Читать книгу Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale - Meli Telmann - Страница 7

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Das war es nicht, was Kerstin durch den Kopf ging, als sie das lokale Einkaufszentrum durchquerte: Ihre Gedanken kreisten um das Abendessen. Fisch oder Hähnchen? Salat auf jeden Fall. Zucchini oder Kohlrabi? – Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass jemand sie ansah. Sie drehte den Kopf langsam in diese Richtung. In einiger Entfernung, vielleicht zehn, fünfzehn Meter weit weg, erblickte sie einen Mann; weißes Hemd, dunkle Hose, graumeliertes Haar. Als er ihren Blick wahrnahm, drehte er den Kopf zur anderen Seite. O ja, schoss ihr durch den Kopf, das war Soulman. Was tun? Er hatte wohl gesehen oder geahnt, dass sie es war, sie erkannt, als sie ihn ansah – und hatte sich weggedreht. War er unsicher, ob sie es ist? Oder zu zurückhaltend, ängstlich, unlustig? Sollte sie ihn ansprechen? Kerstin überlegte.

Da kam ihr der Zufall zur Hilfe. Aus einer Gruppe von Jugendlichen, die sehr eilig unterwegs waren, rempelte ein Junge den Fremden von hinten an. Daher drehte er sich wieder um – in Kerstins Richtung. Nun kam er nicht umhin, sie anzuschauen. Kerstin lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Kerstin blieb stehen. Und er kam auf sie zu.

„Jo?“, fragte er. Sie nannte sich Joanna im Portal.

„Soulman?“, erwiderte Kerstin.

Er sah kurz verlegen auf seine Schuhspitzen. Edle schwarze Slipper. Dann sah er, ohne den Kopf zu bewegen, nach oben.

„Schön dich zu treffen, Jo, war mir aber nicht ganz sicher, ob du es bist.“

„Kann ich verstehen“, unterstützte ihn Kerstin, „ich wusste auch nicht, ob ich dich ansprechen sollte.“

Sie fügte verbindlich hinzu: „Man muss ja immer so schnell entscheiden.“

„O ja“, pflichtete er ihr bei.

Kerstin fuhr fort: „Wie geht es dir?“

„Wieder besser, ich hatte eine Erkältung.“

Kerstin sagte ihren Standardsatz: „Ich habe selten eine Erkältung, meist nur, nachdem ich verreist war.“

Nicht sehr originell, dachte sie, doch diese Standards waren auch kleine Inseln, auf die man sich bei Gesprächen retten konnte. Überraschende Antworten gab es darauf nicht, von Soulman gar keine.

„Ja, jetzt hat es doch mal geklappt mit einem Treffen“, fuhr sie fort.

Er schaute wieder nach unten auf seine Schuhspitzen und blickte daraufhin nach oben.

„Mmh …“

„Wenn es dir gerade nicht passt, können wir was im Portal vereinbaren.“

„Nein, ich möchte dich gerne auf einen Kaffee einladen oder was anderes, was du magst.“

„Da sage ich nicht nein.“ Kerstin lächelte ihn an. „Hier gibt es eine angenehme Cafeteria.“

Sie fuhren mit der Rolltreppe ins obere Geschoss.

„Kaufst du denn oft hier ein?“, fragte Kerstin.

„Wenn ich hier am Ort bin, gehe ich meist mal durch. Auch wenn ich was Bestimmtes besorgen will. Beim Optiker bin ich Kunde. Der hat einmal im Jahr eine Aktion, deshalb bin ich auf ihn gekommen.“

„Ja, ich gehe auch zu ihm. Habe mir bei den Aktionen schon einige preiswerte Brillen besorgt. Die teuren kaufe ich aber auch dort.“

Die Cafeteria war fast leer, so hatten sie die freie Auswahl. Und suchten sich einen Platz am Fenster. Das Selbstbedienungsrestaurant war hell und freundlich, die hohen Fenster allerdings unansehnlich, verkratzt und teilweise blind.

Soulman fragte: „Soll ich dir was mitbringen?“

„Gerne, einen Kaffee, ohne alles.“

Während er die Getränke besorgte, dachte Kerstin, dass ihr das gefällt, das mit der Einladung. Gentlemanlike. Ist eine sehr kultivierte Geste. Einen kurzen Moment konnte sie innehalten, ihn aus der Ferne betrachten. Doch, ja, er war sympathisch. Angezogen war er auch nach ihrem Geschmack. Das rustikale weiße Baumwollhemd, die dunklen Hosen, die teuer wirkenden Schuhe. So gut kannte sie sich mit Herrenschuhen nicht aus. Auch die Haare waren ordentlich. O weh, Kerstin wunderte sich über sich selbst, worauf sie alles achtete. Sie musste lachen: Ordentliche Haare! Gleich fiel ihr wieder die Generation ihrer Eltern ein, insbesondere eine Tante, die so etwas hätte sagen können. Kerstin wusste aber genau, woran sie dabei gedacht hatte. Ein Arbeitskollege rannte oft wochenlang mit riesigen Wollknäueln im Nacken durch die Gegend, besser gesagt, durch die Flure des Betriebes. Kerstin musste wieder grinsen, als sie jetzt noch dachte – obwohl er verheiratet war. Wie kleingeistig sie doch sein konnte!

Schluss jetzt mit der Mannbeschau. Sie wusste, wo das letztlich herrührte. Sie war nicht hell begeistert, aber sie mochte Soulman, von den kurzen Momenten, in denen sie ihn nun kennengelernt hatte. Und bereits vorher aus dem Portal.

Da war er auch schon wieder, mit Kerstins Kaffee und mit seinem Cappuccino. Ihr eh schon spärlicher Redefluss kam nun nicht wieder in Gang. Beide nippten vorsichtig an ihren Getränken. Kerstin begab sich auf ein unverfängliches Feld.

„Wie lange bist du schon im Portal? Ich habe mitbekommen, du meldest dich öfter ab und dann wieder an.“

„Könnten jetzt zwei Jahre sein. Ich weiß es nicht mehr so genau. Ein Jahr nach meiner Scheidung habe ich begonnen.“

„Ich will dir nicht zu nahetreten, aber ich frage ganz einfach: Hängt dir denn die Scheidung, die Trennung immer noch in den Klamotten? Ich denke nur, weil du so unentschlossen wirkst, ich meine mit dem An- und Abmelden.“

„Ja. Ich vermute schon. Und ich weiß ja auch, dass man andere nicht mit seiner Vergangenheit belasten soll.“

Kerstin spürte, wie Soulman wieder einsilbiger wurde.

„Du meinst eine neue Frau nicht belasten? Ja, das sagt man. Wird wohl auch stimmen.“

„Auch andere, auch Bekannte.“

Er streckte sich etwas nach hinten. Nun hatte er scheinbar genug davon, ausgefragt zu werden.

„Ich bin schon längere Zeit von meinem Freund oder wie man heute sagt Partner, Lebensgefährten getrennt. Es belastet mich nicht mehr. Obwohl wir wohl alle von unseren Erlebnissen, der Summe unserer Erfahrungen geprägt werden.“ Kerstin dachte, was für ein Allgemeinplatz. Doch sie konnte den Satz nicht mehr zurücknehmen.

„Irgendwie habe ich zu dir gleich Vertrauen gehabt.“ Soulman bewegte sich wieder etwas auf sie zu, wurde offen und ernst zugleich.

„Deine Fotos, das, was du schreibst. Ich würde gerne ehrlich sein. Darf ich?“

Kerstin nickte.

Soulman begann zu erzählen. Wie seine Frau ihn vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Wie er ausgezogen war. Eines Abends seine Familie, seine Frau und die beiden Jungs, von weitem gesehen und sich ausgeschlossen gefühlt hatte. „Jeden Abend nach der Arbeit ging ich dann in die Kneipe, in die Rockhütte nebenan. Dort waren Männer wie ich, Verlorene, die sich sehnten … Sinke ich jetzt in deiner Achtung?“

Kerstin setzte zum Antworten an – da hörten sie aus dem Foyer einen Heidenlärm.

Kerstin drehte sich um. Soulman schaute in Richtung des Foyers. Da standen sich zwei Männer gegenüber, ein junger, so um die zwanzig, ein älterer, so um die fünfzig. Der Ältere könnte der Vater sein, vielleicht war er es auch. Aber ein Vater-Sohn-Gerangel in der Öffentlichkeit? Davon hatte Kerstin noch nie gehört.

„Ich habe es dir schon mal gesagt“, brüllte der Ältere.

„Ich lass mir von dir gar nichts sagen“, kam prompt die Antwort.

„Lass dich hier im Geschäft nicht mehr blicken“, schnaubte der Alte noch mal.

Nein, also doch nicht, Vater und Sohn, dachte Kerstin. Der junge Mann wollte sich nicht so schnell wegschicken lassen. Er blitzte:

„Ich kann mich aufhalten, wo ich will.“

Der Alte versetzte ihm einen Stoß.

In dem Moment stand Soulman auf und lief in Richtung Foyer. Doch da war es schon geschehen. Der Ältere der Streithähne hatte bereits zugeschlagen. Der Junge taumelte und hielt sich am Geländer fest. Soulman lief schneller. Er stellte sich vor den Älteren und schrie: „Stopp“. Der war perplex – verlor an Rage und Energie. Man sah das am leichten Absinken der Fäuste. Er zog den Oberkörper nach hinten. Der Junge hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefangen und tauchte hinter Soulman auf.

„Hey, misch dich nicht ein. Das ist was zwischen uns beiden.“

Und zu seinem Kontrahenten:

„Das machst du nicht mit mir, du Assi, du Schwuchtel.“

Soulman, der immer noch zwischen den beiden stand, holte geräuschvoll Luft, fast konnte Kerstin es hören, festigte seinen Stand und blähte den Brustkorb auf. Rundherum waren Leute stehen geblieben.

Einer rief: „Soll ich die Polizei holen?“

„Lass mal“, erwidert Soulman, „wir kriegen das in den Griff, nicht wahr?“ Er sah den jungen Mann an.

„Was glotzt du so? Ich habe keine Angst. Schon gar nicht vor dem da!“

Er schnippte den Kopf in Richtung des Älteren.

„Das weiß ich doch“, antwortete Soulman geduldig.

Nun kamen von hinten Kumpels des jungen Mannes und zogen ihn mit sich. Soulman stellte sich vor den Ladenbesitzer und redete ruhig auf ihn ein. Kerstin konnte nichts verstehen, aber auch der verzog sich.

Kerstin hatte fasziniert das Geschehen beobachtet. Die Polizei zu rufen, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Als Soulman die Szene betreten hatte, löste sich die Spannung. Bei den Kontrahenten nicht sofort. Aber bei den Zuschauern. Klar, dass im Foyer ausreichend Menschen stehen geblieben waren. Wie üblich. Die einen wegen ihrer Sensationslust, die anderen um vielleicht wirklich noch etwas zu bewegen oder zu stoppen. Gott sei Dank hatte keiner eingegriffen, um vielleicht noch Schlimmeres zu bewirken. Man hatte Soulman, den Schlichter, gewähren lassen.

Der kam nun wie selbstverständlich an den Tisch zurück. Er griff nach seinem Kaffee, der jetzt bestimmt kalt war, und nippte daran.

„Wow“, sagte Kerstin, „denen hast du es aber gezeigt. Ich meine, du hast allen gezeigt, wie man einen Konflikt löst.“

Nun huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Eine Sekunde, kaum wahrnehmbar.

„War mal bei der Freiwilligen Feuerwehr. Dort hatte man einen Kurs über so was angeboten, also wie man eine gewalttätige Situation umlenkt.“

„Das hast du fantastisch gemacht. Ich glaube, ich hatte die ganze Zeit den Mund offenstehen.“

Jetzt musste Soulman lachen und die Haut um seine Augen kräuselte sich, als er sie ansah.

Kerstin wusste es nicht genau, hatte aber das Gefühl, als habe sich bei Soulman ein Schalter umgelegt.

Sie wandten sich anderen Themen zu.

Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale

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