Читать книгу Peru - Michael Hahn - Страница 23

Simón Bolívar

Оглавление

Als Simón Bolívar am 1. September 1823 im Callao peruanischen Boden betrat, fand er ein bankrottes Land und eine verworrene Situation vor. Zwei »patriotische« Staatspräsidenten, der eine in Lima, der andere in Trujillo, befehdeten sich gegenseitig. Den entzweiten »patriotischen« Streitkräften und der von Meutereien geplagten Flotte stand ein zahlenmäßig starker Gegner unter dem Oberbefehl des Vizekönigs La Serna gegenüber. Die royalistische Armee zählte um die 20 000 Mann, überwiegend indianische Bauernsoldaten, die von rund 500 spanischen Offizieren und Unteroffizieren befehligt wurden. Ein Teil der peruanischen »Patrioten« begegnete dem »Libertador« mit Misstrauen. Präsident Torre Tagle war voller Ressentiments, weil er gravierende Einschränkungen seiner Macht befürchten musste. In Trujillo widersetzte sich der abgesetzte Präsident Riva Agüero einer Unterordnung und nahm Verhandlungen mit den Royalisten auf. Deutlich hatte sich die militärische Schwäche der peruanischen »Patrioten« gezeigt: Santa Cruz’ Heer war zerschlagen. Und die Freischärler in Zentralperu, hin- und hergerissen zwischen Riva Agüero und Bolívar, waren zu einigen wenigen unbeständigen Banden zusammengeschmolzen.

Zwei Monate nach Bolívars Eintreffen waren die Arbeiten zur ersten Verfassung des Landes abgeschlossen. Die neue Konstitution definierte Peru als eine auf der nationalen Souveränität gegründete Republik. Sie schuf die Adelstitel ab und verankerte die Gewaltenteilung sowie die Unterordnung der Exekutive unter die (aus einer Kammer bestehende) Legislative. Wegen der Kriegssituation blieb die neue Verfassung weitgehend Papierwerk. Denn die Kongressabgeordneten vertrauten die oberste militärische Befehlsgewalt und oberste politische Autorität Bolívar an. Damit beschnitten sie die verfassungsmäßigen Kompetenzen des Präsidenten Torre Tagle sehr stark. Sämtliche Verfassungsartikel, die unvereinbar mit der Autorität und den Vollmachten des »Libertador« waren, blieben suspendiert.

Ende November setzten in Trujillo abtrünnige Gefolgsleute Riva Agüero gefangen, weil sie dessen Verhandlungen mit den Royalisten als offenen Verrat deuteten. Sie schafften ihn nach Guayaquil aus und unterstellten sich Bolívar. Auf dem Rückweg von Trujillo nach Lima erkrankte der »Libertador« lebensgefährlich und musste am 1. Januar 1824 im Hafen von Pativilca notfallmäßig an Land gebracht werden. Während zweier Monate hielt ihn die schwere Erkrankung in Pativilca fest. Vom Krankenbett aus diktierte er Briefe mit Instruktionen und gab Befehle an die Truppen aus.

Aus Bolívars kritischem Gesundheitszustand konnten die Royalisten keinen Gewinn ziehen. Die Wiederherstellung der absoluten Monarchie in Spanien, in deren Verlauf die Verfassung von Cádiz zum zweiten Mal außer Kraft gesetzt wurde, verschärfte die Spannungen innerhalb der spanientreuen Streitkräfte. General Pedro Antonio Olañeta, Sympathisant des Absolutismus und Kommandant der royalistischen Armee in Hochperu, rebellierte gegen Vizekönig La Serna. Der Konflikt, der in einen Bruderkrieg zu münden drohte, absorbierte die Streitkräfte des Südens zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Gegner stark geschwächt und verwundbar waren.

Anfang Februar, als Bolívar ans Krankenbett in Pativilca gefesselt war, meuterten die in der Festungsanlage Real Felipe verbliebene Truppen aus Chile und der La-Plata-Region. Da die »patriotische« Regierung nicht in der Lage war, den ausstehenden Sold zu bezahlen, händigten die Rebellen die Festungsanlage den Royalisten aus. Nach diesem neuerlichen Rückschlag übertrug der Kongress Bolívar diktatorische Vollmachten und erklärte sich selbst für aufgelöst. Damit war die Verfassung vollends aufgehoben.

Ende Februar besetzten royalistische Truppen abermals Lima. Erbittert über Bolívars Regime, das sie als Sklaverei, Tyrannei und Despotismus titulierten, nahmen Ex-Präsident Torre Tagle, die wichtigsten Offiziellen und über 300 Offiziere der »patriotischen« Armee ein Amnestieangebot an und liefen zu den Royalisten über. Bis März 1824 eroberten die spanientreuen Verbände weite Teile Perus zurück. Bolívar blieb praktisch nur mehr die Intendanz von Trujillo, wo er aber seine Armee intakt halten und Verstärkung aus Kolumbien abwarten konnte.

Erst von Pativilca, dann von der Stadt Trujillo aus organisierte Bolívar den Widerstand. Zivile Angelegenheiten übertrug er einem einzigen Minister, dem peruanischen Intellektuellen José Faustino Sánchez Carrión. Dieser war zuständig für die Etablierung ziviler Institutionen, die Sozialpolitik und die Rechtsprechung in den unabhängigen Gebieten. Demgegenüber kümmerte sich der »Libertador« um die militärischen Angelegenheiten wie den Truppennachschub aus Großkolumbien, die Rekrutierung neuer Kämpfer oder die Finanzierung der Kosten für Ausrüstung und Verpflegung. Bolívar setzte Quoten für Rekruten fest, welche die befreiten Provinzen des Nordens stellen mussten. Er nötigte die Kirche zu Spenden, ließ Kirchenschmuck, royalistisches Eigentum und Vermögen beschlagnahmen und Steuern eintreiben. Dringend benötigtes Eisen gewann man dadurch, dass man die schmiedeeisernen Ziergitter vornehmer Häuser aus der Verankerung riss und zusammen mit Häuserschlüsseln und sonstigen Gerätschaften in Kriegsmaterial umschmolz. Mittlerweile sorgte Großkolumbien für Nachschub an Soldaten, Waffen, Pferden und Maultieren. Auf dem Seeweg traf Verstärkung aus Panama und aus Guayaquil ein, darunter auch ein irisches Kontingent. Bis April 1824 zählte Bolívars Armee 8000 Mann – hauptsächlich Großkolumbianer, ergänzt durch peruanische Soldaten unter dem Kommando von Marschall José de la Mar. Die schlagkräftige Kavallerie setzte sich aus Gauchos der La-Plata-Region, chilenischen Huasos, Llaneros aus Großkolumbien und peruanischen Reitertruppen unter dem Kommando des englischen Generals William Miller zusammen. Die Soldaten erhielten einen regelmäßig ausbezahlten Sold in Höhe von einem halben Dollar (0,5 Peso) die Woche.

Mitte Juni verließ Bolívar zusammen mit einer Heeresabteilung Trujillo und zog über die Anden ins Gebiet von Cerro de Pasco. Dort vereinigte sich seine Einheit mit dem Rest der »patriotischen« Truppen. Am 6. August prallte Bolívars Heer in der Schlacht von Junín auf die royalistischen Truppen, die von General José de Canterac befehligt wurden. Wegen der Rebellion von General Olañeta in Hochperu konnten die Königstreuen nicht in ihrer vollen Stärke antreten. Mit einem riskanten Frontalangriff durchstieß die vom deutschen Major Otto Philipp Braun befehligte Schwadron Kolumbianer die Reihen der royalistischen Reitertruppen und sicherte sich unterstützt von der nachrückenden »patriotischen« Kavallerie den Sieg über die zahlenmäßig weit überlegene feindliche Kavallerie. Zwar gelang es Canterac, sich mit dem Großteil seiner Armee nach Cusco zurückzuziehen, doch waren die nördlichen Versorgungslinien durchtrennt. Nach dem Triumph überließ Bolívar den Oberbefehl Sucre und zog mit einem Truppenkontingent wieder zur Küste hinab. Im Dezember rückte er in Lima ein. Circa 4000 Zivilisten, darunter Ex-Präsident Torre Tagle, ehemalige Kongressabgeordnete, Adlige, Großkaufleute und deren Familien, flohen in die Festung im Callao. Sie fürchteten um ihr Leben, hatte doch Bolívar gedroht, die übergelaufenen »Verräter« hart zu bestrafen.

Kurz nachdem der »Befreier« Lima wieder unter seine Kontrolle gebracht hatte, bahnte sich im Hochland die Entscheidungsschlacht an. Vizekönig La Serna hatte im November von Cusco aus die Gegenoffensive lanciert. Auf Waffenhilfe seitens des abtrünnigen Generals Olañeta musste er nach wie vor verzichten. La Serna trieb seine Männer bis zur Erschöpfung vorwärts, während Sucre zurückwich. Am 9. Dezember standen sich die beiden Heere in Ayacucho gegenüber. Rein numerisch waren die Royalisten ihren Gegnern überlegen. La Sernas Truppen setzten sich aus schätzungsweise 6000 Peruanern, maximal 3000 Hochperuanern und 500 Europäern zusammen, wobei die Mehrheit der Einheimischen zwangsrekrutiert worden war. Unter Sucres Befehl standen – neben Minderheiten aus Chile, der Río-de-la-Plata-Region und Europa – 4000 Großkolumbianer und 1500 Peruaner. Unter Letzteren befanden sich mehrere Personen, die, zum Teil für nur kurze Zeit, Präsidenten werden sollten: Agustín Gamarra aus Cusco; Miguel San Román aus Puno sowie die Limeñer Manuel Ignacio Vivanco, Felipe Santiago Salaverry und Juan Crisóstomo Torrico.

Trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit trugen Sucres Truppen den Sieg davon. Während die »Patrioten« zwischen 300 und 370 Mann verloren, kamen auf der gegnerischen Seite schätzungsweise 1400–1800 Kämpfer ums Leben. Der verletzte Vizekönig geriet zusammen mit über 1000 Mitstreitern (darunter der gesamte spanische Generalstab und zahlreiche Offiziere) in Gefangenschaft. Un-


Abb. 6: Heldendenkmal in der Ebene von Quinua.

verzüglich wurden Verhandlungen über die Kapitulationsbedingungen aufgenommen. General Canterac unterzeichnete die Kapitulationsurkunde im Namen der spanischen Heeresführung; Sucre firmierte als ranghöchster Offizier des Siegerheers. Die Gefangenen konnten selbst entscheiden, ob sie in Peru bleiben und sich den »Patrioten« unterstellen oder aber nach Spanien ausreisen wollten. La Serna und weitere hochrangige Spanier traten unverzüglich die Heimreise (via Quilca und Rio de Janeiro) an. Alles in allem machten fast 400 Offiziere und eine ähnlich hohe Zahl an Soldaten vom Recht auf Repatriierung Gebrauch. Die Mehrheit der Männer, die sich in Ayacucho ergeben hatten oder unmittelbar nach der Schlacht in Gefangenschaft geraten waren, entschied sich für einen Verbleib in Südamerika.

Mit Sucres Sieg in der Entscheidungsschlacht von Ayacucho hatte Bolívar seinen militärischen Auftrag erfüllt. Einem ordnungsgemäßen Verzicht auf seine Sondervollmachten stand damit faktisch nichts im Wege. Jedoch hatte der »Libertador« andere Pläne. Er ließ in Lima einen Rumpfkongress zusammentreten, um diesem pro forma seinen Rücktritt als Diktator anzubieten. Angesichts der Militärpräsenz blieb den Abgeordneten nichts anderes übrig, als die diktatorischen Vollmachten des »Befreiers« am 10. Februar 1825 einstimmig um ein weiteres Jahr zu verlängern. Bevor er die Hauptstadt mit dem Ziel Süd- und Hochperu verließ, delegierte Bolívar sein politisches und militärisches Mandat an ein Triumvirat (Consejo de Gobierno) unter dem Präsidium von Marschall José de la Mar.

Peru

Подняться наверх