Читать книгу Das Teufelskraut - Michael Hamberger - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеDie Überprüfung war dementsprechend unangenehm für Elisabeth und Layla ausgefallen. Die Männer hatten ihre Aufgabe wirklich ernst genommen und hatten ihre Hände dementsprechend nicht bei sich halten können. Zum Glück hatten Elisabeth und Layla in weißer Voraussicht alle verdächtigen Gegenstände in ihrer Unterwäsche versteckt. Dort getrauten sich nicht einmal die Wächter nachzusehen. Auch das Klebeband mit dem Amulett hatten sie nicht gefunden. Trotzdem hatte Layla das Gefühl, von den Männern beschmutzt worden zu sein. Es war einfach ekelhaft gewesen. Wenn sie jedes Mal, wenn sie die Stadt betreten würde, genauso gründlich untersucht würde, dann drehte Layla sicher einmal durch.
Elisabeth war auf jeden Fall stolz auf sie. Kaum waren die beiden um die erste Kurve verschwunden, nahm sie Layla bei beiden Händen und tanzte fröhlich um sie herum, was Layla herzlich auflachen ließ. Dann gingen die beiden weiter. Die Stadt schien ein regelrechtes Labyrinth zu sein. Die Häuser standen ohne erkennbare Anordnung kreuz und quer durcheinander. Eine Stadtplanung gab es hier mit Sicherheit nicht. Layla sah sich die Häuser näher an. Sie vermutete, dass sie in einem ärmeren Viertel der Stadt gelandet sein musste, da die Häuser zum überwiegenden Teil aus Holz gebaut waren. Trotzdem waren fast alle Häuser zweistöckig. Layla hätte sich gerne die Häuser näher betrachtet, aber dazu fehlte einfach die Zeit. Deswegen liefen die beiden Mädchen wieder los. Trotz ihres durch ihre Werwolf Gene deutlich verbesserten Orientierungsvermögens wusste Layla schon nach kurzer Zeit nicht mehr, wo sie war. Da jedoch Elisabeth völlig entspannt war, glaubte sich Layla zuerst einmal in Sicherheit. Trotzdem wollte sie nicht in ihrer Wachsamkeit nachlassen. Layla hatte immer noch das Gefühl in warmer Erinnerung, als sie meinte, der schwarze Mann hätte sie entdeckt. Layla fiel ein, dass sie immer noch nicht wusste, wer dieser schwarze Mann denn war. Sie war sich sicher, dass er eine sehr wichtige Persönlichkeit war. Deshalb fragte sie Elisabeth nach ihm. Die machte ein erschrecktes Gesicht und sah sich mit furchterfülltem Blick um. Dann sagte sie:
„Das ist der Obermagier, ein Zauberer. Er lebt in dem Kloster da oben über der Stadt. Du solltest vorsichtig sein. Er hat die Fähigkeit, alles zu hören und zu sehen, was in dem Dorf geschieht!“
„Und wer sind diese riesige Bären?“
„Das sind seine Diener. Es sind gleichfalls mächtige Zauberer und sie sind die besten Kämpfer, die es in der Geschichte jemals gab. Bitte vermeide die Konfrontation mit diesen äußerst gefährlichen Wesen.“
„Warum haben sie rote Augen?“
„Du hast ihre roten Augen gesehen? Das ist ein überaus schlechtes Zeichen. Die Überlieferungen berichten, dass nur die direkten Feinde dieser Wesen ihre roten Augen zu sehen bekommen. Für alle anderen Wesen sind ihre Augen schwarz. Ich ermahne Dich nochmals zu absoluter Vorsicht, meine Liebe. Diese Wesen pflegen nicht, Gnade walten zu lassen.“
Layla sah Elisabeth tief in die Augen. Ihre Aussage hatte sie regelrecht geschockt. Wenn sie das Mädchen richtig verstanden hatte, dann konnten nur die direkten Feinde dieser Wesen die Augen rot leuchten sehen. Das führte natürlich auch zu der Frage, ob die Wesen dies spürten. Wenn ja, dann waren all ihre Versuche sich zu tarnen, völlig umsonst. Layla vermutete, dass der schwarze Mann, den Elisabeth Obermagier genannt hatte, auf jeden Fall etwas gespürt hatte. Deshalb hatte er auch versucht, Layla aufzuspüren. Der Bär, der sie bei den Soldaten befragt hatte, schien dagegen nichts gespürt zu haben. Er schien sie für Prinzessin Amalia gehalten zu haben.
Elisabeth schien gemerkt zu haben, dass ihre Erklärungen Layla bis ins Mark erschüttert hatten. Die konnte aber trotzdem nicht mehr tun, als ihr aufmunternd zuzulächeln. Layla nahm die Hand des Mädchens und drückte diese dankbar.
Vorsichtig gingen die beiden weiter durch das Straßenlabyrinth, bis sie plötzlich auf einen großen Platz kamen. Da der Platz nicht gepflastert war, konnte Layla sofort erkennen, dass es sich nicht um den zentralen Platz handeln konnte, den sie vom Hügel aus gesehen hatte. Außerdem fehlte die riesige, perfekt geformte Fichte. Es musste sich also um einen anderen Platz handeln. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie einen weiteren Platz gesehen hatte, an dem sie sich in etwa orientieren konnte, wo sie war, was sie zu ihrem Bedauern verneinen musste. Dies war aber auch nicht nötig, denn sie konnte endlich auch wieder den Berg und die Burg sehen, die in den engen Straßenschluchten nicht zu erkennen waren. Nach ihrer Berechnung musste sie etwas westlich von dem zentralen Platz mit der Fichte sein.
Auffällig an dem Platz war, dass er von imposanten Steinhäusern umgeben war. Es waren die ersten Steinhäuser, die Layla hier zu Gesicht bekommen hatte. Auf den ersten Blick konnte Layla erkennen, dass die Besitzer dieser Häuser sehr wohlhabend sein mussten. Sie machte Elisabeth darauf aufmerksam, die ihr erklärte, dass dies die Häuser der Kaufleute seien.
Auf dem Platz waren sehr viele Menschen versammelt, während sie auf dem Weg hierher praktisch niemanden getroffen hatten. Fasziniert erkannte Layla, dass es sich um einen Markt handeln musste, der hier abgehalten wurde. Mit staunenden Augen schaute sich Layla um und verlor dabei Elisabeth, die weitergegangen war, fast aus den Augen.
Mit einer beeindruckenden Sicherheit bewegte sich das junge Mädchen durch die Menschen hindurch. Layla vermutete, dass sie oft hier sein musste. Vielleicht wohnte sie sogar hier. Sie beeilte sich, um Elisabeth zu folgen und hatte sie gerade eingeholt, als diese von vier etwa 18 jährigen Jungen rüde angehalten wurde. Einer der vier drückte Elisabeth einen langen Holzstock auf die Brust, während ein anderer begann, ihren Korb zu untersuchen. Die beiden anderen standen nur drohend an der Seite des Jungen mit dem Stock, der ganz offensichtlich der Anführer der Gruppe war. Layla ging ein paar Schritte auf die Gruppe zu, um Elisabeth beizustehen, aber die machte ihr heimlich ein Zeichen, sich nicht einzumischen. Layla nickte kaum merklich und trat ein paar Schritte zurück, blieb aber so stehen, dass sie ihrer neu gefundenen Freundin bei drohender Gefahr gleich zur Seite springen konnte.
Aber das erwies sich als unbegründet, denn als der zweite Junge den Korb untersucht hat, ließen die vier von Elisabeth wieder ab und verschwanden. Layla sah ihnen hinterher und fragte:
„Was waren denn das für Idioten!“
Elisabeth drückte sich wieder die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken, dass sagte sie:
„Die gehören zu einer Bande von Jünglingen, die sich ‚Aufseher’ nennen. Ich halte sie für sehr gefährlich, da sie Spione des Obermagiers sind!“
„Der Obermagier hat Spione?“
„Ja, deren viele sogar. Er beherrscht dadurch die ganze Stadt. Nichts bleibt ihm verborgen. Aber im Grunde genommen waren diese Jünglinge leicht zu durchschauen. Sie sind faul und zu keiner Arbeit nütze. Deshalb stehlen sie bei allen Leuten die Dinge, die sie benötigen, einfach zusammen. Und da wir nichts haben, was sie interessieren könnte, haben sie uns gehen gelassen. Aber wir müssen uns trotzdem vorsehen. Wenn sie Verdacht schöpfen, werden sie es dem Obermagier melden und die Bären werden dann nicht lange auf sich warten lassen!“
Ganz stolz bemerkte Layla, dass sie jedes Wort dessen, was Elisabeth gesprochen hatte, verstanden hatte. Offenbar gewöhnte sie sich immer mehr an die seltsame Aussprache. Überhaupt kam ihr der Dialekt gar nicht mehr so seltsam vor. Gut, viele Dinge sprach Elisabeth auf eine fast lustige Art aus. So klang bei ihr das Wort „Jünglinge“ eher wie „Jüengelienche“ mit einem sehr sanften „g“ zu Beginn und einem scharfen, fast Schweizerisch ausgesprochenen „ch“, das wie ein Schnarchen klang, am Ende. Aber jetzt, wo Layla sich daran gewöhnt hatte, merkte sie, dass die Sprache zwar altertümlich klang und einige sehr alte Worte, wie eben „Jünglinge“ oder „Maid“ verwendetet, aber die grammatikalischen Strukturen dahinter sehr ähnlich waren, sodass es ihr kein Problem bereiten dürfte, diese Sprache zu imitieren. Natürlich würde sie peinlich genau auf ihre Wortwahl achten müssen. Worte wie „Idioten“, das sie gerade gesagt hatte, die musste sie natürlich gründlich vermeiden.
Elisabeth nahm sie wieder bei der Hand und zog sie zur östlichen Seite des Platzes. Dort war ein großer Holzstand, auf dem viele verschiedene Kräuter auslagen. Einige waren getrocknet, aber die meisten waren frisch. Ein unheimlich intensiver Duft umhüllte den Stand, der Layla das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Deutlich wahrnehmbar knurrte ihr Magen, was Elisabeth wieder herzhaft auflachen ließ.
Ein großer, unheimlich dicker Mann kam hinter dem Stand hervor und lächelte Elisabeth freundlich zu. Er hatte ein rundes Gesicht. Die Augen waren dagegen sehr klein und waren fast nicht zu sehen. Auch die Nase war in den gewaltigen Backen kaum zu sehen. Dafür war sein fleischiger Mund fast schon übergroß. Die Backen und das Doppelkinn waren von einem gepflegten Bart umgeben. Gekleidet war der Mann mit einer gelben Hose und einem hellroten, seidig glänzenden Hemd, die in dem Einheitslook der Bewohner sehr exklusiv und außergewöhnlich wirken. Selbst Schuhe hatte er an. Auf dem Kopf hatte er einen spitz zulaufenden Filzhut mit breiter Krempe. Layla bemerkte auf den ersten Blick, dass er sehr wohlhabend sein musste.
Der Mann machte einen ruhigen und bedächtigen Eindruck und war Layla auf Anhieb sympathisch.
Elisabeth gab ihm ihren Korb. Der dicke Mann sah hinein und rief vor Freude aus:
„Elisabeth, das ist ja wunderbar. Das Johanniskraut ist mir fast zur Neige gegangen. Ich gebe Dir zwei Münzen dafür!“
Elisabeth klatschte begeistert in die Hände. Der Mann griff immer noch lächelnd in die Tasche und holte die Münzen heraus. Dann bemerkte er offenbar Layla und fragte:
„Und wer ist diese junge Maid. Ich habe sie noch niemals vorher zu Gesicht bekommen!“
„Das ist Layla, meine Kusine aus Basilea. Ihre Mutter ist verschieden und sie wird in der nächsten Zeit bei uns wohnen!“
„Nehmt bitte meine aufrichtige Anteilnahme, Maid Layla und seid von Herzen willkommen!“
Damit drehte er sich um und ging wieder zurück zu seinem Stand. Layla sah Elisabeth mit großen Augen an. Die musste wieder lachen und sagte:
„Layla, wir haben genug Platz in unserem Haus. Du kannst mir beim Sammeln der Kräuter helfen. Es ist sicherer, dies zu zweit zu tun.“
„Was wird Deine Familie dazu sagen?“
„Meine Mutter wird sicher glücklich darüber sein. Wir können jede Hilfe im Haushalt gebrauchen und genug zu Essen wird auch da sein!“
Wenn sie sich da nur nicht täuschte, dachte Layla. Sie kannte noch nicht den Hunger eines Werwolfs. Layla war klar, dass sie der kleinen Familie nicht die Haare vom Kopf fressen dürfte. Sie würde relativ oft als Werwolf auf die Jagd gehen müssen.
Elisabeth hob Layla eine der Münzen hin, aber Layla wollte die nicht annehmen. Sie hob beide Arme nach oben und sagte:
„Nein Elisabeth, das ist dein Geld. Ich habe Dir nur geholfen. Es ist mehr als gerecht, wenn Du es behältst!“
Elisabeth sah Layla staunend an, dann lächelte sie aber und steckte das Geld in ihre Schürze. Da sah Layla plötzlich, wie die vier „Aufseher“ mit großen Schritten auf sie zu geeilt kamen. Offensichtlich wollten sie ihnen das Geld wieder abnehmen.
Diesmal war es Layla, die Elisabeth an die Hand nahm und hinter sich herzog. Elisabeth sah sie erst überrascht an, dann aber erkannte sie die vier Idioten (für Layla blieben es Idioten), die auf sie zu rannten und ihre Augen weiteten sich. Es war klar, dass die vier diesen Augenblick abgewartet hatten. Sie hatten offenbar gewusst, dass der dicke Mann einen guten Preis für die Kräuter bezahlen würde und hatten nur darauf gewartet, dass Elisabeth das Geld in den Händen hatte.
Layla übergab die Führung wieder an Elisabeth, die offenbar so schnell rannte, wie sie konnte. Trotzdem holten die Idioten schnell auf. In Layla stieg die Wut auf. Sie spürte, wie sehr Elisabeth unter den Arschlöchern leiten musste. Leider waren es sehr schnelle Arschlöcher, die sehr schnell näher kamen. Wenn sie Elisabeth und sie stellen würde, würde dies Layla in eine ganz schöne Zwickmühle bringen. Es war für sie absolut unmöglich, Elisabeth von ihnen ausrauben zu lassen. Aber wenn sie die Scheiße aus ihnen herausprügelte, dann würde der Obermagier nur Sekunden später wissen, wo sie zu finden war. Sie konnten also nur hoffen, die vier im Labyrinth der Straßen abzuhängen.
Das war auch offensichtlich Elisabeths Ziel, die direkt eine kleine, fast nicht zu erkennende Gasse ansteuerte. Kurz später hatten sie diese erreicht. Layla ließ Elisabeth den Vortritt, als sie in die winzige Öffnung hineinstürmen. Die Gasse war gerade breit genug, dass Elisabeth und Layla darin rennen konnten. Die vier Aufseher hatten da mehr Probleme. Deshalb kamen sie auch nicht mehr so schnell voran. Trotzdem wollten sie noch nicht aufgeben und blieben den beiden Mädchen hartnäckig auf den Fersen.
Immer tiefen drang Elisabeth, gefolgt von Layla in die Häuserschluchten hinein. Die Gassen waren dabei so eng, dass oft auch die beiden schmalen Mädchen Probleme hatten, schnell voranzukommen. Dementsprechend wurde es auch immer dunkler. Layla schätzte, dass mittlerweile später Nachmittag war und dass deshalb die Sonnenstrahlen nicht mehr ihren Weg in die Gassen fanden.
Inzwischen war Elisabeth total außer Atem. Sie würde nicht mehr lange durchhalten können. Da sah Layla plötzlich eine winzige Öffnung in einem Steinhaus. Offensichtlich kamen sie in eine etwas bessere Gegend. Hier waren schon fast mehr Stein- als Holzhäuser zu sehen. Neben der Öffnung lagen einige Steine und tarnten sie fast perfekt.
Sie machte Elisabeth ein Zeichen. Die nickte aufgeregt und begann sich in das winzige Loch zu zwängen. Zum Glück hatten sie in der Enge der Gassen etwas Vorsprung herauslaufen können, sodass auch Layla in der Öffnung verschwinden konnte, bevor sie die vier Verfolger erreichen konnten. Hinter der Mauer spürte sie keinen Boden. Offenbar waren sie in einem Keller gelandet.
Layla glitt zu Boden, der nicht sehr tief war. Dann drehte sie sich schnell wieder um und ging zu dem Loch zurück, damit sie die vier Idioten beobachten konnte. Die waren ganz verwirrt, dass die beiden Mädchen so plötzlich verschwunden waren. Unschlüssig blieben sie stehen. Der Anführer der vier war stocksauer und schlug mit seinem langen Stock auf den Jungen ein, der die Führung bei der Verfolgung gehabt hatte. Wütend brüllte er ihn an, während jeder seiner Worte von einem brutalen Schlag begleitet wurde:
„Du wirst mir das verlorene Geld ersetzten, Du Nichtsnutz!“
Der geschlagene Junge versuchte noch seinen Kopf mit den Händen zu schützen, musste aber trotzdem die Mehrzahl der Schläge einstecken. Aus zahlreichen Wunden blutend sank er zu Boden. Layla konnte hören, wie er weinte. Der Schläger spuckte auf den Boden, drehte sich um und ging ungerührt von dannen. Ein zweiter Junge, wie Layla sich zu erinnern glaubte, genau der, der Elisabeths Korb untersucht hatte, spuckte auch auf den Boden und folgte dem Bandenchef. Der vierte blieb unschlüssig stehen. Offenbar wusste er nicht, ob er ebenfalls den beiden folgen, oder aber seinem Kameraden helfen sollte. Dann drehte aber auch er sich um und ging den beiden hinterher. Er spukte jedoch nicht auf den Boden. Der geschlagene Junge blieb weinend zurück. Er tat Layla leid. Offensichtlich wurde diese Bande von Aufsehern von ihrem Chef und seinem Speichellecker auf brutale Art geführt. Wer nicht spurte, oder in Augen des Chefs versagte, der wurde brutal abgestraft. Konnte dies vielleicht sogar eine Gelegenheit für sie sein? Layla konnte es sich schon vorstellen. Die Wahrscheinlichkeit war sehr hoch, dass der Geprügelte nicht gerade mit vollen Herzen dabei war und dass er vielleicht sogar auf Rache hoffte. Layla beschloss, dies mit Elisabeth zu besprechen.
Layla drehte sich zu Elisabeth zurück, die mit großen Augen mitten im Raum stand. Sie hatte die Hand wieder vor den Mund gepresst. Da sah auch Layla, wo sie gelandet waren. Sie stehen in einem circa 8 x 8 Meter großen Raum. In einem Ofen brannte ein Feuer, was bei den heißen Temperaturen, die bei dem Sommertag draußen herrschten, schon sehr seltsam war. Im Raum war es deshalb auch fast unerträglich heiß und stickig. In der Mitte des Raums war ein großer Steintisch. Und auf diesen Steintisch standen verschiedene Glasflaschen in unterschiedlicher Größe in einem verwirrenden Durcheinander. Auch auf dem Boden, der ebenfalls aus Stein zu bestehen schien, lag eine Vielzahl von Flaschen. Einige waren zerbrochen und die Flüssigkeit war ausgelaufen. Ein beißender Geruch nach Chemikalien raubte Layla fast den Atem. Sie waren in einem Labor gelandet!
Neugierig sah sich Layla um. Es sah wirklich aus, wie in einer mittelalterlichen Hexenküche. An einer Wand war ein großes Regal aus groben Holzbrettern. Auch dort war alles voll gestopft mit Flaschen und Büchsen. An der Nebenwand war ein weiteres Regal mit einer Unzahl von Büchern. Beide Regale waren genau, wie der Steintisch in einem totalen Chaos. Einige Bücher lagen sogar auf dem Boden herum. Es sah aus, als hätte eine Bombe in dem Labor eingeschlagen. Layla fand auch ein dickes Buch, das in Leder eingebunden war, und in dem offensichtlich handschriftlich irgendwelche Ergebnisse zusammengefasst waren. Leider konnte Layla die Schrift nicht lesen.
Da fiel Laylas Blick auf die Wand, an der sie durch das Loch eingestiegen waren und ihre Augen weiteten sich. Fast die ganze Wand war schwarz, als hätte jemand versucht den Stein zu verbrennen. Sie konnte auch neben dem Loch, noch andere kleiner Lücken in der Wand erkennen. Einige Steine waren locker, andere sogar richtiggehend verschoben. Layla erinnerte sich, dass sie einmal eine Reportage gemacht hatte, wo es um eine Explosion in einem Labor der Basler Chemie gegangen war. In diesem Labor hatten die Spuren recht ähnlich ausgesehen. Es hatte hier also höchst wahrscheinlich eine Explosion gegeben.
Layla wollte gerade Elisabeth ein Zeichen machen, dass es wohl besser wäre, wenn sie wieder gingen, da sah sie unter einem umgefallenen Buchstapel eine Hand hervorgucken. Mit zwei großen Sprüngen, die Elisabeth erschreckt aufschreien ließen, war Layla bei dem Stapel und begann die Bücher auf die Seite zu räumen. Nach der offensichtlichen Wucht der Explosion zu schließen, war sie auf das Schlimmste gefasst. Kurz später hatte sie die Person von den Büchern befreit. Es war ein älterer Mann mit Glatze aber dafür einem fast brustlangen, schneeweißen Vollbart. Er war sehr groß, bestimmt über zwei Meter, dafür aber spindeldürr. Er trug eine braune Kutte aus einem recht fein gewebten Leinen, das wohl sehr teuer gewesen sein musste.
In diesem Moment öffnete der Mann die Augen und sah Layla an. Dann begann er zu lächeln und fragte:
„Bin ich gestorben? Seid ihr ein Engel?“
Layla musste herzhaft lachen. Da sah der Mann Elisabeth, die neugierig neben Layla getreten war. Er erkannte sie offenbar, denn sein Blick nahm einen strengen Blick an.
„Maid Elisabeth, was habt Ihr in meinem Labor zu suchen? Wie seid ihr überhaupt hier hinein gekommen?“
Ohne Worte zeigte Layla auf das Loch in der Wand. Als der Mann dieses sah, wurden seine Augen groß. Dann schien er sich zu erinnern. Er versuchte sich aufzurichten, aber Layla hielt ihn sanft davon ab:
„Langsam, guter Mann, Sie haben nach der Beule zu schließen, die auf ihrer Stirn wächst, einen ganz schönen Bums abbekommen. Wo haben Sie denn Wasser, dass wir die Wunde erst einmal waschen können?“
„Im angrenzenden Nebenraum, hinter dieser Türe, die Ihr dort seht. Aber was habt Ihr für eine seltsame Aussprache junge Maid?“
„Ich komme von weit her. Elisabeth, kannst Du bitte das Wasser, und wenn möglich ein sauberes Tuch, holen.“
Das Mädchen folgte augenblicklich, während Layla, die bei der Ausbildung des Convento auch eine gründliche Erste Hilfe Ausbildung genossen hatte, den Mann zu untersuchen begann. Außer der Beule und einer schmerzhaften Prellung an der linken Schulter konnte sie nichts finden. Der Mann sah sie die ganze Zeit dabei seltsam an. Als Elisabeth mit dem Wasser zurückkam, begann Layla, die Wunde zu waschen. Dann half sie dem Mann sich aufzurichten. Der sah sie immer noch auf diese seltsame Art an und fragte dann:
„Junge Maid, wo habt ihr dies gelernt? Es schien fast so, als seid Ihr ein Medikus.“
Layla lachte wieder herzhaft. Sie sah dem Mann offen in die Augen, dann sagte sie:
„Nein, das bin ich natürlich nicht. Nur dort, wo ich herkomme, dort wurde sehr oft gekämpft. Dort habe ich mir diese Kenntnisse angeeignet.“
Der Mann sah Layla immer noch zweifelnd an. Er begann mit dem Knöchel des Zeigefingers seiner rechten Hand und dem dazu gehörigen Daumen sein Kinn zu reiben, was auf dem weißen Bart einen seltsamen knirschenden Laut erzeugte.
Elisabeth, die die beiden ungewöhnlich ernst ansah, erinnerte sich offenbar, dass die beiden nicht wussten, wenn sie da vor sich hatten und übernahm deshalb die Vorstellung:
„Entschuldigen Sie, Master Bernau. Darf ich Ihnen Layla verstellen, meine Kusine aus Basilea?“
Der Mann sah Layla immer noch mit seinem zweifelnden Blick an und sagte:
„Ich wusste gar nicht, dass in Basilea gekämpft wird!“
Layla antwortete darauf nichts. Offenbar war sie das erste Mal in eine Falle gelaufen. Wie sie es hasste, lügen zu müssen. Ihrer Erfahrung nach kam jede Lüge irgendwann zum Vorschein und brachte den Lügner in eine peinliche Situation. Elisabeth schien ähnlich zu denken, denn sie errötete sichtbar, dann aber fuhr sie fort:
„Layla, dies ist Master Bernau, unser Gelehrter und Wissenschaftler, sowie der Lehrer an der örtlichen Lehranstalt.“
Layla lächelte den Mann an. Ein Wissenschaftler! Layla bezweifelte zwar, dass er ihr in ihrer misslichen Lage würde helfen können, aber trotzdem fasste sie sofort ein tiefes Vertrauen zu diesem kauzig wirkenden alten Mann. Woher dieses Vertrauen kam, konnte Layla auch nicht erklären, aber der Mann hatte irgendetwas an sich, dass man ihn einfach mögen musste. Er sah Layla nochmals tief in die Augen, dann begann auch er zu lächeln und sagte:
„Ich kann keine verräterische Falschheit in Eurem Blick erkennen, Maid Layla. Ich vertraue jedoch darauf, dass Ihr mir eines Tages Eure wahre Geschichte erzählen werdet.“
Er reichte Layla die Hand, die dieses Zeichen auch sofort verstand und dem Mann auf die Beine half. Der Mann war wirklich sehr, sehr groß. Bestimmt weit über zwei Meter, wahrscheinlich sogar zwei Meter und zehn. Er war noch sehr wackelig auf den Füssen und stützte sich auf Layla ab, was ein sehr komischer Anblick sein musste, da Layla ziemlich genau einen halben Meter kleiner sein musste. Sein Blick wanderte in seinem Labor, oder vielmehr das, was von seinem Labor übrig geblieben war, umher. Dabei murmelte er irgendetwas vor sich hin, dass Layla nicht verstehen konnte. Er machte sich von Layla los und begann die Schäden zu inspizieren. Als er die Regale mit den zerstörten Flaschen und den durcheinander gewirbelten Büchern sah, ließ er ein richtiggehendes Wehklagen hören, fast so, als ob diese Dinge für ihn das Wichtigste auf der Welt gewesen wären. Dann fiel sein Blick auf den Bücherstapel unter dem er begraben gewesen war und er blieb, wie vom Donner gerührt stehen. Sein Blick wanderte vom Steintisch zum Bücherstapel und wieder zurück. Nach einer kurzen Pause, in der er fast wirkte, als würde er bei einem Tennismatch zusehen, sagte er dann mit leiser Stimme:
„Da war ich wirklich mit großem Glück gesegnet. Die Bücher scheinen meinen Fall nach der Explosion gedämpft zu haben und haben mir vermutlich dadurch das Leben erhalten!“
Layla, die Ähnliches vermutet hatte, nickte mit dem Kopf. Master Bernau hatte wirklich großes Glück gehabt. Offenbar war die Hauptdruckwelle der Explosion genau in die entgegen gesetzter Richtung gegangen und hatte die Mauer fast zum Einsturz gebracht. Trotzdem hatte ihn die kleinere Druckwelle, die in seine Richtung gegangen war, bis zur Wand geschleudert, wo ihn der Bücherstapel vor schlimmeren Verletzungen bewahrt hatte.
Da bemerkte Layla plötzlich etwas anderes. Jemand war am Loch in der Mauer! Layla konnte ihn nur ganz leise hören, aber es schien, als würde jemand dort schnüffeln. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Es war einer der Bären! Sie machte Elisabeth ein Zeichen, leise zu sein und nahm sie bei der Hand. Sie führte sie schnell zur Türe, die zum Nebenraum führte. Und tatsächlich. Kaum waren sie zur Türe hinaus, die sie nur anlehnten, dass sie mitbekamen, was sich im Labor tat, da flimmerte dort die Luft und ein Bär stand mitten im Labor. Er war wesentlich kleiner als Ursuman und die Bären aus Grindelwald, aber doch so groß, dass er sich im Labor kaum rühren konnte. Er sah Master Bernau drohend an. Dann bewegte er die Lippen und sagte in einer guralen fast nicht verständlichen Weise:
„Was ist hier passiert, alter Mann?“
Layla wunderte sich darüber, dass der Bär sprach. Nicht, dass sie vermutete, dass er dies nicht konnte. Sie konnte selbst in ihrer Werwolf Gestalt sprechen. Nicht gut zwar, aber doch verständlich. Nein, sie wunderte sich, dass er mit dem Lehrer nicht auf telepathische Weise kommunizierte, wie er dies offenbar mit all anderen auch tat. Sie nahm sich vor, den weißen Mann danach zu fragen. Der sah den Bär mit deutlich sichtbarer Antipathie an und antwortete dann:
„Nicht das Sie das etwas angehen würde, Herr Dickpelz, aber ein Experiment scheint mir gründlich misslungen zu sein!“
„Hast Du eine junge Maid gesehen, die nicht hierher gehört?“
„Was denn für eine junge Maid, mein Freund. Ich habe schon seit Tagen mein Labor nicht verlassen, wie hätte ich dann eine junge Maid sehen können?“
Layla stockte der Atem. Er hatte für sie gelogen! Es war ganz offensichtlich, dass er mit den Bären nichts zu tun haben wollte. Machte es ihn damit zu Laylas Freund? Sie konnte jeden Freund gebrachen. Layla glaubte nicht, dass er sie verraten würde. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Sie sah Elisabeth an. Die lächelte. Offenbar dachte sie dasselbe, wie Layla.
Der Bär sah sich im Labor um. Jedes Buch drehte er dabei um, als ob Layla da darunter passen könnte. Dabei gab er Töne des Missbilligung, ja fast des Ekels von sich, die mit einem wütenden Blick des Gelehrten geahndet wurden. Aber der beißende Chemikaliengeruch verhinderte, dass er eine Spur finden konnte. So dauerte es nicht lange, bis er die Inspektion beendet hatte. Er drehte sich zu dem Gelehrten um, knurrte warnend. Dann sagte er:
„Wenn Du etwas Verdächtiges siehst, dann erwarte ich Deine Meldung!“
„Wenn ich etwas Verdächtiges sehe, werde ich es Sie sofort wissen lassen, Gevatter Dickpelz!“
Die Luft begann wieder zu flimmern und Sekunden später war der Bär spurlos verschwunden. Der Gelehrte sah in Richtung von Layla und Elisabeth, die zögernd wieder ins Labor zurückkehrten. Layla lächelte ihn peinlich gerührt an, dann sagte sie:
„Danke, dass Sie mich gedeckt haben. Sie können sich sicher sein, dass ich nichts Böses im Schilde führe.“
Der Wissenschaftler sah sie zweifelnd an, während er wieder begann sein Kinn mit den Fingern zu kneten. Layla erwiderte den Blick. Der Mann war skeptisch, das war klar. Er hatte sicher gemerkt, dass Elisabeths Geschichte nicht ganz der Wahrheit entsprach und überlegte nun, wie er reagieren sollte. Layla war sich sicher, dass er nicht mit den Bären und dem Obermagier unter einer Decke steckte. Sie sah ihn vielmehr als deren Gegenspieler. Nur konnte sie ihm schon alleine deshalb trauen? Sie glaubte ja, war sich aber nicht sicher. Aber sie würde es wagen müssen. Vielleicht konnte er ihr tatsächlich helfen. Dazu musste aber zuerst die Lüge aus der Welt geschaffen werden.
„O.K. es war gelogen, ich komme zwar aus Basilea, aber nicht aus dem, welches Sie kennen. Ich komme offenbar aus einer ganz anderen Welt. Ich wurde in meiner Welt in einen Kampf mit den Bären verstrickt, die dort plötzlich aufgetaucht sind und das nächste was ich weiß, ist dass ich hier in dieser Welt war. Ich hoffe, sie können mir helfen!“
Der Wissenschaftler stutzte und schaute Layla nun mit überraschtem Blick an. Diese Erklärung hatte er offensichtlich nicht erwartet. Er rieb sich dabei immer noch mit dem Daumen und dem Zeigefinger am Kinn. Sicher dachte er über das, was Layla erzählt hatte nach und versuchte es einzuordnen. Elisabeth, die Laylas Geschichte auch noch nicht auf diese Art gehört hatte, hatte weniger Probleme damit, Layla zu glauben. Sie hatte Layla ja in ihrer modernen Kleidung gesehen. Sie nahm demonstrativ Laylas Hand, um zu beweisen, dass sie ihr glaubte. Das blieb auch dem Gelehrten nicht verborgen. Offenbar hielt er sehr viel von Elisabeths Meinung, denn sein Blick hellte sich deutlich sichtbar auf. Dann sagte er:
„Was da passiert sein könnte, entzieht sich noch meiner Kenntnis, aber Sie können sich sicher sein, dass ich Ihnen helfen werde. Ich frage mich nur, wie Sie einen Kampf mit einem Bären überleben konnten!“
Elisabeth trat nach vorne. Sie hatte einen fast aufgeregten Gesichtsausdruck, als sie mit lauter, sich fast überschlagenden Stimme sagte:
„Layla ist dazu durchaus fähig. Ich habe sie im Kampf mit Soldaten des Königs erleben dürfen. In nicht einmal zwei Wimpernschlägen hat sie zwei Soldaten überwältigt und entwaffnet!“
Der weiße Mann begann wieder sein Kinn zu reiben. Offenbar war dies eine Angewohnheit, die er hatte, wenn er über irgendetwas nachdachte.
„Eine fast überirdische Kampfkraft und Wissen in Medizin. Was für eine seltsame Welt bewohnt ihr?“
„Gut, Eure Welt kommt mir genau so seltsam vor!“
Der alte Mann rieb immer noch mit den Fingern sein Kinn. Langsam aber sicher begangen sich die Barthaare, die davon in Leidenschaft gezogen wurden zu kringeln. Dann sah er Layla wieder direkt an und sagte:
„Junge Frau, ich habe mit Überraschung bemerkt, dass Sie den Bären schon bemerkt haben, bevor er im Labor erschienen ist, während es für den Bären unmöglich war, Ihre Spur aufzunehmen. Wie können Sie diese Fähigkeit erklären?“
Jetzt wurde es offensichtlich gefährlich für Layla. Sie wollte das gewonnene Vertrauen des weißen Mannes nicht gefährden. Deshalb war es ausgeschlossen für sie, ihm jetzt schon anzuvertrauen, dass sie ein Werwolf war. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es solche Wesen in dieser Welt überhaupt gab. Aber auf der anderen Seite war ihr klar, dass der Mann jede Lüge alleine durch seine Intelligenz sofort durchschauen würde. Deshalb versuchte Layla erst einmal auszuweichen:
„Ich habe ihn gehört, als er am Loch in der Mauer geschnüffelt hat!“
„Da müsst Ihr aber über ein ausgezeichnetes Gehör verfügen!“
Layla nickte lächelnd. Master Bernau sah sie nochmals nachdenklich an, schien dann aber zu beschließen, dass die Hintergründe nicht relevant waren. Layla merkte ihm aber an, dass es ihm klar war, dass es da ein Geheimnis dahinter gab und Layla wusste, dass sie ihn irgendwann einmal reinen Wein einschenken musste. Im Moment beließen es aber beide dabei. Innerlich atmete Layla tief durch.
*
Layla, die unter ihrer Haube furchtbar schwitzte und das daraus resultierende Jucken nicht mehr aushielt, zog die Kopfbedeckung kurzerhand hinunter und sah den alten Mann wieder an. Der zuckte zusammen, dann weiteten sich seine Augen. Selbst mit dem Reiben des Kinns hörte er auf, wodurch seine Finger bewegungslos mitten in der Luft stehen blieben. Dann rief er aus:
„Bei allen guten Geistern. Prinzessin Amalia!
Er machte Anzeichen, sich niederzuknien, dann sah er aber Elisabeth an. Sein Mund blieb offen stehen. Unschlüssig blieb er stehen. Er begann wieder sein Kinn zu massieren, während er Layla mit großen Augen ansah. Nach einer langen Pause, in der sich Layla nicht wagte auch nur eine Wimper zu bewegen, sagte er:
„Ihr Abenteuer beginnt mich zu faszinieren, junge Maid. Ihr seid ein Abbild der Prinzessin. Das müsst Ihr gut verschleiern. Wenn dies dem Obermagier zu Ohren kommt, seid Ihr verloren. Wisst Ihr schon, wo Ihr wohnen werdet?“
„Layla wird in meiner Familie einen Platz finden. Sie wird mir auch beim Sammeln der Kräuter zur Hand gehen!“
„Das halte ich für eine gute Idee. Aber passt gut auf, junge Maid, vermeidet jede Aufmerksamkeit!“
„Das werde ich, Master Bernau!“
„Und kommt mich jeden Abend besuchen. Ich würde mich gerne mit Ihnen eingängig unterhalten!“
„Mit dem größten Vergnügen!“
Der kauzige Mann klatschte vergnügt in die Hände. Dann führte er Layla und Elisabeth nach oben in seinen Wohnraum. Der bestand eigentlich nur aus einem riesigen Tisch mit mehreren ungemütlich aussehenden Stühlen. Ansonsten war der Raum regelrecht überflutet von einer Unzahl von Büchern. Offenbar war dies sein Leben. Layla hatte keine Ahnung, wie wertvoll diese waren, konnte sich aber schon vorstellen, dass sie ein Vermögen wert waren. Layla versuchte einen Titel zu erfassen, aber keiner der Bücher hatte einen. Der Gelehrte musste offenbar eine genaue Ordnung haben, dass er sich hier zurechtfand.
An einer Seite des Raums war eine kleine Türe. Layla konnte eine kleine Treppe erkennen, die nach oben führte. Offenbar war dort sein Schlafraum. Daneben war eine weitere Türe, die offen stand und die offensichtlich zu dem Unterrichtsraum des Masters führte.
An der gegenüberliegenden Wand war eine weitere kleine Türe. Dort kam ein verlockender Duft her, der Laylas Magen zu einem lauten Knurren veranlasste. Es war offensichtlich die Küche. An den Geräuschen konnte Layla hören, dass jemand dort offenbar etwas kochte. Das kam Layla seltsam vor, da diese Person doch die Explosion gehört haben musste. Warum hatte sie dann keine Hilfe geholt?
Master Bernau musste Laylas Magenknurren gehört haben, denn er verbeugte sich vor den beiden Mädchen und sagte förmlich:
„Das Essen müsste gleich fertig sein. Meine Haushälterin hat sicherlich wieder viel zu viel zubereitet. Sie kann sich niemals daran gewöhnen, dass ich nicht viel zu mir nehme. Darf ich die beiden jungen Damen zum Essen einladen?“
Layla sah Elisabeth an, die glücklich nickte. Dann nickte auch Layla. Der große Mann lächelte, dann ging er zur Türe der Küche und machte ein Zeichen mit seiner rechten Hand. Layla hörte ein paar seltsame Geräusche, als würde ein Holz auf einen Stein schlagen, dann betrat die Haushälterin den Raum und Layla wurde auf den ersten Blick klar, warum die Frau keine Hilfe geholt hatte.
Die Frau war übersät mit Narben. Schreckliche Narben, die nur notdürftig verheilt waren. Eine besonders große Narbe zog sich vom linken Auge über die ganze linke Wange bis zum Halsansatz. Das linke Auge war blind. Ihrer gebückten Haltung entnahm Layla, dass sie wohl auch einen Schaden an der Wirbelsäule hatte. Trotzdem bewegte sie sich mit einer anmutigen Eleganz, die ihr Layla gar nicht zugetraut hätte.
Die Frau war sehr klein. Nur etwa 1,35 – 1,40 Meter und sehr, sehr dünn. Sie sah fast aus, wie ein Gespenst. Tiefes Mitgefühl regte sich in Layla. Der Gelehrte, der wie ein Riese neben der armen Frau wirkte, machte dieser ein Zeichen, dass Layla und Elisabeth zum Essen bleiben. Die Frau machte ein Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte und humpelte in die Küche zurück. Master Bernau machte ein einladendes Zeichen, worauf die beiden jungen Frauen in die Küche eintraten. Die war fast genau so lang, wie der Wohnraum, aber deutlich schmaler. Sie war offenbar auch das Speisezimmer. An einem großen Herd war ein offenes Feuer auf dem die Frau ein riesiges Stück Fleisch briet. Am Rand des Feuers war ein Topf aus dem Dampf strömte. Es roch nach Kartoffeln. Durch das Feuer war es fast unerträglich heiß in dem Raum.
In der Mitte des Raumes war ein großer, rechteckiger Tisch, an dem ohne weiteres acht Leute gepasst hätten. An den beiden langen Seiten des Tisches war jeweils eine Sitzbank ohne Lehne.
Die kleine Frau nahm mühsam drei Gedecke von einem Regal und legte sie auf den Tisch. Dann ging sie wieder zurück und holte eine dickbauchige Flasche aus einem anderen Fach, die sie ebenfalls auf den Tisch stellte. Master Bernau nahm in der Zwischenzeit den Topf mit den Kartoffeln und stellte ihn auf eine spezielle Vorrichtung im Tisch. Dann ging er zurück und nahm mit einer speziellen Zange das Fleisch vom Feuer, das er auf eine circa 30 cm große, ovale Holzplatte legte. Dann trug er diese ebenfalls an den Tisch. Er forderte die beiden Mädchen mit einer Handbewegung zum Sitzen auf. Dann begann er das Fleisch mit einem riesige unförmigen, offensichtlich uralten, aber nichtsdestotrotz sehr scharfen Messer in Scheiben zu schneiden. Er legte jeweils eine Scheibe auf jeden Teller. Dann nahm er einen großen Holzlöffel und legte noch jeweils eine Kartoffel dazu. Da es kein Besteck gab, vermutete Layla, dass mit den Fingern gegessen wurde, doch da irrte sie sich. Sowohl Master Bernau, als auch Elisabeth nahmen aus ihren Taschen jeweils eine grobe Gabel und ein dünnes, total krummes Messer. Irritiert sah Layla die beiden an. Master Bernau verstand den Blick und begann zu lachen. Dann ging er zurück in die Wohnstube und kam kurz später mit einer weiteren Gabel zurück, die er Layla reichte. Er lächelte und sagte:
„Das ist meine alte Essgabel. Ein Schneidemessen habe ich nicht, aber ich kann Euch das Fleisch schneiden, falls Ihr dies wünscht!“
Layla bedankte sich höflich, dann nahm sie aber ihr eigenes modernes Schweizer Taschenmesser hervor. Sie klappte es auf und begann das Fleisch zu schneiden. Da Layla sorgsam darauf achtete, dass die Klinge immer scharf geschliffen war, schnitt es durch das Fleisch, wie Butter. Sie stach es auf die Gabel und steckte sich das Fleisch in den Mund. Dann erst sah sie die verdutzten Gesichter von Master Berau und Elisabeth. Die hatten solch ein Messer natürlich noch nie gesehen. Layla lächelte und reichte es Master Bernau, der es mit wissenschaftlicher Akribie untersucht. Er probierte es sogar an seinem eigenen Fleisch und rief überrascht auf, als es viel leichter durch das Fleisch schnitt, als er erwartet. Daraufhin gab er es Layla zurück und sagte:
„Ihr seid voller Überraschungen, Maid Layla! Ich freue mich, dass ich Euch kennen lernen durfte!“
Layla erwiderte das Lob. Layla reichte das Messer gleich an Elisabeth weiter, die es kaum noch erwarten konnte, es in die Hände zu bekommen. Auch sie untersuchte es ausgiebig und Layla musste sie zweimal warnen, sich nicht in die Finger zu schneiden. Erst nach mehr als einer Minute gab sie es Layla zurück, die sich daraufhin endlich über ihr Mahl hermachen konnte.
Einer der größten Nachteile ihres Werwolf Daseins war der deutlich erhöhte Energiebedarf. Deshalb hatte Layla auch permanent Hunger, und wenn eine gewisse Zeit zwischen den Mahlzeiten lag, wie es momentan der Fall war, da hatte Layla richtiggehend Magenkrämpfe vor Hunger. Dann konnte sie sich auch nicht mehr beherrschen und aß mit einer fast unglaublichen Geschwindigkeit. So kam es, dass nach nicht einmal zehn Minuten der komplette Braten und alle Kartoffeln restlos leer waren. Master Bernau schüttelte darüber nur den Kopf, wobei seine Augen lustig blinzeln. Elisabeth lachte, dass ihr die Tränen in die Augen schossen und sagte, als sie wieder einmal Luft bekam:
„Layla, Du bist nur so groß, wie eine Maid, hast aber ein Hunger, wie ein großer Bär!“
Daraufhin musste auch Layla lachen. Das erste Mal, seit sie in diese seltsame Welt gekommen war, fühlte sich Layla entspannt. Sie hatte ganz offensichtlich zwei Freunde gefunden, die bereit waren, ihr zu helfen.
Master Bernau gab seiner Haushälterin ein Zeichen, dass sie den Tisch abräumen konnte. Unschlüssig blieb Layla sitzen. Sie hatte keine Ahnung, ob von ihr erwartet wurde, der armen Frau zu helfen, aber als sich auch Elisabeth nicht rührte, blieb auch sie sitzen. Elisabeth sah die Frau mit traurigen Augen an. Ganz offensichtlich wusste sie, was der Frau passiert war. Layla wollte nicht neugierig erscheinen und getraute sich deshalb nicht danach zu fragen, aber Master Bernau hatte ihren Blick bemerkt und sagte:
„Dies passiert, wenn man in die Fänge der Bären gerät. Ihr Mann hat es törichterweise gewagt, das scharlachrote Teufelskraut zu pflücken, das nur den Bären vorbehalten ist. Daraufhin haben die Bären nicht nur ihn in Stücke gerissen, sondern auch seine komplette Familie. Die einzige, die diese Untat überlebt hat, ist die arme Johanna.“
In Layla stieg wieder diese unbändige Wut auf. Diese Bären waren schlimmer als Zahnweh. Aber Layla war auch klar, dass sie furchtbar auspassen musste. Diese Bären waren hochgefährlich, wie sie aus eigener Erfahrung nur zu gut wusste. Es war wohl für das erste wesentlich besser, jede Konfrontation mit den Bären zu vermeiden, aber eines Tages, auch das war Layla klar, eines Tages würde es wohl zu Kampf kommen. Und ob den Layla unbeschadet überstehen würde, das war mehr als fraglich. Bei der ersten Konfrontation hatte sie großes Glück gehabt, dass sie die Bären hatte überraschen können. Das würde den Bären mit Sicherheit nicht noch einmal passieren. Des Weiteren wusste Layla immer noch nicht, wer dieser Obermagier war. Wie gefährlich war er? Layla vermutete, dass er sehr gefährlich war, wahrscheinlich noch gefährlicher, als die Bären.
Laylas Blick fiel auf Elisabeth, die ein geschocktes Gesicht machte. Offenbar hatte sie die Geschichte der armen Frau sehr bewegt. Layla lächelte ihr aufmunternd zu und das Mädchen erwidert tapfer das Lächeln.
Layla sah Master Bernau an, um ihn etwas zu fragen und bemerkte, dass er tief und fest eingeschlafen war. Elisabeth hatte es auch gemerkt und machte Layla ein Zeichen, dass sie jetzt besser gehen sollten. Layla nickte und stand auf. Die beiden jungen Frauen dankten Johanna ausgiebig und machten ihr ein Zeichen, ihren Dank auch an Master Bernau weiterzugeben. Dann gingen sie zur Türe.