Читать книгу Grado abseits der Pfade - Michael Dangl - Страница 11
ОглавлениеDann, da!, geht weit ein großes Auge des
Himmels auf, und du stehst mit offener Seele
und lächelst wie im Traum dem Zauber zu.*
Die wahre Verzauberung einer Ankunft in Grado erfährt der Reisende, wenn in seinem eigenen Land noch Winter ist. Das mag es, dem Kalender nach, auch hier sein, doch wenn er sich durch Regen, Schnee und Eis der Alpenpässe gekämpft hat, vernimmt er schon nach den ersten Tälern des Friaul eine wundersame Transformation: Die Temperatur steigt – alle fünf Kilometer um 0,5 Grad. Und das Gebirge hört fast unvermittelt auf – diese Alpen kennen kein Vorland, die friulanische Ebene beginnt am Fuß des letzten Bergkamms und fällt sanft zum Meer hin ab. Anders als im übrigen Norditalien ist auch, dass es gleich „wie Italien aussieht“ – die Trockenheit der Winter gibt dem Friaul, trotz der Bora, mit Zypressen, Pinien, Maulbeer- und Olivenbäumen, Steineichen und Palmen ein mediterranes Aussehen (dafür fehlt ihm die Poesie der Morgennebel wie in der Poebene).
Weder San Daniele zwingt zum Halt noch sein berühmter Schinken. Dem übrigens zur Konservierung nur wenig Salz hinzugefügt werden muss – die Luft trägt es in sich. Das spürt der Reisende, wenn er das erste Mal sein Fenster öffnet, ein wenig schon an der Mautstelle der Abfahrt Palmanova, und gleich danach mit voller Wucht beim Ampelrot an der Kreuzung vor Cervignano – ein Sekundenrausch: oben im endlich blauen Himmel die weitausschwingende Möwe (viel zu groß für die schwalben-, höchstens taubengewöhnten Stadtaugen) als Abgesandte des Meeres, dessen wilder Duft zugleich in den Wagen einströmend, sein Salz-, Algen-, Fischaphrodisiakum, und die davon getränkten Eindrücke, Bilder, Erinnerungen aus 44 Jahren und mehr. „Tränen, fassungsloses Glück“, hat der Reisende einmal in sein Tagebuch notiert.