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Die Hütte

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Auf dem Rückweg von den Black Falls bequemte sich ein Stachelschwein über die Julip Road, weshalb Matt einlenken musste, um auszuweichen. Das Tier hatte es nicht eilig. Stachelschweine brauchten vor kaum etwas Angst zu haben, doch Matt kannte einen Zeitgenossen, dem sie nicht in die Quere kommen wollten: dem Fischmarder. Er hatte vom Trick des Nagers gelesen, Stachelschweine umzuwerfen und in ihren weichen Bauch zu beißen.

Das Tier trottete am Wegrand hinauf in die Zimtfarne, wo es sich nach dem Pick-up umdrehte und großäugig glotzte. Dann richtete es seinen Kopf wieder nach vorn und wankte weiter zwischen den Farnen und Sumpfbirken. Einen Moment später regten sich Krähen in den Baumspitzen; ihre Flügel raschelten wie zerknittertes Zeitungspapier.

Der Weg vom Highway 5 aus zur Hütte war acht ruckelige Meilen weit und führte an Moorgebieten innerhalb des allgegenwärtigen Nadelwaldes vorbei. Von der Julip Road zweigten Wirtschaftswege ab. Der Wald war weithin durch diese widerrechtliche Erschließung von unberührtem Gebiet verschandelt. Matt fragte sich oft, wie viele Tiere der Einsatz von Maschinen aus ihren Bauten verscheucht hatte und wohin sie geflohen waren. Die Antwort darauf war vermutlich recht simpel: in die Sümpfe und abgelegenen Gebiete ohne Straßen in den Huron Mountains. Im Moor wuchsen alte Bäume, im allgemeinen Weymouth und Hemlock. Solche Orte waren offensichtlich ideal für Tiere, um Junge großzuziehen.

Als Matt das Grundstück mit der Hütte erreichte, bog er rechts in die steile Einfahrt ein. Hohes Gras streifte knisternd am Chassis vorbei. Innerhalb von Sekunden parkte er vor dem Gebäude. Als er den Motor abstellte, überwältigte ihn die plötzliche Ruhe.

Er liebte es.

Die Wagentür ging knarrend auf, und er blieb daneben stehen, um das Land zu überblicken. Er bekam Gänsehaut an den Armen, als er daran zurückdachte, wie sich sein Vater und er an genau dieser Stelle einen Football zugeworfen hatten.

Das Büdchen war eine uralte Blockhütte mit einer Grundfläche von 20 Quadratfuß aus handgefertigten Rundhölzern. Das Asphaltschindeldach hatte vorn und an den Seiten einen Überhang von je fünf Fuß. Die Wände nach Süden, Westen und Osten verfügten über jeweils ein Fenster. Diese waren mit schlichten Rahmenkreuzen aus Holz ausgestattet und ließen sich nach innen öffnen. Verlotterte Vorhänge aus rotem Sackleinen hingen an den Scheiben auf der Süd- und Ostseite.

Draußen stand eine Schubkarre – nicht mehr die neuste – neben einem Stapel Holz an der Westwand. Ein einfacher Coleman-Grill, wie man ihn auf Tausenden Terrassen fand, lehnte an den Scheiten. Über der Ostseite des Hüttendachs ragte jene gigantische Espe auf, die ihr Geäst in alle Richtungen ausstreckte. Sie war einer der beeindruckendsten Bäume, die Matt je gesehen hatte, und das wollte etwas heißen. Ihre Rinde war glatt und glanzlos weiß; die Blätter sahen aus wie übergroße Silberdollars. An zugigen Tagen schüttelte der Wind sie, sodass es klackte wie ein Glockenspiel aus Balsaholz.

Hinter der Hütte erstreckte sich nach Norden die weitläufige Plantage. An den Bäumen reiften keine süßen Äpfel mehr, sondern garstig herbe Winzlinge, bei deren Verzehr sich die Mundschleimhäute zusammenzogen. Am Ende dieses Feldes schloss der umgebende Wald an. Der Apfelgarten flankierte auch die Westseite des Gebäudes, doch dort verlief er sich auf offenem, höher gelegenem Gelände. Ein kurzer Pfad führte von der Hütte aus den Hügel hinauf zum höchsten Punkt des Grundstücks. Eine kleine Balustrade aus Holz markierte die Kuppe; nichts weiter als zwei Pfosten mit einem Querbalken dazwischen. Er stand symbolisch dafür, dass das Gut vor langer Zeit ein Hof mit Apfelplantage gewesen war. Seinerzeit hatte man Tiere daran festgebunden, doch jetzt nutzte man ihn als Ablage für Zigaretten und Feuerzeuge, stellte Bier und Whiskeyflaschen darauf. Neben der Balustrade, vertieft in rußschwarzem Boden, befand sich eine Feuerstelle. Die Aussicht von dort zählte zu den schönsten auf der gesamten oberen Halbinsel, und das war keine Übertreibung.

Der Mittlere Westen war nicht bekannt für malerische Landschaftsbilder, doch dies stellte eine Ausnahme dar. Jeder, der sich hier zum ersten Mal umschaute, schien in Trance zu fallen. Von diesem Fluchtpunkt aus konnte man nach Süden meilenweit über nahtlosen Wald hinwegsehen. Er setzte sich fort, bis er gegen die jahrtausendealten Hurons stieß, als stauche jemand einen kräftig grünen Teppich zusammen. Die Bergzüge – ein Buckel aus durchbrochenem Granit wie ein schlafender Riese – prägte den Horizont.

Westlich des höchsten Punktes flachte die Plantage ins Tiefland ab, wo schließlich Twenty Mile Bog lag, einer der am schwersten zugänglichen Bereiche der Northwoods. Die Bäume tief in dem Moor hatten noch nie eine Axt gespürt. Aus ihm drangen seit je eigenartige Geräusche. Man konnte Elche und Bären hören, wenn sie schnaubten und Zweige brachen; Fischmarder huschten durch die Sümpfe, indem sie totes Laub zu ihren Waldstraßen machten; Rotluchse beanspruchten die Plantage und den Rand des Moors als Jagdgründe, wo sie oftmals den zahlreichen Raufußhühnern nachstellten, die sich üblicherweise im hohen Gras versteckten. Der seltene Habicht nistete hoch oben in älteren Sumpfbäumen und jagte an den Grenzen des Apfelgartens, wo er Hasen und auch die Hühner aus dem Hinterhalt überraschte.

Dichte Vegetation umgab die zehn Morgen der Plantage von allen Seiten. Die Übergangszone fiel deutlich auf: Offenes Terrain mit kniehohem Gras stieß auf Wände aus Fichten, Tannen, Birken, Erlen und Espen. Matt mutmaßte, dass der Wald den Garten mit der Zeit verschlingen würde – ihn sich wieder einverleiben, denn immerhin war er es, dem man diese Felder überhaupt erst abgetrotzt hatte. Die Natur forderte zurück, was ihr gehörte; dies entsprach dem Lauf der Dinge. Vielleicht holt sie uns letzten Endes alle wieder zu sich, dachte Matt.

Während er über das Grundstück wanderte, wärmte die Sonne sowohl seine Knochen als auch sein Gemüt. Ein leichter Wind wehte seufzend von den Hurons übers Tal, rüttelte an Erlen und Traubenkirschbäumen.

Vom Eingang der Hütte schaute man auf eine mächtige, tote Eiche. Es handelte sich fürwahr um eines der Ungetüme der Northwoods, ganz silbern und verwittert. Die meisten Äste fehlten; geblieben waren 30 Fuß vom Stamm, der Zweigstümpfe von sich streckte wie ein Wahnsinniger, der seine Arme gen Himmel hob. Häufig arbeiteten sich klopfende Spechte auf der Suche nach Insekten über den Riesen. Hinter ihm fiel das Land steil in eine grasbewachsene Mulde ab. Dort hatte das ursprüngliche Bauernhaus gestanden, das einem Feuer anheimgefallen war; John hatte Matt erzählt, der vorige Besitzer wäre mit einer Zigarette im Bett eingeschlafen. In den Hang auf der anderen Seite hineingebaut stand eine verfallende Holzscheune, in der einmal Schweine und Hühner gehalten wurden. Daneben befand sich ebenfalls teils im Boden versenkt eine Schreinerwerkstatt, die auch als Eishaus benutzt werden konnte.

Matt hatte sich stets gefragt, wie der alte Bauernhof überlebensfähig gewesen war. Hier lag schließlich kein Ackerland. Die Methoden, mit denen man dem Boden beikommen konnte, blieben allenthalben dürftig. Dies waren zehn mühevoll der Wildnis abgerungene Morgen, und um in die Stadt zu fahren, brauchte man eine Stunde. Das war für die Besitzer jedoch kaum nötig gewesen; sie hatten Hühner, Schweine und Äpfel gezüchtet und ihr Trinkwasser aus dem Black River gegenüber der Julip Road besorgt. Auf diese Weise konnten sie sich ihr Brot hier draußen mitten im Nirgendwo ehrlich verdienen.

Aber was für ein unsicheres Dasein, dachte Matt.

Durch die spukhaften Bauten – die verrottenden Hölzer, die halb im Garten vergraben in lockerem Sandboden standen – fühlte er sich in seiner Meinung bestätigt. Einmal war er in die begrünte Mulde hinuntergegangen und hatte sich biegendes Holz unter seinen Stiefeln gespürt: Überreste des alten Hofs.

Er überlegte oft, wie es wäre, hier oben zu leben, und ob er es tun könnte. Das Hauptproblem bestand im Mangel an Jobangeboten. Den ehemaligen Bewohnern dieses Guts war das allerdings gleich gewesen. Matt gewann ihrer Fähigkeit, hier draußen zu überdauern, etwas Romantisches ab, ja bewunderte sie sogar.

Die Hütte blieb als letztes intaktes Gebäude des alten Landwirtschaftsbetriebs. Abgesehen von ein wenig Schimmel war sie noch gut in Schuss. Der obere See bescherte diesem Bergland eine hohe Luftfeuchtigkeit, und manchmal, wenn er morgens aufwachte, hatte der Nebel das ganze Grundstück eingehüllt. Dies trug zweifellos zu dem dumpfigen Geruch bei.

Ein paar Yards südöstlich der Hütte lag eine abschüssige Grasfläche, über welche die Spurrillen der Auffahrt verliefen. Matt kehrte darauf nach unten zur Julip Road zurück. Direkt gegenüber der Straße gehörte noch ein halber Morgen Land zum Gut, der von einem Dickicht aus Ahorn, Birken und Riesenwurmfarn – im wahrsten Sinn des Wortes – überwuchert wurde. Sich durch diesen Dschungel zu kämpfen, war stets eine Herausforderung. Unterhalb der Taille konnte man nichts sehen, weil die Farne den Boden verdeckten. Niemand, der durch diesen Wust watete, hatte eine Ahnung, ob ihn ein Tier anfallen würde. Nicht selten befürchtete Matt, einen schlafenden Bären im Gesträuch aufzuwecken, womöglich gar eine Mutter mit ihren Jungen. Warum also nicht draußen bleiben? Wegen des Wassers. Der Black war hier oben am Büdchen viel schmaler. Verfaulende Hölzer, Moos und Schnabelried bestimmten das Bild am Ufer. Hier und dort rieselten Rinnsale zwischen den Farnen hindurch, die teilweise in Erdtrichtern zu dickem, schwarzem Schlamm zusammenflossen. Das erinnerte Matt an Teergruben. Einige Jahre zuvor war sein Freund Trent in einen solchen Trichter gefallen, eine ziemlich haarige Angelegenheit. Als er ihn herausgezogen hatte, waren seine beiden Bergstiefel im Schlamm stecken geblieben. Daraufhin hatten sie den Trichter »Merril« getauft; das war der Markenname der Schuhe gewesen.

Um Eimer mit Wasser zu füllen, musste man sich behutsam an der unsicheren Uferböschung hinunterlassen. Rutschte man aus und fiel, kam man in den Genuss eines Bades in fünf Fuß tiefem, eiskaltem Wasser. Dieser Abschnitt des Flusses war zwar nicht breit, aber trügerisch tief; Felsblöcke lauerten knapp unter der Oberfläche wie neugierige Schildkröten. Das Wasser sickerte im Dunkeln durch unterhöhlte Bänke und vereinte sich schließlich mit sonnenbeschienenen Stromschnellen. Bachsaiblinge streiften die Oberfläche nach Fliegen ab, wohingegen die größeren Fische hörbare Klatschgeräusche verursachten, wenn sie ihre Kiefer in den Wellen zuschnappen ließen. Der obere Black River war berüchtigt dafür, dass an ihm regelmäßig Schwarzbärenmütter mit ihren Jungen im Schlepptau gesichtet wurden.

Hatte der Strom die offiziellen Grenzen des Grundstücks passiert, schlängelte er sich durch den Wald. Matt hätte einen Stein nach Osten werfen können, und dieser wäre viermal über den Fluss geflogen. An manchen Stellen war das Ufer zwischen den Windungen nur wenige Fuß breit. In diesen zäher fließenden Abschnitten fanden sich Sandhaufen – bekannt als Stiefelschlucker – und dickere Algenteppiche, doch das Bett hier oben bestand weitgehend aus Kies und Schiefer. Eine halbe Meile stromaufwärts ergossen sich eine Reihe von Wasserfällen über gerillten Schiefer, umrahmt von Strauchkiefern und Hemlocktannen. Der Fluss stürzte mehrere Stufen und zuletzt ein 30 Fuß tiefes Gefälle hinunter, ehe er in einem breiten Becken auslief, das von kantigen Stücken aus grauem und schwarzem Schiefer begrenzt wurde. Dies waren das Schwimmbad und die Badewanne von Matt und seinem Vater gewesen. Fette Bachsaiblinge wanden sich im klaren Nass, obwohl Matt im Lauf der Jahre bemerkt hatte, dass ihre Zahl leicht schwand. Oft beobachtete er sie sechs Fuß tief, während sie sich unmittelbar gegen den Fuß der Felswand drängten, wo diese ins Kiesbett überging. Um einen dieser neckischen Brocken zu fangen, bedurfte es größeren Geschickes. Sie stoben auseinander, wenn man eine Fliegenschnur auswarf, egal wie sachte. Als Angler musste man sich mit der Strömung anpirschen, auf der Schieferplatte in 30 Fuß Höhe stehen bleiben und auswickeln, sodass der Fluss den Köder zum Rand des Bassins mitnahm.

Verfolgte man den Black River von den Wasserfällen aus zurück, wurde er schmaler, eingezwängt in Rinnen zwischen fantastischen Schieferformationen. Wenn man noch weiter hinaufging, verschwand er in einem Gewimmel aus Erlen, darüber schlussendlich im Nebel versunken das Moor und die Hurons. Matt beharrte stets darauf, dass dieser Abschnitt die größten Fische bereithalte, doch niemand wagte es, so tief in den Dschungel einzudringen. Kriebelmücken waren aufgrund der hohen Feuchtigkeit durch den oberen See und all die stehenden Gewässer in diesen Gefilden der oberen Halbinsel eine Plage; Moskitos waren fast genauso schlimm. Diese Unannehmlichkeiten, wenn man sie mit den Spinnen in den Erlen in Betracht zog, machten die Erkundung des oberen Flusslaufs zu einer Tortur.

So richtig gut ging es dem Black allerdings nicht. Matt waren Sedimente aufgefallen, die sich im Flussbett häuften, wo sich Jahre zuvor keine gesammelt hatten. Die größeren Fische waren heutzutage dünn gesät, und das Wasser fühlte sich mittlerweile auch wärmer an. In das Becken zu springen war saisonal unabhängig immer mit drohendem Herzstillstand verbunden gewesen, im Zuge jüngerer Jahreszeitenwechsel aber kein derart intensiver Kälteschock mehr wie früher. Unterwasserfelsen, die einst sauber gewesen waren, überzog nun eine dicke, schleimige Substanz. Matt hatte Berichte darüber gehört, dass der Klimawandel den Elchen auf der oberen Halbinsel zusetzte, und schlussfolgerte daraus, dass dies auch auf seinen geliebten Fluss zutraf. Touristen hatten ferner bemerkt, dass die Froschchöre abends leiser und unbeständiger wurden.

Auf dem Rückweg zur Einfahrt nippte Matt an seiner Dose Sprite. Nachdem er den enormen Metallriegel vor der Hüttentür hochgestemmt hatte, lehnte er sich dagegen und lauschte ihrem Knarren. Einmal hatte er seinen Vater gefragt, warum die Tür so verflixt groß sei; John hatte ihm dann erklärt, das Büdchen sei nie als Wohnhaus vorgesehen gewesen, sondern als Lager für Werkzeug und andere Gerätschaften.

Drinnen drang ihm Modergeruch in die Nase wie zum freundlichen Empfang in einem Feuchtlabor. Der breite Eingang nahm die halbe Südwand ein, wohingegen die andere Hälfte einem Fenster und einem hohen, schmalen Tisch mit Rollen vorbehalten war. Ein Ofen aus schwarzem Gusseisen nahm eine Ecke ein, und sein Abzugsrohr führte im Zickzack an den Rundhölzern hinauf. Auf dem Tischchen unter dem vorderen Fenster stand ein handlicher Campingkocher – eines jener Modelle zum Anschrauben dieser grünen Gaskartuschen. Eine Schublade enthielt korrodiertes, verbogenes Essbesteck. Unter der Schublade standen zwei Plastikschüsseln für den Abwasch.

Matt lief zur Ostseite des Raums und setzte sich auf die Couch, falls man das Ding so nennen durfte; es war ein schmuddeliges, kariertes Etwas von anno dazumal. Durch das Ostfenster über dem Möbel sah man die Mega-Espe und im Hintergrund eine schiefe Außentoilette aus grauen Brettern. John hatte oft den Spruch fallen lassen, dem Donnerbalken fehle nur ein zünftiger Darmwind, um Feuerholz zu werden.

Ein durchhängendes Regal über dem Fenster barg alle möglichen Gegenstände: Messer und Messerschleifer, Streichhölzer, einem Kompass, eine alte Bärenfalle und Dutzende ausgeblichene Ausgaben von National Geographic, nicht zu vergessen Laternenschirme und Lampenöl, Teekästchen sowie zwei Erste-Hilfe-Sets und ein paar Feuerzeuge, die John aus Kneipen in der Umgebung hatte mitgehen lassen.

Der nach vorn gewölbte Kamin an der Nordseite war mit mindestens acht Fuß fast so breit wie die ganze Wand. Die unterschiedlich gefärbten Steine seines Mauerwerks stammten aus dem Black River. Klobige Wacker, die sich durchgehend an der Vorderseite reihten, ließen sich als Ablage nutzen. Wer gern rauchte, deponierte Zigarettenpäckchen und Anzünder darauf, und auf einen hervortretenden Stein passte sogar eine Whiskeyflasche. In der Brennkammer fand ein erwachsener Mensch Platz – im Schneidersitz wie ein Indianer, versteht sich.

Ein Schaubild für Angler zur Identifikation der Lachse und Forellen der großen Seen hing mit Klebeband befestigt am Stein der Brennkammer; ein alter Kalender mit Motiven verschiedener draller Frauen, die mit Kettensägen posierten, prangte neben dem Fischposter. Matt hatte die Fotos lange als geschmacklos empfunden, seine Meinung jedoch nach ein paar Tagen allein in den Wäldern von geschmacklos zu affengeil geändert. Klar, all die frische Luft regte seinen Appetit an, aber eben auch andere Bedürfnisse. Abgase und Pestizide im Zusammenhang mit aggressiver Bebauung und Agrikultur stumpften die Sinne in erheblicherem Maße ab, als die Menschen ahnten. In den Norden zu kommen, war, als streife man einen schweren Mantel ab.

An der Westwand ragte ein dreistöckiges Etagenbett auf, was dank des Schrägdachs ohne Speicherraum möglich war. Von außen sah die Hütte winzig aus, wirkte jedoch aufgrund ihrer offenen Bauweise gemütlich und relativ geräumig, sobald man eintrat.

Das Dreierhochbett war in allen Belangen geschichtsträchtig: Lag man ganz oben, war man den Vögeln am nächsten, die gern am Dach pickten. Außerdem diente das obere Wandrundholz Mäusen als Übergang, weshalb man ihr Nagen und Trippeln die ganze Nacht lang hören konnte. Davon abgesehen machte die abfallende Dachkonstruktion den oberen Liegeplatz klaustrophobisch eng. Drehte sich der Schlafende nach links um, lag er in dem Winkel, wo die Sparren auf den oberen Wandabschluss trafen; und wenn er sich nach rechts wälzte? Tja, dann durfte er sich auf einen tiefen Fall gefasst machen.

Matt und seine Freunde hatten ihre Spiele darauf angelegt, dass der Verlierer ganz oben liegen musste. Eines hatte »Sauf oder rauf« geheißen; dazu waren abhängig von der Zahl seiner Begleiter drei oder vier Schnapsgläser erforderlich gewesen. Nachdem sie sich 7Up eingeschenkt hatten – sein Vater hatte ihnen zu der Zeit nicht erlaubt, Whiskey zu trinken –, war von drei an rückwärts gezählt worden. Die Teilnehmer hatten den Inhalt hinunterstürzen und das leere Glas auf den Tisch knallen müssen. Der Langsamste war mit der obersten Matratze belohnt worden. Wer bei »Sauf oder rauf« gescheitert war, hatte es aber häufig vorgezogen, auf der abgewetzten roten Couch zu schlafen.

Als sie während einer der vorigen Urlaubszeiten hier gewesen waren, hatte Matts Freund Trent das Spiel verloren und auf der Couch geschlafen. Um zwei Uhr nachts war er aufgewacht – schreiend. Matt hatte dann im Schein seiner Taschenlampe eine fette Maus auf Trents Brust hocken sehen, die ihn direkt mit ihren Knopfaugen und zuckenden Schnurrhaaren angestarrt hatte.

»Das Vieh guckt mir voll in die Augen!«, hatte er gerufen. »Seht ihr das, Jungs?«

Wer die Hütte gut kannte, dem machten die Nager nichts aus, doch sie sorgten für Spaß mit unbedarften Gästen.

Zu anderen Zeiten waren Besucher aus dem obersten Bett gerollt und auf den Boden gekracht oder hatten sich in einem akrobatischen Akt der Verzweiflung auf einen der beiden unteren Liegeplätze geschwungen.

In Matts Kindheit hatte das dreistöckige Bett für Furzschlachten und Rülps-Wettbewerbe hergehalten. Er entsann sich eines Jugendfreundes, der besonders gut darin gewesen war, die dünnen Sperrholzbretter mit seinen Blähungen zum Beben zu bringen, auf denen die Matratzen lagen. Eric Holmes war ein kräftiger Junge gewesen. Sie hatten die Theorie aufgestellt, bei ihm begünstige eine Kombination aus schweren Knochen, elastischen Pobacken und Darmbrachialgewalt die Entstehung derart sagenhafter Flatulenz.

Am lustigsten waren Gäste gewesen, die sich vor kleinen Krabbeltieren fürchteten. Bei ihnen kratzte Matt mit einem Fingernagel an der Wand, während sie eindösten, woraufhin sie aufschreckten und riefen: »Was war das?«, oder: »Habt ihr das auch gehört?« Er hatte dann immer in sich hinein gelacht. Sein Vater hatte sich früher den gleichen Scherz mit ihm erlaubt, und was sprach schon dagegen, eine Familientradition weiterzuführen? John war wiederum von Ron gepiesackt worden – seinem besten Freund, der das Anwesen nach dem Brand des Bauernhauses gekauft hatte. 2.500 Dollar waren ihm das Land und die Überreste des Hofs wert gewesen. Ron hatte, wie man es eben unter engen Freunden tat, mit John geteilt, und dieser war nach Belieben mit eigenem Schlüssel ein- und ausgegangen. Sonderbedingungen hatte es nicht gegeben; das Grundstück war praktisch sein eigenes gewesen … und einer der wenigen abgelegenen Orte, an die Matt mit Erlaubnis seiner Eltern nach bestandener Führerscheinprüfung hatte fahren dürfen.

Während er nun seine Limonade trank, betrachtete er versonnen den Plunder auf den Regalen und die verblassenden Hölzer. So viele Erinnerungen … Links neben dem Dreierbett an der Westwand befand sich ein Geschirrschrank. Dessen oberer Teil war eine Vitrine voller Porzellan, wenn auch keinem edlen. Der Hütte insgesamt haftete nichts Extravagantes an, wenn man vom Kamin absah. Auf der Holzablage unter der Vitrine stand eine wuchtige Lampe mit grünem Schirm, darunter reihten sich abgestoßene Schubladen, in denen Messer, Seilstücke und Isolierbandrollen lagen. Das Holz, aus dem das Möbel gefertigt war, hatte einen Rotstich und fühlte sich glatt an. Die Scheiben der Vitrinen kamen Matt vor wie dünnes Eis, von dem man glauben könnte, es würde jeden Augenblick zerbrechen. Zwischen dem Etagenbett und dem Schrank waren drei dicke Nägel in die Wand geschlagen worden; Haken für eine Bratpfanne, ein Waffeleisen und einen flachen, viereckigen Topf. Am Boden darunter stand ein weißer Baustelleneimer, auf dessen Rändern ein geradegebogener Kleiderbügel lag. Daran festgemacht war eine mit Erdnussbutter beschmierte Mehrwegflasche, und den Boden bedeckte eine dünne Schicht Frostschutzmittel. Dabei handelte es sich um die Mausefalle des Büdchens, eine unappetitliche Vorrichtung, die man, wenn man eintraf, sauber machen musste. Es kam vor, dass Matt ein halbes Dutzend Kadaver darin fand. Dahinter steckte die Absicht, die Mäuse auf den Drahtbügel zu locken, damit sie an der Erdnussbutter leckten, von der Flasche in die zähe, grüne Chemikalie rutschten und starben.

Das verhieß keinen schnellen Tod.

Matt vertrat die Meinung, dass der Mensch eine möglichst schmerzfreie Lösung finden sollte, wenn es um etwas Unumkehrbares wie die Beendigung von Leben ging. Das Frostschutzmittel konnte auch andere Tiere töten. Ron aber kippte den grausigen Inhalt des Eimers – die ganze Chemiebrühe mitsamt den kleinen Kadavern – in ein Loch auf dem Grundstück. Falls ein anderes Tier kam und die verseuchten Mäuse fraß, war es ebenfalls vergiftet. Obendrein galt es eigentlich zu verhindern, dass das Mittel den Hügel hinunter in den Black River floss. So damit zu verfahren fand Matt von vorn bis hinten beschissen.

An den Kochutensilien, die zwischen Bett und Schrank hingen, fanden mitunter auch Strumpfbandnattern Gefallen. Eines Morgens hatte es sich, während John und Ron mit der Zubereitung einer Kartoffelpfanne mit Corned Beef zugange gewesen waren, ein durchaus stattliches Exemplar an der Wand bequem gemacht und seinen silbrigen Bauch um die Nägel geschlungen. Matts Vater war hinübergegangen, hatte die Schlange am Schwanz gepackt, nach draußen gebracht und ins hohe Gras geworfen.

Unter dem Bett standen eine Wurfmaschine zum Tontaubenschießen und eine Kiste mit passenden, gleichwohl bröckelnden Scheiben. Sich an der Balustrade daran zu versuchen, war ein beliebter Zeitvertreib. Zu solchen Zielübungen gehörten Biertrinken, Rauchen und käsige Typen mit freiem Oberkörper, die sich einen fiesen Sonnenbrand einhandelten. Im vergangenen Jahr hatten sie keinen Schießwettbewerb abgehalten. John lebte nicht mehr, und nach seinem Tod schien das Gut für Ron seinen Reiz verloren zu haben. Matt besaß keine Flinte, und in der Hütte gab es keine, zumal er ohnehin schlicht kein Freund von Waffen war. Selbst wenn er es gewesen wäre: An einem Ort wie diesem hinterlegte man besser keine wertvollen Gegenstände. Diebe konnten einbrechen und in Arkansas oder noch weiter sein, bis irgendjemand den Raub bemerkte. Der nächste Nachbar – Bob Sanders – wohnte vier Meilen entfernt am Silver River. Matt sah ihn selten, wenn er nicht gerade einen Ausflug zum Angeln an den Fluss machte. Sanders besaß auch ein Haus in der Stadt, die eine Stunde Autofahrt südwestlich lag. Matt hätte gern gewusst, warum er gleich zwei Häuser besaß, die auch noch so weit voneinander entfernt waren, aber hey: Stand es ihm zu, darüber zu urteilen?

Bald würde er wieder zum Silver River fahren und versuchen, dem schwer fangbaren Silberlachs beizukommen; Herausforderungen hatten stets ihr Gutes, hielten einen geistig auf Trab. Der Fluss war doppelt so breit wie der Black und besaß erheblich mehr Bassins. Matt musste auf dem Weg zum Wasser an Sanders Grundstück vorbei, da es an eines seiner bevorzugten Becken grenzte.

Matt stand auf, stellte die leere Sprite-Dose auf den Kirschholztisch und ging zur Tür. Seine Wanderstiefel verursachten dumpfe Trittgeräusche auf dem modrigen Boden, der unter seinem Gewicht leicht einsackte.

Der Riegel war gigantisch und bestand aus Eisen, um vorwitzige Schwarzbären fernzuhalten. Matt stemmte die Metallstange hoch und drückte die Tür auf. Die Sonne badete sein Gesicht, Vogelgezwitscher und Geraschel im Gras grüßten ihn.

TRAPPED - GEFANGEN

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