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Vorwort
Dieses Buch ist aus zwei Vorlesungen erwachsen, die wir gemeinsam in den Sommersemestern 2011 und 2012 an der Universität Heidelberg gehalten haben, um Studierende aller Fakultäten in Glauben und Denken Kierkegaards einzuführen. Üblicher Weise1 werden dafür pseudonyme Schriften Kierkegaards wie »Entweder-Oder«, »Philosophische Brocken«, »Der Begriff Angst« oder »Die Krankheit zum Tode« herangezogen, weil vor allem sie seinen Namen bekannt gemacht haben. Seine Reden bleiben aber meist unbeachtet, ihre besondere Bedeutung für das Verstehen seines Glaubens und Denkens wird nicht erkannt.
Wir haben vor allem auf diese Reden zurückgegriffen, weil Kierkegaard sie unter seinem eigenen Namen herausgegeben hat. Diese fast hundert literarischen Reden sind deshalb so provokant, weil sie von einer Leidenschaft des Glaubens geprägt sind. Gerichtet sind sie an »jenen Einzelnen, den ich meinen Leser zu nennen die Ehre habe«. Wer ist das – »jener Einzelne«? Es ist jeder, es ist jede, freilich so, dass sie zu sich selbst kommen, den trügerischen Schutz der Menge und des »Meinungssuffs« verlassen und verantwortlich für sich selbst werden. Dieser widerständige Einzelne ist für Kierkegaard freilich nur die andere Seite einer Gemeinschaft, die von der Verantwortung des Einzelnen lebt und auf die Würde des Einzelnen achtet. Jeder Mensch wird dann zum »Nächsten«, wie Kierkegaard in seiner wohl großartigsten Sammlung von 18 Reden ausführt, die er unter dem Titel »Der Liebe Tun« (1847) herausgab.
Was Kierkegaards Reden auszeichnet, ist die Widerstandskraft, die sie ihrem Leser verleihen, um Einzelner zu werden, der sich nicht mehr von jedem neuen Lüftchen der Zeit wegwehen lässt. Kierkegaard nennt diese Widerstandskraft »Innerlichkeit«, die es im Menschen zu »erbauen« gilt. Deshalb geht es um »Erbauliche Reden«, die einen ähnlich programmatischen Charakter haben wie eine Generation zuvor Schleiermachers »Reden |8| über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern« (1799). Kierkegaards Reden sind in ihrer Existenzmitteilung nicht apologetisch, sondern polemisch: Sie greifen eine Gesellschaft an, der die Leidenschaft des Denkens und des Glaubens abhandengekommen ist; sie greifen vor allem eine an die üblichen Denkschemata der Zeit angepasste Christenheit an und üben mit dem Leser und der Leserin Schritt für Schritt, Rede für Rede ein Verstehen des Lebens ein, das zwar rückwärts reflektiert werden kann, aber vorwärts gelebt werden muss.
Kierkegaard wollte, dass seine Schriften, vor allem seine Reden, laut gelesen werden. Deshalb haben wir die Vorlesung jeweils in der Universitätskirche begonnen, um eine der ausgewählten Reden in gekürzter Fassung2 laut zu Gehör kommen zu lassen. Anschließend ging es in den Hörsaal, wo das Gehörte interpretierend in den Kontext von Kierkegaards Glauben und Denken gestellt wurde. Schließlich haben wir den Versuch gewagt, von Kierkegaards Impulsen aus einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, um nicht bloß über Kierkegaard zu reden, sondern mit ihm weiterzudenken. Dieser Dreischritt bestimmt auch die zehn Kapitel in Hauptteil B des vorliegenden Buches.
Wir danken den Hörern und Hörerinnen unserer Vorlesungen für die engagierte und kritische Teilnahme, besonders Annette Röhrs und Rico Drechsler für hilfreiche Vorschläge zur Überarbeitung unseres Manuskripts.
Wir grüßen Lothar Steiger, der als ein Schüler von Hermann Diem und Hans-Georg Gadamer in seinen Wuppertaler wie Heidelberger Vorlesungen und Seminaren ebenso wie mit seinen tiefschürfenden Aufsätzen3 viele Studierende für Kierkegaard begeistert, den Wuppertaler Freund inspiriert |9| und den Heidelberger Schüler auf den Weg gebracht hat, das Humane bei Kierkegaard zu lernen.4
Michael Heymel / Christian Möller
Heidelberg,
im Jahr des 200. Geburtstags von Sören Kierkegaard
am 5. Mai 2013
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