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Es begann vor 30 Jahren

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Die erste Hälfte der 1990-Jahre war für mich eine Zeit der Entdeckung des Zen-Buddhismus. Erste Jahre der Berufserfahrung nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre hatte ich hinter mir, und ich spürte das Bedürfnis nach neuen geistigen Anregungen. Die Berufspraxis bot mir dafür anscheinend nicht genug Stoff. Warum gerade Zen? Im Grunde war es ein Zufall, der dadurch begünstigt wurde, dass ich ein gewisses Faible für alles Japanische hatte. Woher diese Neigung wiederum kam, entzieht sich meiner bewussten Kenntnis. Jedenfalls stieß ich beim Stöbern in einer Kölner Buchhandlung auf zwei Bücher von Alan Watts. Sie hießen bzw. heißen Der Lauf des Wassers (Watts 1983) und Vom Geist des Zen (Watts 1986). Von Taoismus oder Zen-Buddhismus hatte ich bis zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung. Aber ich erinnere mich noch genau, dass die schlichte Suhrkamp-Aufmachung der beiden Bücher mit ihren einfachen Einbänden, braun und blau, mich beinahe magisch angezogen hatte. Was für ein merkwürdiger Anfang! Diese beiden Schriften von Alan Watts haben mir den ersten, entscheidenden Kick für meine in der Folge immer tiefer gehende Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus gegeben. Ich war fasziniert von der ihm zugrunde liegenden taoistischen Philosophie, die in jeder Hinsicht diametral zu meinem Leben und meinen Werten, zu meinem Bildungsweg und meiner beruflichen Sphäre schien. Und dennoch, so spürte ich damals, hatte sie viel mit meinen Gefühlen, meinem Erleben und meinen Erfahrungen zu tun. Dazu musste ich aber unter die Oberfläche des Alltagslebens schauen. Wenn ich mir die Muße gönnte, dies zu tun, erschloss sich mir nach und nach eine Welt jenseits von Logik, Konsistenz, Kausalitäten, Zielen und Lösungen. Passagen wie »Was ist das, was immer zurückweicht, wenn man es verfolgt? Antwort: du selbst« (Watts 1983, S. 45) verwirrten und faszinierten mich zugleich. Immer noch sehr geprägt von der Rationalität der im Studium erlernten wissenschaftlichen Methode, war das für mich natürlich auch eine Provokation all dessen, was meinem bisherigen Denken lieb und teuer war. Aber es war eine verführerische Provokation, und ich setzte mich ihr mit Freude aus. Also las ich weiter: mehr von Watts, Sheldon B. Kopp, Aitken und vielen anderen. Ich las Lao Tses Tao-Te-King und war fasziniert von seiner Erklärung, dass man ein Gefäß aus Ton formt, aber erst durch das Nichts in seinem Innern dieses Gefäß auch nutzen kann. Das Nichts war also das Eigentliche. Irgendwann fing ich an, mich in der Zen-Meditation zu üben. Hierbei half mir die exzellente Anleitung von Katsui Sekida (1993). Ich widmete mich dieser Praxis mit Disziplin und Regelmäßigkeit, und es dauerte auch nicht sehr lange, bis sich Erfahrungen einstellten, die mir ein Gefühl dafür gaben, was mit Körper, Geist und Seele im meditativen Zustand geschieht. Der gelernte Theologe und Religionsphilosoph Alan Watts war einer derjenigen, die viel dazu beigetragen haben, das Zen für unseren westlichen Verstand zugänglich zu machen. Ein anderer war Karlfried Graf Dürckheim, auf dessen Schriften und Wirken ich später aufmerksam wurde. Ein weiterer war Eugen Herrigel, der den Klassiker Zen in der Kunst des Bogenschießens (Herrigel 1951) verfasst hat. Als Brückenbauer zwischen der östlichen Zen-Kultur und der westlich-christlichen Welt ist auf jeden Fall noch der Zen-Meister und Jesuiten-Pater Hugo Lassalle zu nennen. Nicht zuletzt muss ich einen ganz besonders inspirierenden Lesegenuss erwähnen. Es handelt sich um das genialische Buch Zen and the art of motorcycle maintenance von Robert M. Pirsig (1999). Dieses Buch entfaltet die Zen-Philosophie in der westlichsten aller westlichen Formen, nämlich in einer Roadstory, die ihr Ende am kalifornischen Pazifischen Ozean nimmt.

In der zweiten Hälfte der 1990-Jahre stieß ich auf die Schriften von Paul Watzlawik, die mir eine grundlegend neue Sicht auf das Wesen der Kommunikation eröffneten, eine Sicht, die seinerzeit noch nicht zum Allgemeingut gehörte. Besonders hatten es mir Lösungen (Watzlawik et al. 1974) und Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Watzlawik 1976) angetan. Watzlawiks Spannungsbogen reichen vom taoistischen Begriff des »Wuwei«5 bis zu spieltheoretischen und militärstrategischen Fragen, und so ganz nebenbei erläutert er auf unterhaltsamste Weise das Phänomen des »Catch-22«6. Die Beschäftigung mit moderner Kommunikationstheorie veranlasste mich, eine Weiterbildung bei Fritz B. Simon am Heidelberger Institut für Systemische Forschung zu besuchen. Sein Buch Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (Simon 1990) war in der Kombination aus Tiefsinn, Fundiertheit und Unterhaltung ein weiterer Motivator für mich. Die kommunikationstheoretische Weltsicht à la Watzlawik hat das Genre der prozessorientierten Beratung maßgeblich mit beeinflusst, und sie ist einer der prägenden Faktoren für die sogenannte systemische Beratung. Das waren in meiner persönlichen Entwicklung an sich schon hochinteressante und vielfältige Welten, in denen es viel zu entdecken gab. Mein Doktorvater Rudi Wimmer gab mir jedoch den entscheidenden Impuls, mich mit einer noch viel weiterführenderen und letztlich radikalen Theoriewelt auseinanderzusetzen, nämlich mit der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann. Seine Theorie sozialer Systeme (Luhmann 1984) und die daraus entwickelte Organisationstheorie (Luhmann 2000) sind nicht gerade leichte Kost, aber wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat, tief in sie einzutauchen, kann es einem gelingen, wahre Perlen zurück an Land zu bringen. Luhmanns Theorie ermöglicht Erklärungen, wo Psychologie und klassisch-betriebswirtschaftliche Organisationslehre für die Sphäre von Management und Organisation mit ihrem Latein am Ende zu sein scheinen. Dies gilt insbesondere für die beharrenden Kräfte einer Organisation im Wandel oder auch für scheinbar irrationale Managerentscheidungen. Die mit der luhmannschen Systemtheorie eng zusammenhängende konstruktivistische Erkenntnistheorie half mir, die soziologische Sicht auf Management und Organisation mit der modernen Kommunikationspsychologie zu einem in sich recht stimmigen und für meine Beratungsarbeit erklärungsstarken Komplex zu verweben. Mit großem Genuss habe ich Schriften und Vorträge des österreichischen Physikers Heinz von Foerster gelesen, der von sich sagte, kein Konstruktivist zu sein, aber zweifellos maßgeblich zur Verbreitung des konstruktivistischen Denkens beigetragen hat. Grundlegend und systematisch hat mich jedoch Ernst von Glasersfelds radikaler Konstruktivismus in puncto Erkenntnistheorie geprägt (von Glasersfeld 1996).

Anfang der 2000er-Jahre fügte sich dann die letzte Komponente zu den geistigen Strömungen, die in das vorliegende Buch münden. Dabei handelt es sich um das in vielerlei Weise inspirierende Leseerlebnis von Martin Bubers Das dialogische Prinzip (Buber 1999). Dieses Werk, eigentlich eine Sammlung von Schriften, die zwischen den 20er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind, hat mein Denken und Handeln, aber auch mein Empfinden, als Mensch in dieser Welt zu sein, tiefgreifend beeinflusst. Für mich ist Das dialogische Prinzip eine existenzphilosophische Schrift, die harmonisch und in einem inneren Zusammenhang mit den anderen Denkrichtungen schwingt, die für Zen in der Kunst des Coachings eine wichtige Rolle spielen, also mit dem Zen sowie mit der Systemtheorie und dem Konstruktivismus. Aus diesem gemeinsamen Schwingen ergeben sich für mich erhebliche Konsequenzen für das Coaching und für das Beraten ganz allgemein. Diesem gemeinsamen Schwingen und seinen Auswirkungen werde ich in diesem Buch nachgehen.

Bevor es richtig losgeht, möchte ich aber noch einige Bemerkungen zum Coaching und zu den tieferen Zusammenhängen zwischen den erwähnten Denkrichtungen, Geistestraditionen und Theorien machen.

Zen in der Kunst des Coachings

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