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1[9] Einleitung
1.1Orientierungen zu Begriff und Praxis der Musikalischen Früherziehung

Der Begriff der „Musikalischen Früherziehung“ steht seit dem Ende der 1960er-Jahre für eine grundlegende Musikerziehung mit Kindern im Vorschulalter. Eine genauere Bestimmung und Kennzeichnung eines pädagogischen Angebots kann unter Bezugnahme auf Zielsetzungen und Inhalte erfolgen. Zunächst soll nun dieser Weg für die Musikalische Früherziehung beschritten werden. Ziele, Inhalte und Rahmenbedingungen sollen einschlägigen Publikationen entnommen werden. Indem dabei die chronologische Reihenfolge des Erscheinens dieser Werke eingehalten wird, entsteht gleichzeitig ein grober geschichtlicher Abriss der Konzepte zur Musikalischen Früherziehung in Deutschland.

Sicher wird man in einem solchen Abriss auch Strömungen der allgemeinen pädagogischen Diskussion ausmachen können. Im Zusammenhang mit der Musikalischen Früherziehung ist hier die vorschulische Erziehung insbesondere der letzten drei Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts von Belang (vgl. Ewert 1976). Man mag etwa an den Strukturplan des Deutschen Bildungsrates von 1970 denken, worin der Kindergarten als erste Stufe des Bildungssystems bekräftigt (vgl. Fried 2006) und der Schulanfang neu als zweijährige „Eingangsstufe“ konzipiert wird (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 119ff.; vgl. Flitner 1984, S. 622). Der Begriff der „Eingangsstufe“ wird auch für den Musikschulbereich aufgegriffen, wobei diese hier ebenfalls auf zwei Jahre angelegt wird (vgl. Stumme 1974, S. 9). Weiter ist an den Begriff des „Curriculums“ zu denken, der für einen wissenschaftlich geplanten, gesellschaftlich begründeten und an konkret erfassbaren Lernzielen orientierten Unterricht steht und die Bildungsdiskussion der Siebzigerjahre maßgeblich prägte. Ende der Sechzigerjahre hatte Saul B. Robinsohn das Konzept einer „Bildungsreform als Revision des Curriculums“ vorgelegt (Robinsohn 1969; vgl. Gudjons 1995, S. 244). Der Deutsche Bildungsrat äußerte sich damals auch zur Einrichtung eines Modellprogramms für Curriculum-Entwicklung im Elementarbereich (Deutscher Bildungsrat 1973), und im Rahmen des so genannten „Situationsansatzes“ in der Vorschulpädagogik (vgl. Zimmer 2000; Fthenakis 2000; Dittmann 2000; Haug-Zapp 2000; Fried 2006; Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin. Institut für den Situationsansatz 2007) wurde das „Curriculum Soziales Lernen“ (vgl. Colberg-Schrader, Krug 1986) entwickelt. Explizit wird auch der Begriff des „Curriculums“ – inklusive eines Modellprojektes zu seiner Entwicklung – für den Vorschulbereich von den Musikschulen übernommen. Nahe liegend scheinen in diesem Zusammenhang durchaus auch Parallelen zu in den Siebzigerjahren einsetzenden Bemühungen, Trainings einzelner kognitiver Leistungen in Kindergärten zu etablieren (vgl. Fried 2006). Schließlich lassen sich ebenso auch Elemente aus der so genannten „Reformpädagogik“, deren Gedanken die pädagogische Diskussion auch in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder maßgeblich beeinflusst haben, in den Konzeptionen der musikalischen Arbeit mit Vorschulkindern [10]ausmachen (vgl. Schwenk 1984; Gudjons 1995, S. 100ff.; Oelkers 2004; Mazurovicz 2006).

Allgemeine Gedanken zur musikalischen Erziehung kleiner Kinder sind – beginnend mit Platon über Comenius, Rousseau, Fröbel und Michaelis (vgl. Naragon 2006) bis hin zur Reformpädagogik und Kestenberg – in der Geschichte der Philosophie und der Pädagogik immer wieder formuliert worden. Sie sind bereits für die Elementare Musikpädagogik aufgearbeitet worden (vgl. dazu: Ribke 1995, S. 15ff.; Mazurovicz 2006; Widmer 2006) und können hier deshalb vernachlässigt werden, sodass im Folgenden mit den Initiativen zur Institutionalisierung der Musikalischen Früherziehung am Ende der Sechzigerjahre eingesetzt werden soll. Dabei soll der Fokus auf Zielsetzungen und Inhalte die Ausführungen leiten und einer näheren Bestimmung der Musikalischen Früherziehung dienen.

Im Jahr 1967 eröffnete die Firma Yamaha die erste ihrer deutschen Musikschulen. Dort wurde ein Konzept für Kinder von vier bis sechs Jahren praktiziert, das dem Aufbau von „Fundamental Skills“ und der Vorbereitung des Instrumentalspiels diente (vgl. Mönig 2005, S. 24, 44, 64f.; 2006). Dies forderte den Verband deutscher Musikschulen (VdM) dazu heraus, bereits im Folgejahr einen Modellversuch „Musikalische Früherziehung“ zu starten und ein eigenes Curriculum zu entwickeln (VdM 2006a). Während im Yamaha-Konzept auch elektronische Tasteninstrumente zum Einsatz kamen und immer noch kommen, wurde in das Curriculum des VdM, dessen Entwicklung auch von der deutschen Klavierindustrie unterstützt wurde, ein Tastenspiel mit Klaviertastatur und Glockenspielplatten einbezogen. Ein herkömmliches Glockenspiel sollte noch heute jedem Kind, das nach diesem Programm unterrichtet wird, auch für das häusliche Üben zur Verfügung stehen. Hierauf werden dem Programm gemäß parallel zum Erlernen der Notenschrift die bereits gelernten Töne beziehungsweise die Lieder, die diese verwenden, geübt und gespielt. Das Curriculum mit Stundenbildern für zwei Jahre stellte das erste öffentlich publizierte und stark verbreitete Lehrwerk auf dem deutschen Markt dar und ist nach der ersten Ausgabe von 1968 in den Jahren 1974, 1986 und zuletzt unter dem Namen Tina & Tobi 2003 und 2004 leicht überarbeitet wieder herausgegeben worden (vgl. Wucher, Twittenhoff 1974, 1986, 2003a–b, 2004a–b; Wucher 1999). Neben der bereits 1967 im Strukturplan des VdM fixierten grundlegenden musikalischen Arbeit mit Grundschulkindern in der so genannten „Musikalischen Grundausbildung“ (vgl. Stumme 1974) wurde so seit 1969 ein entsprechendes Angebot für Vorschulkinder „integraler Bestandteil“ der Arbeit an deutschen Musikschulen (VdM 2006a), nachdem die „Vorstufe“ an Musikschulen bis dahin weitgehend ohne Institutionalisierung und abhängig von den Lehrpersonen vor Ort geblieben war. Als Konsequenz der nun erfolgten Etablierung wurden ab 1976 Studiengänge an deutschen Musikhochschulen und Konservatorien eingerichtet, die zur Lehrbefähigung für die Musikalische Früherziehung und die Musikalische Grundausbildung führten, während Studienmöglichkeiten in Elementarer Musik- und Bewegungserziehung am Salzburger Orff-Institut schon seit 1962 gegeben waren (Widmer 2006).

Parallel zu den Entwicklungen im Musikschulbereich erhielt auch der Kindergarten neue musikpädagogische Impulse. 1978 hat Margit Küntzel-Hansen die erste ihrer [11]drei aufeinander aufbauenden Musikmappen für den Kindergarten unter dem Titel Klangwerkstatt publiziert. Schwerpunkte des ersten Bandes stellen das Unterscheiden und Nachahmen von Klängen und Geräuschen aus der Umwelt, das Bauen einfacher Instrumente, das rhythmische Sprechen und das Erfinden von Melodien zu den Versen dar. Die Mappe enthält Bilder aus Themenbereichen wie Jahreszeiten, Tiere, Berufe, Maschinen und Natur, die ab und zu auch szenisch ausgespielt werden können (vgl. Küntzel-Hansen 1978, S. 4, 26, 37). Die zweite Mappe bringt eine Vorform der Notation, die zum Vertonen von Versen und kleinen Geschichten auf ein Farbglockenspiel und Perkussionsinstrumente übertragen wird (Küntzel-Hansen 1979). Der dritte Teil enthält schließlich kleine Spielstücke. Obwohl die Anregungen insgesamt vom experimentelleren Umgang mit Klängen auf das Spielen von notierten Sätzen zulaufen, betont Küntzel-Hansen, sie habe nicht die Absicht gehabt, eine Notenlehre zu verfassen. Diese Aufgabe weist sie dem Hort, der Schule und der Musikschule zu (Küntzel-Hansen 1978, S. 4). Gleichwohl finden sich in den Inhalten der Mappen vielerlei Berührungspunkte mit dem Curriculum der Musikalischen Früherziehung für die Musikschule.

Inzwischen hat sich die Musikalische Früherziehung zu einem Kernbereich der öffentlich geförderten Musikschulen in Deutschland entwickelt. Sie ist im Strukturplan des VdM im Rahmen der so genannten Elementarstufe/Grundstufe fest verankert und seit 1980 mit einem eigenen Lehrplan versehen (VdM 1980, 1994; vgl. Zarius 1999, S. 9). Einige der in der Erstfassung von 1980 präzise genannten Lerninhalte, etwa das Singen in modalen Tonleitern oder innerhalb der Musiklehre die aufgeführten Taktarten bis hin zum 6/8-Takt, werden in der Neufassung von 1994 weggelassen. Bei den Inhaltsbereichen gibt es einige terminologische Änderungen. Neu hinzu kommen 1994 außerdem Hinweise für den Übergang zum Instrumentalunterricht. Die Aufgaben der Musikalischen Früherziehung werden wie folgt umrissen: Sie soll einen frühen „qualifizierte[n] Umgang mit Musik“ ermöglichen, musikalische Fähigkeiten und Fertigkeiten wecken und insbesondere der Vorbereitung der instrumentalen und vokalen Ausbildung in der Musikschule dienen. Darüber hinaus soll die Musikalische Früherziehung einen „positiven Beitrag“ zur Gesamtentwicklung der Kinder leisten, indem „sich durch die Musikalische Früherziehung positive Auswirkungen auf das ästhetische Verhalten, die auditive Wahrnehmung, die Lernbereitschaft, das Sozialverhalten und allgemein auf den emotionalen, den kognitiven und den motorischen Bereich einstellen“. Noch vor dem Einsetzen der öffentlichen Debatte um die so genannten „Transfereffekte“ der Musik als Folge der Berliner Langzeitstudie von Hans Günther Bastian (Bastian 1997, 2000, 2001a–b; vgl. auch: Dartsch 2002b, 2003a; Schumacher 2006; Altenmüller 2006; Spychiger 2006; Vitouch 2006) wird hier die Überzeugung von positiven Wirkungen von Musikunterricht auf allgemeine Bereiche der Persönlichkeit für das Vorschulalter geltend gemacht. Folgt man dem Lehrplan, so will die Musikalische Früherziehung ihre Ziele durch das Zusammenwirken ihrer einzelnen „Sachbereiche“ erreichen. Als solche werden genannt:

[12]„1. Musikpraxis

1.1 Singen und Sprechen

1.2 Elementares Instrumentalspiel

1.3 Bewegung, Tanz und Szenisches Spiel

2. Musikhören

3. Instrumenteninformation

4. Musiklehre“ (VdM 1994, S. 10).

Betont wird die gegenseitige Durchdringung der Sachbereiche. Für die Musikpraxis wird eingeräumt, dass von ihr aus die Gesamtheit der Ziele des Lehrplans zu erreichen sei. Schließlich werden Regelungen zur Durchführung getroffen:

„a)Der Unterricht umfaßt in der Regel 2 Jahre und endet mit Beginn der Schulzeit.
b)Der Unterricht findet in Form einer Doppelstunde oder in je einer Stunde an zwei Wochentagen statt.
c)Die Teilnehmerzahl einer Klasse der Musikalischen Früherziehung soll 12 nicht überschreiten.
d)Die Musikschule stellt einen Raum zur Verfügung, der den Erfordernissen des Unterrichts entsprechen muß.
e)Das Kind soll sich auch zu Hause mit Inhalten des Unterrichts befassen können (Singen, Instrumentalspiel, Erfinden, Hören, Malen, Notieren).
f)Aus diesem Grund müssen Kontakte zu den Eltern entwickelt und gepflegt werden (durch Elterninformation, Elternabende, Beratungsgespräche, offene Stunden, Mitmach-Stunden).
g)Die Musikalische Früherziehung geht dem Instrumentalunterricht in der Regel voraus. In Ausnahmefällen kann bereits während der MFE mit dem Instrumentalunterricht begonnen werden“ (S. 10f.).

Hier wäre aber zu prüfen, ob diese Setzungen in der Praxis tatsächlich zur Gänze eingelöst werden. Beispielsweise können Zweifel bezüglich der allgemeinen Durchsetzung der Doppelstunde oder des geeigneten Raumes auch an Zweigstellen beziehungsweise dezentralen Unterrichtsstätten angemeldet werden.

Zum Jahreswechsel 2006/2007 besuchten knapp 140.000 Kinder die Musikalische Früherziehung, sodass die Musikschulen des VdM damit beinahe jedes zehnte aller Kinder von vier bis unter sechs Jahren in Deutschland erreichten. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren steigerte sich der Anteil erreichter Kinder leicht von 9,40 Prozent über 9,43 Prozent auf 9,55 Prozent. Dass die absolute Zahl der Kinder, die die Musikalische Früherziehung besuchen, in den davor liegenden fünf Jahren dennoch um etwa 9 Prozent gesunken ist, ist der Bevölkerungsentwicklung zuzuschreiben (den Berechnungen liegt zugrunde: VdM 2006b, S. 15; 2007, S. 15; 2008, S. 154; 2003, S. 16; Statistisches Bundesamt 2008c, S. 44; 2008d, S. 44; 2008a; vgl. auch: Dartsch 2006c, S. 15).

Neben den Unterrichtsstunden an Musikschulen findet Musikalische Früherziehung auch an Tageseinrichtungen für Kinder statt. Von Musikalischer Früherziehung im eigentlichen Sinne wird man dabei nur dann sprechen, wenn es sich um ein Angebot handelt, dem eine Kooperation zwischen Kindertagesstätte und Musikschule zugrunde liegt, oder wenn ein Konzept Verwendung findet, das die Ziele der Musikalischen Früherziehung [13]für den Kindergarten aufbereitet. Letzteres ist für das Curriculum in einer eigenen Fassung (vgl. Widmer 2006), für das Unterrichtswerk Musik und Tanz für Kinder (Haselbach, Nykrin, Regner 1985a, S. 10, 85f.) und explizit für das Programm Ein Anfang mit Musik (Engl, Feldhaus 1985) gegeben. Bezüglich der Kooperationsmöglichkeiten zwischen Tageseinrichtungen für Kinder und Musikschulen ist als sicher häufigstes Modell der regelmäßige Unterrichtsbesuch einer Lehrkraft der Musikschule im Kindergarten zu nennen. Seltener ist die inhaltliche Kooperation, wie sie beim Bochumer Projekt EMU (Elementare Musikerziehung im Kindergarten) durch das Teamteaching einer Fachkraft der Tageseinrichtung und einer Lehrkraft der Musikschule verwirklicht wird (vgl. Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen 2005). Insgesamt gaben bei einer jüngst getätigten Umfrage des VdM etwa 70 Prozent der befragten Musikschulen an, mit Tageseinrichtungen für Kinder zu kooperieren (Schmitz 2006).

Von Anfang an sind in die Musikalische Früherziehung auch Elemente der „Rhythmik“ eingeflossen, die sich als „Musikerziehung durch Bewegung“ versteht und allgemein eine Schulung von Wahrnehmung und Ausdruck anzielt (vgl. Rhythmik-Netzwerk 2009). Auch das Hauptfachstudium der Rhythmik führt zur Lehrbefähigung für die Musikalische Früherziehung. Häufig haben Rhythmikerinnen an Lehrwerken für die Musikalische Früherziehung mitgewirkt (vgl. Steffen-Wittek 2002). Während sich Vertreter der Elementaren Musikpädagogik teilweise in der Tradition Carl Orffs sehen (Orff, Keetman 1950, 1952, 1953, 1954a–b; vgl. Beidinger 2002, S. 282), geht die Rhythmik in direkter Linie auf Émile Jaques-Dalcroze zurück, der sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begründete (vgl. Jaques-Dalcroze 1906, 1977; vgl. auch: Kugler 2000b, S. 35ff.); im Laufe der Jahre ist sie allerdings in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt worden. In der Rhythmik werden die Bewegung und die allgemeinerzieherischen Ziele in besonderer Weise akzentuiert. In den Siebzigerjahren gibt Catherine Krimm-von Fischer „Freiheit, Harmonie, Selbständigkeit, Initiative und Verantwortungsbewußtsein“ als pädagogische Ziele an (Krimm-von Fischer 1992, S. 11). Rhythmus wird als dynamisches Geschehen verstanden. Im Einzelnen geht es dabei um die treibende, die steuernde und die bremsende Dynamik im Dienste von Selbstständigkeit einerseits und Anpassung andererseits. Als traditionelle Übungsgruppen der Rhythmik gelten Ordnungsübungen, Sinnesübungen, soziale Übungen, begriffsbildende Übungen und Fantasieübungen, dabei werden neben Bewegung und Musik auch vielfältige Materialien als „Erziehungsmittel“ eingesetzt (S. 11ff.). Bis heute steht die Persönlichkeitsentwicklung im Zentrum der Rhythmik, so geht es etwa um die Förderung von Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit sowie letztlich um Hilfe bei der Gestaltung der eigenen Lebenswelt Dabei werden „ästhetische Prozesse“ fokussiert, die vom individuellen Erlebnis ausgehend bis hin zur künstlerischen Darstellung mit Musik und Bewegung reichen (vgl. Rhythmik-Netzwerk 2009). Was die Inhalte betrifft, können auch Stundenbilder und Lehrwerke der Rhythmik die Sachbereiche der VdM-Lehrpläne für die Musikalische Früherziehung bedienen (vgl. Tüchler 1999).

Heute wird die Musikalische Früherziehung von der Fachwelt überwiegend als Praxis der Elementaren Musikpädagogik mit Vorschulkindern verstanden. Die Elementare Musikpraxis stellt sich dabei als grundlegender Musikunterricht dar, der mit Menschen [14]jeden Alters praktizierbar ist. Tatsächlich existieren heute neben der Musikalischen Früherziehung und der für Grundschulkinder angebotenen Musikalischen Grundausbildung auch immer mehr Gruppen mit Kleinkindern – oder neuerdings auch Babys – und deren Eltern. Daneben liegen Erfahrungen für eine Elementare Musikpraxis mit Schwangeren, mit Jugendlichen und mit Erwachsenen bis hin zu Senioren vor (vgl. Seeliger 2002, 2003; Küspert 2002; Greiner 2002; Hartmann-Hilter 2002; Friedhofen 2002; Fröhlich 2002a; Lee 2002; vgl. ingesamt auch: Rebhahn 2008, S. 15ff.). Somit kann die Elementare Musikpraxis mit jedem Instrumentalfach verglichen werden: Einen Klavierunterricht mit Vorschulkindern wird man ja ebenso als Klavierunterricht bezeichnen wie einen mit Erwachsenen. Gleichwohl sind zentrale didaktische Fragen – wie die nach Voraussetzungen, Zielen und Methoden – im Instrumentalunterricht wie auch in der Elementaren Musikpädagogik selbstverständlich von der Altersgruppe abhängig. So erscheint es legitim, trotz vieler Übertragungsmöglichkeiten auf andere Altersgruppen die Frage nach einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung aufzuwerfen.

Im Rahmen der 2005 gestarteten Initiative „Musikalische Bildung von Anfang an“ hat der VdM die Grundstufe als „Elementarstufe/Grundstufe“ neu konzipiert und einen Bildungsplan für die Elementare Musikpraxis an Musikschulen erstellt, in den auch konzeptionelle Gedanken des vorliegenden Buches eingeflossen sind. Der Bildungsplan berücksichtigt als Nachfolger der Lehrpläne für die Musikalische Grundausbildung und die Musikalische Früherziehung nun die ganze Palette der im Strukturplan des VdM aufgeführten Angebote der Elementarstufe/Grundstufe:

 EMP in Eltern-Kind-Gruppen mit Kindern im Alter von bis zu 3 oder 4 Jahren,

 „Musikalische Früherziehung“/EMP mit Kindern zwischen 3 oder 4 und 6 Jahren,

 EMP in Kindertagesstätten mit Kindern im Alter von bis zu 6 Jahren,

 „Musikalische Grundausbildung“/EMP mit Kindern zwischen 5 oder 6 und 8 Jahren,

 Orientierungsangebote für Kinder ab 5 Jahren.

 Musikalische Kooperationsmodelle für Kinder im Grundschulalter (VdM 2010).

Die traditionelle Musikalische Grundausbildung mit Grundschulkindern wird in der Praxis voraussichtlich weiter an Bedeutung verlieren, da zum einen die Kinder meist schon im Vorschulalter zur Musikschule kommen und zum anderen neue Angebote an Grundschulen – etwa im Rahmen des Projektes „Jedem Kind ein Instrument“ (vgl. Jedem Kind ein Instrument 2007) – entstehen. Ohne ihren grundlegenden Charakter aufzugeben kann die Musikalische Grundausbildung auf bestimmte Inhalte einen besonderen Akzent setzen und etwa als Spielkreis, als Musiktheatergruppe, als Orientierungsangebot zum Kennenlernen und Erproben von Instrumenten sowie als sing- oder tanzbetontes Angebot konzipiert werden. Für die Musikalische Früherziehung wird in der Zukunft die klare Eingrenzung auf das Alter von vier bis sechs Jahren sicher gelockert werden müssen. Infolge der Bestrebungen nach einer früheren Einschulung, aber auch aufgrund der wachsenden Bedeutung von Kooperationen mit Kindertageseinrichtungen werden vermehrt auch jüngere Kinder in die Gruppen zu integrieren sein. Auch wird sich die Altershomogenität in den Gruppen dabei unter Umständen nicht streng verfolgen lassen (vgl. Dartsch, Schmitz 2009). So soll im Folgenden unter dem Begriff [15]der „Musikalischen Früherziehung“ allgemein ein grundlegender Musikunterricht mit Gruppen von Kindern vor dem Schuleintritt verstanden werden. Sicher haben viele der dabei angestellten Überlegungen auch für die Arbeit mit Kindern nach der Einschulung Geltung. Ein Überblick über Materialien und didaktische Konzeptionen für die Arbeit mit Eltern-Kind-Gruppen findet sich in einer Publikation, die im Rahmen der Initiative „Musikalische Bildung von Anfang an“ im Anschluss an eine Fachtagung entstanden ist (Dartsch 2008a).

Den Lehrerinnen und Lehrern steht inzwischen eine Vielzahl von gedruckten Lehrwerken für den Unterricht der Musikalischen Früherziehung zur Verfügung. Unter diesen stellen die Programme der Yamaha-Musikschulen einen Sonderfall dar: Sie sind beschränkt auf die Yamaha-Musikschulen und auf Lehrkräfte, die eine spezielle, von der Firma Yamaha angebotene Ausbildung absolviert haben. Dabei stellt Hörbie und Tönchen erleben Musik für Kinder zwischen vier und sechs Jahren das zentrale Programm dar (Mönig 2006, S. 28). Es setzt sich nach den Worten von Asmus Hintz, des langjährigen deutschen General Managers der Abteilung Music Education bei Yamaha, mit der Bezeichnung „musikalische Elementarerziehung“ bewusst von der Terminologie der „Musikalischen Früherziehung“ ab, da letztere den Kindern keine „musikalische Vorbildung“ vermittle, „die im Instrumentalunterricht merkbar einzusetzen wäre“. (Hintz, zitiert nach Mönig 2005, S. 63f.). Das Programm, bei dem sowohl die ständige Anwesenheit der Eltern als auch häusliches Üben vorgesehen sind, zielt unter anderem auf das Erfassen absoluter Tonhöhen und das Singen auf absoluten Notennamen sowie auf das Spielen und Begleiten einfacher Lieder auf einem elektronischen Tasteninstrument ab. Es enthält die folgenden „Unterrichtselemente“: „Solfège“ und „Singlieder“ im Bereich der Stimme; „Fantasia“ und „Trimmpfad“, die im Dienste einer Hörerziehung das assoziative beziehungsweise rhythmische Umsetzen von Musik in Bewegung beinhalten; „Tastenspiele“, „Repertoire“ und „Begleitung“, die auf elektronische Tasteninstrumente bezogen sind; „Klangspiel“ für das freie Umsetzen von Bildern in Musik sowie „Spielkiste“ mit Arbeitsblättern zum Suchen, Malen und Notieren. Mit diesen Unterrichtselementen werden die Lernfelder Singen, Hörerziehung, Instrumentalspiel, Improvisation und Komposition sowie Musiklehre bedient (S. 64ff., 82; vgl. Hintz 2008, S. 62ff.). Demgegenüber stellt das Programm Wunderland Musik, das seit dem Jahr 2000 für die gleiche Altersgruppe angeboten wird, die weniger leistungsorientierte und anspruchsvolle Alternative dar. Hier stellen der Aufbau eines Liedrepertoires, der Umgang mit Sing- und Sprechstimme, musikbezogene Bewegungs- und Körpererfahrungen, Rhythmuserziehung und einfaches Instrumentalspiel obligatorische Elemente dar, während die Instrumentenkunde und das Musizieren von Begleitsätzen auf Gitarre, Klavier und/oder Blockflöte fakultativ einbezogen werden können (Mönig 2005, S. 83ff.; 2006, S. 28).

Die auf dem freien Markt erschienenen, im Folgenden aufgeführten Lehrwerke sind – wenn sie sich auch in der konkreten Ausgestaltung mehr oder weniger vom Curriculum des VdM absetzen – grundsätzlich mit den im alten Lehrplanwerk des Verbandes benannten Aufgaben und Rahmenbedingungen kompatibel, konnten also stets auch an [16]Musikschulen des VdM zum Einsatz kommen. Ob alle diese Lehrwerke aber im Geist des neuen VdM-Bildungsplans verfasst sind, wäre eine andere Frage.

Edith Nothdorf veröffentlichte 1983 das Liederbuch und ein Jahr später das Erzieherhandbuch ihres Lehrwerkes Singen und Spielen für Kinder mit Liedern, Aufgabenblättern und Stundenbildern für 66 Lernschritte (Nothdorf 1983, 1984). Inhalte sind „Lieder, Bewegungen, Spielübungen, Malen und darstellende Spiele“ (2007). Für Nothdorfs „Methode“ sind auch die Orff-Instrumente – insbesondere Stabspiele –, die Hörerziehung und das „Bekanntmachen mit den klassischen Instrumenten“ von Bedeutung (1984, S. 5ff.). Im Wesentlichen kreisen die Lernziele um das Erlernen der Notenschrift und die Musiklehre. Nothdorf betont neben der Zielsetzung einer „musische[n] Erziehung“ den „äußerst positiven Einfluss auf die geistige und allgemeine Entwicklung der Kinder“; schulische Angebote würden „schneller, intensiver und inhaltsreicher erlernt“, die späteren Lernergebnisse seien „weitaus besser […] als bei Kindern, die ohne eine musikalische Erziehung aufwachsen“. Daneben würden „Kenntnisse im Bereich des sozialen Verhaltens“ erworben und „Selbstentscheidung und die Selbständigkeit im Handeln unterstützt“. Im Unterschied zu anderen Lehrwerken ist Singen und Spielen für Kinder laut eigener Aussage der Autorin „so konzipiert, daß es sich sowohl für die Grundschule, als auch für die Früherziehung eignet“ (Nothdorf 2007).

Auch in Musik und Tanz für Kinder. Unterrichtswerk zur Früherziehung (Haselbach, Nykrin, Regner 1983, 1984, 1985a–c, 1986), dem aus der Arbeit am Orff-Institut des Mozarteums in Salzburg erwachsenen und nach dem Curriculum zweiten auf dem Markt erfolgreichen Unterrichtswerk, ist von einer Einordnung der Inhalte „in das Feld einer frühen ästhetischen und sozialen Erziehung“ die Rede. Gleichberechtigt neben die fachliche Förderung treten Ansprache und Förderung auf den Gebieten Spiellust, Fantasie, Gefühlswelt, Lernbereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit, Vergnügen an Körper und Sinnen sowie Kontaktbereitschaft. In musikalisch-fachlicher Hinsicht bezieht sich das Unterrichtswerk ausdrücklich auf die Sachbereiche des damaligen VdM-Lehrplans. Neben Stundenbildern hält das Werk auch Materialien und Vertiefungsmöglichkeiten für den individuellen Gebrauch bereit. Konkreter als im Lehrplan des VdM wird die „Verbindung von fachorientierten und allgemeinen Zielen“ an der Einbettung „fachbezogener Aktivitäten in kindgerechte Spiel- und Lernsituationen“ festgemacht (S. 10f.). In den Jahren 2007 und 2008 ist das Werk in einer überarbeiteten Neuausgabe auf den Markt gekommen (Nykrin, Grüner, Widmer 2007a–c, 2008a–c).

Im gleichen Jahr wie das vorgenannte Unterrichtswerk erschien das Programm Ein Anfang mit Musik (Engl, Feldhaus 1985), das sich ausdrücklich an Erziehungsfachkräfte ohne spezifische musikpädagogische Ausbildung wendet und für den Gebrauch in Kindergärten und Grundschulen gedacht ist. Es bietet 26 progressiv geordnete Lernziele an, die jeweils mit Spielthemen aus den Bereichen „Kind und Familie“, „Jahreszeiten“, „Feste und Feiern“, „Tiere“ und „Umwelt“ verfolgt werden können. Die Lernziele beinhalten das hörende Erkennen und Unterscheiden musikalischer Parameter, das Erfahren, Erkennen, Vergleichen und Gestalten von Rhythmen sowie das Gestalten, Begleiten und Spielen von Liedern und Melodien. Rollenspiel, Körperspiel und Rhythmik sind ebenso enthalten wie Verse, Improvisationen und Stücke zum Mitspielen. So scheinen [17]auch hier die Sachbereiche Stimme, Bewegung, Instrumentalspiel, Musikhören und Musiklehre auf. Zum Bereich Instrumenteninformation ist zu bedenken, dass in Kindergärten und Grundschulen in der Regel nicht mit Blas-, Streich- oder Tasteninstrumenten gerechnet werden kann. Es soll aber zumindest das „elementare Instrumentarium“ praktisch kennengelernt werden. Dieses steht der Einführung zufolge sogar „im Mittelpunkt der Arbeit“ (S. VII). Daneben können die Begleitsätze zu den Liedern des Programms auf der dazugehörigen Musikkassette zu weiteren Instrumentenkenntnissen beitragen. Inzwischen bietet eine Initiative für Elementare Musikerziehung in Kindergärten, Grund- und Sonder- beziehungsweise Förderschulen unter dem Namen Ein Anfang mit Musik auch Schulungsseminare für Unvorgebildete und Weiterbildungswillige an, welche wie das Unterrichtsprogramm von Heinz Engl und Karl Feldhaus entwickelt worden sind. Verantwortlich zeichnet der Förderkreis Instrumentales Musizieren, der seinerseits vom Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte (GDM) und vom Bundesverband Deutscher Musikinstrumentenhersteller (BDMH) getragen wird, woran ersichtlich wird, dass auch hier von einer für späteren Instrumentalunterricht förderlichen Wirkung des Programms ausgegangen wird (Förderkreis Instrumentales Musizieren 2006). Insofern das Unterrichtsprogramm sich in Institutionen mit allgemeinerzieherischem Auftrag einzuordnen beabsichtigt und den dortigen Fachkräften anheim gestellt wird, stellt es bezüglich seiner Zielsetzung zweifellos einen Sonderfall dar.

Auch das Lehrwerk von Karl-Heinz Zarius (Zarius 1989) orientiert sich an den Sachbereichen des älteren VdM-Lehrplans. Im Sinne eines „ganzheitlichen Musik- und Gestaltungsbegriff[es]“ sollen optische und bewegungsmäßig-szenische Anteile mit akustischen verbunden sein. Spielthemen sollen dabei „ein Inhalts-, Assoziations- und Handlungsrepertoire“ liefern, „dessen Ausarbeitung bestimmten Mustern des Kinderspiels folgt“, insbesondere „Modellen des Übungs-, Erprobungs- und Rollenspiels“ (S. 6f.). Dass hierbei auch das Verfolgen übergeordneter Unterrichtsziele zu den Aufgaben der Lehrperson zählt, wird deutlich, wenn es heißt: „Auch in einem spielerisch angelegten Unterricht darf der Lehrer charakteristische und durchgängig zu verfolgende Ziele wie angemessenes Sozialverhalten, Konzentrationsfähigkeit, Fantasietraining, verbale Kompetenz, Wahrnehmungs- und Ausdrucksdifferenzierung, Intonations- und metrische Sicherheit, Fähigkeit zu geordnetem Zusammenspiel und Kenntnis der Prinzipien instrumentaler Klangerzeugung nicht aus den Augen verlieren“ (S. 9). Handlungsorientierung und Offenheit sollen mit einem präzisen Lernzielkonzept verbunden werden, wie es für den Bereich der Musiklehre entfaltet wird (S. 9f.). Etwa ab der zweiunddreißigsten Stunde wird die traditionelle Notenschrift eingeführt und soll ein Instrument als Arbeitsmittel für den Unterricht und für eventuelle häusliche Musizierwünsche angeschafft werden, wobei der Autor auf gute Erfahrungen mit Instrumenten des Melodica-Typs verweist. Tastenspiele, wie sie für den Unterricht nach dem Curriculum des VdM vorgesehen sind, könnten ebenfalls zum Einsatz kommen (S. 11). Empfohlen werden außerdem eine Rhythmussprache sowie Solmisation. Erwähnung verdient schließlich die eigens thematisierte ästhetische Position des Werkes, die von einem „pluralen Musikbegriff“ ausgeht, nämlich der „Verbindung eines pädagogischkindlichen, eines sozialisationsbedingt konventionellen und eines in-Frage-stellenden, [18]kritisch-innovativen Musikbegriffs“ (S. 8). Dementsprechend spielt die Improvisation – auch in Verbindung mit Bewegung und grafischer Notation – eine zentrale Rolle.

Das nach eigener Auskunft „ganzheitliche, musikalische Vorschulprogramm“ Kalu von Hubbelbubel brachte Dina Schulz-Kleinstoll 1991 (persönliche Mitteilung der Autorin) auf den Markt (Schulz-Kleinstoll o. J.). Allerdings sind Lehrerbände nicht verlegt worden. Nachdem die „Bildermusikbücher“ für die Kinder zuerst im freien Handel erhältlich waren, ist das Programm inzwischen nicht mehr in einem Verlagsprogramm zu finden und bleibt exklusiv auf die Filialen des Kindermusikateliers der Autorin beschränkt. Es richtet sich in der „Musikalischen Früherziehung I“ an Kinder ab 3 Jahren und bietet in den „Bildermusikbüchern“ für die Kinder Geschichten und jeweils 13 groß und bunt notierte Lieder aus „Hubbelbubel“, der Fantasiewelt um den Papagei Kalu. Die Lieder und Geschichten stellen musikalische Parameter in den Vordergrund und sollen singend, tanzend und im Rollenspiel umgesetzt werden. Im zweiten Jahr (vgl. SchulzKleinstoll 2007a) wird die Notation der Tonhöhen mit dem Bild des „Notenhauses“ erlernt und werden die Lieder auf dem Glockenspiel gespielt. In den Kindermusikateliers schließt sich für die dann fünfjährigen Kinder in der „Musikalischen Früherziehung II“ das Blockflötenspiel nach Noten mittels buntbemalter Fingernägel an – womit der Begriff der „Musikalischen Früherziehung“ wohl in Richtung eines frühen instrumentalen Gruppenunterrichts überdehnt wird –, bevor die Kinder schließlich mit etwa acht Jahren nach Auskunft der Website „zu einem anspruchsvollen Instrument“ wie Querflöte oder Klavier wechseln können. Das Programm verkauft sich als „mehr als nur normale“ beziehungsweise „althergebrachte Musikalische Früherziehung“, es bezeichnet sich als musikalische „Schlau-Schulung“ und wird unter dem Link „Schlau mit Musik“ mit der PISA-Studie (Deutsches PISA-Konsortium 2001), mit „Training und Entwicklung der Intelligenz“, mit „Sinnesschärfung“, mit „positive[r] Selbst- und Fremdwahrnehmung“, mit Sprache, Motorik, Leistungsbereitschaft, Konzentration, der Bewältigung zukünftiger Aufgaben und Probleme sowie einem erleichterten Start in die Grundschule in Zusammenhang gebracht (Schulz-Kleinstoll 2007b).

Ein neuer Weg zur Musik will Wilma Zieglers Lehrwerk für die „musikalische Früherziehung“ – das Wort „musikalische“ wird hier klein geschrieben – „für unsere Kinder im Vorschulalter“ sein, dessen Kinderheft 1995 erschien und dessen Lehrerheft 1998 folgte. Es wird bezeichnet als „Lehrwerk mit großen Zeichen, zum Erlernen der Notenschrift“. Die Münchner Lehrerin Ziegler, die laut eigenen Angaben über 50 Jahre als Musiklehrerin arbeitete (Ziegler 2007a), benennt außer der Kenntnis der Noten und der Notenwerte auch den Spaß an der Musik und die Anregung zum praktischen Musizieren sowie das Spielen nach Noten auf dem Glockenspiel innerhalb einer Oktave als Ziele. „Nach etwa einem Jahr gründlicher Arbeit und ständigem Wiederholen der Lernübungen“ sei „ein nahtloser Übergang zum Instrumentalunterricht“ möglich. Wenn bezüglich der Inhalte von „Rhythmus-Elemente[n], die in Bewegung umgesetzt werden können“, vom Spiel „mit Glockenspielen, Rasseln, Holzstäben usw.“, von „vertonte[n] Reimen und kleine[n] Liedchen“ (2007b) die Rede ist, so klingen hier neben dem zentralen Bereich der allgemeinen Musiklehre auch die Bereiche Stimme, elementares Instrumentalspiel und Bewegung an.

[19]Karin Schuhs Musik-Fantasie (1997, Update 1998) versteht sich in Abgrenzung von der Rhythmik, der ein „freie[s] Musikerleben“ mit „sehr individuelle[r] Handhabung der Lerninhalte“ zugeschrieben wird, als ein festes Konzept mit Orientierung an Lernzielen und Lerninhalten des VdM. Mit seinen Stundenbildern „dient [es] der Vorbereitung der instrumentalen und vokalen Musikausbildung“ und erstreckt sich auf die Bereiche: Singen und Sprechen; Elementares Musizieren mit Orff-Instrumenten (im 2. Jahr spielen die Kinder auf dem Glockenspiel); Hörerziehung; Rhythmik – Musik und Bewegung; Instrumentenkunde; Kennenlernen der Notenschrift und musikalischer Grundbegriffe (Musiklehre) (S. V 5f.), die sich eins zu eins mit den Sachbereichen des älteren VdM-Lehrplans decken. Das Werk will auch beitragen zur Konzentrationsschulung, zur Sprech- und Sprachförderung, zum Zuhörenlernen sowie zum Erfassen und Umsetzen von Aufgabenstellungen. Weiter will es auch Gedächtnisübungen bereitstellen sowie das Erlebnis von Bewegung in Wechselwirkung mit Musik ermöglichen (S. V 5).

Im Lehrwerk Spiel und Klang (Berger, Greiner, Pfaff, Robie et al. 1998) wird die zentrale Stellung der kognitiven Förderung, also der Wahrnehmung, der Begriffsbildung und der Sprache innerhalb des Curriculums kritisiert (Schwabe 1998a, S. 11). Als Ideal setzt sich das Werk „ein angemessenes Gleichgewicht“ zwischen Breite und Tiefe, das heißt zwischen der „Vielfalt der musikalischen Aktivitäts- und Erscheinungsformen“ (Schwabe 1998b, S. 13), mit der es als „Basis für Weiterentwicklung in allen Richtungen“ (Schwabe 1998a, S. 12) vertraut machen möchte, und dem Ziel, bezüglich der einzelnen Elemente jeweils „Eindrücke [zu] hinterlassen und Kompetenzen zumindest im Keim an[zu]legen“ (Schwabe 1998b, S. 13). Neben diesen Zukunftsbezügen wird auch die „musikalische Erfüllung in der Gegenwart“ (Schwabe 1998a, S. 12) als Anliegen genannt. Als Unterrichtsinhalte erscheinen abweichend vom Lehrplan des VdM, aber dennoch problemlos in die dort genannten Sachbereiche integrierbar, die Bereiche Bewegung, Sprechen und Singen, Instrumente, Improvisation, Sinneserfahrungen, Musikhören, Bausteine der Musik und Notation. Allgemeine Entwicklungsebenen klingen in der Zielsetzung an, die Kinder auf vielfältige Weise anzusprechen, nämlich im Hinblick auf „ihr Wahrnehmungs-, Denk-, Empfindungs- und Erlebnisvermögen, ihre Phantasie, ihre Fähigkeiten, sich zu anderen in Beziehung zu setzen, ihre Willens- und Entscheidungskraft“ (Berger, Greiner, Pfaff, Robie et al. 1998, S. 5). Beim Musizieren können sich dann die Fähigkeiten der Kinder erweitern in Richtung Kommunikation und Reaktion auf Partner, Selbstständigkeit und Initiative, Gestaltung und Differenzierung, Abstraktion, Bewusstheit, Erfassen von Einzelheiten sowie Einbeziehung von Vergangenheit und Zukunft, wie es im Rückgriff auf Lilli Friedemann (1973, S. 4) heißt (Schwabe 1998b, S. 14). Die Autorinnen halten „einseitige Schwerpunktsetzungen, wie sie bisweilen als vermeintliche Zuarbeit für späteren Instrumentalunterricht gewünscht werden, [für] wenig sinnvoll“ und sehen demgegenüber das „Schaffen eines stabilen musikalischen Grundstocks [als] bestmögliche Zuarbeit“ an (Berger, Greiner, Pfaff, Robie et al. 1998, S. 5).

Im Unterrichtswerk Spitz’ die Ohren von Angelika Foltz-Zaun (2001), dessen zwei Bände 1999 und 2000 erschienen, lesen sich die Inhaltsbereiche unter Bezug auf den Lehrplan des VdM von 1994 wie folgt: Singen und Sprechen; Elementares Instrumentalspiel; [20]Bewegung, Raumformen und Szenisches Spiel; Musikhören; Instrumenteninformation, Instrumente selbst anfertigen; Musiklehre (S. 6ff.). Der Lehrerkommentar verliert nicht viele einführende Worte und konzentriert sich im Vorwort auf Rahmenbedingungen und kurze Beschreibungen von Inhalten und Zielen der sechs genannten Bereiche, um dann zu den Stundenbildern zu kommen. Zu allgemeinen Zielen oder Effekten heißt es knapp: „Neben den musikalischen Inhalten erlernen die Kinder während der Musikalischen Früherziehung eine Reihe von außermusikalischen Fähigkeiten, die ihre Gesamtentwicklung positiv beeinflussen“ (S. 9). Zum Bereich „Singen und Sprechen“ wird außerdem vermerkt, dass auf gute Artikulation geachtet und so Sprachstörungen entgegengewirkt werden soll (S. 7). Schließlich wird darauf verwiesen, dass das Instrumentalspiel hohe Anforderungen an das Sozialverhalten der Kinder stelle und „somit ein wichtiger Faktor in der Gesamtentwicklung des Kindes“ sei (S. 8). In einer Vorbemerkung zur elften Stunde, in der erstmals ein Instrument außerhalb des kleinen Schlagwerks im Zentrum steht, heißt es, dass die Instrumenteninformation „von großer Tragweite für die Motivation der Kinder, später ein Instrument erlernen zu wollen“, sei (S. 54). Im Vorwort allerdings wird auf eventuelles späteres Instrumentalspiel nicht eigens Bezug genommen.

Im Lehrwerk der Mainzer Konservatoriumsdozentinnen Irmhild Ritter und Christa Schäfer mit dem Titel Klangstraße […]. Sing mit, tanz mit, spiel mit mir (Ritter, Schäfer 1999) sollen die Kinder „mitten in die Musik ‚hineingestellt‘ werden“, wobei sich eine Progression schon aus der durchgängigen Anwendung der relativen Solmisation und der Rhythmussprache ergibt. Durch „die erworbenen Grundfähigkeiten und -fertigkeiten“ sollen die Kinder „eine hohe Motivation entwickeln, ihre musikalische Ausbildung nach der Früherziehung fortzusetzen“. Als Inhaltsbereiche werden genannt: Singen, Bewegung – Metrum – Rhythmus, Elementares Instrumentalspiel, Musikhören – Sensorische Sensibilisierung, Musiklehre sowie Malen. Bedenkt man, dass die Instrumenteninformation innerhalb der Musiklehre angesiedelt wird, wird ersichtlich, dass auch hier die Nähe und Kompatibilität zu den Lehrplänen des VdM gegeben ist. Mit dem Untertitel Elementares Musizieren für Kinder ab vier Jahren tragen die Autorinnen dem Fachverständnis einer grundsätzlich altersübergreifenden Elementaren Musikpädagogik Rechnung. Die von ihnen „beabsichtigte Förderung betrifft die musikalische, motorische und psychosoziale Entwicklung der Kinder, d. h. die Gesamtpersönlichkeit“ (Ritter, Schäfer 1999, S. 7).

Vier Jahre später erschien der erste Band aus der Serie Musi-Maus & Friends von Melanie Carolin Sacher (2003a). Die Bände 2 bis 4 folgten in den Jahren 2003, 2006 und 2007 (Sacher 2003b, 2006, 2007a). Mit dem Namen Musi-Maus weckt das Programm Assoziationen zum „Musikater“ und zur „Tripptrappmaus“, den Hauptfiguren der ersten beiden Kinderhefte des Konzeptes Musik und Tanz für Kinder (vgl. Haselbach, Nykrin, Regner 1983, 1984; Nykrin, Grüner, Widmer 2007a–b); der Titel des zweiten Bandes Von Spiel-Riesen und Hüpfzwergen erinnert wiederum ein wenig an das Heft Von Räubern, Riesen und Getier, ein Musizier- und Übebuch für Stabspiele und andere Schlaginstrumente von Hermann Urabl, das ebenfalls in der Reihe Musik und Tanz für Kinder erschienen ist (Urabl 1994). Doch weist das Musi-Maus-Programm eine ganz andere [21]Anlage auf, als sie sich in Musik und Tanz für Kinder findet. Sachers Publikation will die Kinder „optimal auf den Einstieg in den Schulalltag sowie auf musikalischen Instrumentalunterricht“ (Sacher 2007b) vorbereiten: „Hält man sich an das Unterrichtsprogramm, so sind die Kinder mit sechs Jahren für das Instrumentalspiel oder sonstige weiterführende Kurse (z. B. Grundausbildung) vorbereitet“ (Sacher 2003a, S. 1), wobei hier anzumerken ist, dass die Musikalische Grundausbildung in der Regel nicht an eine Musikalische Früherziehung anschließt. Für ihr Konzept beruft sich die Autorin auf das Prinzip des „mehrkanaligen Lernens“ und begründet lapidar: „Die Aktivierung der unterschiedlichen Gehirngebiete unterstützt die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten des Kindes, schult die unterschiedlichen Wahrnehmungsarten, fördert Kreativität und Sozialverhalten und gibt den Kindern Selbstvertrauen und Halt“ (Sacher 2007b; vgl. 2003a, S. 8). So sei die Musik ein „optimales Medium für körperliche, geistige und seelische Weiterentwicklung.“ Durch Anleihen aus der Musiktherapie – die Autorin hat ein einjähriges Fernstudium zur Klang- und Musiktherapeutin am Institut für berufliche Weiterbildung (IBW) absolviert – soll auch Entwicklungsverzögerungen wie Wahrnehmungsstörungen, motorischen Schwierigkeiten und sozial bedingtem emotionalem Ungleichgewicht (Sacher 2003b, S. 25) entgegengewirkt werden. So sieht sich das Werk laut Untertitel auch als Programm für „Musiktherapie in Kindergruppen“, wenngleich seine Inhalte in der Einführung des zweiten Bandes als „Mittel zur therapeutischen Pädagogik und nicht zur pädagogischen Therapie“ (S. 6) bezeichnet werden. Innerhalb der vier Seminarwochen zur Erlangung des „Musi-Maus & Friends-Diploms“, die für „Erzieher, Instrumentallehrer, musikalische Eltern, Jugendliche oder studierte Fachkräfte für elementare Musikpädagogik und Rhythmik“ angeboten werden, wird schließlich auch eine Einführung in das Neurolinguistische Programmieren gegeben, das ebenfalls im Unterricht eingesetzt werden soll. Auch die Inhaltsbereiche der VdM-Lehrpläne lassen sich auffinden: Solmisation, Lieder, Fingerspiele, Tänze, Bastelanleitungen und Orff-Instrumente sind ebenso Bestandteile des Unterrichtswerkes wie eine „kleine Instrumentenkunde“ und eine „Einführung in die klassische Musik“ anhand des Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns. Der zentral behandelte Bereich der „Musiktheorie“ beinhaltet ausgehend von drei Notenlinien die Notation, Dreiklänge sowie das Erarbeiten von Tonleitern mittels Stabspielen (Sacher 2007b).

Die allgemeine Förderung schreibt sich schließlich Mein Musimo, ein weiteres Unterrichtswerk aus der Feder von Karin Schuh (Schuh 2004), auf die Fahnen. Der Untertitel lautet: Eine rhythmische Musikerziehung mit Vorschulförderung, womit die Rhythmik, von der sich Schuh durch das „feste Konzept“ in Musik-Fantasie noch absetzte, hier explizit Pate zu stehen scheint. Auch hier klingen die Sachbereiche der VdM-Lehrpläne an, allerdings erscheinen sie ein wenig aufgeputzt durch Formulierungen und Ergänzungen. Sie heißen „Musikalische Reise- und Lernziele“ und lauten: „A. Freude und Interesse an der Musik wecken und vertiefen“, „B. Musikalische Wahrnehmung fördern und stärken“, „C. Von Musik bewegt werden“, „D. Freude am Singen und Sprechen und Stimmentfaltung“, „E. Lust am Musizieren“, „F. Bewusstes Musik-Hören, Hörkonzentration entwickeln“, „G. Ausbildung des musikalischen Vorstellungsvermögens“ bezüglich Klang, Rhythmus, Melodie, Dynamik und Tempo, „H. Instrumente kennen lernen“ sowie „Klangerzeugung [22]erforschen“ (S. V 6). Zu diesen Zielen treten die allgemeinerzieherischen Ziele und Inhalte und die „Persönlichkeitsbildung in der musikalischen Frühförderung“. Im Begriff der „Frühförderung“, der im Allgemeinen für die Arbeit mit entwicklungsverzögerten Kindern benutzt wird, scheinen hier gegenüber dem der „Früherziehung“ besondere und über die Musikpädagogik hinausreichende Ambitionen mitzuschwingen. So sollen etwa Anlässe zum Sprechen und Erzählen oder zum Malen, Schneiden und Kleben entstehen. Als Zielbereiche werden im Einzelnen genannt: der sprachliche Bereich; der körperliche Bereich mit Geschicklichkeit, Gleichgewicht, Kontrolle, Koordination und positivem Körpergefühl; der kognitive Bereich mit optischer und akustischer Differenzierungsfähigkeit, Gedächtnis, Konzentration, Denkfähigkeit – dies alles soll allerdings spielerisch, entwicklungsgemäß, ganzheitlich und im Sinne von Anregung gefördert werden –; der affektive Bereich, für den Ruhe, Bewegung, Spannung, Entspannung, Kreativität, Bereitschaft zu Ausdauer und Aufmerksamkeit, Arbeitshaltungen und Spielregeln stehen sollen; der soziale Bereich, wozu Kontakte, Sensibilität und Kooperationsbereitschaft gezählt werden (S. V 14). Zu jeder Stunde gehören auch kleine Hausaufgaben, was korrespondierend mit dem Anspruch der Vorschulförderung an die Schule erinnern beziehungsweise auf sie vorausweisen mag.

Wie bei allen Lehrwerken generell wäre auch bei den beiden zuletzt genannten mittels einer Analyse der Stunden beziehungsweise Materialien zu prüfen, ob und in welchem Maße die jeweils anvisierten Ziele die Unterrichtswerke und ihre Verwendung in der Praxis auch tatsächlich prägen, ob dann zum Beispiel auch ein Werk, das sich explizit zu einer allgemeinen Vorschulförderung bekennt, diesen Anspruch in höherem Maße einzulösen vermag als vergleichbare Konzepte. Solche Analysen sind hier allerdings nicht beabsichtigt; vielmehr soll deutlich werden, welche Zielvorstellungen die Musikalische Früherziehung, so wie sie sich auch in gedruckter Form darstellt, ausmachen. Als relativ konstante Elemente erweisen sich dabei zum ersten der Aspekt der Vorbereitung auf späteres Instrumentalspiel, zum zweiten die verschiedenen Sachbereiche, die der Breite möglicher Umgangsweisen mit Musik entsprechen, sowie zum dritten der Gedanke einer allgemeinen Förderung und Erziehung durch die Musikalische Früherziehung, speziell im kognitiven, affektiven, sensorischen, motorischen und sozialen Bereich.

Die Lehrwerke der Musikalischen Früherziehung stellen den Praxismodellen in der Regel auch grundlegende didaktische Überlegungen voran. Zwangsläufig sind diese dabei jedoch meist auf relativ knappen Raum beschränkt. Längere Einführungen finden sich in Musik und Tanz für Kinder (Haselbach, Nykrin, Regner 1985a; Nykrin, Grüner, Widmer 2007c) sowie in Spiel und Klang (Berger, Greiner, Pfaff et al. 1998), wo im Vergleich zu anderen Lehrwerken besonders weit ausgeholt wird. In acht Kapiteln werden auf knapp 130 Seiten wesentliche didaktische Fragen und pädagogische Themen behandelt, sodass hier bereits der Anspruch eines stimmigen Bezugs aller thematischen Beiträge zu einem übergeordneten didaktischen Konzept deutlich wird.

Theoretisch ausgearbeitete didaktische Konzeptionen für den Musikunterricht mit Vorschulkindern sind im Vergleich zur Schulmusik nur selten veröffentlicht worden. Erste Ansätze finden sich unmittelbar nach dem Aufkommen der Musikalischen Früherziehung. So veranstaltete das Institut für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt [23]bereits 1970 ein Kolloquium zum „Musikalische[n] Beginn in Kindergarten und Vorschule“. Die dort gehaltenen Referate, die durchweg didaktische Fragestellungen umkreisen – allerdings mehr oder weniger eng und dezidiert –, gab Sigrid Abel-Struth als Buchpublikation heraus (Abel-Struth 1976). Wenig später folgte als zweiter Band das von ihr verfasste Praktikum (Abel-Struth 1975). Es ist dem Namen gemäß praktischen Erwägungen gewidmet, denen auch ein Abschnitt „Zur Didaktik des musikalischen Beginns“ vorangestellt wird. Abel-Struth thematisiert hier wiederum den Zusammenhang zwischen allgemeinen und musikalisch-fachlichen Lernzielen: „Der didaktische Stellenwert der Musik erweist sich in solcher Didaktik des musikalischen Beginns als ein zweifacher: Musik ist ein Feld (unter vielen inhaltlich verschiedenen Feldern), in dem sich allgemeine Lernziele konkretisieren können, wobei zugleich musikalisches Vermögen erworben wird; Musik gibt zum zweiten eigene fachliche Lernziele auf, die ihrerseits ebenfalls – in unterschiedlichem Ausmaß – allgemeine Fähigkeiten anregen und unterstützen können“ (S. 15).

Meinolf Neuhäuser veröffentlichte im Jahr 1971 theoretische Überlegungen und praktische Anhaltspunkte für die Musikalische Früherziehung (Neuhäuser 1971). Einige Jahre später entwickelten Zita Wyss-Keller und Anke Banse-Diestel (Wyss-Keller, Banse-Diestel 1977) für eine Schweizer Werkreihe einen tabellarischen Stoffplan ausgehend von der Darstellung der Entwicklung des Vorschulkindes – insbesondere seiner sensomotorischen Fähigkeiten und des Spiels – sowie der Elemente der Musik. Das Buch schließt mit kurzen Hinweisen zur „Lektionsgestaltung“ und sieben exemplarischen „Arbeitsfolgen“. Insgesamt wird hier bereits ein Impetus erkennbar, der in die Richtung einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung weist. Wenig später folgte die Didaktik der Elementaren Musik- und Bewegungserziehung von Ursula Gebhard und Michel Kugler (Gebhard, Kugler 1979), die sich in die Tradition Carl Orffs stellt. Sie bezieht Ergebnisse aus Kreativitätsforschung, Spieltheorie und Musikwissenschaft mit ein und orientiert sich ausdrücklich auch an der Allgemeinen Didaktik. Allerdings zielt die vorgelegte Jahresplanung in der Hauptsache auf die Grundschule ab.

1985 gab Karl-Heinz Zarius einen Band mit grundlegenden Texten heraus, die eine didaktische Fundierung der Musikalischen Früherziehung beabsichtigten (Zarius 1985a). Von einer einheitlich in sich geschlossenen Didaktik wird man hier allerdings nicht sprechen können. Das Buch von Zarius enthält Beiträge verschiedener Autoren, die einzelne Aspekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Der Text von Zarius selbst sucht diese Stränge zwar zu bündeln, kann dies auf dem beschränkten Raum aber nur in Form eines erörternden Aufsatzes tun, der den im Text vorgestellten Lehrplan des VdM gewissermaßen kommentiert und flankiert. Die Musikalische Früherziehung soll nach Zarius eine breite Anregungsbasis und vielfältiges musikalisches Material bereitstellen (Zarius 1985b, S. 96), sie soll die Integration der Ausdrucksmedien behutsam differenzieren (S. 97) und sich am Bild der Familie sowie am Spiel (S. 99) und an einer „fast ritual- oder schablonenartige[n] Grundstruktur“ orientieren. „So erscheint der Unterricht als ein System mobiler, aber klarer Ordnungen, in welche Räume der Freiheit und Variabilität eingelagert sind, die durch die Offenheit der Spieldetails gefüllt und geformt werden“ (S. 104).

[24]Juliane Ribke legte 1995 ein umfangreiches Buch zur Elementaren Musikpädagogik vor. Zunächst geht es darin um eine Positionsbestimmung der Elementaren Musikpädagogik. Ribke thematisiert ihre Rückbindung an die Kategorie des „Elementaren“ und weist ihr – aus einem anderen Blickwinkel heraus als die Lehrpläne des VdM – die Sachbereiche Singen, Sprechen, Zeitstrukturierung, Elementares Instrumentalspiel, Visualisierung, Höraufmerksamkeit, Sensorische Sensibilisierung und Bewegung zu (Ribke 1995, S. 34). Die „künstlerischen Verhaltensweisen“ des Instrumentalspiels, der Komposition, des Gesangs, des Tanzes, des Schauspiels und der Rezeption seien „in ihrem Ursprung im Elementarkern verbunden“, könnten sich aber schließlich in ihrer jeweiligen Spezialisierung aus diesem heraus entwickeln (S. 37). Im Vergleich zu den im alten Lehrplanwerk des VdM genannten Aufgaben der Musikalischen Früherziehung finden sich bei Ribke spezifische Schwerpunktsetzungen. So wird der Gesichtspunkt der Vorbereitung auf das Instrumentalspiel hier weiter gefasst. Gegen eine Beschränkung der Musikalischen Früherziehung und der Musikalischen Grundausbildung auf die „Serviceleistung“ des Aufbaus von Notenlesefertigkeiten argumentierend, verweist Ribke auf eine Reihe weiterer vorbereitender Aspekte: Auf der kognitiven Ebene nennt sie den Umgang mit musikalischen Strukturen, Formen und Mustern ebenso wie Differenzierungsleistungen bezüglich der musikalischen Parameter. Darüber hinaus ist für sie aber auch an motivationale Grundlagen, an die Öffnung der Sinne – insbesondere der „musikalischen Kernsinne“, also des Hörens, des Fühlens und des Bewegungssinnes –, an Erfahrungen und Differenzierungen auf dem Feld der Grob- und Feinmotorik sowie an den sozialen Aspekt des Aufeinanderhörens und -reagierens zu denken (S. 31f.). Der Gedanke allgemein förderlicher Wirkungen des Umgangs mit Musik klingt schon hier, besonders aber im Konzept der Persönlichkeitsbildung in der Elementaren Musikpädagogik an. So ist der zweite Teil dieser Arbeit überschrieben mit dem Titel „Didaktik persönlichkeitsbildender Musikerziehung“. Ribke denkt dabei an eine Integration blockierter Anteile in die Persönlichkeit und an ein Anknüpfen der angebotenen sinnlichen Erfahrungen an pränatal erworbene „Gelebtheitsspuren“ – ein Begriff, den sie von Jürgen Seewald übernimmt (vgl. Seewald 1989, S. 193, 348). Sinneseindrücke im Mutterleib bilden nach Ribke den Urboden für spätere Bedürfnisse nach Klängen, nach Tast- und Bewegungsempfindungen sowie nach Geborgenheit und Zugehörigkeit. Generell führt sensibles Wahrnehmen für Ribke zurück zu frühesten Erfahrungen, erzeugt innere Resonanzen und berührt damit die Identitätsbildung im Kern (Ribke 1995, S. 81ff.; vgl. auch: Ribke 1997). In der Dramaturgie der Unterrichtseinheiten, die sich am charakteristischen Aufbau des Märchens orientiert, sowie im Symbolisierungs- und Identifikationspotenzial der handelnden Figuren und der eingesetzten Objekte (Ribke 1995, S. 174) sollen die Kinder Angebote zu ihrer Identitätsbildung erhalten (S. 202ff.). Insgesamt beschränkt sich das Buch nicht explizit auf die Musikalische Früherziehung und sucht eher eine tiefenpsychologische Fundierung als eine theoretische Anbindung an die Allgemeine Didaktik. Als das bislang einzige seiner Art wird das Werk sehr häufig als didaktischer Orientierungsrahmen in Anspruch genommen und als Bezugsliteratur zitiert, wie sich an den Aufsätzen der Sammelbände Facetten Elementarer Musikpädagogik und Gestaltungsprozesse erfahren · lernen · lehren (Ribke, Dartsch 2002, 2004) ablesen lässt.

[25]Christoph Schwabe und Helmuth Rudloff publizierten einen umfangreichen Band zur „Musikalischen Elementarerziehung“ (Schwabe, Rudloff 1997), die in der DDR entwickelt worden ist und sich ausdrücklich als „ein Handlungskonzept mit dem hauptsächlichen Ziel, soziales Verhalten zu entwickeln“ (Schwabe 1997, S. 13), versteht. Entsprechend wird auch der Gruppe ein hohes Gewicht beigemessen. Mit den Mitteln „Musikalische Improvisation“, „Malen und Bildnerisches Gestalten“ sowie „Tanz und Bewegung“ weist die Musikalische Elementarerziehung vielfältige Berührungsflächen mit der Elementaren Musikpädagogik auf, was ja auch an der Ähnlichkeit der Bezeichnungen deutlich wird. Unter dem Stichwort „Didaktik“ stellen Franziska Pfaff und Christoph Schwabe (Pfaff, Schwabe 1997) auch Überlegungen für die Arbeit mit Vorschulkindern an (S. 192ff.). Hier gehe es um Schutz und Stärkung der Ich-Position des Kindes sowie um „die Entwicklung grundlegender Persönlichkeitseigenschaften wie engagiertes und akzeptierendes soziales Verhalten, Fähigkeit zum selbständigen Handeln, Konzentrationsfähigkeit u. a. […], die einerseits auch im außermusikalischen Bereich wirksam werden können, andererseits bei einer späteren Spezialausbildung auf dem Gebiet der Musik ein Fundament bilden“ (S. 193). Ausgangspunkte sind Vitalität, Spontaneität und Bewegungsdrang der Kinder sowie – den Umgang mit Klang betreffend – Funktions- und Experimentierspiel. Empfohlen werden einfache Spielregeln, Wiederholungen, das Ausgehen von Bekanntem, ein „streng stufenweiser Aufbau auf der inhaltlichen Ebene“ (S. 197), Rahmenhandlungen und das Einbeziehen von Assoziationen der Kinder.

Charlotte Fröhlich thematisiert die Elementare Musikpädagogik neben der Musiktherapie im Hinblick auf eine psychosoziale Prävention. Elementare Musik könne helfen, „Präsenz und Achtsamkeit“ zu entwickeln und den Forderungen des Lebens, wie sie Fritz Riemann herausgearbeitet hat (Riemann 1993), zu entsprechen: Struktur und Ordnung, Hingabe und Nähe, Schwung und Wandel sowie Abgrenzung und Distanz könnten in der musikalischen Gestaltung gefunden werden (Fröhlich 2002b). Ein expliziter Bezug zum Vorschulalter findet sich kaum, ebenso wenig werden – dem speziellen Blickwinkel der Themenstellung gemäß – innermusikalische Lernziele behandelt.

Methodische Handreichungen mit Beispielstunden oder -materialien für die Sachbereiche des damaligen VdM-Lehrplans und für entsprechende Teilbereiche derselben liefern dagegen Vroni Priesner und Doris Hamann (Priesner, Hamann 2002b) – allerdings ohne den Anspruch einer theoretischen Fundierung. Das Handbuch der musikalischen Früherziehung von Johannes Beck-Neckermann (Beck-Neckermann 2002) beleuchtet ausschließlich das Spiel mit Musik in Kindertageseinrichtungen. So werden das Spielen mit Musik vor dem Hintergrund des elementarpädagogischen Auftrags, entwicklungstheoretische Hintergründe, Dimensionen und Formen des Spiels mit Musik, der Problemkreis der Zielsetzungen, Handlungsmöglichkeiten der Erzieherinnen, methodische Grundlagen und praktische Beispiele dargestellt. Damit werden vielerlei didaktisch relevante Themenfelder berührt. Mit der konzeptionellen und institutionellen Einschränkung auf das Spielen mit Musik innerhalb der erzieherischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen fallen die Ausführungen Beck-Neckermanns jedoch trotz des Titels der Publikation aus dem hier dargelegten Begriff der Musikalischen Früherziehung heraus, [26]worauf höchstens der Umstand hindeutet, dass das Wort „musikalische“ hier klein geschrieben, die „musikalische Früherziehung“ also nicht wie im Bereich der Musikschulen als zusammenhängend definierter Fachbegriff verstanden wird.

Für die Rhythmik hat Elisabeth Danuser-Zogg 2002 ein systematisches Grundlagenwerk vorgelegt (Danuser-Zogg 2002). Sie geht von sechs Bereichen der Rhythmik aus: der Musik, der Bewegung, der Wahrnehmung, der Begriffsbildung, der sozialen Interaktion und dem persönlichen Ausdruck. Allgemeinpädagogische Faktoren treten hier gleichberechtigt neben die speziell musikalischen. Für jeden dieser Bereiche strebt Danuser-Zogg nun eine Entwicklung an, die vom Wahrnehmen über das Schaffen von Grundlagen, das Differenzieren und das In-Beziehung-Setzen bis zum kreativen Ausdrücken reicht. Je nach Alter stehen eher die erstgenannten oder die darauf folgenden Ziele im Vordergrund; im Vorschulalter etwa geht es demgemäß um Wahrnehmung und Grundlagen innerhalb der sechs Bereiche. Die Wahrnehmung erscheint sowohl als Teilbereich der Rhythmik wie auch als Entwicklungsbereich. Wahrnehmung innerhalb des Teilbereiches der Wahrnehmung bezieht sich auf die Nahsinne; die Entwicklung schreitet dann über Signale und Fernsinne bis zur Verbindung von Wahrnehmungen und zum Verhältnis von Eindruck und Ausdruck fort. Danuser-Zogg leitet aus dieser Systematik eine Vielzahl konkreter Ziele für verschiedene Altersstufen ab (vgl. S. 42ff.).

Sieht man von dieser dezidiert auf die Rhythmik bezogenen Arbeit ab, sind seit Erscheinen der Arbeit von Juliane Ribke weitere Versuche, eine umfassende Didaktik der Musikalischen Früherziehung zu skizzieren, ausgeblieben. Das vorliegende Buch will nun noch einmal Grundlagen einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung bedenken und eine Basis bereitstellen, auf der feinere Detailfragen angegangen werden können. Dabei soll der Versuch unternommen werden, die einzelnen Themenfelder in einem didaktischen Grundkonzept zusammenzuschließen.

1.2Orientierungen in der Allgemeinen Didaktik

Der Anspruch, eine Didaktik der Musikalischen Früherziehung zu entwickeln, wird kaum einzulösen sein, ohne dass man sich an Konzepten der Allgemeinen Didaktik orientiert. Die Allgemeine Didaktik ist als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen“ (Klafki 1984, S. 118; Gudjons 1995, S. 229) ein fest etabliertes Teilgebiet der Erziehungswissenschaft an Universitäten und Hochschulen beziehungsweise in Studien- und Prüfungsordnungen. Dabei haben die Lehrinhalte nach Einschätzung des Schulpädagogen Ewald Terhart seit mittlerweile vielen Jahren kaum wesentliche Erneuerungen erfahren (Terhart 2005, S. 192ff.). In gängigen Lehrbüchern und Überblickswerken finden sich sehr ähnliche Einteilungen der verschiedenen theoretischen Ansätze und weitgehend identische „Theoriefamilien“ (vgl. Blankertz 1970; Klafki 1984; Kron 1993; Gudjons 1995; Peterßen 1996; Hillenbrand 1999; Jank, Meyer 2002; Hericks, Meyer 2004; Terhart 2005; Raithel, Dollinger, Hörmann 2007; Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Schulpädagogik/Didaktik 2007): Genannt werden etwa bildungstheoretische, lehr-lerntheoretische, kommunikations- und interaktionstheoretische sowie neuerdings konstruktivistische Ansätze (Terhart 2005, S. 194ff.). Dabei werden auch wechselseitige [27]Einflüsse, Querverbindungen, Annäherungen, Angleichungen und Konvergenzen der Ansätze konstatiert (Gudjons 1995, S. 231, 249; Hillenbrand 1999, S. 35; Terhart 2005, S. 196ff.). So hat etwa die bildungstheoretische Didaktik Wolfgang Klafkis in ihrer Weiterentwicklung zur „kritisch-konstruktiven Didaktik“ (vgl. Klafki 1996) Anregungen der Lerntheorie und der kritisch-kommunikativen Theorie aufgenommen. Die lerntheoretische Didaktik der so genannten „Berliner Schule“ gab ihrerseits ihre ursprüngliche Wertfreiheit auf und integrierte als „Hamburger Modell“ gesellschaftspolitische Elemente und Normen.

Hier kommt es nun weniger auf eine vertiefende Darstellung der einzelnen Modelle oder auf feinere theoretische Verästelungen an, wie sie der einschlägigen Literatur zu entnehmen sind. Grundsätzlich bringen die unterschiedlichen Theoriefamilien aber je besondere Aspekte des Themenkomplexes „Lehren und Lernen“ beziehungsweise „Unterricht“ zur Geltung, die durchaus Beachtung verdienen:

Der bildungstheoretische Ansatz wurzelt in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und entfaltet sich um die „Zentralkategorie“ der „Bildung“ herum (Klafki 1980, S. 11). Während im Begriff der „materialen“ Bildung der Stoff selbst und im Begriff der „formalen“ Bildung die am Thema zu erwerbenden Fähigkeiten fokussiert werden, geht es in Klafkis Konzept der „kategorialen“ Bildung um einen Prozess „doppelseitiger Erschließung“: Im Bildungsprozess erschließt sich der Mensch einerseits seine kulturelle Umwelt. Andererseits wird er gleichzeitig selbst von den Inhalten für die Wirklichkeit „aufgeschlossen“ (Klafki 1963, S. 43; 1964, S. 297f.). Es geht also mit den Worten Terharts um den „Nachvollzug des Bildungsgehaltes von Themen“ (Terhart 2005, S. 194). Damit solches gelingen kann, müssen Inhalte bestimmte Kriterien erfüllen, wie sie Klafki im Rahmen der „Didaktischen Analyse“ aufstellt: Sie müssen einerseits „exemplarisch“ für allgemeine Sinnzusammenhänge stehen, müssen schon jetzt eine „Gegenwartsbedeutung“ für die Kinder oder Jugendlichen haben, müssen aber andererseits auch eine „Zukunftsbedeutung“ für sie haben und für später relevant sein. Die Inhalte sind sodann thematisch zu strukturieren, und es ist nach konkreten Zugängen der Kinder und Jugendlichen zu ihnen zu fragen, bevor die methodische Strukturierung zu erfolgen hat (Klafki 1980, S. 14). In der kritisch-konstruktiven Didaktik ist Bildung daran zu orientieren, dass die jungen Menschen zum ersten die „epochaltypischen Schlüsselprobleme“ der eigenen Zeit und der absehbaren Zukunft kennen und ihr eigenes Handeln verantwortungsvoll daran ausrichten. Zum zweiten sollten sie die kulturellen Zeugnisse der Vergangenheit in exemplarischer Auswahl kennen und über sie verfügen. Zum dritten schließlich sollen die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten optimal und harmonisch entfaltet werden (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Schulpädagogik/Didaktik 2007, did_06, S. 23; did_07, S. 24). Somit zielt Bildung in die Grundrichtungen Gesellschaft, Kultur und Individuum. Als zentrale Kategorie verschafft sie allen didaktischen Bemühungen erst ihre Legitimation.

Im Gegensatz hierzu ist der Leitbegriff der lerntheoretischen Didaktik der des Lernens. Das von Paul Heimann, Gunter Otto und Wolfgang Schulz entwickelte „Berliner Modell“ legte Wert auf eine lerntheoretische Fundierung von Unterricht. Innerhalb der Dimension des Kognitiven soll das Lernen von Kenntnissen zu Erkenntnissen und von [28]dort zu Überzeugungen führen. Im pragmatischen Bereich sollen Fähigkeiten in Fertigkeiten einmünden, die sich wiederum zum Können beziehungsweise zu Gewohnheiten entwickeln sollen. Auf der affektiven Ebene verdichten sich Anmutungen zum Erleben, das schließlich Gesinnungen zur Folge haben wird (Schulz 1980a, S. 102f.). Die höchsten Stufen aller drei Dimensionen, also Überzeugungen, Können und Gesinnungen, sollen für die Tat, für die Lebensgestaltung fruchtbar werden. Eine Strukturanalyse des Unterrichts muss nach diesem Ansatz die für den Unterricht wesentlichen Faktoren betrachten: Neben den „anthropologisch-psychologischen“ und den „situativ-sozialkulturellen“ Voraussetzungen, die als „Bedingungsfelder“ bezeichnet werden (Heimann 1962, S. 416), sind hier vor allem diejenigen Felder zu nennen, auf denen Entscheidungen getroffen werden müssen: Als „Entscheidungsmomente“ des Unterrichts werden Intentionen, Themen, Methoden und Medien des Unterrichts genannt (Schulz 1976, S. 23f.; vgl. Schulz 1977, S. 14). Intentionen und Themen werden in Zielangaben zusammengefasst (Schulz 1976, S. 24). Unterrichtsziele sollen dabei von der Ausgangslage der Schüler ausgehen, mit den gegebenen Mitteln erreichbar und schließlich auch überprüfbar sein (S. 11f.). Kriterien für die Auswahl von Zielen und Inhalten wurden zunächst bewusst nicht thematisiert. Das Modell wollte ein wertfreies Raster für Unterrichtsplanung bereitstellen. In einem zweiten Schritt jedoch wurde dieser Ansatz zum „Hamburger Modell“ einer lehrtheoretischen Didaktik weiterentwickelt (vgl. Schulz 1980b, S. 43f.) und integrierte nun auch allgemeine Normen. Nach Schulz sollen unter dem leitenden Prinzip der Emanzipation die Lernziele der Autonomie, der Kompetenz und der Solidarität den Unterricht prägen (Schulz 1980a, S. 23, 101, 165; vgl. Schulz 1977, S. 16), die auch in den Situationsansatz der Vorschulpädagogik Eingang gefunden haben (vgl. Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin. Institut für den Situationsansatz 2007, S. 7; Colberg-Schrader, Krug 1986, S. 42f.; Haug-Zapp 2000, S. 129f.). Die Unterrichtsthemen sollten sowohl Sacherfahrungen als auch Gefühls- und Sozialerfahrungen ermöglichen (Schulz 1980a, S. 26; 1980b, S. 34). Neben der einzelnen Unterrichtsstunde muss die Planung auch längere Unterrichtseinheiten und langfristige Zielstellungen beinhalten (S. 36ff.). Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen sollen die Ausgangslage, die Unterrichtsziele, die Vermittlungsvariablen und die Erfolgskontrolle in ihrer wechselseitigen Beeinflussung in den Blick genommen werden (S. 32; Schulz 1980a, S. 82; vgl. auch: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Schulpädagogik/Didaktik 2007, did_07). Die von den lern- und lehrtheoretisch geprägten Ansätzen ins Spiel gebrachten Schlüsselbegriffe haben auch das didaktische Denken innerhalb der Musikpädagogik beeinflusst. So bezieht sich auch Anselm Ernst in seiner Didaktik des Instrumentalunterrichts auf Analysen, Ziele unterschiedlicher Reichweite, Inhalte und Methoden (Ernst 1991).

In kommunikations- und interaktionstheoretischen Ansätzen geht es demgegenüber weniger um die Unterrichtsinhalte und ihre Strukturierung als vielmehr um die Interaktionsprozesse im Unterricht. Unterricht wird als kommunikatives Geschehen verstanden, innerhalb dessen die Beziehungsdimension gleichberechtigt neben der Inhaltsdimension Beachtung verdiene (Schäfer 1976, S. 125). Sie gelte es – im Sinne von Jürgen Habermas – repressions- und herrschaftsfrei zu gestalten, um das Ziel der Emanzipation zu ermöglichen [29](Schäfer 1976, S. 129; vgl. Habermas 1978, S. 28f.). Der normative Hintergrund dieses didaktischen Ansatzes liegt in einer ideologiekritischen Erziehungswissenschaft, wie sie im Gefolge der „Kritischen Theorie“ der so genannten „Frankfurter Schule“ um die Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (vgl. Horkheimer 1977, S. 56) entstand. Auch die kritisch-kommunikative Didaktik um Karl-Hermann Schäfer, Klaus Schaller und Rainer Winkel hat das Ziel, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verbessern (Winkel 1980, S. 79). Sie strebt eine symmetrische Kommunikation an und versucht, auch dem Faktor der Störungen einen gebührenden Platz in der Unterrichtsanalyse und -planung zukommen zu lassen (S. 80, 91f.; vgl. auch: Hillenbrand 1999, S. 33ff.; Gudjons 1995, S. 243f.). So ist es insbesondere die ethische Dimension, die diesen Ansatz gegenüber anderen auszeichnet.

Die neueren, alternativen Ansätze akzentuieren je besondere Aspekte, die mehr oder weniger stark auf aktuellen wissenschaftlichen Paradigmen basieren: Konstruktivistische Ansätze etwa fußen auf der theoretischen Position des Konstruktivismus, der in seiner radikalen Form postuliert, die menschliche Erkenntnis könne nichts außerhalb ihrer selbst sich Befindendes abbilden. Vielmehr konstruiere das Denken seine eigene Realität (vgl. Glasersfeld 2006; Simon 2006, S. 68ff.). Lernen im Unterricht ist folglich ein gemeinschaftlicher Konstruktionsakt; es kann außerdem nicht erzeugt, sondern nur angeregt werden. Wenngleich eine stringente Ableitung konkreter Empfehlungen aus diesen Postulaten wohl nur schwer möglich ist, treffen sich konstruktivistisch argumentierende Didaktiker etwa in der Betonung der Selbsttätigkeit von Schülerinnen und Schülern, dementsprechend auch des entdeckenden Lernens und des Lernens aus Erfahrungen (vgl. dazu: Terhart 2005, S. 172ff.).

Annette Scheunpflug wiederum schuf aus der Perspektive der Systemtheorie und der Evolutionstheorie ihre Evolutionäre Didaktik (Scheunpflug 2001). Im Zentrum einer Theorie des Unterrichts stehen für sie nicht mehr Subjekte, sondern vielmehr psychische und soziale Systeme. Lehrende und Lernende stellen füreinander und untereinander Umwelten dar und selektieren gegenseitig aus den jeweiligen Kommunikationsangeboten dieser Umwelten. Im Unterricht lassen sich so evolutionäre Mechanismen wie Variations-, Selektions- und Stabilisierungsprozesse ausmachen, die der Planbarkeit von Unterricht grundsätzlich Grenzen setzen (S. 53f., S. 122ff.).

Die Neurodidaktik schließlich beruft sich ausdrücklich auf die Hirnforschung und sucht auf dieser Basis eine vollständige Didaktik zu entwickeln (Friedrich 2005; vgl. auch: Preiß 1996). Auf der Ebene der Legitimation wird unter Bezugnahme auf die ganzheitliche und vernetzte Struktur des Gehirns an den Begriff des ganzheitlichen Lernens angeknüpft. Auf der pragmatischen Ebene werden aus Lernmechanismen, wie sie aus der Neurobiologie hervorgehen, konkrete Empfehlungen, wie etwa das Lernen in Sinnzusammenhängen, abgeleitet. So wird schließlich eine „Kompetenzpädagogik“ skizziert, die sich durch das Anknüpfen an individuelle Kompetenzen ebenso auszeichnet wie durch eine abwechselnd handelnde, bildlich-anschauliche und symbolische Repräsentation der Lehrinhalte sowie durch offene Unterrichtsformen (Friedrich 2005, S. 344).

[30]Für möglicherweise einflussreich in der Zukunft hält Terhart zum einen die fachbezogene empirische Lehr-Lern-Forschung, zum zweiten die Formulierung von Bildungsstandards, die gewissermaßen den Faden der in den Siebzigerjahren tonangebenden Curriculum-Entwicklung wieder aufnimmt, und zum dritten die Bildungsgangdidaktik und -forschung, der es um die Ausrichtung des Unterrichts an den Entwicklungsnotwendigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler geht (Terhart 2005, S. 199ff.).

Die spezifischen Perspektiven der verschiedenen allgemeindidaktischen Ansätze können für die theoretische Grundlegung einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung, wie sie hier skizziert werden soll, Orientierungspunkte darstellen:

In zweiten Teil des Buches soll es zunächst um allgemeinpädagogische Grundorientierungen gehen. Zuerst soll hier weit ausgegriffen und mit ethischen Überlegungen begonnen werden. Damit ist auch eine zentrale Perspektive der kritisch-kommunikativen Didaktik berührt. Weiter sollen grundsätzliche anthropologische Überlegungen unter Bezugnahme auf die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen angestellt werden. Hier klingt das anthropologische Bedingungsfeld der lehr-lerntheoretischen Didaktik an. Dabei werden zunächst die Naturwissenschaften auf anthropologische Implikationen hin abgeklopft. Mit Themen wie Selbstorganisation, Systemtheorie, Evolution und Neuropsychologie kommen auch die Akzente neuerer, alternativer didaktischer Theorien ins Spiel. Schließlich sollen Konzepte der Psychologie und der Erziehungswissenschaft gesichtet werden. Hier kommt auch die Lernpsychologie zu ihrem Recht, deren Bedeutung vor allem von der lehr-lerntheoretischen Didaktik herausgestellt wurde. Auch das Konzept der Bildung, das Leitkonzept der bildungstheoretischen Didaktik, wird thematisiert. Das Anliegen der Bildungsgangdidaktik klingt im so genannten „entwicklungsgemäßen Ansatz“ der Vorschulerziehung an. Ein Blick in die Soziologie soll schließlich das sozial-kulturelle Bedingungsfeld erhellen, von dem in der lehr-lerntheoretischen Didaktik die Rede ist.

Der dritte Teil des Buches ist den im engeren Sinne fachdidaktischen Grundorientierungen gewidmet. Begonnen werden soll hier mit Gedanken zur Legitimation des Unterrichtens von Musik. Der Aspekt der Legitimation ist insbesondere der bildungstheoretischen Didaktik ein Anliegen. Dieses soll hier mit einem konkreten Fachbezug aufgegriffen werden. Es schließt sich die Behandlung von Inhalten, Zielen und Methoden an, womit Schlüsselbegriffe der lehr-lerntheoretischen Didaktik zur Strukturierung herangezogen werden. Die Sichtung von Zielen beinhaltet dabei auch eine Auseinandersetzung mit möglichen „Bildungsstandards“ der Musikalischen Früherziehung. Das Thema der Evaluation, ebenfalls ein Element der lehr-lerntheoretischen Didaktik, wird in Form einer konkreten Umsetzung, einer empirischen Studie zur Musikalischen Früherziehung an deutschen Musikschulen, im vierten Teil der Arbeit vorgestellt. Mit ihr ist auch der Aspekt der empirischen Lehr-Lern-Forschung zumindest ansatzweise vertreten.

Eine Zusammenfassung soll schließlich den Ertrag der pädagogischen und didaktischen Grundorientierungen zu einem Fundament einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung bündeln.

Mensch, Musik, Bildung

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