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»Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt« (Wilhelm Busch)

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Wie entsteht das soziale System »Coaching«? Ist es selbstverständlich, wenn Berater und Klient zusammenkommen, dass dann, gegebenenfalls nach anwärmendem Small Talk, auch gleich das geschieht, was wir »Coaching« nennen dürfen? Wenn man ganz genau hinschaut, ist dieser Anfang, wie sprichwörtlich aller Anfang, schwer, und es wohnt ihm durchaus nicht immer ein Zauber inne. Für beide Beteiligten ist die Aufnahme eines Coachings voller Ungewissheiten. Niklas Luhmann nutzt den Begriff der »Kontingenz«, um zu erklären, wie soziale Systeme zustande kommen und erklärt ihn so:

»Der Begriff wird gewonnen durch Ausschließung von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist« (Luhmann 1984, S. 152).

Nichts ist notwendig, und nichts ist, wie Toyota viele Jahre in Werbespots hat verlauten lassen, unmöglich. Die einengende und bestimmende Wirkung von Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten ist nicht gegeben, wenn etwas kontingent ist. Das ist eine wunderbare Beschreibung für die Situation, die wir im Coaching antreffen. Das Wesen des Coachings ist kontingent. Erwartungen des Beraters bezüglich des Verhaltens seines (potenziellen) Klienten mögen enttäuscht werden. So kann es geschehen, dass der Klient im ersten Treffen ein methodisches Grundsatzgespräch führen möchte, statt sich vorbehaltlos der beraterischen Kompetenz des Coachs anzuvertrauen. Oder er schwärmt ausführlich von einer früheren, unvergleichlichen Beratungserfahrung mit einem anderen Coach. Welcher Berater hat schon Lust, und sei es nur in der Erinnerung, im Schatten eines Kollegen zu stehen? Das fühlt sich ähnlich an, wie wenn der Ehepartner von einer verflossenen Liebe schwärmt. Umgekehrt kann es sein, dass der Berater sich aus der Sicht des Klienten nicht erwartungskonform verhält, indem er z. B. keinen Rat oder keinen Kaffee anbietet. Wenn solcherart Erwartungen unerfüllt bleiben, sie jedoch aus jeweils subjektiver Sicht die Voraussetzungen für das Angestrebte bilden, kann der Beginn einer Beratung ziemlich holprig werden. Wann und unter welchen Bedingungen beginnt das Coaching? Wie geschieht es, dass die Begrüßung, das Vorgeplänkel, der Small Talk oder die Konversation aufhört und das Beratungsgespräch beginnt? Jedes soziale System, so auch das Coaching, unterliegt nicht nur einer einfachen, sondern der doppelten Kontingenz. Darin ähnelt es dem Schachspiel: Ich bin am Zug und habe aus einer Fülle möglicher Optionen zu wählen, leider auch solcher, die sich als Fehler erweisen können. Dabei bin ich mir bewusst, dass mein Gegner, als Reaktion auf jede meiner Zugmöglichkeiten, wiederum aus einer Fülle von Optionen zu wählen hat, die sich ebenfalls als Fehler erweisen können. Während ich über meinen Zug nachdenke, denkt er darüber nach, wie ich möglicherweise entscheide und was er daraufhin unternimmt. Die Entscheidung für einen Zug, genauer: seine Ausführung, hebt diese Ungewissheit für einen klitzekleinen Moment auf, in der Systemtheorie sprechen wir hier von »Unsicherheitsabsorption«, wobei sofort wieder die Situation der doppelten Kontingenz entsteht. Das Spiel mit der Ungewissheit beginnt gewissermaßen von Neuem. Das ist unbequem und notwendig zugleich, denn was wäre eine Schachpartie, in der von vornherein feststünde, wer wann welchen Zug ausführt? Eine abgekartete Schachpartie ist gar keine echte oder eine bereits gespielte, allenfalls noch nachspielbare Schachpartie. Ohne die Analogie allzu sehr strapazieren zu wollen oder gar zu behaupten, das Coaching sei wie ein Schachspiel, kann man aber doch mit Fug und Recht behaupten, dass gerade die Ungewissheit das geschmackgebende Salz in der Suppe des Lebens allgemein und des Coachings im Besonderen ist. Kein gesunder Mensch möchte ein Leben führen, in dem er stets weiß, was als Nächstes geschehen wird, oder gar die »Ewig-grüßt-das-Murmeltier-Version« eines Lebens erfahren. In dem gleichnamigen Hollywoodfilm wird die Psyche des von Bill Murray dargestellten Protagonisten dadurch strapaziert, dass er jeden Tag ab dem Klingeln des Weckers immer das Gleiche erlebt. Sein Leben ist also durch ein Höchstmaß an Sicherheit und Gleichförmigkeit bestimmt bei gleichzeitig minimaler Ungewissheit. Die Ödnis vollkommener Vorhersehbarkeit lässt das Leben wenig lebenswert erscheinen. Gleichwohl sehnen sich die meisten nach mehr Gewissheit und streben auch danach. Dieses Bedürfnis wird auch unser Coaching beeinflussen. Die Nutzung von Tools, der Versuch, bekannte Muster wiederzuerkennen, Vor-Erfahrungen, die zu entsprechenden Vor-Urteilen führen, und Ähnliches dienen sämtlich dem Zweck, ein bisschen Gewissheit in den Beratungsprozess zu bringen. Mit Zen in der Kunst des Coachings möchte ich einer Haltung den Weg ebnen, die die prinzipielle Unvorhersehbarkeit jedes nächsten Augenblicks anerkennt, wertschätzt und nutzt. Das funktioniert am besten, wenn wir uns auf das Jetzt im Coaching einlassen. Der Vorteil dieser Haltung ist, dass sie unsere Arbeit besonders spannend macht.

Der Vergleich mit dem Schach zeigt uns aber noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der dort auftaucht, wo die Analogie anfängt zu hinken. Im Schach gibt es quasideterminierte Sequenzen, wie zum Beispiel die sizilianische oder andere Eröffnungen sowie zahllose Varianten der Fortsetzung des Spiels nach einer Eröffnung. So gehört es unter kundigen Schachspielern dazu, dass sie nach überwundener Eröffnungsungewissheit solche Zugfolgen vollkommen mechanisch durchspielen, um erst dann wieder die prinzipielle Kontingenz walten zu lassen. Das ist im Coaching, streng genommen, nicht möglich. Jede Coachingsituation ist kontingent, so dass es nie zwei gleiche Coachingzüge geben kann. Jede Routine wäre in diesem Sinne dem Coaching unangemessen. Sequenzen von Aktionen und Reaktionen lassen sich nicht standardisieren. Man kann im Wortsinne niemals vorhersehen, was als Nächstes geschieht. Anders als im Schach gibt es in der Beratung keine zwei identischen Situationen. Auch wir als Berater sind zu zwei verschiedenen Zeitpunkten niemals identisch, und dasselbe gilt für unsere Klienten. Auch der Kontext eines Beratungsereignisses kann niemals der Gleiche sein. Diese vollkommene Nichttrivialität ist Wesen und Sinn eines Coachings zugleich. Darin unterscheidet es sich von anderen sozialen Systemen: Die militärischen Organisationen dieser Welt verwenden viel Zeit und Mühe auf Standardisierung und Trivialisierung von Interaktionen. Ein bestimmter Befehl zieht idealerweise eine erwartbare Ausführung nach sich. Ebenso sind die Kommunikationen zwischen Kapitän und Copilot im Cockpit eines Verkehrsflugzeuges weitgehend determiniert. Die Sicherheit einer Flugdurchführung verlangt nicht Kreativität, sondern Prozesstreue. Das Unvorhergesehene ist der Ausnahmefall, den es zu verhüten gilt. Im Coaching hingegen ist das Unvorhergesehene der Regelfall, für den wir uns stets bereithalten müssen und den wir willkommen heißen sollten. Vorhersehbarkeit ist eine Illusion, die wir aufgeben sollten. In der Interaktion zwischen Berater und Klient entsteht das soziale System »Coaching«, wenn beide unter den Bedingungen der doppelten Kontingenz aufeinander Bezug nehmend kommunizieren. Die redlichste Form des Bezugnehmens ist, wenn wir uns als Berater ganz und gar der Einzigartigkeit von Situation und Person in jedem Moment stellen. Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass wir als Berater jeden Wunsch nach Kontrolle über das Beratungsgeschehen aufgeben sollten. Wir sind uns bewusst: Erstens kommt es anders, zweitens, als man denkt.

Das Besondere ist ja, dass wir bei aller Ungewissheit gleichzeitig in einem engen Abhängigkeitsverhältnis mit unserem Klienten stecken. Wir sind in unserer Beratung abhängig von seinem Tun und Kommunizieren wie er auch von unserem. Nur wenn wir als Coachs ebenso wie unser Coachee in unseren Aktionen und Kommunikationen eindeutig in einer Weise aufeinander Bezug nehmen, die unserer Interaktion die Bedeutung »Beratung« gibt, kann überhaupt Beratung stattfinden. Das soziale System »Beratung« kann also nur entstehen, wenn wir mit unserem Klienten gemeinsam an einem Strang ziehen. Dagegen kann jeder Einzelne es zum Erliegen bringen, indem er nicht mehr eindeutig bezugnehmend kommuniziert.

Die nun folgende kleine Vorschau soll als »Appetithäppchen« für die weitere Lektüre dienen, indem sie aus ersten Hinweisen auf Zusammenhänge zwischen Systemtheorie, Zen, Dialog und Coaching eine wesentliche Konsequenz ableitet.

Zen in der Kunst des Coachings

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