Читать книгу Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale - Meli Telmann - Страница 6
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ОглавлениеHatte sie oder hatte Soulman zuerst den Kontakt aufgenommen? Kerstin saß gerade nicht vorm Computer, daher konnte sie die Frage nicht umgehend überprüfen und beantworten. Soulman ließ sporadisch von sich hören, meldete sich des Öfteren auch nur für einen Monat im System an. Er hatte außergewöhnlich freundlich mit ihr geredet, ohne anbiedernd, anzüglich oder plump zu sein. Deshalb ging Kerstin auch immer wieder darauf ein, wenn er sich meldete. Es war genau der Tonfall, wie ein Mann mit einer Frau reden sollte, fand Kerstin, auch wenn sich das bürgerlich und stereotyp anhört. Er machte ihr Komplimente wegen ihres Aussehens, war romantisch, wurde in seinen Äußerungen konkret. Zum Beispiel schrieb er einmal:
„Du siehst so lebendig aus.“
Oder ein anderes Mal:
„Ich würde gerne mit dir am See einen Rotwein trinken und schauen, wie die Sonne untergeht.“
Weiter:
„Heute war ich in deiner Stadt, habe nach dir Ausschau gehalten, habe dich aber nicht gesehen.“
Dass immer wieder Wochen verstrichen, bis Soulman auf ihre Nachricht antwortete, ließ Kerstin vermuten, dass er Probleme hatte. Finanzielle, familiäre, psychische. Möglicherweise der Alkohol.
Sein Foto – eine Aufnahme im Profil – zog Kerstin nicht an, schreckte sie aber auch nicht ab. Die Nase war markant, aber gut geformt, die Haare graumeliert, kurz geschnitten und nach hinten gebürstet; die Lippen sah man zwar kaum, konnte aber erkennen, dass sie ausgebildet waren. Was Kerstin weniger mochte.
So verging die Zeit. Kerstin und er waren immer kurz davor eine Verabredung zu treffen; klappte aber nie.
In der Zwischenzeit chattete sie mit einem Farbigen, ein Franzose aus Neuchâtel. Er war so begeistert von ihr, dass er gleich vorbeikommen wollte.
Das Nervige war, dass Kerstin sich oft verpflichtet fühlte, die Unterhaltung, den Chat, aufrechtzuerhalten, obwohl sie schon keine Lust mehr auf das Gespräch hatte. Weil es sie langweilte. Doch nach und nach fasste sie den Mut zu Ausflüchten, selbstverständlich welche, die den Gesprächspartner nicht kränkten: „Tut mir leid, hab keine Zeit mehr.“ „O weh, ich muss dringend mit dem Kochen beginnen.“ „Eben hat es geklingelt, meine Freundin wollte kommen.“
Auch Absagen erteilen, musste Kerstin lernen – oft schweren Herzens. Zugegeben, bei manchen, den Großkotzigen, genoss sie es, sie aus der sicheren Distanz loszuwerden. Bei den Netten, Bescheidenen, den vermutlich im Umgang Liebevollen war das sehr schwer.
So bekam sie von einem etwa Gleichaltrigen eine Einladung zum Kaffee. Er erzählte auch gleich, dass er einen Obsthof betreibe, gemeinsam mit seiner Tochter. Dass er sie sympathisch fände. – Aber das Foto von ihm: Es zeigte einen nicht sehr großen Mann von der Brust aufwärts, mit hellen Haaren, rötlichem Gesicht. Letzteres konnte auch an der schlechten Qualität des Fotos liegen. Der Mann war untersetzt, lächelte unbeholfen in die Kamera. Er hatte ein rundes Gesicht, sah von Grund auf solide aus. Ein Mann, der sie an ihren Vater oder die Generation ihrer Eltern erinnerte, obwohl er vermutlich jünger war als sie. Er war ein herzensguter Mensch. Das sah man. Und das brachte Kerstin in Verlegenheit. Sie überlegte, was sie schreiben sollte. Auf der einen Seite wäre sie froh, mal wieder ein Date zu haben, einen Mann zu treffen. Auf der anderen Seite hatte sie Angst davor, ihn zu enttäuschen. Nicht Angst, dass er heftig reagierte. Nein. Sie enttäuschte Menschen, gutmütige Menschen, ganz einfach ungern. Sie fühlte mit, hatte dabei mutmaßlich stärkere Gefühle als der Betreffende. Also würde sie die Einladung ablehnen, obwohl auch sie gerne, wie gesagt, einen netten Menschen getroffen hätte. Doch nach einem Treffen wäre seine Enttäuschung noch größer gewesen, vermutete sie. Kerstin hätte sich noch schlechter gefühlt – und sich gewunden bei einer Absage.
Sie formulierte so liebevoll wie möglich:
„Ich freue mich sehr über die freundliche Post von dir. Auch darüber, dass du mich gerne treffen möchtest. Doch sei mit bitte nicht böse, ich sehe da nicht so viele Gemeinsamkeiten. Dir und deiner Tochter wünsche ich für die Zukunft alles Liebe ...“
Zwei Tage später hatte sie Post von ihm. Sie wurde über Nachrichten im Portal ja immer per E-Mail unterrichtet. Vier Tage hatte sie nicht den Mut ins Portal zu gehen, um zu schauen, was er geschrieben hatte. Sie erwartete von Ablehnung über Beschimpfung bis zu Kränkung alles Negative, was ihr schlechtes Gewissen ihr eingab.
Dann überwand sie sich. Und ein großer Stein fiel ihr vom Herzen. Er hatte verständnisvoll reagiert und sich sogar noch für ihre Nachricht und ihre freundlichen Worte bedankt.