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REISEN IM WINDSCHATTEN DER POESIE

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Späte Ehrungen und ein aschenleichter Tod

Anfang Dezember des Jahres 2000 war in Wien von Adventstimmung noch nichts zu spüren. Die blonde Wetterfee erklärte im Fernsehen, dass Gumpoldskirchen sensationell 19 Grad gemeldet hat und bei uns nördlich des Alpenhauptkamms auf der „Quecksilber-Säule“ momentan um fünf Grad mehr als in Casablanca, ja, und sogar um zwölf Grad mehr als in Damaskus gemessen wurden.

H.C. Artmann litt seit Wochen unter dieser „teuflischen Witterung, diesem furchtbaren Föhn, der drückt so, mein Kreislauf ist im Eimer …“. Schon immer habe ihm der Föhn zu schaffen gemacht und Schmerzen im Knie und im Rücken verursacht. Seit Tagen hat er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Der „freund der fröhlichkeit“, der Freund der Frauen, einer, „dem es die Poetik zwar angetan hat, mehr aber noch ein fescher Hintern“, der liebenswerte Strawanzer – in dessen Leben es immer wieder Räusche und Raufereien gegeben hat.

Ein Mann, der früher mit Grandezza als „Artmann Quirin Kuhlmann“, „Metro Goldwyn Artmann“ oder „Artmann of Arabia“ auftrat. Seine Identität und Herkunft verschleierte er gerne spielerisch, sein autobiografisches Verwirrspiel ist auch Teil seines Werkes. H. C. hat viele verschiedene Existenzen und Gesichter, Bärte und Brillen – mit Fenstergläsern.

Er wollte nicht nur ein Leben leben, er pendelte ständig zwischen Dichtung und Wahrheit, nannte sich selbst einen „Schwindler aus Überschwang“. Das fiktive Waldviertler Bauernnest St. Achatz am Walde – die Heimat des „Lyrikers Casimir Achatzhäußer“ – wurde statt der realen Wiener Vorstadt, dem nicht allzu spektakulären 14. Hieb, als Geburtsort angegeben. Dort, wo nur vier Klassen Volks- und vier Klassen Hauptschule reichten, um einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts zu werden.

Am liebsten präsentierte sich der Bonvivant aus Breitensee als direkter Nachfahre des Grafen Dracula, als Frankenstein, Sindbad oder Detektiv Tom Parker, als „H. C. artmann, den man auch john adderley bancroft alias lord lister alias david blennerhasset alias martimer grizzleymodld de vere &c. &c.“ nennen kann.

Ein Mensch, der sich und sein Leben nie zu ernst nahm. Einer, der „a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“ war. Ein Schriftsteller, der die Sprache liebte – ein, wie er selbst sagte, „Kuppler und Zuhälter von Worten, der das Bett bietet“. Ein Einzelgänger, der zwischen Splendid Isolation und ausschweifendem, barockem Spiel pendelte. Er lebte in einer Mischung „aus hemmungsloser Euphorie und ganz stiller Traurigkeit“. Angetrieben von zügelloser Neugier und grenzenloser Fantasie ließ er die Realität oft hinter sich.

Ein rastlos Reisender, der „auf einem großen grünen Walfisch nach der Sandwich-Insel reiten will“. Im Windschatten der Poesie sieht er sich als „Husar mit Schnauzbart“, „surrealer Grenzgänger“, „vazierender Vorstadtpoet“, „chinesischer Hofdichter“ oder „empfindsamer Lauscher an Nachtigallenschnäbeln“.

Doch seit Monaten ist er körperlich geschwächt und zu müde für die Welt draußen. Diese „ganzen Wehwehchen“ seien ihm peinlich, er möchte „stolz abtreten. Mein Tod soll aschenleicht sein. Ich möchte, wenn’s soweit ist, meine Asche verstreuen lassen … auf dem Land. In Irland oder im Waldviertel“, stellte er schon drei Jahre vor seinem Tod fest.

Für Elfriede Jelinek war Artmann „unersetzlich, der auch immer dann seine Würde bewahrte, wenn er wegen seiner Mundartdichtungen oder Steuerangelegenheiten ‚angepinkelt‘ wurde.“ Für den Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler „geht eine Epoche der österreichischen Literatur zu Ende“. Zeitungen, Magazine und Fernsehsender nehmen Abschied. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist zu lesen: „Oft schon ist der Tod des großen Pan ausgerufen worden. Jetzt ist er wirklich gestorben, neunundsiebzigjährig, am späten Montagabend in Wien.“ Und der Lyriker Raoul Schrott formulierte knapp: „Der König ist tot!“

Jahrzehnte vor seinem Tod forderte H. C. Artmann:

Waun i amoi a bangl reis

Zu deidsch: de bodschn schdrek –

I hoff es dauad no a wäu

Bis zu den leztn schrek –

Waun i daun aoesdan schdeam soit

So bit ich eich nua r ans:

Jo nu aka r eangrob aum zenträu!

I schdee ned auf so danzz …

Die Angst vor dem Ende, vor dem Tod, ist aber immer da. Der „älteste traum von der angst, die man nicht haben will, die aber dennoch durch eine hintertür in den mund steigt, sich darinnen breit macht … die angst, die man vor dem tod oder vor dem erbrechen reichlich genossenen alkohols hat.“ Genau eine Woche nach seinem Tod, am 11. Dezember, hätte H. C. Artmann während eines Mittagessens im Stammlokal der letzten Jahre, der „Frommen Helene“, gleich gegenüber seiner Wohnung, die letzte große Ehrung, das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, erhalten sollen.

Im Tagebuch „das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken. eintragungen eines bizarren liebhabers“, einem Diarium mit Erinnerungen, Reflexionen und Überlegungen, die von einer „schillernden, unverwechselbaren Sprachhaut überzogen sind“, beschreibt sich der junge H. C. selbst. Er will beweisen, dass man Poesie auch leben kann. Es ist eine Gratwanderung zwischen Literatur, Ehrlichkeit und Fantasien.

Es sind sprachlich pointierte Bekenntnisse eines Reisenden, der erst spät Ruhe findet: „Meine heimat ist österreich, mein vaterland europa, mein wohnort malmoe, meine hautfarbe weiss, meine augen blau, mein mut verschieden, meine laune launisch, meine raeusche richtig, meine ausdauer stark, meine anliegen sprunghaft, meine sehnsuechte wie die windrose … im grunde traurig, den maedchen gewogen, ein grosser kinogeher, ein liebhaber des twist, ein uebler schwimmer … im kriege zerschossen, im frieden zerhaut, ein hasser der polizei, ein veraechter der obrigkeit … schuechtern am anfang, schneidig gen morgen, abends stets durstig … mit lissabonerinnen ueber stiegen gekrochen … mit glasgowerinnen explodiert und durchs dach geflogen … bernerinnen vergoettert, an pragerinnen herangetreten … masken verfertigt, katakomben gemietet, feste erfunden, wohnungen verloren, blumen geliebt, schallplatten verwüstet … nasen gebrochen, parapluies stehengelassen … mickey spillane gelesen, goethe verworfen, gedichte geschrieben, scheiße gesagt … alles was man sich vornimmt, wird anders als man sichs erhofft …“

Als H. C. Artmann, der inzwischen hochgeschätzte ewige Grenzgänger zwischen Realität und Fantasie, im November 1974 den Großen österreichischen Staatspreis für Literatur überreicht bekommt, stellt Minister Sinowatz den „Poeten der Gesellschaft, der immer verdächtig bleiben muss“ in eine Reihe mit Heimito von Doderer, Fritz Hochwälder und Alexander Lernet-Holenia. Der festliche Staatsakt findet im barock-prunkvollen Rahmen der Hofburg statt. Eigentlich hatte sich der Geehrte das Palmenhaus, draußen in Schönbrunn, als Ort der Verleihung gewünscht: „Aber wenigstens war meine Mutter dabei. Sie hat sich nicht neben mich in die erste, sondern in die dritte Reihe gesetzt. Und sie hat viel gelacht.“

Nachher, im Wirtshaus, meinte der Preisträger: „Morgen früh fahr ma alle raus nach Dornbach. Und besuchen den Konrad Bayer. Den Preis soll er bekommen, nicht ich. Mit dem Fiaker fahr ma raus auf ’n Friedhof und weiße Orchideen um zehntausend Schilling streu ma ihm aufs Grab. Und dann schrei ma: Konrad, kräul ausse, du Arschloch …“

H. C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck

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