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Spieglein, Spieglein …

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Der „Echo“-Skandal unterstreicht: Musik ist Teil und Spiegel der Gesellschaft, mit all ihren Facetten, den aufregenden wie den finsteren. Das gilt natürlich nicht nur für den Hip-Hop, es gilt für die populäre Musik als Ganzes. Schon immer – bis hin zum Chemnitzer „Wir sind mehr“-Konzert gegen rechts am 3. September 2018 – hat diese „populäre Musik“ gesellschaftliche Entwicklungen lautstark begleitet und befeuert. So bildete der Rock ’n’ Roll der 1950er Jahre den Soundtrack einer Jugendrevolte, die sich gegen das konservative, repressive Wertsystem der weißen amerikanischen Mittelschicht nach dem Zweiten Weltkrieg richtete. In den 1960er und -70er Jahren brachten Rock- und Soulmusik den Aufbruch einer jungen Generation in eine neue, bessere Zukunft zum Klingen: den Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen und überhaupt für eine gerechtere Welt, die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die sexuelle Revolution. Viele Songs dieser Zeit packten die Ideen der auf Veränderung zielenden gesellschaftlichen Akteure in griffige Verse und Melodien, manche provozierten Eklats, ganz wenige wirkten sogar unmittelbar auf politische Entscheidungen ein. So wie Bob Dylans Song Hurricane, der in den 1970er Jahren ganz im Sinne der Gerechtigkeit die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen einen zu Unrecht wegen Mordes verurteilten Schwarzen erreichte. Ein positives Gegenstück zur destruktiven Energie von Kollegah & Farid Bang.

Eher unpolitisch, aber auf ihre ganz spezielle Weise abweichlerisch, „deviant“ waren die hedonistischen Mods und die proletarischen Rocker, die sich als gerne selbstbezogene Jugendkulturen im England der 1960er Jahre bekriegten und ihre Haltungen und Styles in teilweise berauschende Songs gossen. Auch was The Velvet Underground und durchgeknallte junge Garagenrocker in den USA der späten 1960er Jahre an faszinierendem düsterem Lärm fabrizierten, ließ sich nicht unbedingt als links oder liberal deuten; es unterlief ganz bewusst auch die progressiven populärmusikalischen Strömungen, war weniger gesellschaftskritisch, sondern eher ästhetisch motiviert, bisweilen anarchisch, oft trotzig und manchmal einfach psychotisch: Konfrontation als künstlerisches Konzept gewissermaßen – oder um der Konfrontation willen.

Aber gerade weil populäre Musik als Spiegel der Gesellschaft fungiert, dauerte es nicht lange, bis sich neben aufbegehrenden linksliberalen Ideen und schrillen subkulturellen Stilen auch reaktionäre, menschenfeindliche Haltungen in Rock und Soul niederschlugen. Das fing schon an bei Musikern, die sich in ihren Songs zwar einigermaßen neutral verhielten, aber mit ihrer persönlichen konservativen Haltung nicht hinterm Berg hielten. Man denke an Ted Nugent, einen begnadeten Hardrocker aus Detroit, der in den 1970er Jahren Millionen junger Männer zum Luftgitarrespielen animierte, aber seit den 1990er Jahren als Waffennarr und Republikanerfan regelmäßig mit erzreaktionären, teilweise rassistischen Kommentaren auffällt. Spätestens Anfang der 1980er Jahre hatte die oft leidenschaftlich verklärte Popmusik begonnen, auch breitenwirksam unappetitliche Facetten zu entwickeln: Skrewdriver und andere Skinhead-Bands formulierten im Rock-, vor allem aber im Punk-Gewand rassistische Botschaften, speziell in Deutschland machte das Rechtsrock-Phänomen traurige Furore. Gleichzeitig irritierten schwarze Hip-Hop-Künstler wie Public Enemy, die man eigentlich im unterstützenswerten Kampf gegen Rassismus wähnte: weil sich in ihren gefeierten Raps der nachvollziehbare Protest gegen das unterdrückerische weiße Establishment plötzlich mit antisemitischen Statements mischte.

Und es ging noch weiter: Auch verschiedene jamaikanische Künstler, vor allem Vetrtreter der raporientierten Reggae-Spielart Raggamuffin, hatten und haben keine Probleme damit, in ihren Texten offen zur Gewalt gegen Homosexuelle aufzurufen – Schwulenfeindlichkeit war in dem Karibikstaat jahrzehntelang sogar gesetzlich gedeckt. Die schillernde Inszenierung, die populäre Musik oftmals auszeichnet, fällt in den genannten Fällen häufig weg – die entsprechenden Songtexte sind fast 1:1-Umsetzungen dessen, was die Künstler auch im realen Leben denken. Ähnliches gibt es ansatzweise auch im deutschsprachigen Raum. Da finden sich heute selbst in Songs angesagter Soul- und Rock-Popper irritierende Spuren des antidemokratischen Gedankenguts von sogenannten Reichsbürgern, Pegida-Aktivisten und der Identitären Bewegung. Provokationen der überraschenden Art …

Natürlich: Auch die frühe Rockmusik – von Bill Haley bis zu den Beatles, von Frank Zappa bis Velvet Underground, von den Doors bis MC 5 – wurde vom damaligen gesellschaftlichen Mainstream als Provokation, gar als Bedrohung, als antidemokratische Kraft und Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen. Und doch war ihr grundsätzlicher Impuls, erst recht in der Rückschau, ein freiheitlich menschlicher – Bewusstseinserweiterung, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Frieden, Solidarität und vielleicht ein bisschen Anarchie inklusive. Popmusik deshalb als von ihrem Wesen her positive, heilsbringende linksliberale Kraft zu feiern, wie es Kritiker und Stars gerne taten, erwies sich allerdings bald als Mythos. Schon lange lassen sich Songs nicht mehr auf eine irgendwie links und liberal orientierte Haltung reduzieren. Die Hits von heute spiegeln ganz einfach die gesamte Gesellschaft wider: mit all ihren Weltanschauungen und Ideologien, so fragwürdig, reaktionär und menschenverachtend manche davon auch erscheinen mögen.

Eine Sonderstellung nimmt hier, siehe Kollegah & Farid Bang, der Battle- und Gangsta-Rap der letzten Jahrzehnte ein – auch und vor allem wegen seiner Darstellungsform. Weisen die Ich-Sprecher in homophoben Raggamuffin-Songs, in Liedern von Neonazi-Bands, aber auch in engagierten Protestsongs oftmals eine große Nähe zu ihren Urhebern und Interpreten auf, operieren Battle- und Gangsta-Rapper in ihren Tracks mit schillernden Mega-Egos, die sich im Rahmen eines „Dissing“ genannten rhetorischen Wettstreits mit Beleidigungen und Selbstüberhöhungsparolen gegenseitig zu überbieten versuchen. Was dort an gewaltverherrlichend, antisemitisch, homophob und sexistisch anmutenden Wortkaskaden produziert wird, ist vordergründig derbstes ästhetisches Spiel, lässt aber eben hier und da auch auf mögliche tatsächliche Haltungen der Interpreten schließen. Nur: Wann und bei wem genau das der Fall ist, ist schwer zu ermitteln. Zumal es die erfolgreichsten Künstler des Genres perfekt verstehen, ihre Kernklientel spektakulär zu bedienen und Außenstehende, die breite Öffentlichkeit, immer wieder an der Nase herumzuführen. Wer spricht eigentlich im Song? So lautet die spannende Frage. Die jeweilige Antwort hilft maßgeblich dabei, einen Song und die Haltung des Urhebers einzuordnen: ob ein heftiges Lied noch als pubertäres Maskenspiel, als aufklärerische Provokation, als satirische Zuspitzung durchgeht oder ob es schon ein authentisches „Hass“-Statement beinhaltet.

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