Читать книгу Das Wagnis, ein Einzelner zu sein - Michael Heymel - Страница 27
Innerlichkeit und »Entweltlichung«
ОглавлениеAls Papst Benedikt XVI. 2011 Deutschland besuchte, kam die Pointe seines Besuchs erst ganz am Schluss bei einer Rede in Freiburg zur Sprache: »Entweltlichung« der Kirche, forderte der Papst. Weist »Entweltlichung« in die Richtung einer recht verstandenen »Innerlichkeit«? Ist der purgatorische Ton des Begriffs »Entweltlichung« vielleicht besser in dem Begriff »Innerlichkeit« aufgehoben? Der Sache nach ist doch wohl gemeint: Eine Kirche, die sich dadurch verzettelt, dass sie in tausend weltlichen Dingen mitmischt, |55| wird zur innerlichen Sammlung auf die Kräfte der Eucharistie und des Gebetes aufgefordert, damit sie sich nicht in äußerlichem Aktivismus erschöpfe. Von der Welt Abstand gewinnen, um die Welt wieder erreichen zu können – das scheint mir in dem Appell des Papstes wie in Kierkegaards Begriff der Innerlichkeit mitzuschwingen.73 Das ist auch der Sinn von Röm 12,2: »Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist«.
Ich wünschte mir, dass der Appell des Papstes an seine Kirche ebenso wie Kierkegaards Ruf nach Innerlichkeit auch in evangelischen Kirchen gehört würden. Dann würde manches Wort, mancher Begriff, manche Parole verschwinden, weil die Innerlichkeit fehlt, die einer Parole erst die Spannkraft gibt. Ohne Innerlichkeit gleicht ein Wort einem Bogen, der nicht gespannt ist, so dass jeder Pfeil kraftlos zu Boden fällt. Das ist bei Luthers Parole von der »Freiheit eines Christenmenschen« anders, weil hier die innerliche Spannung von Glaube und Liebe, von Freiheit und Dienst mitschwingt und die Kirche der Freiheit davor schützt, eine Kirche der Beliebigkeit zu werden.