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Freuds Selbst-Analyse

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An dieser Stelle muss man betonen, dass »Analyse« damals – ähnlich wie in den Naturwissenschaften, z. B. der Chemie – auch im Kontext der Psychologie von Freud noch als ein »objektivierendes« Verfahren aufgefasst wurde, in dem die Seele, z. B. in der Manifestation von Träumen, als Objekt der Erkenntnis verstanden wurde. Insofern schuf Freud mit seiner Selbst-Analyse ein Paradigma, das die Psychoanalyse über ein halbes Jahrhundert beherrschte und das Michael Balint, einer der großen Psychoanalytiker in der Mitte des 20. Jahrhunderts, später als »Ein-Personen-Psychologie« charakterisierte.

Heute herrscht hingegen eine andere Auffassung vor, die dem Paradigma einer »Zwei-Personen-Psychologie« im Sinne von Balint11 entspricht. Wenn man diesem Verständnis folgt, ist das »Analysieren« ein Zwei-Personen-Stück, in dem das Unbewusste beider Partner im analytischen Prozess miteinander kommuniziert und die Begegnung als etwas Drittes, nämlich als Spiegel der Erkenntnis erschafft. Demnach kann man sich gar nicht effizient selbst analysieren, weil man seine eigene psychische Innenwelt immer nur durch den Filter der eigenen Verarbeitungs- und Abwehrmechanismen und deshalb immer nur innerhalb des bereits Bekannten erfasst. Erst die Begegnung mit dem anderen bzw. die Beziehung zu anderen erschafft einen Standort außerhalb der eigenen Subjektivität und ermöglicht die Erkenntnis im Spiegel des anderen.

Instinktiv scheint Freud dies gespürt zu haben, wenn er seinen Freund Fließ als sein analytisches Gegenüber verwendete, dem er seine Selbst-Reflexionen anvertraute und auf dessen Kommentare er Wert legte. In gewisser Weise geriet Fließ damit in die Rolle des ersten Lehranalytikers. Dennoch darf diese Metapher nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine systematische Verwendung und Nutzung der Beziehung mit dem Ziel der Selbst-Erkenntnis noch lange nicht im methodischen Rahmen der damaligen Zeit lag.

So sehr der methodische Wert einer Selbst-Analyse aus der heutigen Sicht also in Frage gestellt wird – um 1895 begab sich Freud mit ihr auf noch nie betretenen Boden. Das war in mehrfacher Hinsicht genial. Das Erste war der völlig neue Einblick in den Ursprung von Träumen. Freud entdeckte in ihnen die halluzinatorische Erfüllung unbewusster sexueller Wünsche der Träumer. Das Zweite waren weitreichende Postulate über das normale und neurotische Seelenleben. Freud leitete aus den Mechanismen, die beim Träumen wirksam werden, allgemeine Annahmen über die Funktionen der Psyche ab, auf denen er sein Modell der Psychoanalyse begründete. Das Dritte war die völlig neuartige erkenntnistheoretische Basis seiner Entdeckungen, die Veröffentlichung subjektiver Erlebnisinhalte und Bewertungen als Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Die Veröffentlichung des persönlichen Traumlebens und der auf sexuelle Inhalte abzielenden Kommentare dazu bedeuteten in der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein Skandalon ohnegleichen. Dieser Bericht einer Selbst-Analyse, noch dazu als Basis eines wissenschaftlichen Theoriegebäudes, war ein ungeheures Wagnis.

Man muss sich vergegenwärtigen, in welchem Umfeld das geschah, um die Reichweite dieser Pioniertat zu erfassen: Das medizinische Denken war damals von Virchows Zellularpathologie dominiert, mit der die vermeintliche Objektivität über alles Irrationale triumphierte. Das Maßgebliche war die materielle Veränderung in der Zelle als kleinste bekannte Lebenseinheit. Was nicht sichtbar war, galt nichts für die wissenschaftliche Erkenntnis.

In diesem Milieu nun wagte ein ehemaliger Neurophysiologe, der von der objektiven zur psychologischen Medizin konvertiert war, seine Träume und seine Assoziationen dazu zu veröffentlichen. Das allein war schon eine gesellschaftliche Sensation in der josephinischen Gesellschaft im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die von Etikette und einer gewissen Doppelmoral beherrscht war, in der der Schein mehr Geltung hatte als das Sein. Aber mehr noch: Die mitveröffentlichten Deutungen brachen mit ihren Anspielungen auf unbewusste sexuelle Regungen mit allen Tabus, die damals insbesondere im Hinblick auf die öffentliche Verleugnung des Sexuellen das gesellschaftliche Leben beherrschten.

Und schließlich die für die Wissenschaftler größte Provokation: Mit seinen Offenbarungen verband Freud den Anspruch der Wissenschaftlichkeit für weitreichende Spekulationen, mit denen er das Menschenbild seiner Zeit umstürzte. Indirekt forderte er damit, Subjektivität als Forschungsmethode anzuerkennen!

Freuds Traumdeutung war also nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch eine Provokation. Inhaltlich, indem sie den Träumer und seine Motive zum Ausgangspunkt seiner Deutungen machte, dabei verdrängte sexuelle Wünsche als Traummotive betonte – und damit das Konzept des persönlichen Unbewussten in die Traumwissenschaft einführte. Methodisch aber, indem sie die Selbstexploration zur Forschungsmethodik erhob und damit gleichsam das Subjekt als Instrument in die Forschung einführte.12

Es ist daher kein Wunder, dass Freud mit seinen Entdeckungen Wien in helle Aufregung versetzte und zum Gespött in der psychiatrischen und neurologischen Welt wurde – einer Welt, an der er selbst sehr hing und die ihn nun zum Außenseiter machte. Über die Aufnahme, die die Traumdeutung bei ihrem Erscheinen fand, war er enttäuscht. Aber er hatte die Ablehnung, die seine Ideen erfuhren und die die Psychoanalyse fortan über weite Strecken ihrer Entwicklung begleiten sollte, bereits in dem berühmten »Traum von Irmas Injektion« vorweggenommen, dem Traum, der im Zentrum seiner Traumdeutung steht und den man als den Initialtraum der Psychoanalyse bezeichnet hat.

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