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Bob Sanders

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Der Toyota-Pick-up raste die Auffahrt hinunter und scherte auf die Julip Road aus. Matt riss das Lenkrad in letzter Sekunde nach rechts in Richtung Hochland.

Bald wurde die Straße schmaler und Schieferplatten ragten aus der Erde wie Fossilien. Auf der mit Stoff gepolsterten Sitzbank kam er sich vor wie auf einem Rodeo-Pferd, während der Wagen ächzte und ruckelte. Nach einer Meile bog er rechts auf eine matschige Fahrspur ab, die Grauerlen und Traubenkirschbäume zu verschlucken drohten. Während der Weg weiter abfiel, flutete Wasser die niedrigeren Stellen. Sumpfgebiet.

Der Pick-up besaß ein hohes Fahrwerk mit Unterbodenschutz, also machte sich Matt keine allzu großen Sorgen. Es dauerte nicht lange, bis Fichten und Tannen die Straßenränder vereinnahmten, obwohl die Bezeichnung »Straße« äußerst beschönigend war. Äste kratzten an der Karosserie, Schlammklumpen trafen schmatzend auf die Windschutzscheibe und spritzten im Rückspiegel hoch.

Na, wenn das nicht seiner Vorstellung von einer ordentlichen Straße entsprach …

Er grinste und hielt das Lenkrad ruhig.

Als die Schlammpiste an der befestigten Silver Road endete, stoppte Matt den Wagen. Dieser Weg würde ihn zu dem Bassin hinter Sanders Anwesen führen. Nachdem er nach links eingelenkt hatte, trat er kräftig aufs Gas, einfach nur, um im Seitenspiegel zu sehen, wie Schotter hochflog.

»Gib alles, altes Haus«, sagte er. »Zeig mir, dass du noch Feuer hast.«

Sein Truck gehorchte.

Nach einer halben Meile auf der Silver Road gen Süden, erblickte Matt Sanders Landhaus, dessen Blau sich mit dem Grün des Waldes biss.

Rasch zog er seine Anglerklamotten an, sperrte den Wagen ab und begab sich auf den Weg zum Grundstück. Er wollte nicht zu dicht davor parken, weil man nie voraussehen konnte, was bei Bob geschah. Während er an der Straße entlangging, zwitscherte auf einem Ast zu seiner linken ein Meisenhäher. Matt hielt inne und betrachtete den zierlichen, aber stimmgewaltigen Vogel. So nahe war er einem solchen Tier noch nie gekommen. Als er eine Hand ausstreckte, tschilpte der Vogel wieder und flog weg, drehte seinen Kopf aber noch herum und schaute mit glänzend schwarzen Augen nach ihm, während er im dichten Wald verschwand.

Gut gelaunt nach dieser Begegnung setzte Matt seinen Weg auf der Straßenseite fort, die dem Haus gegenüberlag, um sicherzugehen, dass Sanders ihn schon aus der Ferne sah. Jemanden wie ihn überraschte man besser nicht. Das war unbedingt zu vermeiden …

Die Terrassentür wurde aufgezogen und eine junge Frau erschien, lächelnd. Sie sah verblüffend gut aus, hatte kurzes, blondes Haar, rosige Wangen und eine Nase wie eine Porzellanpuppe. Bestimmt war sie 20 Jahre jünger als Bob, ihre Mundwinkel blieben zu einem halben Lächeln hochgezogen.

»Sie kommen zum Fischen, oder?«, fragte sie.

Matt nickte. »Macht es Ihnen was aus, wenn ich auf dem Weg zum Silver hier durchlaufe?«

»Ach was«, antwortete sie mit strahlenden Augen. »Ist aber auch nicht mein Land, wissen Sie? Es gehört Bob.«

Der Genannte trat hinter ihr vor und zeigte mit einer schlaksigen Bewegung auf Matt. Er trug ein rotes Hawaiihemd und eine Bluejeans. Sanders war noch keine 60, schlank und braun gebrannt. Sein meliertes Haar trug er soldatisch kurz, wohingegen sein Schnauzbart albern wirkte – und dann natürlich sein für die obere Halbinsel klassischer Akzent; wie hätte Matt den vergessen können?

»Lange nicht gesehen, eh?«, begann Sanders. »Hast 'nen trockenen Hals? Im Kühlschrank steht Millers. Übrigens, das hier ist Melinda.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, erwiderte Matt und stellte seine Fliegenrute ab, um die grazile Hand der Frau zu schütteln.

»Komm rein«, sagte Sanders und winkte freudig. »Kannst auch 'n Happen essen, wir haben Erdnussbutter und Cracker. Du bist doch sicher hungrig, nich' wahr? Mensch, kannst so lang bleiben, wie du willst. Ist 'n echter Fresstempel hier: Trockenfleisch vom Bär und Spritzkäse, den Melinda aber Flitzkäse nennt, weil ich davon übel Durchfall krieg.«

Sanders bot Matt eine Hand an, und der schüttelte sie. Der Alte drückte so fest zu, dass man glauben konnte, er wollte zeigen, wie stark er war.

Tote Tiere schmückten die Wohnung – vorausgesetzt, man erachtete Kadaver als Dekoration. Ausgestopfte Hirschköpfe glotzten mit glasigen Puppenaugen von den Wänden herab. Schwarzbärenfelle hingen aufgespannt an der Südwand; eine ganze Familie, wie es aussah – charmant. In einer Ecke stand ein Plattenspieler neben einem Stapel Vinyl; ein Gewirr aus verknickten Kabeln führte zu zwei nicht mehr ganz funktionsfähig wirkenden Boxen. An der Ostwand lehnte an der Seite zweier nebeneinandergestellter Futons Sanders Kompositbogen. Die Einrichtung machte insgesamt einen zusammengewürfelten Eindruck, mutete aber irgendwie gemütlich an. Vielleicht lag es an der guten Luft; den Northwoods war etwas zu eigen, das materiellen Dingen die ideelle Bedeutung nahm. Ein kleines, unvollkommenes Eigenheim wie dieses war in einem Wust aus Wald und Hügeln annehmbar, genauer gesagt sogar erstrebenswert. Wer brauchte ein großes Haus, wenn das Paradies gleich vor der Tür lag? Hier verbrachte man nicht viel Zeit drinnen, aber die Vorstädter in Chicago blieben in ihren Wohnungen eingeschlossen wie in Mausoleen.

»Setz dich, eh?«, bot Sanders an und zeigte mit einer Dose Spritzkäse auf einen der Futons, während er eine Packung Cracker in der anderen Hand hielt.

Als sich Matt niederließ, beugte sich Melinda zu ihm, wobei ihre blonden Haare über eine Hälfte ihres nordischen Gesichts fielen. »Ich bring Ihnen was Kühles zum Trinken, okay?«

»Ich kann mich auch gern selbst bedienen«, entgegnete er mit Blick in ihre Augen.

»Ich bin keine Kampfemanze«, erwiderte sie lächelnd. »Miller Lite oder Genuine Draft?«

Er kam sich vor wie ein Idiot, musste aber zugeben, dass sie es mit ihren himmelblauen Augen spielend leicht schaffte, ihm den Kopf zu verdrehen. »Genuine Draft«, antwortete er und hoffte dabei, dass sie seine verlegene Pause nicht bemerkt hatte.

Sanders nahm mit einer Rolle Cracker und breitem Grinsen, das seine Rotzbremse in die Länge zog, auf dem Futon neben Matt Platz. »Was zum Knabbern?«

»Danke, aber ich habe erst gegessen.« Matt hatte einen toten Fischmarder ins Auge gefasst und fragte sich, warum Bob so ein Tier aufhängte, da man es eigentlich nicht jagen durfte. »Woher hast du den?«, fragte er und bereute die Worte sofort, er sie geäußert hatte.

Sanders schaute ihn argwöhnisch an und biss ein krümeliges Stück Cracker ab. »Man braucht doch keinen Jagdschein, um einen Fischmarder zu erschießen, eh? Das Vieh muss nur in deinem Garten auftauchen!« Er brach in schallendes Gelächter aus.

»Du führst Dauerkrieg gegen die Tiere, hm?«, meinte Melinda. »Was haben sie dir getan?« Sie strich die Brust ihres gelben Sommerkleides glatt.

Sanders hörte auf zu lächeln und bekam ein rotes Gesicht. »Ich sag dir, was sie mir getan haben, wenn du schon so dummdreist fragst: Sie sind auf mein Grundstück gekommen! Das ganze verfluchte Viehzeug hält sich besser fern, eh? Stachelschwein, Karnickel, Reh, Beutelratte, Waschbär, Wolf, Kojote und Grizzly – sie alle! Ich bin es leid, dass sie alles wegfressen. Die verkackten Hasen haben in diesem Sommer den halben Garten verputzt; die Rehe kommen her, futtern mein Gemüse und scheißen alles zu. Selbst der Zaum ums Gelände hält sie nicht ab!«

Melinda gab Matt ein kaltes Bier, wobei ihr die reizenden Stirnfransen in die Augen hingen, als sie sich nach vorn neigte. »Bitte, mein Freund.«

Er öffnete die Dose und schlürfte den austretenden Schaum. Köstlich. In den Northwoods schmeckte kaltes Bier stets am besten. Als Melinda an ihm vorbeiging, roch es nach Orange.

Sanders klopfte ihm aufs Knie, stand dann auf und winkte, damit Matt ihm folgte. Im Raum nebenan trat er ans Fenster und zeigte nach draußen. »Siehst du das? Es ist mein Garten; erkennst du das dort hinten?«

Matt schaute durch die Scheibe aufs Gelände. Dort lagen V-förmig aufgeschichtet Holzscheite, und in dem spitzen Winkel dazwischen waren Äpfel mit Druckstellen angehäuft.

»Was ich hier tue, nenne ich Gleichrichten, okay?«, meinte Sanders mit einem Kichern. »Kreuzen Rehe oder Bären in meinem Garten auf, um diese Äpfel zu fressen, werde ich sie gleich richten.« Er verwies auf einen zweiten Kompositbogen in einer Ecke; daneben stand eine .308er-Winchester, und am Boden lag ein Colt Python .357.

»Ich zieh dieses Fenster hier nur ein klein bisschen auf und mach sie kalt. Die sollen mal versuchen, mit einem Pfeil im Leib geradeaus zu laufen. In dem Moment zahlt sich der Holzhaufen aus, verstehst du? Sie rennen geradewegs hinein, woraufhin ich genug Zeit hab, um ihnen noch einen Pfeil in den Arsch zu jagen.«

Matt ballte seine Hände zu Fäusten. Er wusste, dass Sanders Schwierigkeiten hatte, wäre aber nie darauf gekommen, dass er ein Wilderer war. Dies nun allerdings war keine passende Gelegenheit, um etwas dagegen zu sagen oder zu unternehmen. Bob redete sich augenscheinlich in Rage, und mit einer Person wie ihm auf Konfrontationskurs zu gehen, war nicht die gescheiteste Idee – vor allem nicht in Anbetracht all der Waffen ringsum.

»Die armen Rehe«, bemerkte Melinda von der Küche her.

»Gibt sowieso zu viele davon, eh? Drauf geschissen.«

Sanders stolzierte mit langen, forschen Schritten zurück und nahm sich auch ein Bier aus dem Kühlschrank. Nachdem er die Dose geöffnet hatte, trank er mehrere Schlucke und stieß auf. »Das Viehzeug hier oben, Matt – dem musst du zeigen, wer das Sagen hat, klar? Früher oder später nimmt es überhand, falls man es zulässt; kleiner Finger, ganze Hand, du weißt schon. Die Racker kommen mit ihrer Bagage zurück wie Teenager, die eine Bierparty stürmen, allen voran die Dreckskarnickel.«

Matt räusperte sich. »Gut, du hast nichts für Hasen übrig, aber warum willst du dann Fischmarder und Kojoten töten?« Auch diese Worte hätte er lieber sofort zurückgenommen, nachdem sie über seine bierfeuchten Lippen gekommen waren. »Sie fressen Hasen.«

Sanders kehrte sich ihm mit vor Wut schwelenden Augen zu. Sie galt jedoch nicht Matt, sondern den Tieren – wie immer.

»Weil Fischmarder und Kojoten auch Kitze fressen. Ich will mir meine Rehe nicht nehmen lassen. Das ganze Jahr über esse ich Wild; warum sollte ich es kaufen, wo ich doch einen Supermarkt hier habe?«

Matts Bier wurde allmählich schal, oder vielleicht verdarb ihm Bobs Gehabe die Lust daran. Melinda kam mit nichts außer einem pfirsichfarbenen Handtuch am Körper aus dem Bad; die Haare hatte sie sich nass zurückgekämmt.

»Wollt ihr in die Sauna?«, fragte sie.

Matt wurde bewusst, dass Melinda ein Händchen dafür hatte, Spannungen mit ihrem Liebreiz aufzuheben.

Sanders Stimmung schwenkte sofort um. »Aber hallo, darauf darfst du deinen Schwedenhintern verwetten«, erwiderte er. »Komm mit, Matty, lass uns den neuen Schwitzkasten ausprobieren; hab ihn im Frühjahr gezimmert.«

Matt wollte fischen und sich Sanders im Grunde entziehen, doch der Mann war ein guter Handwerker, und er selbst hatte sich seit je eine Sauna gewünscht. Er fühlte sich besser, wenn er aus einem Dampfbad kam – irgendwie sauberer. »Aber nur ganz kurz«, schränkte er ein.

Sie gingen nach draußen und folgten einem urigen Pfad aus Schieferplatten hinters Haus. Tief im Wald huschten Vögel herum; der Silver River, dessen Steilufer das Wasser an Balsamtannen und Zuckerahorn vorbeileitete, funkelte keine 20 Yards rechts neben dem Gebäude. Die Wipfel hüllten alles in sanfte Schatten.

Wie erwartet hatte Bob mit der Sauna ganze Arbeit geleistet. Über der Tür aus weichem, edlem Kirschholz war ein Mond mit zwei Sternen eingeschnitzt. Aufbau und Anstrich gaben im Großen und Ganzen ein beeindruckendes Bild ab.

»Rein in die gute Stube«, sagte Sanders und spannte seinen Schnauzer erneut mit einem breiten Grinsen. Nachdem er ihnen die Tür geöffnet hatte, zog er sich bis auf seine karierten Boxershorts aus. »Du willst doch nicht etwa in dem Aufzug schwitzen, eh?«, fragte er Matt.

»Doch, ich komm nur kurz mit, dann muss ich los zum Angeln.«

Sanders hängte seine Kleider an zwei Holzzapfen. »Also, ich hab noch nie von jemandem gehört, der voll bekleidet in die Sauna geht«, bemerkte er.

Melinda setzte sich in eine Ecke, ohne viel Platz zu beanspruchen, und schob sich das zartrosa Handtuch unter. Sanders stand in der Mitte, und Matt ließ sich neben der Tür nieder. So hielt er es schon seit Highschooltagen.

Bob gluckerte aus seiner Bierdose und rülpste erneut, bevor er eine hölzerne Aufgusskelle nahm und sie in einen Mörtelkübel voller Flusswasser tunkte.

»Wir müssen ihr schließlich Zunder geben«, erklärte er, und seine knochigen Knie knackten, während er zum Ofen stakste.

Die Sauna vermittelte einen fürwahr erhabenen Eindruck: Qualität, wohin man auch schaute. Die Aufhänger für Kleidung und Tücher waren abgerundet, das Kiefernholz der Sitzbank bequem, beinahe anschmiegsam. Bob hatte neben dem Ofen ein Schild an die Wand genagelt; darauf war ein im Comicstil dargestellter Mann mit erigiertem Riesenpenis gerade dabei, eine Frau zu besteigen, die sich vor einem Feuer bückte, um Holz nachzulegen. Darunter standen die Worte: So heizt Nordmichigan.

Nachdem Matt gelacht hatte, als würde er das witzig finden, brachte er seine eigentlichen Gedanken zur Sprache: »Eine tolle Sauna, Bob. Wie lange hast du gebraucht, bis sie fertig war?«

Sanders fasste sich in den Schritt und kratzte an seinen Hoden. »Bin dafür über Monate hinweg jedes Wochenende hergekommen – und danke, sie ist echt klasse, nicht wahr?« Damit setzte er sich zwischen Melinda und Matt, wiederum mit knackenden Knien.

Sie schauderte und schien sich selbst kleiner machen zu wollen, so wie ein Vogel. »Ist kalt hier«, sagte sie, indem sie ihr Handtuch verschob und nach unten auf ihre pinkfarbenen Zehennägel schaute.

Matt war unbegreiflich, wie sich Sanders Melinda geangelt hatte. Möglicherweise hing es mit dem Zauber zusammen, den man der oberen Halbinsel und ihren Eingesessenen nachsagte.

»Na, schneller geht's eben nicht«, stöhnte Bob. »Bisschen Geduld, Mensch.«

Daraufhin herrschte Stille zwischen ihnen. Er legte sanft eine Hand auf Matts Oberschenkel und schaute ihm in die Augen. »Hey, leg doch mal Holz nach, eh«, sagte er mit zitternder Oberlippe.

Matt schob Sanders Hand weg und stand auf. »Ich muss los; die Forellen warten.«

»Wie, jetzt schon?«, fragte Melinda und legte ihre possierlichen Füße hoch. »Bleiben Sie, es wird doch gerade erst lustig.«

»Nein, vielen Dank!« Matt öffnete die Tür und ging schnell hinaus. Während er sich über den Schieferpfad davonmachte, hörte er Bobs Stimme hinter sich.

»Besuch uns wieder, egal wann du willst, ja? Wir halten immer ein Bierchen für dich kühl.«

»Wie hast du es hinbekommen, ihn zu verscheuchen?«, wollte Melinda wissen. Das Prasseln und Zischen von Zedernholz und Ofen übertönte ihre Stimme fast.

Matt nahm seine Fliegenrute von der Hauswand und ging auf den Silver zu. Er konnte weiterhin hören, wie Sanders und Melinda schwatzten, drüben in ihrem kleinen Holzkasten mit den eingeschnitzten Himmelskörpern – einem Yooper-Raumschiff.

Als er einen seichten Abschnitt fand, watete er zügig zum Gegenufer. Die Steine rings um seine Stiefel schimmerten in vielen Farbtönen, irgendwo auf einer Waldwiese, die er nicht sah, schlug ein Raufußhuhn geräuschvoll mit den Flügeln. Je länger er unterwegs war, desto weiter verdrängten die Northwoods Melinda und Sanders, bis er nur noch den Wind in den Bäumen hörte.

TRAPPED - GEFANGEN

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