Читать книгу Mordsklamm - Mia C. Brunner - Страница 12
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ОглавлениеDie Fahndung nach der vermissten Ehefrau von Herrn Guggenmoos, den Hauptkommissar Kern und Jessica vor über einer Woche in dem kleinen Missener Hotel ermordet vorgefunden hatten, lief erst seit drei Tagen. Das lag vor allem daran, dass es Jessica nicht gelungen war, die Hamburger Kripobeamten von der Dringlichkeit zu überzeugen, ihr schnell ein Foto der Frau zu besorgen. Die Hauptkommissarin hatte die Hamburger Beamten schließlich regelrecht mit Anrufen bombardiert, doch ihre norddeutschen Kollegen ließen sich Zeit, die ihnen hier im Allgäu jetzt fehlte.
Jessica glaubte nach wie vor nicht daran, dass Frau Guggenmoos ihren Mann getötet hatte. Ihre Ermittlungen ergaben, dass die Verdächtige das Hotel, sollte sie geflohen sein, nur zu Fuß verlassen haben konnte. Ein Taxi hatte sie nicht genommen. Auch mit dem Bus war sie nicht gefahren, da die Buslinie 23, die durch Missen führte, aufgrund einer Straßenreparatur für mehrere Tage unterbrochen gewesen war.
Hätte Frau Guggenmoos dann nicht ihr eigenes Auto genommen, um schnellstmöglich wegzukommen? Der dunkelrote Mercedes allerdings stand noch immer vor dem Gasthof. Ihr gesamtes Gepäck befand sich im Hotelzimmer. Und die Jacke, die sie laut Auskunft des Hoteliers ständig getragen hatte, hing am Haken neben der Zimmertür. Das Einzige, was die Beamten der Spurensicherung nicht gefunden hatten, waren ihre Geldbörse und ihr Ausweis.
Hatte sie vielleicht einen Komplizen? Oder war die Frau entführt worden? Doch warum? Das Ehepaar Guggenmoos hatte keine Kinder und aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters vermutlich auch keine Eltern mehr. Eine eventuelle Lösegeldforderung machte dementsprechend keinen Sinn.
Um nähere Informationen über den finanziellen Hintergrund des Ehepaares und Auskunft über mögliche Verwandte zu bekommen, hatte sich Jessica am heutigen Vormittag erneut an die Hamburger Dienststelle gewandt, die sich um die Beschaffung des Fahndungsfotos gekümmert hatte. Sie glaubte nicht daran, dass die Hamburger Kollegen diese Aufgabe schneller erledigten als die erste.
Als bereits eine Stunde später ihr Diensttelefon klingelte und das Display eine Hamburger Nummer anzeigte, traute sie ihren Augen kaum.
»Hauptkommissarin Grothe«, meldete sich Jessica, schlug die Akte zu, die aufgeschlagen auf ihren Beinen lag, und legte sie auf die Ordner auf ihrem kleinen Schreibtisch. Außer der Tastatur und dem Bildschirm passte kaum noch etwas auf die Arbeitsfläche des winzigen Tisches.
»Jessica? Bist du das?«
Die Stimme, die ihr aus der Leitung entgegenschallte, erkannte sie nicht auf Anhieb, doch sie kam ihr bekannt vor.
Der junge Mann am anderen Ende lachte. »Jessica Grothe, Herrgott noch mal, was verschlägt dich Hamburger Deern bloß zu den Schluchtenscheißern?«
»Wer spricht denn da, bitte?«, fragte sie etwas ungehalten. »Rufen Sie an, um mir die gewünschten Informationen zu Familie Guggenmoos zu geben?«
Ihr Gesprächspartner lachte erneut. »Wenigstens hast du noch diesen süßen Hamburger Schlag in deiner Stimme und bist noch nicht total bayrisch. Ich bin’s, Malte Lübke, seines Zeichens der erfolgreichste und gut aussehendste Hauptkommissar Hamburgs!«
»Na, darüber lässt sich streiten«, bemerkte Jessica amüsiert. »Malte Lübke. Du hast deine Prüfung also doch noch bestanden?«
»Beim zweiten Versuch … mit Auszeichnung«, betonte er nicht ohne Stolz. »Beim ersten Mal hast du mich zu sehr abgelenkt.«
»Natürlich. Einer muss ja schuld sein.« Jessica stand auf und begann, in ihrem und Kerns Büro im obersten Stockwerk des Polizeipräsidiums umherzugehen. Ihr Kollege war diese Woche krankgeschrieben. »Du rufst an, um mir etwas zu meinem Fall zu sagen, oder?«
»Ja, aber zuerst will ich wissen, was dich nach Bayern verschlägt. Verstehst du deine Kollegen überhaupt, wenn die nur bayrisch sprechen?«
»Hier spricht niemand bayrisch. Ich bin im Allgäu!«, erklärte Jessica und erinnerte sich schmunzelnd daran, wie ihr Florian am Anfang ihrer Beziehung ausführlich die Unterschiede zwischen den Dialekten in Süddeutschland unterbreitet hatte und nebenbei erwähnte, dass es für einen Allgäuer das Schlimmste war, als Bayer betitelt zu werden. Umgekehrt war es vermutlich genauso. »Was ist jetzt mit den Finanzauskünften? Und wie kommt es, dass meine Anfrage heute so schnell bearbeitet wird?« Diesen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen.
»Meine Kollegen hatten Angst, dass du sonst wieder alle paar Minuten anrufst. Du warst ganz schön nervig. Aber das warst du schon immer.«
»Wie bitte? Ich habe hier einen Mordfall aufzuklären, da kann ich erwarten, dass man mir wichtige Informationen nicht vorenthält.«
Erneut hörte sie den Hamburger Hauptkommissar lachen.
»Dann wollen wir dir bei deinem Mordfall natürlich umgehend helfen«, sagte Malte Lübke und klang nun nüchtern und professionell ernsthaft. »Ich schicke dir nachher die Kontoauszüge von Hans und Renate Guggenmoos per Fax. Vorab ein paar Infos zum Familienhintergrund. Hast du etwas zu schreiben parat?«
*
Das Ehepaar Guggenmoos war weder sehr wohlhabend noch hatte es reiche Verwandtschaft. Scheinbar lebte nur noch eine kinderlose verwitwete Tante von Renate Guggenmoos. Eine 95-jährige Dame, die seit Jahren in einem schlichten Altenheim wohnte und an fortgeschrittener Demenz litt. Laut Malte Lübke erkannte sie nicht einmal mehr ihre Pfleger, die sie täglich betreuten, geschweige denn ihre Nichte Renate, die sie regelmäßig besuchte.
Die Kontoauszüge der Eheleute wiesen zwar monatliche Rentenbezüge auf und einen kleinen Betrag, der sich als Mieteinnahme einer Wohnung in Fuhlsbüttel entpuppte, aber alles in allem war das Ehepaar nicht reich. Bis auf ihre Eigentumswohnung in Blankenese und die kleine vermietete Wohnung hatten die beiden keinerlei Ersparnisse. Auch der Urlaub war nicht zufällig. Herr Guggenmoos war gebürtiger Allgäuer und besuchte einmal im Jahr das Grab seiner Eltern in Missen. Er hatte einen Bruder, eine Schwägerin und zwei Neffen, die sein Elternhaus in Börlas bewohnten.
Der Hamburger Hauptkommissar Lübke hatte gute Arbeit geleistet und Jessica sämtliche Erkenntnisse, Adressen und Bankdaten im Anschluss an ihr Telefonat sofort gefaxt.
»Mein aktueller Fall macht mich fertig«, begann Jessica beim gemeinsamen Abendessen mit Florian. »Wir haben überhaupt keine Anhaltspunkte. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen und die Ehefrau ist nach wie vor verschwunden.« Sie schob ihren halb vollen Teller beiseite, verschränkte die Arme über dem Kopf und lehnte sich zurück.
Die Kinder waren zusammen mit ihrem Vater seit zwei Tagen in Hamburg. Florians Mutter Maria, die bei ihnen im Haus lebte, machte zusammen mit ihrer Freundin eine mehrwöchige Kreuzfahrt. Sie hatten sie heute gemeinsam zum Münchener Flughafen gebracht. Nun waren sie in dem alten Stadthaus für die nächsten Wochen allein.
»Mir geht es ähnlich. Isst du das nicht mehr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Florian nach Jessicas Teller und schob die Reste mit der Gabel auf seinen eigenen hinüber. »Ein gutes Rumpsteak darf man nicht verkommen lassen.«
»Ich bin kurz davor, den Suchradius auszuweiten. Die nähere Umgebung des Hotels in Missen haben wir bereits abgesucht, aber von der Frau fehlt jede Spur.« Sie seufzte erneut. »Ich hasse es, wenn ich keine Ideen mehr habe.«
»Glaubst du, die Frau ist auch tot?«
Jessica zuckte mit den Schultern.
Florian schob sich das letzte Stück Fleisch in den Mund, legte sein Besteck auf dem Teller ab und wischte sich wenig galant den Mund mit dem Handrücken ab. »Und wenn sie doch die Täterin ist?«
»Vielleicht. Aber warum? Ich finde einfach kein Motiv.«
»Eifersucht? Die beiden waren lange verheiratet. Eventuell hat er sie mit der Zeit so genervt, dass sie es nicht mehr ausgehalten hat. Oder er hat sie schlichtweg betrogen. Oder sie ihn«, tippte Florian, doch er verstand zu gut, wie ärgerlich es war, wenn man kein Motiv fand und nur spekulierte, was der Grund für einen Mord sein konnte.
»Wie sieht es denn bei dir aus?«, wollte Jessica wissen. »Habt ihr den Mann aus dem Sudkessel identifizieren können?«
»Nein, aber Ewe ist es tatsächlich gelungen, die DNA zu bestimmen.« Florian klang begeistert, als er ausführlich berichtete, was er inzwischen wusste. »Der tote Körper des Mannes hat mehrere Stunden in warmer Maische gelegen. Im Anschluss wurde er über zwei Stunden bei etwa 80 Grad gekocht und danach sorgte die Reinigungslauge endgültig dafür, dass die Knochen blitzblank waren und die Haut und die Organe sich fast komplett aufgelöst haben. Und trotz alldem haben Ewe und die Labortechniker im Rückenmark noch intakte DNA gefunden. Faszinierend, oder?«
»Aber ihr habt keine Vergleichsprobe, nicht wahr? Wird denn jemand vermisst, auf den die Angaben passen?« Jessica stand auf und begann die Geschirrspülmaschine einzuräumen.
»Das ist mein Problem«, gestand Florian. »Keine passenden vermissten Personen, die DNA nicht im System, nirgends Fingerabdrücke. Die ganze Brauerei war klinisch rein. Außer von Markus gab es keine Spuren. Fingerabdrücke von Herrn Lenz haben sie dagegen nur im Büro gefunden.«
»Meinst du, es war Markus?« Jessica drehte sich zu ihrem Freund um und sah ihn durchdringend an.
»Nein, nicht Markus. Sein Entsetzen war nicht gespielt, als er die Leiche gefunden hat. Aber ich habe noch ein weiteres Problem.« Er stand auf und griff nach der Pfanne, die noch auf dem Herd stand. Dann legte er sie in die Spüle und goss eine große Portion Spülmittel darauf.
»Was für ein Problem?« Jessica schloss die Klappe der Spülmaschine und schaltete das Gerät an.
»Ewe sagt, er habe nicht alle Körperteile gefunden. Es fehlen zwei Finger und ein kompletter Fuß. Wir haben alles abgesucht.«
»Oh je. Vielleicht hatte der Mann schon vor seinem Tod nur noch drei Finger«, sagte Jessica. »Könnte doch sein.«
»Nein, laut Ewe nicht. Die Finger sind eindeutig post mortem abgetrennt worden, wie der Fuß. Vermutlich durch das Mahlwerk im Kessel. Wann genau, also in welchem Prozess der Bierherstellung, kann man kaum sagen. Deshalb ist es schwierig zu bestimmen, ob die Teile im Treber, im Tank oder im Kanal gelandet sind. Ewe vermutet, dass es bereits vor dem Reinigungsvorgang passiert ist, weil die Bruchstellen am Knochen von dem aggressiven Reiniger ebenso stark angegriffen sind wie die restlichen Knochen, aber sicher ist er sich nicht. Wenn es so wäre, würde der Kanal wegfallen.«
»Hat man das kontaminierte Bier inzwischen nicht auch in den Kanal entsorgt?«, fragte Jessica verwirrt. »Das muss doch vernichtet werden.«
»Natürlich muss es das. Es soll Anfang nächster Woche kontrolliert aus dem Tank durch einen Filter abgelassen werden, um die eventuellen Knochenreste aufzufangen. Diesen Filter habe ich heute organisiert. Ich hoffe, er kommt morgen oder übermorgen an.«
»Verstehe. Da haben wir ja beide richtig Glück mit unseren Fällen. Scheinbar unlösbar bringt doch am meisten Spaß, oder?«