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PETER TRINKT EIN PINT

LONDON, 30. JULI, 19.45 UHR

Die wahren Probleme des Lebens begegnen einem meist in der Freizeit. Peter steht am Tresen im George, einem rustikal eingerichteten Pub in Londons Great Portland Street. Und damit auch vor einer der größten Herausforderungen seines Lebens – zumindest beim Blick auf das Bierglas, das der Barkeeper gerade vor ihm auf die Theke gestellt hat. Wie, bitteschön, soll er ein Glas, das bis zum Rand vollgeschenkt ist, gut zehn Meter durch die Kneipe bis zu seinem Platz tragen, ohne etwas zu verschütten? Und wieso hat der junge Barkeeper gerade beim Einschenken auch noch den letzten Rest des Schaums abgegossen, um diesen durch noch mehr Flüssigkeit zu ersetzen? Ein Test? Als Kind machte er so etwas auch, um andere zu ärgern, erinnert sich Peter. Seinem Schulfreund Matthias schenkte er das Colaglas immer randvoll, damit sich dieser erst einmal über den Tisch beugen musste, um mit spitzem Mund etwas abzutrinken. Peter grinste dann wie ein kleiner gelber Smiley und freute sich diebisch.

Peter schaut sich um: Niemand grinst. Es schaut nicht mal irgendjemand in seine Richtung. Die beiden älteren Herren in ihren dunklen Anzügen am Ende der Theke unterhalten sich angeregt über das Fußballspiel vom Vorabend. Manchester United gegen Liverpool FC – eine Spitzenpartie der ewigen Rivalen. Das ganze Land schien es vor den Fernsehgeräten verfolgt zu haben. Der junge Mann links neben den beiden Geschäftsleuten ist in die Sun vertieft – vermutlich in den Sportteil. Etwas anderes solle man in diesem Boulevardblatt gar nicht erst lesen, wurde Peter daheim in Deutschland gewarnt. Und der Barkeeper? Der sammelt inzwischen draußen die leeren Gläser ein, die eine Gruppe junger Leute auf den Fenstersims gestellt hatte. Seit der Einführung des Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz 2007 erlebt die Außengastronomie in England geradezu eine Renaissance. Auch wenn sie meist lediglich daraus besteht, dass die Gäste mit ihrem Getränk vor der Tür stehen, um zu rauchen.

Ein Test also? Nein, kein Test, schlussfolgert Peter. Also beugt er sich langsam vor, noch zwei letzte Blicke nach links und rechts vorausgeschickt. Sein Mund nähert sich vorsichtig dem Glas mit dem goldgelben Getränk. Peter hatte einfach ein »Beer« bestellt, weil er sich von der Auswahl an fast einem Dutzend Zapfhähnen schlichtweg überfordert gefühlt hatte.

»Lager?«, hatte der Barkeeper einsilbig gefragt. »Lager«, hatte Peter geantwortet. So nennen die Briten ihre hellen Biere – egal, ob Pils oder Export. Der Barkeeper hatte eines seiner einfachen Pint-Gläser gegriffen, das traditionelle Maß auf den britischen Inseln, umgerechnet 0,568 Liter Fassungsvermögen und es mit fragendem Blick unter den mittleren vier Zapfhähnen entlang gleiten lassen. Welche Sorte, schien er wortlos wissen zu wollen. Peter lächelte nur und zuckte mit den Schultern. Ihm war die Sorte derart egal, solange er nur endlich sein lang ersehntes Feierabendbier bekommen würde. Schließlich hatte er bereits gut 20 Minuten an einem Tisch gesessen, bis er bemerkte, dass in dieser Kneipe ganz offenkundig nicht bedient wird. Jeder Gast holte sich selbst sein Bier vom Tresen – und zahlte dort auch gleich. Jeder im Raum hatte ein Getränk vor sich – nur Peter nicht. Das nervte ihn. Doch nun sollte er endlich am Ziel sein! Denn der Barkeeper hatte die Entscheidung längst für ihn getroffen – er machte Halt unter einem Hahn mit dem Schild »Kronenbourg 1664«.

Peter kannte nun also den Namen seines Herausforderers: Kronenbourg 1664. Das hatte er, erinnert er sich, schon einmal in Frankreich vorgesetzt bekommen. Damals allerdings noch mit Schaumkrone in einem sehr viel handlicheren Glas. Ob es ohne weißes Häubchen genauso schmeckt? Peter wird es gleich erfahren. Seine Lippen setzen an, sein Mund ist im Begriff den ersten Schluck saugartig aufzunehmen – da bemerkt er die junge Dame neben sich. Offenbar wartet sie auf den Barkeeper. Und vertreibt sich die Zeit damit, Peter bei der Getränkeaufnahme zuzuschauen. Er schreckt hoch.

Die junge Frau lächelt. »Cheers«, prostet sie zu.

Peter lächelt verlegen zurück: »Cheers!« Und er fragt sich: Wieso muss ein simples Feierabendbier bloß so kompliziert sein?

Was hat Peter falsch gemacht?

Bier wird auf den Britischen Inseln traditionell in Pint-Gläsern ausgeschenkt – oder in Gläsern mit einem halben Pint, sogenannten Half Pints. Ein Pint entspricht im Vereinigten Königreich, Kanada und in Irland exakt 0,568 Liter. Noch aus alten Zeiten trägt es auch die Bezeichnung »Imperial Pint« – anders als in den USA, wo ein Pint nur rund 0,473 Liter entspricht und mit imperial nichts am Hut hat.

Und das Vereinigte Königreich wäre nicht eine Nation der Traditionen, wenn es nicht andere Regeln für das Messen hätte: Eichstriche findet man auf den britischen Inseln so gut wie nie. Dafür entspricht das Fassungsvermögen eines Pint-Glases auch exakt einem Pint. Dafür bürgt die aufgedruckte Krone am Glasrand. Im Rahmen der Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union müssen die Gläser allerdings inzwischen zusätzlich die Bezeichnung »Pint« sowie das »CE«-Verbraucherzeichen tragen.

Wer ein Pint verkauft, muss es auch ausschenken. Das führt dazu, dass Barkeeper ein Glas bis zum Rand vollfüllen und dann auf der Theke abstellen. Der Gast zahlt, gibt an der Bar ausdrücklich kein Trinkgeld (das erwartet man in Großbritannien nur für Service am Tisch) und trägt es dann gekonnt zu seinem Platz. Die Kunst besteht darin, das Glas oben anzufassen, um es besser balancieren zu können. Wer will, kann auch direkt am Tresen einen Schluck abtrinken – in diesem Fall aber bitteschön im Stehen, nicht, indem man sich über das Glas beugt wie Peter. Die einfachste Methode, wenn man mit mehreren Leuten anwesend ist: Gemeinsam an die Theke gehen, bestellen, bezahlen und gleich dort gemeinsam den ersten Schluck trinken. Doch Vorsicht: Das in Deutschland übliche Anstoßen mit den Gläsern ist in Großbritannien absolut unüblich. Sagen Sie »Cheers« beim ersten Bier (und nur bei dem) – das ist dann aber auch genug der Höflichkeit.

Ale hat Tradition

Dass ein Lagerbier aus Frankreich importiert wird, ist auf der Insel übrigens keine Seltenheit. In Großbritannien gibt es nur wenige Brauereien, die ihr eigenes helles Bier herstellen. Tradition hat auf der Insel eher das »Real Ale«, ein rotes obergäriges Bier. Es wird in der Regel ohne Stickstoff und Kohlensäure gezapft, lediglich durch Pumpendruck. Dadurch schmeckt es etwas lasch – und insofern auch nur wenigen Touristen, die oft etwas prickelnderes möchten. Was meist auch kein Problem darstellt: Die Auswahl an Lager (auch aus Deutschland) ist inzwischen sehr reichhaltig. In nahezu jedem Pub ist zudem Guinness aus Irland erhältlich, ein sogenanntes Stout, schwarzbraun, ebenfalls obergärig, gezapft in einer peniblen minutenlangen Prozedur mit Stickstoff, sodass es die typische flache, aber sehr feste Schaumkrone erhält. Guinness ist vor allem eines: weltberühmt. Es wird in mehr als 150 Ländern verkauft und in rund 50 Brauereien rund um den Globus hergestellt. Bekannte weitere Marken sind Murphys (etwas milder) und Beamish (etwas würziger) – beide ebenfalls aus Irland, genau genommen beide sogar aus derselben Stadt: Cork.

Wer sich wie Peter vor dem Verschütten seines Bieres scheut, sollte übrigens durchaus zum Stout greifen: Die feste Schaumkrone verhindert auch bei leichtem Wackeln das Überlaufen.

BRITISCHE MASSE

1 Pint = 0,568 l
1 Gallon = 4,55 l
1 Inch = 2,54 cm
1 Foot = 30,48 cm
1 Yard = 91,44 cm
1 Mile = 1,6 km
1 Ounce (oz) = 28,35 g
1 Pound (lb) = 0,45 kg
1 Ton = 1.016 kg
0 Grad Celcius = 32 Grad Fahrenheit
100 Grad Celcius = 212 Grad Fahrenheit
Fettnäpfchenführer Großbritannien

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