Читать книгу Grado abseits der Pfade - Michael Dangl - Страница 25
ОглавлениеEin Wolkenbruch, sich zu waschen
und sich zu trocknen, die Sonne
Leben
Was willst du!*
Wann auch immer der Reisende nach Grado kommt, es möge ein Samstag dabei sein. Natürlich auch ein Sonntag, das folgt ja fast zwangsläufig. Zur Glorie des Wochenendes gehört aber unbedingt der Freitag, wenn alles sich aufs Wochenende vorbereitet, eigentlich ja schon ab Donnerstag, weshalb ich diesen Tag dazunehmen würde.
Das „Leben“ (wenn man den Ausbruch gesellschaftlichen Treibens so nennen will) beginnt in Grado am Samstag (noch) später als wochentags. Erst um 11 kommt es langsam in Gang. Die Plätze vor den Cafés (Sie „Terrassen“ zu nennen, träfe ihr Wesen überhaupt nicht, es sind in das Café hineinverlängerte Gehsteige, kein Wort gibt es dafür, Cafésteige könnte man sagen.) füllen sich mit noch entspannterem, noch ausgelassenerem, noch kommunikationsfreudigerem Publikum, Hunde werden heute gern auf dem Arm getragen, Kinder ausnahmsweise von ihren Vätern im Wagen gerollt. Ein ganzes Völkchen blinzelt schläfrig in die Sonne und weiß, dass der leichte Irrtum (viel mehr ist der Winter in Italien nicht) beseitigt und die Ordnung, das heißt die Wärme und das Draußensein, wiederhergestellt ist. Die Bar „Al Porto“ ist ein wunderbarer Platz dafür.
An den mittleren Märzsamstagen machen Geschäfte auf, die seit Oktober zu waren, und nie leuchten die Gewächse der Herbsternten farbiger in den Gläsern als in den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Zum Beispiel bei „Max’in“ am westlichen Anfang der Duca d’Aosta, einer Enoteca mit Küche – eine Art „Buffet“ Triestiner Vorbilds, aber auf Fischbasis. Das Fenster zur autofreien Straße ist immer offen, und da werden lauter kleine kulinarische Glücksgrüße nach draußen gestellt, die der Gast in der Sonne stehend – im März scheint sie dort bis nach Mittag, Tische werden erst im April aufgestellt – genießt. Knusprige Weißbrotscheiben mit großzügig daraufgehäuftem, köstlichem baccalà-Aufstrich, frittierte seppie, Holzspießchen mit polpetti di pesce (Fischlaibchen), dazu ein spritziger Ribolla gialla spumante. Zutiefst italienisch ist auch das Kommunikationsfördernde dieser Einrichtung, da man zwangsläufig hier zum falschen Weinglas, da in den gegnerischen Brotkorb greift. Im Nu sieht man sich von Fremden eingeladen, mit Fischern im Gespräch. Mit Adriano etwa, einem Stammgast. Auf den kleinen Quecksilberskandal angesprochen, der Grado vor einigen Jahren in die Schlagzeilen gebracht hat*, schüttelt er lächelnd den Kopf und setzt zu einer geradezu wissenschaftlichen Erklärung an. In jedem Fisch sei Quecksilber. Aber nicht das schädliche, das wir aus dem Thermometer kennen. Wenn nun ein Fisch stirbt, bleibt sein Quecksilber im Wasser und sinkt auf den Grund. Im Lauf der Jahrtausende sammelt sich da einiges an. „Wenn du mir meine Mütze abnimmst“, sagt Adriano, „wirst du Quecksilber finden. Aber eben nicht das schädliche.“ Dann befestigen wir zum Spaß eine Serviette auf einem Spießchen der zuvor verzehrten polpette und stecken es ins Holz des zum Tresen mutierten Fensterbretts. Erst als Adriano schon am Weg nach Hause ist, zu seiner Ehefrau (die ihn, so deuteten es seine Gesten an, schlüge, käme er nicht zum Essen heim), und die Serviette im Wind weht, merke ich, dass sie blau ist und dass wir also sozusagen zur Unterstützung, zur Beflaggung seiner Geschichte, dem Strand von Gravo eine weitere bandiera azzurra errichtet haben.
Adriano, Fischer von Grado
Wer nach so viel Genuss – der Samstag und die Sonne sind ein Stück weitergewandert – nicht stehen bleibt und noch ein Glas bestellt, hat vom Leben, auf jeden Fall von Grado, nichts begriffen. Die „Piccola Libreria Toman“ gegenüber, Tabakwaren-, Buch- und Zeitschriftenladen, bietet genügend Lesestoff, das Wissen über und die Liebe zur „Goldinsel“ zu erweitern.
Am Abend sollte man „Max’in“s Inneres betreten. Daniele, den man schon vom Fenster kennt, kümmert sich um die Weine (unter anderem schenkt er großartigen Prosecco Superiore von Foss Marai / Valdobbiadene aus), Max selbst nimmt die Essenswünsche entgegen, kocht vor deinen Augen – seine scogliera etwa, Spaghetti mit vielerlei Muscheln –und kredenzt dir insalata di mare sowie seine canapés mit frisch aufgeschnittenem, phantastisch zartem Lachs. Danach einen hausgemachten Santonego (siehe Ende des Kapitels). „Max’in“ ist ein kleiner Tempel des Genusses, und wer einmal da war, geht schwer vorbei.
Obwohl auch das lohnen kann. Wenige Schritte weiter nämlich warten gleich zwei Restaurants, die seit Jahrzehnten mit konstanter Qualität aus den vielen Angeboten dieser Straße, die man vor lauter Lokalen nicht sieht, herausragen: das „De Toni“ und „Agli Artisti“. Das „Zu den Künstlern“ hat zudem eine Dependance an der kleinen Piazza XXVI Maggio am Alten Hafen, die einladende Osteria del Mar mit ähnlichem Angebot wie das Max’in. Die paar Euro mehr, die man dort zahlt, lohnen in jedem Fall. Es sind zwei kostbare Felsen in der Brandung der launischen, wechselhaften Gradeser Lokalflut. Daneben ein relativer Neuling: „La Perla“. Hier arbeitet sommers gerne der Drago von Grado (siehe sein eigenes Kapitel). Ein interessantes Experiment ist es auch, zwischen den Lokalen hin und her zu wandern, ein Glas da, einen Bissen dort, man bleibt in Bewegung und der Abend ein Abenteuer.
Vor dem „Max’in“
PS: Auch am Montag – denn diesen Tag sollte der Reisende unbedingt noch dazunehmen. Es ist schön, dem Städtchen flanierend beim Wochenbeginn zuzusehen. Und wer dem Dienstag und Mittwoch ein Schnippchen schlägt, darf sich schon bald auf das nächste Wochenende freuen!