Читать книгу Mordsklamm - Mia C. Brunner - Страница 8
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ОглавлениеEr kam erst am kommenden Donnerstag dazu, die von ihrem Ehemann verprügelte Frau erneut aufzusuchen. Da Ulrike Hildebrandt keine Anzeige erstattet hatte, gab es für Hauptkommissar Forster eigentlich keine Veranlassung, in diesem Fall zu ermitteln. Doch die Sache ließ ihm keine Ruhe. Also fuhr er nach Feierabend zum Haus der Hildebrandts und klingelte kurz vor 18 Uhr an der Haustür. Sein Kollege Berthold begleitete ihn, stand neben ihm und drehte sich immer wieder nervös um.
»Was ist denn mit dir los, Berthold?«, fragte Florian amüsiert und klingelte erneut, als nach fast einer Minute niemand geöffnet hatte.
»Es ist verdammt einsam hier draußen«, flüsterte Berthold angespannt. Das Haus lag weitab am Waldrand in Durach. Das nächste Haus war 100 Meter entfernt. »Wer weiß, ob der Ehemann hier irgendwo rumhängt. Dem passt es bestimmt nicht, dass wir da sind.«
»Aber wir sind doch zu zweit, Berthold«, lachte Florian Forster und klopfte seinem Kollegen aufmunternd an den Oberarm. »Der hat gegen uns beide gar keine Chance.«
Dass er sich mit dieser Aussage etwas zu weit aus dem Fenster lehnte, konnte Florian in diesem Moment noch nicht wissen. Als die Tür aufging, blieb ihm das Lachen jedoch im Hals stecken.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann auf der anderen Seite der Türschwelle. »Warum klingeln Sie ununterbrochen? Ich versuche, meine Tochter ins Bett zu bringen.«
Erst jetzt bemerkte der Hauptkommissar das Baby auf dem Arm des Mannes. Es wirkte auf dem muskulösen Unterarm von Herrn Hildebrandt so klein und unscheinbar, dass Florian es zuerst übersehen hatte. Der Mann war riesig. Zwar vermutlich etwas kleiner als Berthold, der mit seinen über zwei Metern Körpergröße jeden überragte, den Florian kannte, doch dieser Hildebrandt war beinahe so breit wie hoch. Ein riesiger Berg purer Muskelmasse. Die Oberarme könnte Florian mit seinen Händen nicht umgreifen. Kiefer- und Wangenknochen zeichneten sich in seinem Gesicht deutlich ab, die Augen waren dunkel, wirkten fast schwarz. Er trug einen Dreitagebart, und seine etwas zu langen Haare waren ungekämmt, aber er wirkte keinesfalls ungepflegt, nur etwas gestresst. Der Mann war höflich und sah erschreckenderweise sogar sehr freundlich aus.
»Kripo Kempten, Hauptkommissar Forster«, stellte Florian sich vor und zog seinen Dienstausweis aus der Hosentasche. »Ich und mein Kollege Willig wollten uns noch einmal nach Ihrer Frau erkundigen. Immerhin war sie schwer verletzt.«
Herr Hildebrandt sah ihn völlig verdattert an. »Das verstehe ich nicht«, begann er, verlagerte den kleinen Körper seiner Tochter vom einen auf den anderen Arm und bat die zwei Beamten mit einer ausladenden Handbewegung ins Haus und in die Küche. »Ulrike ist doch nur die Treppe hinuntergefallen. Woher wissen Sie denn von ihrem Unfall?« Er setzte sich auf die Eckbank unter dem Fenster.
»Unfall«, platzte Florian verächtlich heraus, fing sich aber schnell wieder. »Ihre Frau war letzte Woche im Krankenhaus und eine der Krankenschwestern hat aufgrund der vielen alten Verletzungen die Kripo eingeschaltet, wegen Verdachts auf häusliche …«
»Aber das verstehe ich nicht«, wiederholte der Ehemann und legte seine inzwischen schlafende Tochter neben sich auf ein großes Kissen auf der Eckbank und seine große Hand auf den Bauch des Babys, damit es nicht hinunterfallen konnte. »Ulrike war im Krankenhaus? Davon wusste ich nichts. War die Verletzung so schlimm?«
»Das müssten Sie am besten wissen, Herr Hildebrandt. Wo ist Ihre Frau jetzt? Ich würde mich gern davon überzeugen, dass es ihr gut geht.«
»Sie schläft schon. Es war ein anstrengender Tag«, sagte Herr Hildebrandt und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Sie glauben, ich habe meine Frau die Treppe hinuntergestoßen?« Er sah verzweifelt aus.
»Nein«, erwiderte der Hauptkommissar, zog einen der Stühle unter dem Tisch hervor, drehte ihn um und platzierte ihn direkt neben dem Mann. Dann setzte er sich, die Rückenlehne zwischen seinen Beinen, und legte die verschränkten Arme auf das kunstvoll geschwungene und mit Blumen verzierte Holz der Lehne. »Ich glaube, Sie benutzen Ihre Ehefrau regelmäßig als Punchingball. Sie hat so große Angst vor Ihnen, dass sie Sie nicht anzeigt. Doch lassen Sie sich eins von mir sagen: Ich verachte Männer, die ihre Frauen verprügeln, und ich werde alles in meiner Macht Stehende dafür tun, Sie hinter Gitter zu bringen. Und jetzt möchte ich mit Ihrer Frau sprechen, Herr Hildebrandt.«
»Nein«, hielt der Familienvater dagegen, wenn auch sehr leise. Er wirkte plötzlich gar nicht mehr groß und gefährlich, sondern war mit leerem, traurigem Blick verzweifelt in sich zusammengesunken. »Meine Frau schläft. Kommen Sie bitte morgen wieder, Herr Hauptkommissar. Ich bringe jetzt meine Tochter ins Bett.«
Da sie keine rechtliche Grundlage hatten, das Gebäude zu durchsuchen oder mit der verletzten Frau zu sprechen, mussten Hauptkommissar Forster und sein Kollege Willig das Haus und das Grundstück verlassen. Florian war mehr als frustriert. Außerdem befürchtete er, die junge Ehefrau mit seinen zurzeit völlig haltlosen Behauptungen und der Drohung gegen diesen Hildebrandt erst recht in Gefahr gebracht zu haben. Was, wenn der Mann nun aus unterdrückter Wut erneut auf seine Frau losging? Ob er sich auch an dem kleinen Kind vergriff? Oder war er tatsächlich so friedlich, wie er sich gab? Vielleicht war die Frau wirklich nur die Treppe hinuntergefallen? Dem Aussehen ihrer Verletzungen nach zu urteilen, war das allerdings nahezu unmöglich. Es sei denn, ein solcher Treppensturz kam bei ihr häufiger vor.
Als Florian gegen 20 Uhr endlich die Haustür des alten Stadthauses aufschloss, in dem er mit ein paar Jahren Unterbrechung seit seiner Geburt lebte, stolperte er im Flur beinahe über die drei großen Rucksäcke, die für den morgigen Ausflug mit Herbert, Jessica und den Kindern fertig gepackt bereitstanden. Herbert hatte seinen Besuch um zwei weitere Wochen verlängert und würde im Anschluss die beiden Kinder zu Beginn der Sommerferien für drei Wochen mit nach Hamburg nehmen.
Florian und Jessica hatten sich für morgen freigenommen. Der Ausflug war eine Art Abschiedserlebnis mit der gesamten Familie, denn zu einem späteren Zeitpunkt gab es keine Möglichkeit für die beiden Hauptkommissare, einen gemeinsamen freien Tag zu bekommen. Es war Urlaubszeit.
»Ich habe endlich eine gute Idee für Samstagabend«, begrüßte ihn Jessica und zog ihn ins Wohnzimmer. Da ihr Vater noch vor Ort war, wollten Florian und sie am Samstag ihren gemeinsamen Abend von letzter Woche wiederholen. Seit ihrem Streit in der »Skylounge« war sie wie ausgewechselt. Florian wusste aber, dass sich ihr Gemütszustand schnell wieder ändern konnte. Auch war ihm nach wie vor nicht klar, was ihr solchen Stress gemacht hatte und vermutlich immer noch machte. Oder hatte sich ihr eigentliches Problem plötzlich in Luft aufgelöst?
»Na, dann sag. Wo geht es am Samstag hin?« Er hatte ihr die Entscheidung überlassen, und der Grund dafür war mehr als selbstsüchtig, das wusste er. Doch er brauchte nach all ihren Zurückweisungen und Anschuldigungen der letzten Wochen und Monate endlich die Bestätigung, dass ihr etwas an ihrer gemeinsamen Beziehung lag, dass er für sie wichtig war und nicht austauschbar oder gar auslöschbar.
»Die Brauerei Baschtl-Bräu bei Sonthofen feiert ihr jährliches Sommersonnenwend-Fest und ihr zehnjähriges Jubiläum. Dort könnten wir hingehen«, schlug sie vor. »Du trinkst doch gern Bier. Und das Wetter soll super werden am Wochenende.«
»Okay, dann machen wir das. Kommt Paula mit?«
»Ich habe sie noch nicht gefragt«, gab Jessica zu. »Sie hat einen neuen Freund und ich wusste nicht, ob es dir recht ist. Immerhin ist das unser Abend.« Sie sah ihn etwas unsicher an.
Hatte sie die gleiche Angst davor, mit ihm allein den Abend zu verbringen, wie er? Einen solchen Ausbruch wie letzte Woche wollte er so schnell nicht noch einmal erleben. »Frag sie. Und sie soll den Typen mitbringen, den sie sich geangelt hat. Ich frage noch Ewe. Wird bestimmt lustig.«