Читать книгу Glücklich wollen wir mit Sicherheit sein - Michael Klaus Wernicke - Страница 10
Manichäer
ОглавлениеDer Nebel, der ihn den rechten Weg zum Hafen nicht finden ließ, war der Manichäismus, dessen Stifter, Mani, 216 im Zweistromland geboren, von sich selbst sagte, dass er Apostel Jesu Christi sei nach dem Willen Gottes, des Vaters der Wahrheit, dessen Anhänger sich als die wahren Christen betrachteten. Bei ihnen fand Augustinus den Namen Christi. Es mag ihn wohl auch angezogen haben, dass die Manichäer das Alte Testament ablehnten, nicht als göttlich inspiriert anerkennen wollten. Sie stürmen, so schrieb er als Bekehrter in dem Buch „Über die Sitten der katholischen Kirche“, ebenso unverständig wie unfromm gegen das Gesetz an, das sogenannte Alte Testament, sie blähen sich auf „in eitler Prahlerei unter dem Beifallsgeklatsch unverständiger Menschen“. Dabei habe doch Christus, Gottes Weisheit, gesagt: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,40). Er, Jesus, zitiert also das Alte Testament, vollendet es. Damals aber, als Augustinus die Bibel zu lesen versuchte und sie, von der Lektüre enttäuscht, mürrisch zur Seite legte, stießen ihn wohl die Geschichten vom Betrug Jakobs ab, der dann seinerseits von seinem Schwiegervater Laban gemein betrogen wurde, der, obwohl er doch schon zwei Frauen hatte, mit der Magd Silpa einen Sohn zeugte, von Tamar, die sich als Prostituierte verkleidete, um ihren Schwiegervater Juda zu verführen, von der Dirne Rahab, die die Späher der Israeliten in ihrem Haus in Jericho verbarg.
Manichäische Gedanken tauchten im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder auf: im 11. Jahrhundert bei den Bogomilen auf dem Balkan, im 12. Jahrhundert bei den „guten Christen“, die von ihren Gegnern Katharer genannt wurden, wovon sich das Wort Ketzer ableitet. Bogomilen und Katharer lehnten das Alte Testament als Beschreibung eines bösen Schöpfergottes ab. Ein hässlicher Seitentrieb des Baumes blühte noch im 20. Jahrhundert: Im November 1933 hielten die sich den Nationalsozialisten anbiedernden Deutschen Christen einen Kongress im Berliner Sportpalast ab, auf dem Reinhold Krause ein „artgemäßes Christentum“ verlangte, eine neue deutsche Volkskirche. Der erste Schritt dazu sei „die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst …, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten“. Lassen schon diese Worte erkennen, aus welchem Schoß die Lehre kroch, so wurde Krause in seiner Rede noch deutlicher: „Wenn wir Nationalsozialisten uns schämen, eine Krawatte vom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen, irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vom Juden anzunehmen“. Dieser hasserfüllte Antisemitismus war natürlich nicht das Motiv, das die Manichäer zur Ablehnung des Alten Testaments bewegte.
Neben der Abneigung gegen „Viehhändler- und Zuhältergeschichten“, eine Abneigung, die Augustinus mit den Manichäern teilte, fand er bei ihnen die Antwort auf die Frage, woher das Böse stamme und was sein Wesen sei, bei ihnen fand er eine angeblich rationale Welterklärung, die Antwort auf die Frage, „what this whole show is all about“. Sechzehn Jahre später, im Buch über den freien Willen, schrieb Augustinus: „Sag mir, warum wir Böses tun! Du regst die Frage an, die mir im Jugendalter viel zu schaffen machte und mich nach vieler Qual zu den Manichäern trieb und niederzog.“
Mani lehrte, dass es zwei Urprinzipien gäbe, zwei gleichewige Reiche, das des Lichtes, dessen Herrschaft Gott der Vater innehat, und daneben „das Land der Finsternis, in dem feurige Körper“ wohnen, „Verderben bringende Geschlechter“. Das Böse ist also eine ewige kosmische Kraft, nicht Ergebnis eines Sündenfalls. In der Zeit des Anfangs waren die beiden Reiche getrennt.
Ein unendlich komplizierter Mythos erzählt von der mittleren Zeit, in der die beiden Urprinzipien in einem Krieg, den natürlich das Reich der Finsternis vom Zaun gebrochen hat, gegeneinander kämpfen und sich vermischen. Kosmos und Welt haben in dieser mittleren Zeit ihren Ursprung und auch die Menschen, die „von gewissen Archonten, Dämonen, aus dem Geschlechte der Finsternis geschaffen wurden …, damit das Licht von ihnen, den Menschen, festgehalten würde und nicht entweichen könne.“ Im Menschen ist also Licht gefesselt, Göttliches, die Seele. Er weiß es aber nicht. Das Wissen bringt ihm Jesus, der Leuchtende. Jesus ist zwar der Leuchtende, ist aber nicht wirklich Mensch. Er ist des materiellen Leibes, des Leibes aus Fleisch und Blut entkleidet, hat nur einen Scheinleib.
Wie das Licht, das im Menschen, aber auch in anderen Teilen der Schöpfung eingeschlossen ist, befreit werden kann, das lehrt die manichäische Ethik, deren Gebote ein arabischer Schriftsteller des 10. Jahrhunderts, an-Nadīm, aufzählt: Die Sinnenlust und die Habgier sind zu bezähmen, das Essen von Fleisch, das Trinken von Wein und die eheliche Vereinigung muss unterlassen werden, auch darf man dem Feuer und dem Wasser keinen Schaden zufügen und hat man die Zauberei und die Heucheleien zu meiden. Diese Vorschriften sind aber nur von den Auserwählten zu beachten, den Electi. Von den übrigen Anhängern der Religionsgemeinschaft, den Hörern, Auditores, sagt al-Nadīm: „Wenn einer aber die Religion zwar liebt, aber über die Sinnenlust und Habgier nicht Herr werden kann, dann möge er Gewinn in jeder Beschützung der Religion und der Rechtschaffenen suchen und möge an Stelle seiner schlechten Taten Zeiten haben, in denen er gute Werke, fromme Dankbarkeit, Wachen, Fürbitte und Demut übt.“
Bauern und Handwerker quälten nach dieser Lehre das in Acker und Pflanze, in Stein und Eisen eingeschlossene Licht, wenn sie arbeitend ihrem Beruf nachgingen. Sie vollbrachten aber gute Werke, wenn sie den Erwählten Nahrung reichten. Augustinus schildert das in den „Bekenntnissen“: Er habe denen, die man die Auserwählten und Heiligen nannte, Speise zugetragen, aus der sie ihm in ihrer Bauchküche Engel und Götter zubereiten würden, die ihn befreien sollten. Ich „glaubte, wenn man eine Feige pflückte, so weinten sie und ihr Mutterbaum milchige Tränen; äße aber ein ‚Heiliger‘, ein Erwählter, die Feige, die natürlich von fremder, nicht der eignen Frevelhand gepflückt sein musste, so werde sie seinem Inneren anvermischt, und er enthauche beim Seufzen im Gebet und beim Rülpsen Engel oder vielmehr Teilchen Gottes.“
Diese Teilchen Gottes sammelten sich auf dem Mond, ließen ihn zunehmen. Wenn er abnahm, gab er die Gottesteilchen an die Sonne ab, von wo sie wiederum in das Paradies flogen. So würde der ursprüngliche Zustand der Trennung von Licht und Finsternis wiederhergestellt. Der letzte Akt dieser Trennung würde ein neuerlicher Krieg zwischen Licht und Finsternis sein. Das Böse würde eingeschlossen werden in eine Kugel und nie mehr das Reich des Lichtes angreifen können.