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Kapitel 2

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Mann, musste dieses vermaledeite Telefon immer dann klingeln, wenn sie voll konzentriert an einer Story arbeitete. Unwillig hob Layla Méndez den Hörer ab:

„Basler Woche, Layla Méndez, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Hallo Layla, hast Du Interesse, etwas für mich zu untersuchen?“

„Hallo Igor, würde ich ja gerne, aber ich bin gerade an einer heißen Story!“

„Das wird Dich sicher interessieren!“

Warum erreichte es Igor Dorojewski, der Direktor des Convento San José, einer Spezialorganisation, die übernatürliche Phänomene untersuchte immer wieder, nur in wenigen Sekunden ihr Interesse zu wecken und all ihre Pläne über den Haufen zu werfen? Da Layla nicht antwortete, fuhr Igor fort:

„Es ist auch gar nicht weit und es wird Dich nicht viel Zeit kosten!“

„OK. Schieß los!“

„In den Bergen ganz in der Nähe von Grindelwald ist ein Bär gesichtet worden!“

„Das ist nicht ungewöhnlich. Warum interessiert sich das Convento dafür?“

„Der Bär soll über drei Meter, wahrscheinlich sogar vier Meter groß sein!“

„Diese drei Meter kenne ich. Am Ende stellt sich dann heraus, dass es nur ein Meter achtzig waren!“

„Kannst Du trotzdem einmal nachsehen. Es haben vier Personen diesen riesigen Bären gesehen und alle sagen das gleiche.“

„Peter reißt mir den Kopf ab. Ich muss die Story morgen abgeben, sonst wird sie vor Redaktionsschluss nicht mehr fertig. Ich habe mich schon auf einen längeren Abend hier im Büro vorbereitet“

„Ich habe schon mit Peter gesprochen. Er schreibt selbst die Story fertig! Ich weiß doch, wie Du die Schreibtischarbeit hasst. Eine Abwechslung täte Dir doch sicher gut, habe ich Recht?“

„Igor, wenn Du schon alles abgeklärt hast, warum fragst Du mich dann noch?“

„Ich kenne halt Deinen Trotzkopf. Wenn man Dir etwas nicht schmackhaft machen kann, dann helfen auch keine noch so gute Überredungskünste!“

„Und genau damit habe ich meine Probleme. Ein drei Meter hoher Bär in Grindelwald. Also ich bin wirklich nicht überzeugt davon.“

„Kannst Du trotzdem dort etwas recherchieren?“

„Na gut, mache ich, aber höchstens ein oder zwei Tage!“

„Das reicht mir vollkommen!“

Damit legte Igor ohne weitere Grußworte auf. Igor war ein Meister der Effektivität. Lange Floskel, oder sogar ein Smalltalk hörte man bei ihm nie. Dass er dabei oft fast unfreundlich oder sogar unhöflich herüberkam, dass interessierte ihn nicht. Layla war ihm aber nicht böse. Sie kannte ihn besser und wusste, dass er eine Seele von Mensch war, immer bereit, seine Leute mit allem was er zur Verfügung hatte zu unterstützen.

Layla arbeite seit zwei Jahren im Nebenjob für das Convento, seit sie in Mexiko in einen Fall hineingezogen worden war, bei dem sie zum Werwolf mutierte. Sie war aber keine blutrünstige Bestie, die nichts lieber tat, als jeden Vollmond auf Menschenjagd zu gehen. Ganz im Gegenteil. Layla war ein schneeweißer Werwolf. Und sie kämpfte an der Seite des Convento gegen diese Mächte der Finsternis.

Im Hauptjob arbeitete Layla als Reporterin für die Basler Woche, einem wöchentlich erscheinendem lokalen Magazin. Peter Baumann, ihr väterlicher Freund und seit neuestem auch Schwager, war dort ihr Chef. Mittlerweile hatte der sich schon daran gewöhnt, dass Layla so Knall auf Fall plötzlich alles hinschmiss und für das Convento einen Fall übernahm. Er hatte auch gar nichts dagegen, weil dabei oft auch mal interessante Storys für die Basler Woche absprangen. Und jetzt schien der Fall direkt vor der Haustüre zu liegen, was ihm sicher gefallen würde.

Layla griff zum Telefon, um Peter anzurufen, aber der kam ihr um Sekunden zuvor. Es klopfte an der Türe und als Layla laut „Herein“ gerufen hatte, trat auch schon Peter persönlich ein. Es kam nicht sehr oft vor, dass Peter persönlich bis in ihr kleines Eckbüro kam, weshalb ihn Layla sehr überrascht ansah. Er hatte sogar ein Kaffee mitgebracht. Er kannte Laylas Leidenschaft für dieses edle Getränk. Er stellte die Tasse direkt vor Layla ab, die auch gleich einen tiefen Schluck nahm.

Peter war wie immer aus dem Ei gepellt. Layla kannte keinen Mann, der sich eleganter und geschmackvoller kleidete. Und seit er mit Ana Maria, Laylas Halbschwester verheiratet war, war er sogar noch eleganter und attraktiver geworden. Peter setzte sich an ihren kleinen Besuchertisch. Es störte ihn auch nicht, dass dieser beinahe unter den Akten und Dossiers, die Layla immer noch nicht aufgeräumt hatte, zusammenbrach.

Mit einem peinlichen Grinsen setzte sich Layla zu ihm. Peter rührte nachdenklich in seinem Kaffee. Dann sah er Layla mit fragendem Blick an und sagte:

„Also Layla, diese Geschichte mit dem Bären gefällt mir ganz und gar nicht. Es ist eine Sensationsstory, die nichts mit der Realität gemein hat. Ich weiß wirklich nicht, was ich davon zu halten habe. Wenn Du Dich dort umsiehst, dann recherchiere bitte sehr vorsichtig und gewissenhaft. Ich möchte nicht, dass uns ein riesiger Bär aufgebunden wird!“

Layla musste herzhaft über das gelungene Wortspiel von Peter lachen. Sie wusste auch sehr gut, was er meinte. Die Basler Woche war stolz für ihre gut recherchierten und ausgearbeiteten Reportagen. Mit Sensationsberichten wollten sie nichts zu tun haben. Selbst ihre eigenen Berichte über die Geschehnisse in Mexiko mit dem geheimen Pfad von Cholula und den entführten Frauen, sowie dem Bericht über die Seelenräuberin aus dem Amazonasdschungel konnte nur in einer deutlich abgeschwächten Version herausgebracht werden, obwohl sie mehr als genug Beweise für die Sensationsstory schlechthin gehabt hatten. Und wenn jetzt Layla direkt vor der Haustüre plötzlich nach gigantischen Monsterbären suchte und das dann von anderen weniger gewissenhaften Vertretern der Presse herausgefunden wurde, dann konnte das die Basler Woche ganz schön in Erklärungsnot bringen. Aber sie kannte auch Peter. Er war trotz dass er mittlerweile zum Chefredakteur aufgestiegen war, immer noch 100% Journalist. Layla erkannte, dass ihn trotz der Zweifel die Story dahinter brennend interessierte. Deshalb sagte sie:

„Natürlich, Peter, da passe ich auf. Ich bin mir auch sicher, dass ich übermorgen schon wieder hier am Schreibtisch sitzen werde. Diese Geschichte scheint mir etwas weit an den Haaren herbeigezogen!“

Peter nickte nachdenklich mit dem Kopf. Er schien das gleiche zu denken. Aber beide kannten Igor. Der rief nicht einfach nur so an, ohne ausreichende Beweise dafür zu haben. Also sagte Peter lediglich:

„Sei vorsichtig!“

Dann trank er seinen Kaffee aus und verließ Layla wieder, die nachdenklich an ihren Schreibtisch zurückkehrte. Sie merkte, dass sie gar keine Lust auf diese Recherche hatte, speziell auch deshalb, weil sie unter Arbeit wirklich zusammenbrach. Nicht nur, dass ihr Bericht für die kommende Ausgabe der BaWo noch nicht fertig war, nein, sie hatte noch einen anderen Fall, in dem sie mit ihren Recherchen einfach nicht weiterkam. Dort war noch sehr viel Arbeit zu tun. Außerdem war sich Layla gar nicht sicher, ob sich da wirklich eine interessante Story ergab, oder ob sie einfach nur ihre wertvolle Zeit verplemperte. Deshalb reservierte Layla auch gar kein Hotel, sondern nahm sich einfach ihre Jacke und ging zum Aufzug. Vielleicht war sie ja heute Abend schon wieder da. Die Strecke Basel – Grindelwald müsste sie in gut zwei Stunden schaffen. Wenn sie sich dann für weitere zwei Stunden umsah, dann konnte sie noch am Abend wieder nach Basel fahren.

*

Leider kam es dann ganz anders, als Layla es geplant hatte. Zuerst kam sie kurz vor Bern in einen riesigen Stau, der sie fast eine ganz Stunde kostete und dann begann es kurz vor Grindelwald auch noch schneien und das Mitten im April. So kam Layla dann erst am frühen Abend an und ihr war klar, dass sie nicht mehr am selben Tag nach Basel zurückkehren konnte. Zum Glück hatte wenigstens die Datenübertragung auf ihr iPhone geklappt, sodass sie wenigstens die Adressen der Personen hatte, die angeblich den Bären gesehen hatten. Doch zuerst musste sich Layla um ein Hotelzimmer kümmern. Zu ihrer großen Erleichterung hatten sie im Hotel Spinne noch ein Zimmer frei. Dieses kannte sie noch von ihrem letzten Besuch. Sie warf nur kurz ihre Tasche, die immer gepackt an ihrem Schreibtisch stand, in ihr Zimmer, dann ging Layla gleich los, um den ersten Zeuge zu befragen. Layla sah die Liste auf ihrem iPhone durch, welcher wohl der sinnvollste wäre. Sie entschloss sich, zuerst den Förster zu befragen. Er wäre wohl der kompetenteste Gesprächspartner. Layla wählte die Nummer, die ihr Igor übermittelt hatte. Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine sehr tiefe Männerstimme, sodass Layla zuerst den Eindruck hatte, den Bär selbst am Apparat zu haben. Sie meldete sich nicht als Reporterin der BaWo, sondern als Mitarbeiterin des Convento, das der Mann natürlich nicht kannte. Trotzdem versprach er Layla in einer Stunde in einem Kaffee ganz in der Nähe ihres Hotels zu treffen. Na, wenigstens das klappte, dachte sich Layla, als sie den zweiten Namen auf der Liste anwählte. Es war ein Forstwirtschaftsingenieur, der im Auftrag des Kantons Bern Untersuchungen über die Schäden des letzten Orkans erstellen sollte, der vor gut zwei Wochen über die Schweiz gefegt war. Auch der meldete sich sofort, wollte aber partout nicht mit einer Organisation reden, die er nicht kannte. Layla schlug ihm vor, dass ihn Igor Dorojewski der Direktor des Convento anrufen könne, um ihn die Richtigkeit der Daten zu bestätigen, aber der Mann wollte trotzdem nicht mit ihr reden. Layla akzeptierte dies, hinterließ aber mit der Bitte, ob der Mann es sich noch einmal überlegen könne, ihre Telefonnummer. Der Mann sagte ihr, dass da nicht zu überlegen sei, nahm aber trotzdem ihre Telefonnummer entgegen.

Die beiden nächsten, die den Bären gesehen hatten, waren zwei Wanderer. Ein Mann und eine Frau. Die waren im Gegensatz zu dem Beamten des Kantons auch sofort zu einem Gespräch bereit und zu Laylas Überraschung saßen sie genau in dem Kaffee, wo sie sich in einer Stunde mit dem Förster treffen wollte. Deshalb ging Layla gleich zu dem Kaffee, bei dem sie gut fünf Minuten später eintraf. Mittlerweile schneite es richtig stark und so wie es schien, blieb der Schnee auch liegen.

Als Layla in das Lokal trat, konnte sie die beiden auch sofort erkennen. Sie schienen das ganze Lokal mit ihrem Abenteuer zu unterhalten und es schien ihnen auch nicht aufzufallen, dass die Leute sie von ganzen Herzen auslachten. Auch Layla musste sich auf Anhieb ein Lachen unterdrücken. Der Mann war im Eifer des Gefechtes auf seinen Stuhl gestanden, um dort besser sehen zu können und natürlich auch gesehen zu werden. Es war auf den ersten Blick klar, dass der Mann ein furchtbarer Angeber war. Er war circa 1,90 Meter groß und Solariums gebräunt. Er hatte Kleidung an, der man auf den ersten Blick ansah, wie teuer sie war und in seinem schulterlangen, blondierten Haar war immer noch eine Ray Ban Sonnenbrille. Auch seine Freundin sah nicht anders aus. Ein Möchtegern Modell mit langen Fingernägel und mehr Schminke als Haut im Gesicht. Auch sie war aufgesprungen, um ihren Freund bei seinen Schilderungen tatkräftig zu unterstützen. Layla war von der ersten Sekunde an klar, dass sie hier eine sinnvolle Befragung vergessen konnte. Also wollte sie die beiden erst einmal beobachten. Vielleicht fand sie ja dadurch etwas heraus, dass sie dann bei dem Förster gezielt nachfragen konnte. Also setzte sich Layla an einen freien Tisch, der etwas Abseits des Spektakels lag, ihr aber trotzdem noch eine gute Sicht bot.

Augenblicklich näherte sich ihr ein Kellner. Layla sah ihm an, dass er sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnte. Deshalb fragte sie ihn, nachdem sie sich einen großen Milchkaffee bestellt hatte, direkt nach den beiden, denen offenbar immer noch nicht aufgefallen war, dass sie zum Gespött wurden. Der Kellner beugte sich verschwörerisch zu ihr herunter und sagte mit breitem Schwyzerdütsch:

„Die sind total bescheuert. Die behaupten doch tatsächlich einen riesigen Urzeitbären gesehen zu haben. Der Typ sagt, er hätte vor kurzem einen Bericht im National Geographic über diese Bären gesehen. Lustigerweise sollen diese riesigen Bären Kurznasenbären geheißen haben!“

Jetzt konnte der Kellner sein Lachen nicht mehr zurückhalten und blies Layla eine Rotweinfahne entgegen.

Layla erinnerte sich an den Bericht, den sie selbst im TV gesehen hatte. Es handelte sich bei diesem Bär um eines der größten Raubsäugetiere, die je gelebt hatte. Er hatte im Pleistozän vor circa 15'000 bis 40'000 Jahren gelebt, aber war soweit Layla sich erinnerte nur in Nordamerika heimisch gewesen.

Der Kellner entfernte sich wieder und kam kurz später mit Laylas Kaffee zurück, den die mit Genuss trank, während sie den Angeber betrachtete, der sich immer mehr in Rage redete und versuchte, jeden seiner Wörter mit eindrucksvollen Gesten zu unterstreichen. Mittlerweile schien ihm auch aufgegangen zu sein, dass die Leute ihn auslachten, doch anstatt sich hinzusetzen und verschämt die Klappe zu halten, wurde er immer noch lauter. Dann sah er plötzlich Layla und erinnerte sich offenbar an ihre Verabredung. Er sprang von seinem Stuhl herunter, näherte sich Laylas Tisch und setzte sich ungefragt zu ihr. Er sah ihr in kurz die Augen, dann aber über ihren kompletten Körper, soweit er ihn hinter dem Tisch erkennen konnte. Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck. Offensichtlich wollte er mit ihr flirten, obwohl seine Freundin nicht einmal fünf Meter weit entfern saß. Layla kam fast die Galle hoch. Allzu oft hatte sie es in ihrer Tätigkeit als Journalistin mit solchen Prachtexemplaren der Gattung Mann zu tun. Er prostete Layla zu und sagte mit einschmeichelnder Stimme:

„Sind sie nicht die Tussi von der Spezialorganisation, die mit mir reden wollte?“

„Erst einmal bin ich keine Tussi und ich glaube, ich habe schon genug gehört!“

„Ach ja und sie wollen keinen Spezialbericht?“

„Nein, es ist wirklich nicht nötig!“

„Darf ich Sie trotzdem zu einem kleinen Sekt einladen!“

„Das ist schon zweimal nicht nötig. Ich glaube, Ihre Freundin hat ihr Glas schon leer. Der können Sie ja noch einen ausgeben!“

Der Mann sah Layla beleidigt an. Das war Layla jedoch total egal. Je eher der Mann wieder ging, desto besser für sie. Und tatsächlich stand der Mann wieder auf und ging zu seiner Freundin zurück, die ihn gleich mit einem dicken Kuss begrüßte, wobei sie es sich aber nicht nehmen ließ, Layla einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.

Obwohl Layla sich selbst nicht als Schönheit bezeichnete, passierte es ihr leider sehr oft, dass ihre männlichen Gesprächspartner in reines Balzgehabe ausbrachen, wenn Layla sie interviewte. Layla vermutete, dass sie durch ihre Werwolf Seite eine „animalische“ Ausstrahlung zeigte, die manche Männer fast magisch anzog. Gut, Layla war mit Sicherheit nicht hässlich. Sie war circa 1,60 groß und sportlich durchtrainiert. Sie wirkte sehr jugendlich, manche sagen sogar mädchenhaft und nicht, wie eine bald 27 jährige junge Frau. Außerdem konnte sie, wenn sie wollte, mit ihren tiefblauen Augen sehr unschuldig schauen und zusammen mit ihren blonden, schulterlangen, naturgelockten Haaren, die sie gerne zu einem Pferdeschwanz zusammenband, bewirkte dies, dass sie von ihren Gesprächspartner oft unterschätzt wurde. Layla förderte dieses Image auch sehr gerne, weil sie dadurch oft an Informationen kam, die sie sonst niemals bekommen hätte. Sie besaß ein angeborenes, unerschütterliches Selbstbewusstsein, das durch ihre Werwolf Natur noch weiter vertieft worden war.

Nachdem der Angeber wieder zu seiner Freundin zurückgekehrt war, würdigte ihn Layla keines weiteren Blickes, obwohl sie merkte, dass er mit seiner Freundin über sie sprach. Layla holte ihre Tasche hervor, in der sie ihren Laptop hatte. Sie wollte bevor sie mit dem Förster sprach, schnell im Internet über Bären recherchieren. Vielleicht fand sie ja etwas, dass sie zu einigen Fragen führte, die sie dem Förster stellen wollte. Doch bevor der Laptop richtig aufgestartet hatte, klingelte plötzlich ihr Handy. Es war der Förster. Er war richtig aufgeregt, sodass Layla ihn zuerst nicht verstehen konnte, da er ebenfalls ein breites Schwyzerdütsch redete, das ihr große Schwierigkeiten bereitete. Aber dann verstand sie ihn doch. Offenbar war der Bär wieder gesichtet worden. Layla fragte den Mann, ob sie ihn begleiten könne, doch der war gar nicht begeistert. Es sei zu gefährlich. Layla fluchte innerlich. Wenn der jetzt in die Berge verschwand und sie hier zurückließ, dann konnte sie eine brauchbare Recherche vergessen. Nichts war für einen Journalisten schlimmer, als eine erkaltende Spur. Layla versuchte erst gar nicht, den Mann zu überreden. Er hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, was er von einer Begleitung hielt. Vielleicht bekam sie aber dennoch etwas heraus. Deshalb fragte sie so unverfänglich wie möglich, wo denn diese Sichtung gewesen sein. Und tatsächlich erwischte sie den Mann in seiner Aufregung auf dem falschen Fuß, dass er ihr den ungefähren Standort nannte.

Layla rief den Kellner zu sich, um ihren Kaffee zu bezahlen. Wie nebensächlich fragte sie ihn, wie sie zu dem vom Förster genannten Standort käme, doch der Kellner meinte nur, der Ort sei mit dem Auto bei dem Wetter nicht zu erreichen, da er mitten in den Bergen läge. Trotzdem ließ sich Layla mit der Bemerkung, morgen eine Tour dorthin unternehmen zu wollen, den Weg dorthin genau erklären. Dann bezahlte sie, wobei sie dem Kellner ein saftiges Trinkgeld hinterließ, und verließ das Kaffee.

Es hatte auch weiterhin geschneit, sodass der Schnee mittlerweile fast 15 cm hoch lag. Das wäre für ihr Auto kein Problem, da sie einen BMW X5 der neusten Generation besaß, mit dem sie wohl nicht stecken bleiben würde, aber trotzdem wollte Layla versuchen, zu Fuß auf Spurensuche zu gehen. Der Standort lag wohl nur circa zehn Kilometer bergauf in Richtung First. Das war für sie als Werwolf keine Entfernung und es war ihr lieber, da sie nicht wusste wie weit sie mit dem Auto kam und sie es nur ungern in der Wildnis stehen lassen wollte.

Also ging Layla kurz in ihr Zimmer. Sie wollte sich noch umziehen. In ihren Straßenkleidern würde sie nicht weit kommen. Zum Glück hatte sie die passende Kleidung dabei. Sie zog über ihre Jeans eine schwarze Thermohose an, sowie einen edlen rosafarbenen Angora – Pullover. Darüber zog sie ihre Thermojacke. Zwei Paar dicke Socken, sowie dicke Wanderschuhe und eine dicke Mütze vervollständigen ihre Ausrüstung. Dann ging sie los. Mittlerweile war es dunkel geworden. Dafür hatte es aber aufgehört zu schneien.

Mit schnellen Schritten ging Layla in Richtung First. Nach nicht einmal einem halben Kilometer war sie am Ortsausgang. Ab hier war der Schnee natürlich nicht mehr beseitigt, aber dies stellte für sie kein Problem dar. Sie liebte es bei diesem Wetter durch die Wildnis zu wandern. Sie hatte auch gar keine Angst, dass sie sich verirren könnte. Eine ihrer besten Werwolf Sinne war das wesentlich bessere Orientierungsvermögen, das auch bei Dunkelheit hervorragend funktionierte. Außerhalb des Ortes begann Layla in einen schnellen Trab zu verfallen. Nach kurzer Zeit war der Schnee fast kniehoch. Zum Glück hatte sie das Auto im Dorf zurückgelassen. Aber auch zu Fuß war sie wesentlich langsamer, als sie es sich erhofft hatte. Der Schnee war ganz schön schwierig. Nicht dass er rutschig war, er war einfach matschig klebrig und verhinderte damit ein schneller Weiterkommen. So brauchte sie sie fast eineinhalb Stunden, bis sie in die Nähe kam, wo sie den Förster vermutete. Sein Auto hatte sie aber noch nicht gesehen. Wo war der Mann nur? Layla war sich ziemlich sicher, dass sie sich nicht verirrt hatte. Sie ging weiter, diesmal aber deutlich langsamer. Und nach circa 500 Meter stieß sie tatsächlich auf eine frische Reifenspur. Das musste der Förster sein! Layla beschleunigte wieder ihre Schritte und folgte der Spur. Nach weiteren 500 Meter sah sie auch den Wagen. Es war ein Volvo XC90. Die Fahrertüre war offen und der Motor lief noch. Layla untersuchte das Fahrzeug. Es konnte noch nicht lange her sein, dass der Förster das Auto verlassen hatte. Layla sah eine Fußspur, die in einen kleinen Wald führte. Layla folgte der Spur, die sich im Schnee deutlich sichtbar abzeichnete. Sie war noch nicht bei den Bäumen angekommen, da sah sie das Licht einer starken Taschenlampe. Rasch näherte sie sich. Der Mann hatte sie noch nicht bemerkt. Um ihn nicht zu erschrecken, rief ihm Layla laut „Hallo“ zu. Der Mann stutzte und drehte sich Layla zu. Völlig überrascht, jemanden bei dem Wetter direkt in der Wildnis zu treffen, kam er rasch näher. Er leuchtete Layla mit seiner starken Taschenlampe direkt ins Gesicht und blendete sie. Layla hob die Hand und sagte:

„Guten Abend, können Sie bitte in eine andere Richtung leuchten. Ihre Lampe ist ja heller, als ein Halogenscheinwerfer!“

„Was machen Sie denn hier?“

„Ich bin Layla Méndez. Sie müssen Herr Theiler sein!“

„Ja, der bin ich, wie kommen sie denn hierher?“

„Den Fußweg hinauf!“

„In der Dunkelheit? Bei dem Wetter? Sind Sie lebensmüde? Außerdem kann es gar nicht sein, dass sie zu Fuß hier sind. Wir haben vor nicht einmal zwei Stunden miteinander geredet. Selbst bei gutem Wetter hätten Sie zu Fuß mindestens vier Stunden hierher gebraucht. Wo ist ihr Fahrzeug?“

Layla hatte keine Lust, sich mit dem Mann über ihre Fähigkeiten zu Fuß zu diskutieren. Also wechselte sie das Thema:

„Haben Sie eine Spur von dem Bären gefunden?“

„Nein, gar nichts, aber Sie sollten wirklich nicht da sein. Es hat zwar aufgehört zu schneien, aber es ist sehr kalt.“

„Darf ich Sie trotzdem über den Bären befragen?“

„Ich habe mitbekommen, wie beharrlich Sie sein können. Mir wird ja nicht anderes übrig bleiben, aber bitte im Auto.“

„Nur wenn Sie nicht zurückfahren. Ich möchte mich hier noch etwas umsehen!“

„Sie haben wohl noch nicht verstanden, wie gefährlich das ist.“

„Trauen Sie mir bitte. Ich weiß, was ich tue!“

„OK. ich gebe Ihnen zehn Minuten. Dann muss ich zurück. Bis dahin können Sie es sich noch einmal überlegen, ob ich Sie nicht mit nach Grindelwald nehmen soll. Es wäre mir gar nicht Recht, sie hier zurückzulassen. Es ist wirklich sehr gefährlich. Aber zwingen kann ich Sie natürlich nicht.“

Damit ging er zurück zu seinem Volvo. Layla folgte ihm und setzte sich auf den Beifahrersitz. Sie überlegte sich, wie sie am besten starten konnte. Normalerweise fiel ihr dies nicht schwer ein Interview sinnvoll zu planen, aber diesmal, wo sie selbst davon überzeugt war, dass an der Geschichte außer Übertreibung nichts daran war, tat sie sich schwer. Der Förster hatte eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck gemacht. Kein Aufschneider, wie der Idiot im Kaffee im Grindelwald. Deshalb fragte Layla zuerst einmal:

„Wo haben Sie denn den Bären gesehen?“

„Nicht weit von hier entfernt, nur circa 5 km weiter bergauf!“

„Konnten Sie den Bären deutlich sehen?“

„Ich weiß, auf was Sie hinauswollen, Frau Méndez, aber ich habe mich nicht getäuscht. Ich habe den Bären gesehen, auch wenn ich es selbst nicht glauben kann. Selbst auf allen vieren war es gut 1,50 – 1,70 Meter groß, als er sich aufgerichtet hat, war er dann weit über drei Meter groß!“

„Was für eine Farbe hatte er?“

„Es war eine dunkle Farbe, also kein Eisbär. Aber auch kein Schwarzbär. Auch kein Grizzly. Ich kenne mich nicht gut mit Bären aus, dafür gibt es hier einfach zu wenige, aber von solch einer Art habe ich noch niemals etwas gelesen!“

„Kann es sein, dass sie jemand getäuscht hat, also z.B. ein verkleideter Mensch, oder eine Pappattrappe oder ähnliches?“

„Sicher kann ich da natürlich nicht sein, aber ich glaube es nicht. Ich war zwar gut 200 Meter weit weg, aber die Bewegungen des Bären kamen mir sehr flüssig und natürlich vor!“

„Es tut mir leid, aber ich muss Sie das fragen: Hatten Sie etwas getrunken?“

Der Förster sah Layla mit einer Mischung aus Unverständnis, Wut, Empörung und verletztem Stolz an, antwortete aber nicht auf Laylas Frage. Dann senkte er aber den Blick. Layla hatte also offenbar ins Schwarze getroffen. Dann sah sie der Mann wieder an:

„Seit zweiundzwanzig Jahre bin ich Förster, ich habe mir niemals etwas zu schulden kommen lassen!“

Layla nickte. Der Mann fühlte sich ganz offensichtlich ertappt. Es war ihm peinlich. Er tat Layla leid. Sie war sich sicher, dass er normalerweise seinen Dienst sehr zuverlässig erledigte, aber trotzdem war sie nicht bereit, ihm jetzt auch nur noch ein Wort an seinen Behauptungen zu glauben. Nur zu oft hatte sie miterleben müssen, wie sehr der verfluchte Alkohol die Urteilsfähigkeit von Menschen beeinträchtigte. Für Layla war somit der Fall klar. Es gab keinen Riesenbären! Zur Sicherheit würde sie sich hier noch etwas umsehen, dann ins Hotel gehen, auf Igors Kosten gut zu Abend essen, schlafen und dann am frühen Morgen nach Basel zurückkehren.

Das Teufelskraut

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