Читать книгу Mordsklamm - Mia C. Brunner - Страница 10
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ОглавлениеDer eben noch so smart und selbstbewusst aufgetretene Braumeister wirkte plötzlich, als hätte er einen Geist gesehen. Er starrte in die offene Luke des vorderen Sudkessels, in dem er aus Vorführgründen am Computer kurz vorher das Licht eingeschaltet hatte, und wich trotz des bestialischen Gestanks, der sich langsam im Raum ausbreitete, keinen Millimeter zurück.
»Heiland … Kreuz-Kruzifix, was ist das?«, brachte er gepresst heraus. Nun ging er doch ein paar Schritte zurück und hielt schützend seine Hände vor Nase und Mund. Der süßliche, modrige Geruch war nicht nur unangenehm, er brannte auch im Hals und in der Nase. »Ist das ein Mensch?«
Florian, der bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich damit beschäftigt war, Jessica nicht aus den Augen zu lassen und auf jedes kleinste Zeichen für ihr eventuelles Interesse an Markus Hubertus zu achten, wurde schlagartig hellhörig, stürmte zur Luke und sah ebenfalls in den hell erleuchteten Kessel.
Über einem dicken Rohr im Sudgefäß hing der fast komplett skelettierte Körper eines Menschen ohne Arme und Unterschenkel. Manche der fehlenden Knochen lagen auf dem blitzblank gereinigten Edelstahlboden des großen Kessels. Florian konnte eine knöchrige Hand mit nur drei Fingern und einen zertrümmerten Fuß sehen. Die Knochen waren nahezu klinisch sauber, schneeweiß und gänzlich ohne Haut. An wenigen Stellen des Körpers hing noch eine stinkende, ledrig glibberige Masse. Man konnte nur vermuten, dass diese einmal menschliche Sehnen und Haut gewesen waren. Ein groteskes Bild eines gereinigten, beinahe sterilen Massakers. Was war hier passiert?
»Jessy, ruf bitte die Spurensicherung an und hole dann Ewe her«, befahl Florian und wandte sich an den Braumeister. »Ist in diesem Gefäß in letzter Zeit Bier gebraut worden? Ich meine, ist es möglich, dass der Kerl mitgekocht wurde?«
Markus Hubertus sah ihn entsetzt an und schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Das ist nicht möglich. In diesem Kessel wurde vor mehreren Wochen das letzte Mal Bier gebraut. Während meines Urlaubs. Nein. Das kann … nicht …« Er stockte, verstummte schließlich, drehte sich um und erbrach sich mitten auf den gefliesten Fußboden. Dann wischte er sich mit zitternder Hand das Erbrochene von den Mundwinkeln, starrte Florian verzweifelt an und schüttelte erneut den Kopf. »Ich muss zum Ausschank«, stammelte er und torkelte unsicher Richtung Ausgang. »Ich muss … ich muss … die Leute wegschicken. Der Sommersonnenwend-Sud … Keiner darf ihn trinken.«
*
»Wo ist denn das ganze Zeug hin?« Die Stimme des Rechtsmediziners Erwin Buchmann dröhnte aus dem Sudkessel heraus. Die Beamten der Spurensicherung suchten fieberhaft nach Spuren, Fingerabdrücken und einer eventuellen Tatwaffe, seit sie wussten, dass der Mann, der fast nur noch aus Knochen bestand, vermutlich einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte.
»Was für Zeug meinst du, Ewe?« Florian blickte zum wiederholten Mal durch die Luke ins Innere des Sudgefäßes und sah zu seinem Freund hinunter, der vorsichtig zwischen den Knochen herumlief, Fotos machte und sich den einen oder anderen größeren Splitter genauer ansah.
»Ich meine den Rest des Körpers«, rief der Rechtsmediziner von unten hinauf. »Die Haut und die Organe.«
Der Hauptkommissar zuckte unwissend mit den Schultern und sah sich suchend nach Markus um.
»Wäre gut, wenn wir etwas mehr Gewebe hätten als diesen kläglichen Rest an ein paar wenigen Knochen«, fuhr Erwin Buchmann fort.
»Wieso ist an dem Skelett eigentlich keine Haut mehr dran?«, fragte Florian und wusste bereits in dem Moment, als er die Frage unbedacht ausgesprochen hatte, dass er die Antwort darauf gar nicht hören wollte.
»Hast du schon einmal Hühnersuppe gemacht?« Ewes Worte hallten blechern von den Wänden des Gefäßes wider. »Wenn du das Suppenhuhn lange genug kochst, dann löst sich das Fleisch auch von ganz allein von den Knochen.«
»Und wo ist das Fleisch jetzt hin?«, wollte Florian wissen.
»Genau das habe ich doch eben auch gefragt.« Der Rechtsmediziner klang ungehalten. »Nimm dir endlich den Braumeister vor. Der kann dir bestimmt sagen, wo die ausgekochten Malzreste hingehen, wenn der Kochvorgang abgeschlossen ist. Hier unten ist eine Ableitung.« Er zeigte auf eine Stelle im Boden des Kessels. »Doch wo fließt die ganze Soße hin? Vielleicht finde ich dort noch Reste von meiner Leiche.«
»Der Treber?«, fragte der Braumeister, der immer noch gegen seine Übelkeit kämpfte und blass und zitternd auf einer der mittlerweile leeren Bierbänke im Außenbereich saß. »Den holt ein Bauer aus der Nachbarschaft ab. Für seine Rinder und Schweine.«
»Kannst du mir die Adresse geben, Markus?« Florian Forster rieb sich ungeduldig den Nacken. Er hatte Jessica gebeten, Paula und ihren neuen Freund nach Hause zu bringen und anschließend selbst heimzufahren und auf ihn zu warten. Ein Hauptkommissar reichte hier am Tatort vollkommen aus. Sein Kollege Berthold würde sicher gleich eintreffen, um ihn später mit nach Kempten zu nehmen.
»Natürlich, Flo. Aber ich glaube, von dem Treber ist nichts mehr übrig. Den werden die Tiere bereits gefressen haben.«
»Oh Gott«, stöhnte Florian. »Muss ich dann noch das Veterinäramt informieren?«
»Keine Ahnung«, erwiderte der Braumeister. »Mir macht viel mehr Sorgen, was aus dem guten Ruf der Brauerei wird. Der Chef hat erst kürzlich so viel Geld in die neue Anlage investiert. Wenn jetzt alles den Bach runtergeht, dann sitzt er auf einem riesigen Berg Schulden. Und ich bin meinen Job los.«
»Der Chef? Gehört die Brauerei nicht dir? Dein Vater hieß doch Sebastian, wenn ich mich richtig erinnere. Ich dachte, du hättest die Brauerei ihm zu Ehren Baschtl-Bräu genannt. Da hab ich wohl falsch gedacht. Kann ich deinen Chef dann bitte jetzt sprechen?«
Markus Hubertus schüttelte den Kopf. »Er ist mit seiner Frau im Urlaub. Deshalb war die Brauerei in den letzten Wochen geschlossen. Er heißt auch Sebastian mit Vornamen. Sebastian Lenz«, informierte ihn Markus. »Morgen kommt er wieder. Ich habe ihm aber bereits eine Nachricht geschrieben.« Markus zog sein Smartphone aus der Hosentasche und hielt es Florian entgegen.
Der warf nur einen kurzen Blick darauf und fragte: »Und hat er bereits geantwortet?«
»Nein. Er sitzt vermutlich gerade im Flieger. Die beiden waren in Thailand, da dauert die Heimreise schon ein paar Stunden.«
»Dann lasse ich ihn am besten direkt vom Flughafen abholen«, überlegte Florian laut. Er dachte kurz nach. »Sag mal, Markus. Warum kam Herr Lenz denn nicht zum Jubiläumsfest zurück? Sollte ein Chef bei einer solchen Veranstaltung nicht vor Ort sein?«
»Er wollte einen längeren Urlaub machen, und ich habe ihm versprochen, das Fest zu managen. Dafür genehmigte er mir vor dem Fest mehrere freie Tage.«
»Wer arbeitet sonst noch in der Brauerei? Wer hat einen Schlüssel? Wer kann die Anlage bedienen und kennt sich aus?«
»Nur ich. Und der Chef. Und vielleicht noch seine Frau, aber die hat keine Ahnung von dem Computerprogramm, nur einen Schlüssel.«
Florian sah, wie Markus angestrengt nachdachte.
»Die Aushilfskräfte – zwei junge Männer aus Blaichach – gehen uns manchmal bei der Fassabfüllung zur Hand. Einen Schlüssel besitzen sie allerdings nicht. Als ich gestern nach dem Rechten gesehen habe, waren alle Türen abgeschlossen.«
»Dabei ist dir der Tote im Sudhaus nicht aufgefallen?« Der Hauptkommissar sah den Braumeister ungläubig an.
»Leider nicht. Sonst hätte ich doch ein anderes Bier ausschenken lassen und nicht dieses verdammte Leichenbier. Oh Gott, was soll jetzt aus dem Baschtl-Bräu werden?«
*
»Du bist spät«, begrüßte ihn Jessica vom Sofa aus, als er kurz vor Mitternacht endlich nach Hause kam. Florian ließ sich auf den Sessel gegenüber der Couch fallen und legte die Füße auf den Glastisch, der zwischen ihm und seiner Freundin stand. »Bist du in dem Fall denn weitergekommen? Habt ihr die Identität der Leiche schon herausgefunden?«
»Ewe sagt, männlich und mittleren Alters. Aber du kennst ihn ja. Er legt sich nicht sofort fest, obwohl ich glaube, er weiß anfangs mehr, als er zugibt. Schön, dass du auf mich gewartet hast und noch nicht schlafen gegangen bist.«
»Oh, das war keine Absicht. Bin auch gerade erst gekommen. Ich musste Paula beruhigen. Sie war sehr aufgebracht, weil sie beinahe das verseuchte Bier getrunken hätte. Und du weißt, Paula beruhigt sich nicht so schnell«, sagte Jessica, beugte sich vor und schob etwas grob die Beine ihres Freundes vom Tisch. »Meinst du, dass ich mit meinen verzweifelten Versuchen, dich zu erziehen, irgendwann Erfolg haben werde?«
Florian schüttelte lachend den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erwiderte er, vermied es aber, die Füße erneut auf den Tisch zu legen. Stattdessen lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Meinst du, du könntest das Dirndl noch einmal für mich anziehen?«
»Das glaube ich nicht.« Jetzt war es Jessica, die den Kopf schüttelte. Sie hatte bereits ein altes T-Shirt und eine kurze Pyjama-Shorts zum Schlafen an.
»Schade«, sagte Florian enttäuscht, wechselte dann aber das Thema. »Ich habe mir deine norddeutschen Trachten vorhin im Internet angesehen. Berthold hat mich nach Hause gefahren, da konnte ich die Zeit im Auto nutzen.«
»Und? Nicht sexy, oder?«, fragte Jessica und zwinkerte ihrem Freund zu.
Florians Blick verriet, dass er anderer Meinung war. Er biss sich auf die Unterlippe und ließ Jessica nicht aus den Augen. »Schade, dass du keine solche typische Hamburger Tracht besitzt. Die sieht so schön streng aus. Du würdest darin wirken wie eine strenge Lehrerin. Eine sexy strenge Lehrerin.«
»Und das würde dir gefallen?« Jessica klang amüsiert und entsetzt zugleich, lachte aber, als Florian eifrig nickte.
»Zieh doch das Dirndl noch einmal für mich an. Nur ganz kurz. Nur, bis wir im Schlafzimmer sind. Bitte«, flehte er und schaute treuherzig zu ihr hinüber.
»Du bist unmöglich«, schimpfte Jessica gespielt empört. »Ich verrate dir etwas: Ich habe tatsächlich eine norddeutsche Tracht. Die ziehe ich jetzt an und dann schauen wir mal, wie es so um deine Algebra und deine Grammatik bestellt ist.« Sie verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal zu ihm umzusehen.
Als sie kurz darauf das Wohnzimmer wieder betrat, erwartete sie, dass Florian vor Lachen vom Sessel kippen und sich nicht mehr einkriegen würde.
Doch ihr Freund saß noch genauso ruhig auf dem Sessel, wie sie ihn verlassen hatte, und musterte sie von oben bis unten. Er sah aus, als wäre er nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, denn er rührte sich keinen Millimeter und atmete flach. Sein Blick hatte etwas Lauerndes.
»Und? Gefällt dir meine norddeutsche Tracht? Hochgeschlossen – wie ich gesagt habe«, plapperte Jessica drauflos und zwinkerte ihm erneut zu. »Aber streng finde ich das eigentlich nicht.«
Es vergingen einige Sekunden, bevor er auf ihre Frage reagierte.
»Was trägst du drunter?«, wollte er wissen, beugte sich vor, rieb seine Hände an dem Jeansstoff seiner Oberschenkel und ballte sie zu Fäusten. Jetzt hielt er die Luft an. Er sah aus wie ein wildes Tier, das sich zum Angriff bereit machte.
»Nichts«, sagte Jessica leise. »Siehst du – absolut nichts!« Mit einem Ruck riss sie alle silbernen Druckknöpfe an ihrem quietschgelben Friesennerz auf einmal auf und präsentierte Florian dieses Nichts mit einem breiten Grinsen im Gesicht.