Читать книгу Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale - Meli Telmann - Страница 2

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Nun also das Treffen. Kerstin rechnete davor mit dem Schlimmsten. Sie nahm daher eine große Einkaufstasche mit, falls Kurt weiche Gegenstände in Herzform mit sich führen sollte. Die konnte sie dann gleich in der Tasche verschwinden lassen.

Während Kerstin ihr Auto in einem Parkhaus abstellte – sie hatten sich in einer Nachbarstadt verabredet –, fühlte sie Unruhe in sich aufsteigen, ums Sonnengeflecht, in der Magengegend. Mein Gott, ermahnte sie sich, du hast doch gar keine Erwartungen, du wolltest ein erstes Date, wovor solltest du Angst haben? Tatsächlich hatte sie keinen Bammel vor Enttäuschung. Er gefiel ihr ja überhaupt nicht. Allein, dass er so forsch gewesen war, hatte ihr imponiert – was danach bei ihr an digitaler Post eingegangen war, hatte sie abtörnend gefunden. Doch was wäre, wenn er aufdringlich war, nicht im körperlichen Sinne, sondern wenn er emotional uneinsichtig war. Gesetzt der Fall sie würde sagen, es war nett, aber ich glaube, wir haben nicht so viele gemeinsame Interessen. Immer höflich bleiben! Und er dann konterte, dass sie sich doch noch gar nicht kennengelernt hätten. Oder sie sagte, nun eine deftige Lüge, dass sie emotional immer noch gebunden sei. „Aber wieso suchst du dann jemanden? Ich glaube, du willst es tief in deinem Innern, aber du traust es dir nicht zu.“ Mist. Jetzt gingen ihr die Argumente aus. – Fast schon wollte sie zum Auto zurückgehen. Da fiel Kerstin ein: Ich neige zu fantasievollen Übertreibungen.

Zur Abschwächung ihrer aufkeimenden Beklemmung zitierte sie ihre frühere Lehrerin: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.“ Die Lehrerin hatte die, na ja, abgeflachte Weisheit zwar in einem anderen Zusammenhang eingesetzt – rebellische Schüler in einer rebellischen Zeit. Aber der Spruch war nicht auf eine Zielgruppe festgelegt. Zudem – das Angstgefühl abschwächend – fiel Kerstin ein künstlerisches Genre ein. Und zwar das bereits erwähnte erste Filmzitat: Billy Wilders ‚Some like it hot'. Eine amerikanische Filmkomödie, in der zwei Musiker sich als Frauen verkleiden – Joe/Josephine (Tony Curtis) und Jerry/Daphne (Jack Lemmon) –, um ein Engagement zu erhalten. Der Millionär Osgood Fielding (Jou E. Brown) verliebt sich in Daphne, die vermeintliche Frau.

Schlussszene: Daphne und Osgood Fielding sitzen in einem fahrenden Motorboot, auf der Flucht vor der Mafia. Osgood erzählt stolz, er habe seine Mutter über die bevorstehende Hochzeit mit Daphne informiert.

Daphne will es ihm ausreden: „I’m not a natural blond!“

Osgood: „It doesn’t matter.“

„I smoke. I smoke all the time.“

„I don’t care.“

„I lived together with an saxophone player for a month.“

„I forgive you.“

Daphne reißt sich die Perücke vom Kopf: „I am a man!“

„Nobody’s perfect.“

Das überlegte Kerstin auf dem Weg zum Date. Sie hatte außerdem bei ihrem Aufenthalt im Portal von den Betreibern erfahren – sie erhielt regelmäßig einschlägige Tipps –, dass es fünfundzwanzig Dates brauchte, bis der Richtige vor dem Museum, an der Theke im Bistro oder an der Wasserfontäne wartete. Sie räumte ein, dass die angelesene Zahl variierbar sei …

Heute allerdings wartet erst mal niemand am verabredeten Ort. In der Fußgängerzone, Ecke Drogeriemarkt. Dafür erhält sie einen Anruf: „Kerstin, ich bin es, Kurt. Komme erst in einer Viertelstunde.“

So was Ärgerliches. Kerstin spürt Groll in sich aufsteigen. Hatte sie das nötig? Dieser Schnösel, der ihr eh nicht gefiel. Dieser Banause. Er erdreistete sich, sie warten zu lassen. Und nochmal: Hatte sie das nötig? Sie, 56, ledig, attraktiv, intelligent und gebildet. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und ging kurzentschlossen in den Drogeriemarkt. Von einer Einheitsduftwolke umhüllt, roch sie mal wieder an Wässerchen von Lauder, Dior und Sander. Eine halbe Stunde später trat sie vor die Tür. Und sah an der Ecke eine unverkennbar wartende Gestalt, ihr Date. Sie ging auf ihn zu.

„Hallo“

„Wo bleibst du denn?“

Ich war pünktlich.“

Er war, wie erwartet und auch angegeben, nicht sehr groß. Das störte Kerstin nicht.

„Wieso kommst du zu spät?“, fragte sie.

„Ich hatte mein Handy zu Hause liegen lassen und musste wieder zurückfahren. Hätte ich es nicht geholt, hätte ich dich nicht anrufen können."

Mmh, überdachte Kerstin die Logik der Aussage, dann hätte er sich auch nicht verspätet und hätte nicht anrufen müssen. Sie wollte mal nicht so sein und ließ die Sache auf sich beruhen.

„Und“, fiel sie nun mit der Tür ins Haus, „hattest du schon einige Verabredungen über das Online-Portal?"

„Ja, schon, aber bis jetzt ist noch nichts daraus geworden."

„Woran liegt es?“

„Die meisten Frauen wollen dann doch keine Beziehung.“

So hätte ich es wohl auch formuliert, überlegte Kerstin, wenn ich bisher erfolglos geblieben wäre. Oder in der Situation der Frau, um aus der Sache wieder rauszukommen. Vielleicht kann ich mir die Formulierung schon mal merken.

Sie gingen die Einkaufsmeile entlang, vorbei an Cafés, Schuhläden und dem Marktbrunnen. Er erzählte, nachdem sie ihn nach seinem Job gefragt hatte, dass er als Chauffeur für einen Unternehmer arbeite. Dabei müsse er auch zu ungewöhnlichen Zeiten zur Verfügung stehen.

„Was sind für dich ungewöhnliche Zeiten, frühmorgens oder abends?“

„Ja, auch. Aber es kann auch sein, dass ich ihn nachts in einem Lokal abhole.“

„Mein Gott, ist er denn zu geizig, ein Taxi zu bezahlen?“

„Nein, das nicht“, beschwichtigte Kurt mit einer beruhigenden, leicht abwehrenden Handbewegung. „Er gibt mir immer was extra dafür. Ich glaube, er redet dann noch gerne mit jemandem.“

„Dann bist du wohl so etwas wie ein seelsorgender Butler? …“

Kerstin stoppte ihren Redefluss. Hoffentlich hatte sie ihn jetzt nicht beleidigt. Aber nein, er machte den Eindruck, als habe er sich so etwas wohl selbst schon überlegt. Zudem, Kerstin erschütterte das immer wieder, lassen sich viele Menschen auch ungerührt beleidigen. Dabei hatte sie nicht den Eindruck, dass diejenigen sich ihr Getroffensein aus Stolz nur nicht anmerken ließen.

„Hauptsache“, fuhr Kerstin milde fort, „es wird einigermaßen gut bezahlt und macht dir dazu auch Spaß.“

„Ja, doch. Ist aber nicht mein Beruf. Hätte schlimmer kommen können. Weil ich ja arbeitslos war.“

Bevor er weiterreden konnte, wies Kerstin auf ein Bistro.

„Magst du?“

Kurt nickte und sie traten ein.

Hier holten sich die Gäste am Buffet ihre Speisen und Getränke. Selbstbedienung also. Kerstin fand das gut. So gäbe es keine Diskussion ums Bezahlen. Wahrscheinlich hätte es die soundso nicht gegeben. Die wenigsten Männer fühlten sich aufgefordert für ihre Begleiterin zu bezahlen. Oder? Und wenn, wirkte es veraltet. Wie auch immer, es war kein Thema. Mit Kaffee und Kuchen versorgt, setzten die beiden sich an einen langen Tisch, an dem bereits einige Gäste saßen.

Gefragt hatte er sie bisher noch nichts. Ignoranz oder Schüchternheit? Womöglich Unbedarftheit. Kerstin tippte auf Letzteres. Sie betrachtete Kurt genauer, wo er ihr jetzt gegenübersaß. Sein Haar war hellbraun und schon etwas spärlich. Seine Gesichtshaut leicht gerötet und großporig, seine Nase rundlich gebogen. Er wirkte flauschig, schrumpelig flauschig, etwas wie ein schrumpeliges Küken. O weh, er hatte ein Goldkettchen um den Hals. Selbstverständlich hatten auch Männer ein Recht sich zu schmücken. Kerstin ließ daran nie einen Zweifel. Aber sie konnte sich nicht helfen: Sie mochte es nicht. Vielleicht ein Ring, aber das war eh nicht mehr modern. Außer dem Ehering. Die Ringe am Ohr sah man allerdings immer noch, neben den Tunneln bei ganz jungen Männern. Die Ringe im Ohr konnte Kerstin einfach nicht ertragen, außer bei Schwulen, da waren sie stimmig für sie. Und Goldkettchen, wie bei ihrem Gegenüber, auch nicht. Ertragen.

Genug Augenschein. Da Kurt immer noch keine Anstalten machte, sie etwas zu fragen, schloss Kerstin an das Gespräch von vorhin an.

„Was hast du denn für einen Beruf?“

Die Frage gefiel ihm und er antwortete prompt:

„Ich bin Maler und Lackierer.“

„Und da findest du keinen Job? Handwerker sind doch gefragte Leute.“

Kurt ging nicht auf die Frage ein.

„Ich habe selbständig gearbeitet. Und hatte viele spezielle Aufträge, im Denkmalschutz zum Beispiel. Da habe ich viel gelernt. Da muss man nämlich eine bestimmte Farbe, eine Bio-Farbe nehmen und die ist sehr teuer.“

Kurt machte ein sehr ernstes Gesicht bei seinen Erläuterungen. Die Angelegenheit war ihm wichtig. Aber der eigene Beruf ist ja auch eine bedeutsame Sache.

„Ich weiß auch“, fuhr er fort, „wie man einfach eine Tapete überstreicht. Da muss man die alte nicht abnehmen.“

Hier hätte Kerstin gerne nachgehakt, Handwerker hatte sie in ihrem Bekanntenkreis nicht so viele. Aber sie wollte die Situation nicht gleich schamlos ausnutzen.

„Hier vor Ort hatte ich auch Kunden, kann ich dir gleich mal zeigen.“

Kurt war nicht mehr zu bremsen. Später führte er Kerstin auch zu dem denkmalgeschützten Haus – es lag auf ihrem Weg –, das er malerisch mitgestaltet hatte.

„Aber das mit den speziellen Aufträgen hat dir doch Spaß gemacht?“ Kerstin ließ nicht locker.

„Es ging dann nicht mehr so gut“, Kurt wurde etwas leiser. „Habe nicht so viel Geld im Moment.“

„Nein, nein, ich will dich nicht ausfragen.“ Kerstin spürte das Plumpe ihrer Fragen.

Doch sie hatte ein Fass aufgemacht. Kurt erzählte weiter aus seinem vergangenen Handwerkerleben. Auch von Strapazen bei der Aufbereitung von Innenräumen, wenn Eigentumswohnungen eines mehrstöckigen Mietshauses hergerichtet wurden.

„Jeder will was anderes. Vor allem die Frauen …“, er stockte, wurde kleinlaut. „… na ziemlich oft.“

Kerstin musste lächeln, scheinbar registrierte er doch noch ihre Anwesenheit. Bei seinen Ausschweifungen musste Kerstin an ‚Forrest Gump' denken, die Schelmenkomödie mit Tom Hanks. Insbesondere an den hawaiianischen Kriegskollegen, der sich ununterbrochen, stundenlang, tagelang über die vielseitigen Zubereitungsarten von Krabben ausließ. Der Leser bemerke: das zweite Filmzitat.

Kerstin erfuhr so einiges von Innenraumgestaltung, Farbqualitäten und anspruchsvollen Kunden. Was sie so treibe, hatte er nicht gefragt. Letztlich war ihr das recht. Nicht wegen Anonymität und Sicherheit. Eher weil sie sich ihm gegenüber zurückgenommen hätte, was ihre Ausbildung und ihren Beruf betraf: Alles nicht so wild mit Studium und so. Und darauf konnte sie verzichten.

So saßen sie eine Weile und unterhielten sich. Einen kurzen intensiven Blick warf er mal auf sie, einen männlich interessierten. Ob er sie gut fand, ob sie ihm vom Aussehen gefiel, konnte sie nicht feststellen. Sollte schon so sein, fand sie, indem sie sich und ihn verglich.

Kurz hatte Kurt erzählt, dass er bis vor einem Jahr eine Beziehung gehabt habe. Wobei er Beziehung mimisch so begleitete, als handele es sich um einen verborgenen Schatz, der nur ihm zugänglich gewesen sei. Nicht, dass eine Liebe kein verborgener Schatz sein kann, sogar sein sollte. Eher ein geborgener. Aber eine Beziehung? – Kerstin rieb sich an dem Wort. Immer. Weil so ungefähr und saftlos. Das sagte sie Kurt nicht.

„Was meinst du, sollen wir aufbrechen?“

Er hatte keine Einwände. So gingen sie gemeinsam zum Parkhaus. Kerstin wusste nicht so recht, wie sie ihn verabschieden sollte. Ein weiteres Treffen strebte sie nicht an. Sie wollte ihn aber nicht vor den Kopf stoßen oder, wie vor dem Treffen überlegt, keine Diskussionen führen. Letzteres fürchtete sie allerdings nicht mehr. Sie hatte hier das Blatt in der Hand.

„War nett dich zu treffen. Vielleicht können wir ja mal was zusammen machen. Auf eine Veranstaltung gehen.“ Kerstin hatte sich entschlossen höflich zu sein.

„Eine Bitte habe ich noch, Kurt.“ Das musste sein. „Die Bilder, die Videos, die du mir schickst, die mag ich nicht so gerne. Bist du so nett und lässt das bleiben? Ich steh da nicht so drauf.“

Worauf sie eigentlich nicht stand, hatte sie nicht gesagt. Kurt nickte.

Sie verabschiedeten sich und Kerstin ging ins Parkhaus.

Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale

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