nach der Messe kein anderes Thema geben würde als die Tatsache, das ich mit ihm hier war.
Ein leiser Glockenschlag ertönte und ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Altar zu, von dem aus Pfarrer Wright jetzt die Gemeinde begrüßte und ein erstes Segenswort sprach. Ich bekreuzigte mich und versuchte mich auf den Gottesdienst zu konzentrieren. Im Verlauf der nächsten halben Stunde merkte ich jedoch, dass dies alles andere als einfach war. Praktisch jedes Mal, wenn die Rede von Vergebung oder auch Nächstenliebe war, schnaubte Samuel hörbar auf und ich begann mich zu fragen, ob ich sein Angebot der Begleitung nicht besser ausgeschlagen hätte.
»Heute möchte ich euch eine Geschichte erzählen, die einst unser Herr Jesus Christus seinen Jüngern zum Besten gab«, begann Pfarrer Wright schließlich seine Predigt, und mich überkam das seltsame Gefühl, dass sein Blick genau auf Sam und mir lag, als er nun mit lauter Stimme zu sprechen begann. »Ein Mann hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn auf und reiste in ein fernes Land, um sein Vermögen zu vergeuden. Als er aber alles verjubelt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.«
Ich kannte die Geschichte vom verlorenen Sohn, und im gleichen Augenblick, in dem sich Samuel neben mir versteifte, begriff ich, dass der Pfarrer diese nur für ihn erzählte. Und wenn ich das verstand, so war diese Tatsache dem Rest der Gemeinde ebenfalls klar. Der Griff um meine Hand wurde immer fester und in einem Anflug von Mitleid riskierte ich einen Blick zur Seite.
Sams Gesicht hatte jegliche Farbe verloren und er rang sichtlich um Fassung, während der Pfarrer vorne immer weiter erzählte, bis er schließlich mit den Worten, »Und der Vater sprach zu seinem ersten Sohn, der ihm immer treu zur Seite gestanden hatte: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Doch jetzt lasse uns fröhlich sein, denn dieser dein Bruder war verloren und ist gefunden worden!«, endete.
Kaum, dass der Hall der Stimme seines Vaters verklungen war, ließ Samuel abrupt meine Hand los und erhob sich so hastig, dass das vor ihm auf der Bank liegende Gebetbuch krachend zu Boden fiel. Flammende Hitze schoss in meine Wangen, als sich nun die halbe Kirche herumdrehte und uns anstarrte. Wortlos drängte Sam sich an mir vorbei und verließ mit eiligen Schritten die Kirche.
Peinlich berührt saß ich da, und wusste für einen Moment nicht, was ich tun sollte. Doch als meine Augen auf den verzweifelten Blick von Mrs. Wright trafen, die nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte, erhob ich mich ebenfalls. »Verzeihung«, murmelte ich leise, verließ mit gesenktem Kopf und heißen Wangen das Kirchenschiff und hastete hinter ihrem Sohn nach draußen.
Nach einigen Minuten des Suchens fand ich Sam im kleinen Garten hinter der Kirche, wo er auf einer kleinen Bank saß und den Kopf in seine Hände gestützt hatte. Ich ließ mich langsam neben ihm nieder.
»Was willst du, Deliah?«, murmelte er, ohne mich anzusehen.
»Ich ...«, hub ich an. »Ich wollte nur schauen, wie es dir geht.«
Sam lachte bitter auf. »Dem verlorenen Sohn geht es bestens. Geh wieder rein und hör dir weiter die verschissene Predigt meines Vaters an!«
»Er hat es doch nur gut gemeint!«, flüsterte ich und Sam fuhr hoch.
»Gut gemeint?«, spie er mir entgegen, baute sich vor mir auf und funkelte wütend auf mich herab. »Hörst du dir eigentlich selbst zu beim Reden? Alles, worum es meinem Vater geht, ist, mich zu demütigen, und dass ...«, er ballte seine Hand zur Faust, »ist ihm ja bestens gelungen!«
Ich hielt erschrocken die Luft an. Pfarrer Wright hatte Sam doch nur zurück in der Gemeinde begrüßen wollen, nachdem er so lange fortgewesen war! Wie konnte er seinem Vater etwas so bösartiges unterstellen?
»Saaaaaaaaam? Ist alles in Ordnung?«, erklang da zu meinem Entsetzen die nervtötende Stimme von Nora und keine Sekunde später bog sie auch schon um die Ecke. Samuels Gesicht verfinsterte sich, wenn das überhaupt möglich war, noch ein bisschen mehr.
»Ja, es ist alles bestens!«, erklärte Sam. »Ich hatte lediglich keine Lust mehr auf die Predigt meines Vaters.« Sein Blick flog zwischen mir und Nora hin und her, und dann blitzte etwas in seiner Miene auf, dass ich im ersten Moment nicht deuten konnte. »Allerdings hätte ich dafür auf etwas anderes Lust.« Er machte einen Schritt auf Nora zu. In einer harschen Bewegung presste er sie an sich und küsste sie hart auf den Mund.
Nora japste überrascht auf, wehrte sich aber nicht gegen den dreisten Überfall Sams. Aufreizend schmiegte sie sich in seine Umarmung und schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass ich noch immer auf der Bank saß und mit weitaufgerissenen Augen auf die Szene, die sich mir bot, blickte.
»Was guckst du so?«, kam es schließlich knurrend von Sam und er schob die schweratmende Nora von sich fort. »Willst du mitkommen und zuschauen?«
Mir fehlten die Worte! Mit offenem Mund starrte ich ihn an, während sich ein finsteres Grinsen auf sein Gesicht legte. »Nein? Dachte ich mir!« Er packte Nora grob am Handgelenk. »Am besten gehst du wieder rein und betest für mein Seelenheil, während ich mich so lange damit beschäftigen werde, deine Freundin hier zu vögeln!«
Schneller, als ich darüber nachdenken konnte, hatte ich ausgeholt und ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. »Du hast die Tränen deiner Mutter nicht einmal im Ansatz verdient!«, flüsterte ich. »Viel Spaß mit deinem Flittchen.« Mit diesen Worten wandte ich mich um und lief, so schnell ich konnte, aus dem Garten hinaus. Ich wollte, dass weder Sam noch Nora die Tränen sahen, die mir die Wange hinab liefen.