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Kapitel 4

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Layla sah nur noch Farbkreisel sich herum, wobei es ihr unmöglich erschien, eine Farbe zu definieren. Es waren Orange-, Scharlach- und brillante Rottöne, aber sie sah auch Violett, Blau und Türkis, ja sogar Braun und Schwarz. Alles um sie herum war in Bewegung. Layla wurde schwindlig, aber trotzdem konnte sie die Augen nicht schließen. Sie konnte überhaupt so wie es schien keine einzige Faser ihres Körpers rühren. Layla begann zu schreien, konnte aber selbst kein Geräusch hören. Was passierte mit ihr? Hatten sie die Bären angegriffen? Nein, offenbar nicht. Sie spürte keinen Schmerz. War sie schon tot? Nein, auch nicht, sie konnte ihren Körper ganz genau spüren. Was war es dann? Layla hatte keine Ahnung. Das einzige, was definitiv klar war, war, dass dieser Zustand mit der Kugel zu tun haben musste. Nur was?

Dann war plötzlich alles vorbei. Genau so schnell und unvorbereitet, wie es begonnen hatte. Layla war immer noch schwindlig. Deshalb schloss sie zuerst einmal die Augen.

Dann fielen ihr die Bären ein und sie versuchte verzweifelt auf die Beine zu kommen. Das misslang ihr jedoch vollkommen und sie fiel wieder hart auf den Boden. Es hatte keinen Zweck. Sie würde sich im Moment nicht rühren können. Tief atmete Layla durch, jede Sekunde den tödlichen Schlag der Bären erwartend. Aber der Schlag kam nicht. Vorsichtig öffnete Layla die Augen. Zuerst sah sie alles nur verschwommen und ein grelles Licht blendete sie, aber als sie dann ihre Sehfähigkeit zurückerlangte, konnte sie nicht glauben, was sie sah. Der Schnee war verschwunden. Restlos aller. Doch das war nicht das einzige. Auch die Bäume um sie herum waren verschwunden, genau so wie die Berge. Zu ihrer Erleichterung bemerkte Layla, dass auch die Bären nicht mehr da waren. Es schien fast so, als wäre sie an einem total anderem Ort. Nur wo? Mühsam stand Layla auf und sah sich um. Sie stand mitten auf einem Feld, auf dem offensichtlich Gemüse angebaut wurde. Doch warum war dieses Gemüse voll im Wachstum, wie im Frühsommer? Auch die Bäume, die Layla in einiger Entfernung sehen konnte, zeigten eine komplette Baumkrone voller grüner Blätter. Jetzt bemerkte Layla auch, dass es sehr warm war, fast sogar heiß. Sie begann in ihrer Schneekleidung zu schwitzen. Aber dies interessierte sie im Moment nicht wirklich. Sie wollte nur wissen, was passiert war und wo sie gelandet war. Offensichtlich hatte sie die Kristallkugel an einen anderen Ort teleportiert. Nur wohin? Layla schloss auch kurz der Gedanke durch den Kopf, dass sie träumte, oder im Koma lag, aber da sie ihren Körper mit all seinen Schmerzen genau spüren konnte, verwarf sie diese Idee schnell wieder. Layla drehte sich um die eigene Achse, konnte aber außer dem Feld, und einem Wald, der das Feld umgibt, nichts erkennen. Na, wenn es ein Feld gab, dann gab es hier sicher auch Menschen, dachte sich Layla.

Langsam ging sie auf den Wald zu, wobei sie immer noch, wie betrunken schwankte. Dort angekommen ließ sie sich erst einmal in den Schatten fallen. Ihr Magen knurrte. Sie brauchte dringend etwas zu essen. In ihrer Tasche hatte sie einen Energieriegel. Solche eine Notration hatte sie seid sie ein Werwolf war, immer bei sich. Sie riss die Verpackung auf und stopfte sich den Riegel in den Mund. Fast ohne zu kauen, schluckte sie ihn hinunter. Natürlich war dieser Happen bei weitem nicht genug, aber er stillte wenigstens ihren größten Hunger.

Layla zog ihre warme Jacke aus und schlang sie sich um die Taille. Die Handschuhe und die Mütze verschwanden in einer der großen Taschen ihrer Hose. Dort fand sie auch ihre Sonnenbrille, die sie aufsetzte, da sie die Sonne immer noch blendete.

Ganz leise hörte Layla einen Bach plätschern, der in westlicher Richtung von ihr liegen musste. Langsam ging Layla in diese Richtung und nur wenig später hatte sie den Bach wirklich erreicht. Sie kniete sich nieder und trank einen großen Schluck. Das Wasser schmeckte einfach nur herrlich. Da bemerkte sie einen großen Fisch, der sie mit seinen Glubschaugen ansah. Blitzschnell griff Layla zu und bekam ihn wirklich zu fassen. Sie schlug ihn auf einen Stein und tötete in damit. Dann nahm sie ihr Schweizer Taschenmesser hervor und begann ihn auszunehmen. Als sie fertig war, begann sie ihn roh zu verzehren, was ihr als Werwolf keine Schwierigkeiten bereitete. Daraufhin wusch sie sich im Bach. Langsam kehrten ihre Kräfte zurück. Das war wirklich knapp gewesen. Layla konnte von Glück sprechen, dass sie noch lebte. Aber nichtsdestotrotz wusste sie immer noch nicht, wo sie eigentlich war. Layla beschloss am Bach entlang zu gehen. Dort musste sie einfach irgendwann auf Menschen treffen. Nur in welche Richtung? Links oder Rechts? Egal, jeder Weg konnte richtig, aber auch falsch sein. Also drehte sie sich kurzentschlossen nach links.

Nach circa 200 Meter traf sie tatsächlich auf einen Weg. Es war ein uralter unbefestigter Wanderweg. In welche Richtung sollte sich Layla jetzt wenden? Sie hatte keine Ahnung. Unschlüssig wandte sie sich wieder nach links, aber dann hörte sie plötzlich aus der anderen Richtung ein Geräusch. Es war noch sehr weit entfernt, aber sie glaubt doch ein Pferd erkannt zu haben. Da fiel ihr auf, dass auf dem Weg sehr viele Pferdespuren zu sehen waren. Selbst Pferdeäpfel waren zu sehen. Na, das musste ja eine ländliche Gegend sein, in der sie gelandet war, dachte sich Layla und ging in die Richtung, aus der sie das Pferd gehört hatte.

Das Geräusch wurde sehr schnell lauter, was Layla verriet, dass das Pferd ihr wirklich entgegen kam. Mittlerweile konnte sie sogar erkennen, dass das Pferd offenbar vor einen Wagen geschnallt war. Sie hörte auch, dass ein Mensch versuchte, das Pferd anzutreiben. Es sah so aus, also ob der Wagen sehr schwer war und das Pferd sich ganz schön anstrengen musste, voranzukommen. Das musste ja eine Gegend sein, dachte sich Layla nochmals. Weitere zwei Minuten später konnte Layla dann das Pferd sehen, das genau auf sie zukam. Als es Layla sah, legt es die Ohren an und wieherte. Der Wagen brachte sie fast zum Lachen. Er bestand aus Holz, und schien uralt zu sein. Die Räder waren schräg und laufen unrund. Dadurch wurde die Ladung ziemlich durchgeschüttelt. Dann sah Layla den Mann und bleibt überrascht stehen. Der Mann war ungefähr 40 – 50 Jahre alt und wirkte sehr ungepflegt. Seine hellbraune Hose, die so schien, als sei sie in einem Stück aus einem Tuch geschnitten und mit groben Stichen an der Seite zusammengenäht worden, war voller Flecken und hatte riesige Löcher. Auch das schmutziggraue Hemd, das irgendwann einmal weiß gewesen sein musste, stand vor Dreck. Außerdem hatte der Mann eine dunkelgraue, grob gewebte Weste aus einem groben Leder an und hatte einen braunen, unförmigen Filzhut auf dem Kopf. An den Füssen hatte der Mann unförmige Holzschuhe. Als der Mann Layla sah, blieb ihm der Mund vor Staunen offen stehen. Dann sagte er in einen eigentümlichen Dialekt, den Layla kaum verstand:

„Holla, junge Maid, wohin des Weges?

Was war den das für eine Aussprache? Es klang zwar wie Deutsch und Layla konnte den Sinn auch verstehen, aber die Aussprache war so deutlich unterschiedlich, dass ihr dies sehr schwer fiel. Layla verstand gar nichts mehr. Wo war sie gelandet? Wo wurde solch ein Dialekt gesprochen? Wo gab es solch arme Leute, die noch mit Pferden ihre Waren transportierten? Es kam Layla kurz der Gedanke, dass sie vielleicht sogar einen Zeitsprung gemacht haben könnte. Deshalb fragte sie den Mann erst einmal:

„Guter Mann, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich eigentlich bin?“

Der Mann sah sie genau so überrascht an, wie Layla ihn angesehen hatte. Er hatte offensichtlich die gleiche Schwierigkeiten Layla zu verstehen. Er sah Layla mit zweifelndem Blick an, dann sagte er:

„Wie ich sehe, sind Sie etwas verwirrt. Ihre Kleidung ist wohl eher für den Winter geeignet und das Mitten im Juni. Sind Sie etwa krank? Benötigen Sie Hilfe?“

„Das ist nett, Danke, aber ich bin nicht krank. Ich habe mich, sagen wir mal so, etwas verirrt. Ich möchte nur wissen, wo ich bin!“

„Sie befinden sich im Wald des Königs in der Nähe von Griendvolt.“

König? Griendvolt? Da stimmte ja überhaupt nichts mehr überein! Layla kannte sich nicht gut in der Schweizer Geschichte aus, aber sie glaubte sich zu erinnern, das Grindelwald irgendwann im 12 Jahrhundert als Grindelwald gegründet wurde und dass es mit Sicherheit dort niemals einen König gegeben hatte. Gab es einen anderen Ort mit einem solch ähnlichen Namen, der einen König gehabt hatte? Layla meinte dies verneinen zu können. Aber wo war sie dann? Die Kleidung des Mannes ließ auf das Mittelalter schließen. War sie wirklich in der Zeit zurückgereist, so wie sie es aus einigen Hollywood Filmen kannte. Layla hatte gar keine Ahnung. Es kam ihr wieder kurz der Gedanke, sie könnte träumen, aber da sie immer noch die Schmerzen in ihrem kompletten Körper spürte, war sie einhundertprozentig sicher, dass dies nicht der Fall war. Zur Sicherheit zwickte sie sich noch einmal. Der scharfe Schmerz zeigte ihr, dass sie Recht hatte. Sie träumte nicht. Also Zeitreise. Nur wohin? Sie sah den Mann nochmals an, der sie mit unverhohlener Neugier betrachtete. Layla lächelte freundlich, dann fragte sie:

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich weiß nicht, wo Griendvolt liegt, können Sie mir dies bitte erklären!“

„Wie kann es sein, dass Sie Griendvolt nicht kennen, junge Maid, da es doch die Hauptstadt des Reiches ist. Sie sind wohl wirklich ernsthaft krank und benötigen einen Heiler. Ich werde Sie direkt dorthin bringen, wenn es Ihnen beliebt!“

„Nein, mir geht es wirklich gut. Vielen Dank. Auch wenn das nicht so scheint. Nur eine Frage noch und die wird Ihnen mit Sicherheit wieder reichlich komisch vorkommen. Welches Jahr haben wir denn?“

Der Mann sah Layla jetzt mit deutlich sichtbaren Unbehagen an. Sie sah auch, dass er heimlich nach seiner Peitsche griff. Trotzdem antwortete er:

„Wir sind im Jahre 2012!“

Jetzt blieb Layla der Mund offen stehen. Wenn der Mann Recht hatte, dann war sie gar nicht in die Vergangenheit sondern in die Zukunft gereist. Und zwar offenbar nur circa drei bis vier Monate. Das war unmöglich! absolut unmöglich! Layla verstand überhaupt nichts mehr. Da würde sie einiges herauszufinden haben. Sie lächelte den Mann nochmals an und fragte:

„In welcher Richtung liegt denn Griendvolt?“

Der Mann deutete wortlos in die Richtung, aus der er gekommen war. Layla dankte ihm und ging davon. Sie hörte, wie der Mann dem Pferd die Peitsche auf den Rücken schlug, was sie fast dazu brachte, wieder umzukehren und den Mann zu belehren, dass auch ein Pferd ein Anrecht auf eine gute Behandlung hatte, aber im Moment schwirrten ihr unglaublich viele Gedanken durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, und bevor sie versuchen konnte, zurückzukehren, musste sie dies zuerst einmal herausfinden. In was war sie da bloß wieder hineingeschlittert?

Layla machte einen ersten Test und nahm ihr iPhone heraus. Natürlich hatte es keinen Empfang. Das wäre auch zu schön gewesen. Aber sie hatte noch eine andere Art der Kommunikation. Eine, die von aller Technik unabhängig war. Sie konnte über weite Entfernung, sogar über Kontinente hinweg telepathisch Verbindung mit ihrer Halbschwester Ana Maria aufnehmen. Layla konzentrierte sich, doch sie spürte nichts. Das konnte nicht sein! Nur wenn Ana Maria in tiefer Bewusstlosigkeit war, konnte sie nichts spüren. Selbst wenn die Schwester schlief, konnte sie deren Träume sehen, und wenn sie nichts träumte, dann konnte sie sie wenigstens fühlen. Layla merkte, wie langsam die Panik in ihr aufstieg. Es konnte einfach nicht sein. Was war passiert? Was hatte ihre Welt so gründlich auf den Kopf gestellt?

Layla versuchte sich zu beruhigen. Es brachte nichts, wenn sie jetzt durchdrehte. Sie würde halt versuchen müssen, soviel, wie möglich herauszufinden. Erst wenn sie wusste, was geschehen war, konnte sie etwas dagegen unternehmen.

Layla steckte ihr iPhone wieder ein und ging weiter in die Richtung, die der Mann ihr gezeigt hatte. Nach circa 200 Meter begann der Weg steil anzusteigen. Jetzt war Layla klar, warum das arme Pferd sich hatte so abmühen müssen. Auf diesem mit tiefen Furchen durchzogenen Weg diesen alten Wagen hinab zu fahren. Das musste ganz schön schwierig gewesen sein.

Layla selbst kam bei dem Anstieg ganz schön ins Schwitzen, zum einen natürlich durch ihre unpassende Kleidung, aber Layla merkte auch, dass ihr Körper sich von den Strapazen des Kampfes mit den riesigen Bären noch nicht ganz erholt hatte. Nach circa 500 Meter, für die Layla fast zehn Minuten benötigte, wurde der Weg wieder flacher und weitere einhundert Meter später stand sie auf der Kuppe. Was sie dort zu sehen bekam, verschlug ihr die Sprache.

Sie sah ein weitläufiges Tal, in dessen Zentrum idyllisch eine kleine Stadt lag, die von einer imposanten Stadtmauer umgeben war. Im Zentrum der Stadt war ein ovaler Platz, der soviel Layla erkennen konnte mit Steinen gepflastert war. Direkt in der Mitte des Platzes war eine riesige Eiche, die absolut perfekt gewachsen schien. Majestätisch hob sie ihre Zweige in die Höhe. Layla schätzte, dass der Baum gut über 30 Meter hoch war. Er musste uralt sein. Layla meinte sich zu erinnern, dass diese Bäume bis zu 1000 Jahre alt werden konnten.

Was Layla sonst noch auffiel war, dass es keine sichtbare Kirche gab. Kein Kirchturm, rein gar nichts, was auf eine Kirche deuten könnte.

Von ihrer Position aus konnte sie dagegen viele Menschen erkennen, die offenbar ihrer Arbeit nachgingen. Soweit sie es erkennen konnte, waren all diese Menschen ähnlich gekleidet, wie der Mann mit dem Pferdewagen. Sie sah auch Kinder, die auf dem Dorfplatz spielten, die in ähnlicher Art gekleidet war. Was Layla außerdem auffiel war, dass keine der Kleidungsstücke, die sie sah eine bunte Farbe hatte. Es waren ausschließlich Brau- und Oliv Töne in verschiedenen Farbtiefen, aber ansonsten keine weiteren Farben.

Die Stadt sah wahrhaftig aus, wie direkt aus dem Mittelalter importiert. Wie konnte es dann sein, dass es, wie der Mann sagte, das Jahr 2012 war? Hatte sich Layla da verhört oder ihn falsch verstanden? Nein, sie war sich sicher, dass dies nicht der Fall war, obwohl es sehr schwierig gewesen war, den Mann aufgrund seines seltsamen Dialekts, zu verstehen. Er hatte eindeutig 2012 gesagt.

Direkt hinter der Stadt konnte Layla einen Fluss sehen. Da Sommer war, führte der Fluss nicht viel Wasser, er schien aber recht breit zu sein. Layla vermutete, dass er direkt aus den Bergen kam, die Layla hinter der Stadt aufragen sah. Angrenzend an den Fluss war eine beeindruckende Steilwand aus purem Gestein. Layla schätzte, dass die mindestens 200 – 250 Meter hoch ein musste. Und auf der Höhe dieser Steilwand war eine weitläufige Burg. Layla konnte blaue Fahnen im Wind wehen sehen, die ein Wappen zeigten, dass Layla auf diese Entfernung jedoch nicht erkennen konnte. Dort musste der erwähnte König wohnen. Layla konnte auf den ersten Blick keinen erkennbaren Weg zur Burg ausmachen, dann fielen ihr aber zwei Dinge auf. Erstens: Vom zentralen Platz aus führte eine breite Straße direkt in Richtung der Burg. Dieser Weg war wie der Platz höchstwahrscheinlich mit Steinen gepflastert, während alle anderen Wege keine Pflasterung zeigten, sondern nur aus gepresster Erde bestanden. Auf dieser Prachtstraße war kein Mensch. Das war seltsam, da alle anderen Straßen regelrecht verstopft schienen. Selbst auf einem engen Weg, der parallel zu der Prachtstraße entlanglief, war ein regelrechter Verkehrsstau.

Das zweite das Layla auffiel war, dass von der Prachtstraße eine imposante Brücke über den Fluss führte, die auf den ersten Blick ins Nichts führte. Dann erkannte Layla bei näherem Hinsehen jedoch, dass diese Prachtstraße hinter der Brücke eine scharfe Kurve nach rechts machte. Offenbar war dies der Weg zur Burg hinauf. Und dieser Weg war von ihrer Position aus nicht einzusehen. Er musste jedoch, so schätzte Layla, sehr steil und mühsam sein.

Halbrechts von der Burg, fast noch höher im Berg, war ein weiterer Gebäudekomplex. Dieser schien direkt in den Felsen gehauen zu sein. Layla hatte keine Ahnung was sich dort befinden konnte. Es waren keine Fahnen zu erkennen und soweit Layla von ihrer Position erkennen konnte war dieser Gebäudekomplex nur sehr schwer zu erreichen. Trotzdem schien er bewohnt zu sein.

Layla schüttelte den Kopf. Solch ein Schloss und solch eine Landschaft konnte es in der Schweiz einfach nicht geben! Das hätte sie sicher erfahren. Nicht dass sie die große Expertin in der mittelalterlichen Geschichte wäre, aber durch ihren Beruf in der BaWo hatte sie doch auch oft über diese Zeiten recherchieren müssen. Und eine solche Landschaft mit einem solch imposanten Schloss, wo auch noch ein König wohnen sollte, das wäre ihr mit Sicherheit aufgefallen. Nur wo war sie dann? Auch Deutschland und Österreich meinte sie ausschließen zu können. Der Mann hatte aber Deutsch gesprochen, eine seltsame Art zwar, aber doch eindeutig Deutsch. Wo war im Mittelalter sonst noch Deutsch gesprochen worden? Auch das entzog sich Laylas Kenntnis. Sie schüttelte energisch den Kopf. Das konnte nicht sein! In was für einen Alptraum war Layla da nur wieder hineingeraten?

Langsam begann Layla mit dem Abstieg zu der Stadt. Auf halben Weg sah sie ein etwa 16 jähriges Mädchen. Das hatte ebenfalls Kleidung an, die Layla an das Mittelalter erinnerte. Sie hatte ein hellbraunes Kleid an, das bis zu den Waden reichte und hatte eine gelbliche Haube auf dem Kopf. Des Weiteren trug sie eine Schürze aus einem rötlich braunen, groben Stoff, der hinter ihrem Rücken zusammengebunden worden war. Die Schürze hatte eine große Tasche. Sie war barfuß.

Sie hatte einen Korb auf dem linken Unterarm eingehängt. Sie lief in einem Kreis. Ihr Blick war dabei aber permanent auf den Boden gerichtet. Alle paar Sekunden blieb sie stehen, bückte sich, zog eine Pflanze aus dem Boden und legte sie vorsichtig in ihren Korb. Sie war so konzentriert in ihre Arbeit, dass sie Layla erst bemerkte, als diese direkt hinter ihr stand und sie ansprach:

„Guten Tag, Können Sie mir bitte helfen?“

Das Mädchen erschrak sichtlich und drehte sich zu Layla um. Dadurch konnte ihr Layla das erste Mal ins Gesicht sehen. Das Mädchen war ausgesprochen hübsch. Sie hat riesengroße, tiefblaue Augen und eine kleine Stupsnase, die mit Sommersprossen nahezu übersäht war. Die störten aber nicht, sondern gaben dem Mädchen einen goldigen, fast schon frechen Touch. Unter der Haube konnte Layla erkennen, dass sie rote Haare hatte. Er war ein sehr schöner Rotbraunton. Sie vermutete dass die Haare länger waren, als es auf den ersten Blick erschien. Die Haare waren offensichtlich zusammengebunden dass sie nicht aus der Haube herausfielen. Der Mund des Mädchens war einfach perfekt geschwungen und durch eine natürliche Rotfärbung sah er fast aus, als wäre er geschminkt. Das Mädchen sah in ihrer ganzen Erscheinung sehr gepflegt und sauber aus. Auch ihre Kleidung wies nicht einen Fleck auf, obwohl man ihr ansah, dass sie nicht neu sein konnte.

Sie sah Layla konsterniert an. Offenbar wusste sie nicht, was sie von ihr halten sollte. Layla hatte schon Angst, sie würde sich einfach herumdrehen und weglaufen, dann aber hob sie die Hand und deutete mit dem Finger auf Laylas Sonnenbrille, die die immer noch aufhatte. Layla musste lachen. Es sah sicher zu komisch aus. Ihre Sonnenbrille war so groß, dass sie fast das ganze Gesicht bedeckte. Außerdem waren die Gläser verspiegelt. Sie musste für das arme Mädchen aussehen, wie ein Alien. Layla nahm die Brille ab und lächelte das Mädchen an. Doch als das Mädchen Layla ohne Brille sah, weiteten sich erst recht ihre Augen. Dann ließ sie sich auf die Knie sinken und sagte:

„Eure Hoheit, zu Ihren Diensten!“

Jetzt war es an Layla, ein erstauntes Gesicht zu machen. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Wie eine Hoheit sah sie bestimmt nicht aus in ihrem seltsamen Aufzug. Layla kicherte, dann machte sie dem Mädchen ein Zeichen aufzustehen, während sie sagte:

„Nein, Nein, Nein, so war das nicht gemeint. Ich brauche nur eine Auskunft!“

Doch das Mädchen ließ sich nicht davon abbringen, sondern beugte sich im Gegenteil sogar noch nach vorne und berührte mit der Stirn den Boden. Layla war dies furchtbar peinlich. Deshalb sagte sie:

„Bitte, stehe doch auf. Ich bin keine Hoheit!“

Das Mädchen hob leicht den Kopf und sah Layla scheu an. Dann sagte sie zweifelnd:

„Ihr seid nicht Prinzessin Amalia, die Tochter des Königs?“

„Nein. Ich bin total fremd hier und das erste Mal in Griendvolt.“

„Ihr seid der Prinzessin wie aus dem Gesichte geschnitten!“

Layla lachte herzhaft. Das Mädchen beobachtete Layla von unter herauf skeptisch, dann musste sie aber auch grinsen. Bei diesem Grinsen schien es, als würde die Sonne im Gesicht des Mädchens aufgehen. Layla mochte sie auf Anhieb. Zögernd stand das Mädchen auf. Sie begutachtete Layla nochmals von oben nach unten an, dann sagte sie mit einer Stimme, die verriet, dass sie gegen ein aufsteigendes Lachen ankämpfen musste:

Was habt Ihr denn für seltsame Kleidung an, meine Dame?“

„Wie gesagt, ich komme von weither. Dort ist es viel kälter. Leider habe ich mein Gepäck verloren. Wisst Ihr, wo ich Kleidung kaufen kann?“

„In der Stadt findet ihr einen Markt, auf dem ihr alles kaufen könnt, was ihr benötigt.“

Da fiel Layla ein, dass sie gar kein gültiges Geld besaß und Master Card würde auf diesem Markt wohl schwerlich akzeptieren werden. Deshalb fragte sie das Mädchen:

„Ist es auch möglich dort zu tauschen?“

„Das ist durchaus üblich. Für Euren seltsamen Augenschutz müsstet Ihr ein gutes Tauschgeschäft machen können!“

Auch das Mädchen hatte mit diesem komischen Dialekt gesprochen und auch seine Wortwahl war etwas seltsam, aber Layla verstand sie wesentlich besser als den Wagenlenker. Layla bedankte sich und wollte gerade weitergehen, da hörte sie plötzlich schnell näher kommende Hufschläge. Sie sah eine kleine Gruppe von fünf Reitern, die in voller Rüstung auf das Mädchen und sie zuritten. Layla schaute den Männern neugierig entgegen, dann sah sie aber das Entsetzen im Gesicht des Mädchens. Offenbar gab es da Probleme. Das Mädchen ließ sich wieder auf die Knie fallen. Layla sah dies nicht ein. Mit ernstem Gesicht sah sie den Reitern entgegen, die sehr schnell näher kamen. Rasch setzte Layla ihre Brille wieder auf. Wenn es Probleme gäbe, hätten es die Männer hinterher schwerer Layla zu erkennen. Haha, guter Witz dachte Layla. In ihren Kleidern war sie so unauffällig wie ein Eskimo in der Sahara. Sie musste die Kleidung schleunigst wechseln.

Die Reiter hatten Layla entdeckt. Im gestreckten Galopp kamen sie auf sie zu. Erst wenige Meter vor Layla zügelten sie ihre Pferde. Dann zogen sie ihre Schwerter. Ohne Warnung holte der erste Reiter, der wohl der Anführer der Gruppe war, mit dem Schwert aus und wollte nach Layla schlagen. Was war denn jetzt schon wieder los?, fragte sich Layla kurz und wich geschickt dem Schlag aus. Das Schwert sauste nur um Haaresbreite an ihr vorbei. Dabei bekam der Mann ein leichtes Übergewicht nach vorne und fiel fast vom Pferd. Offenbar hatte er nicht mit der schnellen Reaktion von Layla gerechnet. Reflexartig griff die zu und bekam den Arm des Mannes zu fassen. Noch bevor der Mann sich wieder aufrichten konnte, zog Layla an dem Arm. Der Mann wurde regelrecht vom Pferd herunterkatapultiert. Layla, die schon vor ihrer Verwandlung zum Werwolf begeistert Kampfsport betrieben hatte, verdrehte dem Mann den Arm, sodass er das Schwert loslassen musste. Dann trat sie ihm mit ihren schweren Stiefel mitten ins Gesicht. Er fiel zu Boden. Aus seiner Nase lief Blut. Da war aber auch schon der zweite Reiter heran. Er holte mit dem Schwert aus. Aber offensichtlich war das Schwert sehr schwer, denn seine Bewegung war eher langsam. Bevor er zuschlagen konnte, sprang ihn Layla an. Sie bekam ihn an seinem Gürtel zu fassen und zog ihn ebenfalls vom Pferd. Der Mann wollte noch im Fallen mit seinem Schwert nach Layla schlagen, aber Laylas Schwung war einfach zu groß. Jedoch bewirkte diese unglückliche Verlagerung des Gewichts, dass der Mann voll auf das Gesicht fiel. Sein Kampfeswille war damit gebrochen. Schwer röchelnd drehte er sich zur Seite und sah Layla mit ungläubigen Augen an.

Es war ganz klar, dass er mit solch einer Gegenwehr einer solch kleinen und dann noch unbewaffneten Person nicht gerechnet hatte. Aber Layla hatte überhaupt kein Mitleid mit ihm. In ihr kochte eine unbändige Wut und sie hatte Mühe die Verwandlung zum Werwolf zurückzuhalten. Diese Reiter, offensichtlich Soldaten hatten versucht, sie zu ermorden. Ohne ersichtlichen Grund hatten sie mit sie mit ihren Schwertern angegriffen. Layla griff nach seinem Schlagarm und wand ihm das Schert aus der Hand. Sie war zwar kein Schwertkampfexperte, aber Mark Bishop, ihr Verlobter, der ebenfalls ein Kämpfer für das Convento war, hatte ihr schon einige Grundzüge beigebracht. Fast mühelos hob Layla das schwere Schwert. Sie drehte sich den verbliebenen drei Soldaten zu, die sie völlig konsterniert ansahen. Aber wenigstens machten sie keine Anzeichen, sie nochmals anzugreifen. Einer der beiden, die noch auf dem Pferd saßen, hob einen Finger und deutete damit in einer theatralischen Geste auf Layla. Er schrie sie förmlich an:

„Wie könnt Ihr es wagen, die Soldaten des Königs anzugreifen. Ihr seid verhaftet und habt Euch sofort zu ergeben!“

Aha, also Soldaten des Königs. Das musste ja so ein König sein, wenn seine Soldaten willkürlich einfach Menschen erschlagen konnten. Trotz regte sich in Layla. Sie hob drohend das Schwert und sagte:

„Und was träumst Du in der Nacht, Du Mörder. Glaubst Du, ich lasse mich von Euch einfach abschlachten? Da hast Du Dich aber gründlich geschnitten!“

Doch bevor es zu weiteren Kampfhandlungen kam, hörte Layla hinter sich plötzlich ein lautes Brummen. Erschreckt drehte sie sich um und sah einen dieser riesigen Bären auf sich zukommen. Es ist ein richtiggehendes Ungetüm. Obwohl er auf allen vieren ging und sich nicht aufgerichtet hatte, war er trotzdem fast genau so groß, wie Layla. Sie schätzte, dass er eine Schulterhöhe von gut 1,50 Meter hatte. Aufgerichtet war er sicher weit über drei Meter, wahrscheinlich sogar vier Meter hoch. Sein Fell hatte eine dunkelbraune, fast schwarze Färbung und glänzte edel. Offensichtlich war das Fell sehr gepflegt. Das eindrucksvollste waren aber seine Augen. Sie leuchteten wirklich in einem tiefen Rotton, fast so, als wären es keine Augen, sondern Edelsteine. Layla konnte auch keine Iris erkennen. Es war ganz offensichtlich einer dieser Bären, die sie in Grindelwald attackiert hatte. Es war also nicht die Reflektion der Kristallkugel, sondern die Augen selbst gewesen, die rot geleuchtet hatten.

Sie wunderte sich, dass sie ihn trotz ihrer Werwolf Sinne wieder nicht gehört hatte. Der Bär umkreiste Layla, dann stellte er sich demonstrativ neben die Soldaten, die Layla nun überlegen, mit einer fast schon unverschämten Arroganz angrinsen. Die Bären gehörten also hierher! In was für eine Scheiße war sie denn jetzt schon wieder hineingeraten? Fragte sie sich zum wiederholten Male. Diese Bären hatte es mit Sicherheit niemals in der Schweiz gegeben. Auch nicht im Mittelalter. Layla war sich auch sicher, dass es dort niemals ein Königreich Griendvolt gegeben hatte. Wo war sie dann? Mit Sicherheit nicht in ihrer Welt. Nur wo dann? Auf jeden Fall hatte diese Welt Ähnlichkeit mit ihrer eigenen, zum Beispiel in der Sprache, war aber auf der anderen Seite total anders.

Doch Laylas Gedankengang wurde je unterbrochen, als sie plötzlich bemerkte, dass der Bär auf telepathischem Weg mit ihr in Verbindung treten wollte. Layla wollte zuerst vor Schreck ihren Geist verschließen, aber dann regte sich in ihr die Neugierde. Sie sah den Bären an und öffnete langsam ihren Geist, aber peinlichst darum bemüht den Bären nicht zu tief eindringen zu lassen. Der Bär spürte dies offensichtlich und sah sie mit feindseligen Augen an. Dann fragte er sie auf telepathischem Weg, wobei selbst dort die kraftvolle Stimme, Layla fast den Kopf zerriss.

„Wer bist Du und woher kommst Du?“

Layla beschloss, so lange wie möglich die Dumme zu spielen. Es war zwar mehr, als unwahrscheinlich, dass der Bär nicht wusste, wer sie war, selbst in dem Fall, dass er vom dem Kampf in den Bergen von Grindelwald noch keinen detaillierten Bericht erhalten hatte. Die Bären, auf die so dort getroffen war, mussten es auf jeden Fall erzählt haben. Trotzdem wollte Layla dies nur dann zugeben, wenn es nicht mehr anders ging. Sie ahnte, dass sie in großen Schwierigkeiten steckte und wollte diese nicht noch größer werden lassen. Deshalb antworte sie:

„Ich komme von weit her und wer ich bin geht Dich mit Verlaub gesagt, nichts an!“

Der Bär brummte wütend, dann erwidert er:

„Du scheinst wirklich von weit her zu kommen und nicht zu wissen, wer vor Dir steht. Deshalb werde ich es Dir kurz erklären. Du bist hier im Königreich Griendvolt und diese Soldaten waren in der persönlichen Garde des Königs. Jeder Mensch ist ihnen zum Gehorsam verpflichtet. Ich bin Ursuman, ein Wächter des Obermagiers. Wir Bären wohnen in dem Kloster, dass Du dort oben auf dem Berghang siehst. Wir überwachen die Gesetze des Königreichs!“

Das war also der Sinn des Gebäudes, das oberhalb des Schlosses im Berghang gelegen war. Das war aber wohl die einzige Erkenntnis aus dem, was ihr der Bär mitgeteilt hatte. Das diese fünf Reiter Soldaten gewesen waren, dass hatte Layla schon gewusst und der „Obermagier“, der sagte Layla überhaupt nichts. Er schien aber etwas Besonderes zu sein.

Der Bär war genauso riesig, wie die Bären, die sie in den Schweizer Alpen angegriffen hatten. Er war vielleicht sogar noch etwas größer als diese. Und diese Bären mussten irgendetwas mit ihrer Ankunft in dieser fremden Welt zu tun haben. Seinen eigenen Angaben nach wachte er über das Gesetz. Layla beschloss, dies auszuprobieren:

„Ich habe eine Anzeige zu machen. Diese zwei Soldaten hier, haben versucht, mich zu ermorden!“

„Das ist ihr volles Recht. Du hast ihnen nicht den gebührenden Respekt gezollt!“

„Aha, so sind also Eure Gesetze!“

Layla wollte gerade fortfahren, als sich der Anführer der Soldaten, den Layla niedergeschlagen hatte plötzlich bemerkbar machte. Er hatte Layla zwar aus ungünstiger Position, aber dennoch aus nächster Nähe beobachten können. Plötzlich nahm sein Gesicht einen erstaunten, fast schon erschreckten Ausdruck an. Dann schrie er auf einmal, während er mit dem Finger auf Layla deutete:

„Das ist Prinzessin Amalia!“

Das Teufelskraut

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