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Kapitel 1
ОглавлениеMichael H. Schenk
Die Pferdelords 5
- Die Korsaren von Umbriel -
Fantasy-Roman
© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020
Vorwort
Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords“ wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe“ feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords“ und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.
Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.
Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.
Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.
Die Pferdelords-Reihe:
Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks
Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge
Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes
Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen
Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel
Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt
Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne
Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen
Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes
Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes
Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak
Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken
Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.
Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.
Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen
Michael H. Schenk
Hinweis:
Kapitel 55: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe
Kapitel 56: Detailkarte "Umbriel, die Insel der Korsaren"
Kapitel 57: Personenregister
Kapitel 58: Einige Maße und Definitionen
Kapitel 59: Vorschau auf "Die Pferdelords 6 – Die Paladine der toten Stadt"
Zu einer Zeit, die selbst die Elfen nicht benennen konnten, war dies ein
beeindruckender Berg gewesen. Mit seinem hohen Kegel hatte er das Land
weit überragt. Dann hatten Beben die Erde erschüttert, und der hohe Berg war
unter einer Wolke aus Feuer und Asche verschwunden. Glühendes Gestein
war seine Flanken hinabgeflossen und das Land war für lange Zeit in
Finsternis versunken, bis irgendwann die Sonne erneut hervorbrach. Aber das
Antlitz der Erde hatte sich gewandelt, und an die Stelle des hohen Bergkegels
war ein großer Krater getreten, dessen Wände steil abfielen und an dessen
Grund sich gelblich-grüne Nässe sammelte. Wieder verging eine lange Zeit,
und die Erosion forderte ihren Tribut. Ein kleiner Teil der Kraterwand gab
nach, stürzte ein und das Wasser des die Ebene durchziehenden großen
Flusses strömte in den Krater und bildete dort einen kristallklaren See. Viele
Menschenalter später gab es den Krater und seinen See noch immer, aber sein
Anblick hatte sich abermals gewandelt.
Wenn man sich dem Berg von weit her näherte, sah er nun wie ein flacher
Kegel aus, dessen Spitze abgetrennt war. Der scharfkantige Fels wies die
verschiedensten Schattierungen von Schwarz über Grau bis Braun auf und
stieg vom Fuß des Berges immer steiler an. Oben, auf dem Rand des Kraters,
erhob sich in strahlendem Weiß das typische glatte Mauerwerk menschlicher
Baukunst: eine hohe und massive Wehrmauer, die sich um den gesamten
Krater herumzog und von achteckigen Türmen mit Plattformen unterbrochen
war, auf denen schwere Katapulte und Dampfkanonen standen. Überragt
wurde diese Anlage von dem gewaltigen Turm, der sich inmitten des
Kratersees auf einer Insel erhob. Aufgrund seiner enormen Höhe wirkte er
trotz seines beachtlichen Durchmessers schlank und filigran; seine Wände
waren durchbrochen von zierlich wirkenden Balkonen und Brüstungen und
seine Spitze endete in einer metallenen Schüssel, in der das Signalfeuer der
Stadt entzündet werden konnte.
Der Turm war umgeben von säulengetragenen Gebäuden und Grünflächen.
Hier wirkten König und Kronrat des Reiches von Alnoa. Geschwungene
Brücken führten über den großen Kratersee hinweg zu dessen Ufern. Dort
lagen die Häuser der Stadt, die dem Verlauf der Kraterwände folgten.
Ringförmig in übereinanderliegenden Terrassen angeordnet, vermittelten sie
den Eindruck, sie seien die Zuschauer in einem riesigen Amphitheater, dessen
Bühne der Königspalast mit dem Signalfeuer bildete. Bei den Gebäuden
dominierte der weiße Stein, den die Bauherren des Reiches bevorzugten,
weshalb man die Stadt auch die »Weiße Stadt« nannte. Sie war die Hauptstadt
des Königreiches von Alnoa und trug den Namen Alneris.
Kein Feind hatte seinen Fuß je in die Stadt setzen können, obwohl man es
versucht hatte. Vor vielen Jahreswenden war eine starke Armee des
Schwarzen Lords auf den Feldern erschienen, die Alneris umgaben. Die
mächtigen Katapulte der Orks hatten den Verteidigungsanlagen Schaden
zugefügt, aber diese hatten standgehalten, bis die Beritte der Pferdelords den
Menschen des Reiches Alnoa zu Hilfe kamen und die Rettung brachten.
Es gab nur einen Zugang zur Stadt, dort, wo einst ein Teil der Kraterwand
eingestürzt war und sich nun der große Fluss in den Kratersee ergoss. Aber
diese Zufahrt zum Hafen von Alneris, der im Innern des Kraters gelegen war,
und die gepflasterte Straße, die daran entlang in die Stadt hineinführte, waren
durch schwere Tore und mächtige Batterien geschützt.
Der Fluss Genda verband die Stadt mit dem offenen Meer, und der träge
wirkende, aber tückische Strom erreichte rasch eine Breite von zwanzig
Tausendlängen. Erst nach rund vierhundertfünfzig Tausendlängen mündete er
in die riesige Bucht von Gendaneris, wo die gleichnamige Hafenstadt die
Zufahrt schützte. Von Alneris aus gesehen erhoben sich am linken Ufer die
massigen Formen des südlichen Gebirges von Hesparat und bildeten eine Art
natürliche Grenze zum verlorenen Reich der alten Könige. Am rechten Ufer
öffnete sich das Land, das zum Königreich Alnoa gehörte.
Es war ein reiches Land, mit riesigen Wäldern und fruchtbaren Ebenen.
Ein Land, das ein Leben im Überfluss ermöglichte. Die Bäume waren groß
und ausladend und hatten eine weiße Rinde, die nur gelegentlich von dunklen
Flecken bedeckt war. Diese Bäume hatten dem Königreich den Beinamen des
»Reiches der weißen Bäume« eingetragen. Ihr Holz war stark und fest, und so
waren auch die Schiffe des Reiches Alnoa stark und fest.
Die »Shanvaar« hatte den Hafen von Alneris vor einer Tageswende
verlassen und fuhr nun den Fluss entlang in Richtung Gendaneris.
Großkapitän Gort ta Mergon stand an der Reling des Brückenaufbaus am
Heck seines Schiffes und wagte es kaum, die hölzerne Einfassung zu
berühren. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herab, und Holz und
Metall der Aufbauten hatten sich unangenehm aufgeheizt. Der adlige
Großkapitän beneidete seine Matrosen nicht, die barfüßig über die Planken
des Schiffes hasteten oder an der Takelage in die Masten aufenterten.
Die »Shanvaar« gehörte zu den Neubauten der alnoischen Marine, und dies
war ihre erste Feindfahrt. Gort ta Mergon fieberte dem Aufeinandertreffen mit
dem Gegner ebenso entgegen wie seine Offiziere und die Besatzung und er
war froh, in seinem Ersten Offizier und einigen der Matrosen erfahrene
Seeleute an Bord zu haben. Es war nicht leicht für ihn gewesen, das
Kommando zu erhalten, und viele beneideten ihn nun zu Recht um dieses
Schiff.
Die »Shanvaar« maß fast vierzig Längen von Bug bis Heck und war
knappe sechs Längen breit. Der hölzerne Rumpf bestand aus dicken Planken
des Weißbaums und war unterhalb der Wasserlinie mit Platten aus Gold
beschlagen, die einen Bewuchs des Unterwasserschiffes mit Algen und
Muscheln verhindern sollten. Der Bug war unter Wasser mit einer langen
Ramme, von Metallplatten verstärkt, versehen und nach oben hin sanft
ausgezogen. An seinem Ende zeigte er das Wappen des Reiches Alnoa, drei
weiße Bäume auf grauem Grund. In der Mitte des Schiffes stand der
Hauptmast, der an seinem Ende mit der Querstange für das Hauptsegel und
der Ausguckplattform versehen war. Ein zweiter, wesentlich kleinerer Mast
ragte vor der Brücke am Heck auf. Masten und Segel wirkten für ein
Segelschiff ausgesprochen bescheiden und schienen kaum in der Lage, der
»Shanvaar« Geschwindigkeit zu verleihen. Doch sie waren auch nur für den
Notfall gedacht, denn das Kampfschiff wurde von einem Brennsteinantrieb
bewegt.
Ungefähr in der Mitte des Rumpfes war unter Deck die wuchtige
Konstruktion des Brennsteinkessels verborgen, in dem aus Wasser Dampf
gebildet wurde, welcher das Schiff antrieb und zugleich seine gefährlichste
Waffe bildete. Von der Brennsteinmaschine liefen rechts und links je eine
armdicke Metallwelle zur jeweiligen Seite des Schiffes, um dort in einer
großen metallenen Scheibe zu enden. An einem Außenpunkt der Scheibe war
jeweils eine lange Stange befestigt, die zu den Gegenstücken der Scheiben am
Heck der »Shanvaar« führten. Dort, unter der hinten überstehenden Brücke,
drehte sich das gewaltige Schaufelrad, welches das Wasser des Flusses mahlte
und dabei das Schiff vorwärtsschob.
Der Dampfantrieb durch Brennstein war neu, und nicht jeder Seemann in
Alnoa war davon angetan, denn die Maschine im Bauch des Schiffes stampfte
und dröhnte, strahlte Hitze in den Rumpf und musste stets mit Wasser und
Brennstein versorgt werden.
Auch Halblar, der Erste Offizier der »Shanvaar«, hatte sich mit dem
lärmenden Antrieb noch nicht anfreunden können. Nur seine Freundschaft zu
dem adligen Kapitän hatte ihn bewogen, mit an Bord zu gehen. Als er nun
neben seinen Freund trat und die Hände automatisch auf die Reling der
Brücke legte, stieß er einen halblauten Fluch aus und zog die Finger hastig
zurück. »Verfluchte Hitze. Hier oben ist es auch nicht viel besser als unten im
Rumpf. Dabei dachte ich, die Maschine sei nicht zu überbieten. Ich frage
mich, wie unsere Brennsteinmänner es da unten aushalten.«
»Sie sind es gewöhnt.« Gort ta Mergon nahm den Helm mit den beiden
Federn eines Großkapitäns vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der
Stirn. »Und die es nicht gewöhnt sind, werden es bald sein.«
»Wie kann man sich an solchen Lärm und solche Hitze gewöhnen?«
Halblar schüttelte verächtlich den Kopf. »Ich sage dir, Gort, mein Freund, ich
vermisse den erfrischenden Druck des Windes in den Segeln, das leise
Flappen der Leinwand und das Knarren des Tauwerks.«
»Auch wir haben knarrendes Tauwerk«, brummte ta Mergon schmunzelnd
vor sich hin.
»Ja. Aber ansonsten hört man nur dieses Stampfen und Zischen.« Halblar
wies hinter sich zum Heck. »Und das Klatschen des Schaufelrades. Ich kann
nachts ja nicht mehr schlafen.«
»Auch du wirst dich an den Lärm gewöhnen.« Der Großkapitän sah seinen
Freund lächelnd an. »Immerhin macht uns die Brennsteinmaschine
unabhängig vom Wind, mein Freund. Während der Feind fahrtlos in den
Wellen liegt und auf Wind hofft, können wir manövrieren und ihn
vernichten.«
Halblar spuckte ins Wasser. »Doch wenn er Wind hat, fährt er uns davon.«
Er schlug seufzend auf die Reling und verzog erneut das Gesicht. »Jeder wird
uns davonfahren, mein Kapitän. Gegen einen fahrenden Segler kommen wir
nicht an.«
»Wir fahren nur mit halber Kraft«, tröstete ta Mergon. »Warte, bis wir den
Kessel ordentlich geheizt haben, dann wirst du sehen, dass die ›Shanvaar‹ wie
ein elfisches Pfeilschiff über die Wellen fliegt.«
Halblar sah sich kurz nach eventuellen Zuhörern um und gab dann einen
obszönen Laut von sich. »Ich weiß, Gort, du liebst dieses Schiff und hast um
das Kommando gekämpft, aber du hättest einen der schnellen Kampfsegler
wählen sollen. Mit diesem Brennsteinkessel unter unseren Füßen werden wir
den Feind nicht einholen können, und wenn es eng wird, können wir ihm auch
nicht davonfahren.« Er lachte freudlos. »Außer vielleicht bei Windstille.«
Die Worte seines Freundes begannen Gort zu ärgern. »Du verschließt dich
der neuen Zeit, Halblar. Der Brennstein verleiht unserem Schiff besondere
Kraft.« Er wies nach vorne in Richtung Bug. Dort, vor dem vorderen Mast,
stand der runde Turm für die Hauptwaffe des Schiffes. »Und unserer
Dampfkanone vermag kein feindliches Schiff standzuhalten.«
»Wenn sie denn trifft und der Feind lange genug stillhält.«
»Halblar.« Gorts Stimme verriet seinen Unmut und ermahnte den Freund,
nun besser einzulenken. Der Großkapitän wies über den Fluss. »Mit einem
Kampfsegler kannst du bei diesem schwachen Wind kaum manövrieren, doch
die ›Shanvaar‹ schafft dies mühelos. Und wenn wir die Kraft des Dampfes
zum Geschütz leiten, wird sein Geschoss jeden feindlichen Schiffsrumpf
zerschmettern.« Gort sah den Freund eindringlich an. »Auf eine Entfernung,
in der kein feindliches Katapult uns treffen kann.«
Der Dampf aus dem Brennsteinkessel trieb sowohl das mächtige
Schaufelrad als auch das Geschütz an. Man musste am Kessel nur einen
schweren Ventilhebel umlegen, damit der Dampf nicht mehr auf die
Antriebswelle traf, sondern durch die vordere Dampfleitung das Geschütz
erreichte. Dort wurde der Druck in einer Kammer des Geschützrohres
gesammelt, bis er groß genug war, um das schwere Kugelgeschoss aus dem
Geschützlauf zu treiben. Der Vorgang benötigte eine gewisse Zeit, in der man
das Ziel im Visier halten musste. Zudem war das Schiff in diesen
Augenblicken ohne Antrieb, aber die Konstrukteure schworen, dass dies nicht
sonderlich ins Gewicht fallen würde. Gort ta Mergon war geneigt, ihnen zu
glauben, denn die schweren Dampfkanonen der Stadtverteidigung hatten sich
bereits bewährt. Aber es behagte ihm nicht, sein Schiff im Gefecht ohne
Antrieb zu sehen, und wenn es auch nur für Augenblicke war. Denn diese
Momente konnten einem Feind genügen, um die »Shanvaar« mit einem Hagel
von Katapultgeschossen einzudecken oder sie sogar zu rammen.
Das Hauptsegel flappte lustlos im Wind. Die Brise war zu schwach, um
das Segel zu füllen, zumal das Schaufelrad das Schiff vorantrieb. Im Grunde
war die Leinwand im Augenblick nutzlos und hemmte vielleicht sogar ihre
Fahrt, aber Gort konnte sich nicht dazu entschließen, die Segel einholen zu
lassen. Immerhin spendeten sie etwas Schatten und brachten Linderung von
der brütenden Sonne.
Einige der Matrosen sangen eine der alten Seefahrerweisen, und Halblar
stimmte leise summend ein. Die Stimmung der Mannschaft war gut. Sie war
froh, endlich der Enge des Hafens entronnen zu sein und sich auf dem großen
Fluss zu bewegen. Vielleicht ergab sich sogar die Gelegenheit, ein Stück aufs
Meer hinauszufahren. Einst war das die Bestimmung der Seeleute von Alnoa
gewesen, als die Schiffe des Königreiches noch Handel mit weit entfernten
Ländern getrieben hatten. Doch diese Zeit war vorbei, denn eines Tages war
die Brut der Schwärme erschienen und hatte begonnen, das Meer mit ihren
schwarzen Schiffen zu bedecken. Zunächst waren es nur wenige Korsaren
gewesen, und die Marine von Alnoa hatte sie noch aufhalten können, aber
dann waren die Schiffe des Feindes immer zahlreicher geworden. Nun
gehörte das Meer den Schwarmschiffen der Korsaren, und die Schiffe der
Menschen befuhren nur noch die küstennahen Gewässer. Nur die Elfen
trauten sich, so sagte man zumindest, gelegentlich noch aufs Meer hinaus.
Aber Gerüchte gab es viele, und Elfen waren nicht weniger verwundbar als
ein Mensch. Nein, die Korsaren beherrschten die Wasser, so wie die Reiche
der Menschen, Elfen und Zwerge das Land beherrschten.
»Wasserwirbel rechtsweisend voraus«, erklang die Stimme des Ausgucks
von der Plattform des Hauptmastes.
Gort blickte unter dem Hauptsegel und über den Geschützturm hinweg
zum Bug. »Das muss die Untiefe von Debun sein. Die Fahrrinne verengt sich
hier, und über der Sandbank bilden sich Wirbel.« Gort wandte sich an den
Steuermann, ohne sich umzudrehen. »Steuer zehn Grad linksweisend,
Maschine auf zweihundert Umdrehungen.« Er legte eine Hand an den Mund.
»Einen Mann mit Lot in den Bug!«
»Steuer zehn Grad linksweisend, Maschine auf zweihundert
Umdrehungen!« Der Matrose am Steuer korrigierte den Kurs, und ein anderer
brüllte die Anweisung des Kapitäns in einen metallenen Schlauch mit Trichter
hinein, der die Worte zum Maschinisten trug.
Die Strömung des Genda war hier recht stark und wirbelte Schlamm und
Schmutz vom Grund auf, sodass an dieser Stelle das Wasser immer getrübt
war. Man musste den Verlauf der Wellen und das Muster von
Verwirbelungen entziffern, sich auf seine Kenntnis des Flusses und auf das
Lot verlassen, damit man an den tückischen Verengungen der Fahrrinne nicht
auflief. Ein Stück weiter den Fluss hinunter verrotteten die Wracks zweier
Korsarenschiffe, die sich den Rumpf an Unterwasserfelsen aufgerissen hatten
und gesunken waren.
Ein Matrose, in der kurzen Jacke und den knielangen Hosen seines
Berufsstandes, rannte an der rechten Seite des Schiffes entlang und führte das
Lot mit sich. Es bestand aus einem metallenen Zylinder, der an einer langen
Leine befestigt und an der Unterseite mit Talg bestrichen war. Als der Mann
den Bug erreichte, beugte er sich weit vor, hielt sich mit einer Hand an der
aufgeheizten Reling fest und warf mit der anderen das Lot aus. Klatschend
tauchte der Zylinder ins Wasser ein, während die Leine an dem langsam
fahrenden Schiff entlangzuschwimmen schien.
»Recht so«, brummte ta Mergon. »Kurs halten!«
»Steuer mittschiffs, Kurs halten«, erwiderte der Steuermann.
»Drei Längen unter dem Rumpf«, rief der Matrose mit dem Lot.
»Zu dicht am Ufer«, brummte Halblar. »Wir sollten mehr zur Mitte der
Fahrrinne.«
»Wir haben Flut, und drei Längen Wasser unter dem Rumpf reichen.«
»Wenn es die Untiefe von Debun ist.«
Ta Mergon seufzte leise. »Welche Farbe hat der Grund?«, rief er nach
vorne. Er sah seinen Freund an. »Es ist Debun. Glaube mir, Halblar, ich
kenne den Fluss.«
Der Matrose am Lot zog den Metallzylinder hoch und betrachtete dessen
Unterseite. Im weichen Talg hatte sich Material vom Grund des Flusses
eingepresst. »Roter Grund, grober Kies, glatt geschliffen«, meldete er und
warf das Lot erneut aus.
»Debun«, stellte ta Mergon fest. »Wie ich es sagte. Ich kenne den Fluss.«
Halblar zuckte die Achseln. »Ich weiß. Aber durch die Strömung wandern
die Untiefen gelegentlich.«
Der Großkapitän stieß ein leises Grunzen aus, das alles Mögliche bedeuten
konnte. »Heute befahren wir nur den Fluss und die küstennahen Gewässer.
Bei den Finsteren Abgründen, es gab andere Zeiten, Halblar, mein Freund.«
»Ja, die gab es.«
Gort seufzte abgrundtief. »Steuermann, auf alten Kurs gehen. Wir sind nun
an Debun vorbei. Fahrt auf hundert Umdrehungen!«
Das Steuer bewegte sich und Kommandos ertönten. »Alter Kurs liegt an,
mittschiffs. Maschine auf hundert Umdrehungen.«
Halblar wandte sich um und beschattete die Augen gegen die Sonne. »Sie
folgen mittschiffs.«
»So besagt es der Befehl des Königs.« Gort ta Mergon machte sich nicht
die Mühe, sich umzuwenden. Natürlich folgten die beiden anderen Schiffe
des kleinen Geschwaders der »Shanvaar«. Die »Aivaar« war baugleich mit
dem Flaggschiff und verfügte somit ebenfalls über Schaufelradantrieb und
Dampfkanone. Die dahinter folgende »Netluaar« hingegen war einer der
klassischen Kampfsegler. Ihr Rumpf war etwas länger und trug drei große
Masten; entlang ihren Längsseiten standen Katapulte und im Geschützdeck
waren die Bolzenwerfer noch hinter den Luken verborgen.
»Sie hat Mühe, uns zu folgen«, knurrte Halblar. »Sie fällt zurück.«
»Die ›Netluaar‹?« Gort lachte leise. »Das wundert mich nicht. Wir haben
kaum Wind. Wie ich dir schon sagte, Halblar, der Brennsteinantrieb hat auch
seinen Vorteil.« Der Großkapitän des Geschwaders wandte sich nun doch um
und musterte die nachfolgenden Schiffe. »Dabei hat ihr Kapitän schon jeden
Fetzen Tuch gesetzt. Nun, ich will ihm die Schande ersparen, sich von der
›Aivaar‹ schleppen zu lassen. Steuermann, die Maschine soll auf fünfzig
Umdrehungen heruntergehen.«
Sie verlangsamten ihre Fahrt, aber der Segler hatte noch immer Mühe, mit
den beiden Dampfschiffen Schritt zu halten. Gort wusste jedoch, dass seine
stille Genugtuung von kurzer Dauer sein würde. Sobald Wind aufkam, würde
ihnen der schnelle Segler mühelos davonfahren können. Der adlige
Großkapitän bedauerte, dass man die Brennsteinantriebe noch nicht
wirkungsvoller machen konnte.
»Rauch, rechtsweisend voraus«, meldete plötzlich der Ausguck.
»Das ist Mintris«, knurrte einer der Matrosen grimmig. »Diese verfluchten
Bestien. Möge die ewige See sie auf ewig verschlingen.«
»Den Gefallen wird sie uns schwerlich tun«, erwiderte Halblar leise.
»Immerhin sind die Bastarde auf ihr zu Hause.«
Gelegentlich segelte ein Schwarm der Korsaren die Küste entlang, um
Siedlungen zu überfallen und zu plündern. Selbst den Fluss waren sie oft
genug heraufgekommen, bis die Hafenstadt Gendaneris die Bucht endlich
sicherte und die Bestien mit ihren Batterien und Wachschiffen fernhielt.
Meistens zumindest, denn ab und zu schlüpften in der Nacht doch ein oder
zwei Korsaren hindurch und wagten sich den Fluss hinauf. So war es auch vor
einigen Tageswenden gewesen, als eine Horde der Bestien über die Stadt
Mintris hergefallen war und dort so lange gemordet und geplündert hatte, bis
zwei Regimenter der Garde sie endlich vertrieben. Ein Teil des Schwarms
hatte sich auf die Schiffe retten können, die sich nun irgendwo zwischen
Mintris und Gendaneris auf dem Fluss befinden mussten. Es war Gort ta
Mergons Aufgabe, diese beiden Korsarenschiffe zu stellen und zu vernichten.
Vielleicht konnten sie sogar ein paar der Bestien fangen, um sie dann zur
Genugtuung der Bürger auf dem großen Platz hinzurichten.
Die Stadt war nur undeutlich zu erkennen, denn obwohl der Überfall der
Korsaren schon einige Tageswenden zurücklag, hing über ihr noch immer
schwerer dunkler Rauch in der Luft.
»Das werden die Kornspeicher sein«, meinte einer der Matrosen. »Die
Häuser haben die Bewohner bestimmt längst gelöscht, aber wenn die Speicher
brennen, dauert es seine Zeit.«
Neben der Stadt war das Zeltlager der alnoischen Truppen zu erkennen.
Dort war Bewegung, und eine Gruppe von Reitern preschte zum Ufer
herüber. Einer der Männer führte eine weiße und eine rote Flagge mit sich,
deren Tuch jeweils eine halbe Länge im Quadrat maß. Er sprang aus dem
Sattel, sah zu den Schiffen herüber und begann die Fahnen in einer
bestimmten Abfolge zu bewegen.
»Zwei Schiffe der Bestien sind entkommen«, las Großkapitän Gort ta
Mergon ab. »Eines von ihnen ist schwer beschädigt. Sie sind flussabwärts
gefahren.«
»Wohin auch sonst?«, brummte Halblar. »Die verfluchten Bastarde haben
ihre Beute gemacht und bringen sie nun in Sicherheit. Ich frage mich, wie sie
überhaupt an Gendaneris vorbeischlüpfen konnten.«
Der Signalwinker der »Shanvaar« bestätigte die Winkmeldung vom Ufer,
und ta Mergon seufzte leise. »Ihre schwarzen Schiffe sind in der Nacht fast
unsichtbar. Zumindest wenn sich Wolken vor die Sterne schieben. Zudem
sind Bucht und Fluss sehr breit. Die Bestien warten nur auf eine Gelegenheit,
an der Hafenfestung mit ihren wenigen Wachschiffen vorbeizuschleichen.
Meist werden sie entdeckt, aber«, er zuckte die Schultern, »gelegentlich
kommen ein paar von ihnen durch.«
»Ja.« Halblar spuckte ins Wasser. »Und dann morden und plündern sie.«
»Diesmal werden sie uns nicht entkommen«, sagte ta Mergon
zuversichtlich. »Zumindest das beschädigte Schiff wird langsam sein. Noch
vor Gendaneris werden wir die Bestien stellen.« Der Großkapitän wandte sich
dem Steuermatrosen zu. »Maschine auf dreihundert Umdrehungen. Ich will
sie zu fassen kriegen.«
»Maschine auf dreihundert Umdrehungen«, bestätigte der Mann am
Steuer.
»Die ›Netluaar‹ wird mit ihren Segeln nicht mithalten können«, warf
Halblar ein.
Ta Mergon erlaubte sich ein schmallippiges Lächeln. »Wie ich erwähnte,
Halblar, mein Freund, die Brennsteinmaschine hat auch ihren Vorteil.«
Das Segelkampfschiff »Netluaar« fiel hinter den beiden
Dampfkanonenschiffen »Shanvaar« und »Aivaar« zurück, aber ta Mergon
wollte keine Zeit verlieren. Der Anblick der geschundenen Stadt Mintris hatte
ihn mit Zorn erfüllt, und er wollte die Verantwortlichen stellen und
vernichten.
Aber es dauerte noch einige Zehnteltage, bis vor ihnen endlich zwei dunkle
Silhouetten auf dem Fluss sichtbar wurden.
»Das sind sie«, knurrte ta Mergon zufrieden, als der Ausguck im Mastkorb
über ihnen die Sichtung meldete. »Wir haben sie.«
Es waren unzweifelhaft die gesuchten Korsaren. Der schnittige Rumpf
ihrer Schiffe war tiefschwarz, und dort, wo die Öffnungen für Ruder oder
Waffen waren, wirkte das Schwarz noch dunkler und drohender.
Die Masten waren so hoch, wie das Schiff lang war, und die Segel, tiefrot
gefärbt, zeigten die jeweiligen Symbole der Korsarenschwärme.
»Könnt Ihr den Schiffstyp erkennen?«, rief ta Mergon zum Mastkorb
hinauf.
Die beiden flüchtenden Schiffe waren nur von hinten zu sehen, und es war
schwer einzuschätzen, welche Größe sie hatten. »Sie fahren meist mit den
kleineren Schiffen den Fluss herauf«, sinnierte Halblar mit gedämpfter
Stimme. »Für die großen Kampfsegler fehlt ihnen hier der Manövrierraum,
und sie kennen den Fluss und seine Gefahren nicht so gut wie wir.«
»Das hintere ist ein Jagdschiff«, meldete der Ausguck. »Der davor scheint
ein Kampfsegler zu sein.«
Die Jagdschiffe der Korsaren trugen zwei Masten und hatten einen
schnittigen Bug. Es waren leichte Schiffe, dazu bestimmt, das Meer nach
Beute abzusuchen und die schweren Kampfsegler heranzuführen.
»Das Jagdschiff macht mir keine Sorgen«, gestand der Großkapitän ein.
»Es ist zu leicht gebaut. Sein Rammsporn kann unseren metallverstärkten
Rumpf nicht durchdringen, dazu ist unser Panzer zu dick. Es führt auch keine
großen Katapulte. Nur einige der Pfeilschleudern, mit denen sie die Segel und
Takelage eines gegnerischen Schiffes zerstören können, um es
manövrierunfähig zu machen, bis die großen Segler heran sind. Doch selbst
wenn die Bastarde unsere Segel zerstören, können wir sie mit der Kraft der
Brennsteinmaschine einholen.«
»An Deck«, rief da der Ausguck. »Das vordere Schiff ist ein Kampfsegler
mit drei Masten, aber der Hauptmast ist gebrochen!«
»Ah!« Ta Mergon rieb sich aufgeregt die Hände. »Sie haben einen Mast
verloren. Das behindert sie und macht sie langsamer. Ja, jetzt fahren sie eine
halbe Wende, und die Linien werden lang. Nun kann man es sehen. Auch ihre
Segel haben Schaden genommen. Statt der roten Tücher haben sie weißen
Stoff gesetzt. Das Schiff hat gelitten, Halblar, mein Freund, und wenn wir erst
heran sind, wird es noch viel mehr leiden.«
»Wie ist der Kampfsegler bewaffnet?«, fragte der Steuermatrose neugierig.
»Verzeiht die Frage, edler Herr, aber ich bin noch nie einem Korsarenschiff
begegnet.«
Ta Mergon lächelte freundlich. »Ihr könnt stolz darauf sein, es nun zu tun.
Ihr werdet in den Tavernen von Alneris eine gute Geschichte zu erzählen
haben.«
Halblar nickte. »Die Weiber werden an Euren Lippen hängen,
Steuermatrose.« Der Erste Offizier der »Shanvaar« zwinkerte dem Mann zu.
»Sie mögen die Helden der See. Vor allem, wenn diese einen Korsaren
versenkten.«
Großkapitän ta Mergon räusperte sich. »Der Kampfsegler hat einen
gerundeten, mit Eisen verstärkten Bug und einen Rammsporn wie wir. Aber
der fehlende Mast und die beschädigten Segel machen ihn schwerfällig und
langsam, er wird keine Chance haben, den Sporn gegen uns einzusetzen.
Ansonsten hat solch ein Segler Katapulte und Pfeilschleudern. Mit den
Katapulten schleudern sie Steine oder Metallstücke, in der Hoffnung, die
Segel des Gegners zu beschädigen oder sein Ruder zu treffen. Mit den
Pfeilschleudern verschießen sie übergroße Pfeile, an die Leinen gebunden
sind.« Ta Mergon blickte grimmig zum Korsarenschiff hinüber. »Treffen die
Pfeile Segel oder Takelage, dann reißen die Bastarde an den Leinen und
zerstören sie. Treffen sie den Rumpf, dann ziehen sie ihr Schiff an das Opfer
heran, damit sie es entern können. Das ist ihnen lieber, als ein Schiff zu
versenken, doch schrecken sie auch davor nicht zurück, wenn die Beute ihnen
sonst entkommt. Denn Schiffe sind eine wertvolle Beute. Die Schwärme
verwenden sie jedoch nicht, um mit ihnen die Meere zu befahren, sondern um
ihre verfluchten Städte damit auszubessern. Ihnen geht es vor allem um die
Fracht der Schiffe, und da können sie wirklich alles gebrauchen.«
Rechts vor ihnen öffnete sich nun die weite Bucht von Gendaneris, an
deren rechtem Ufer die große Hafenstadt lag. Die beiden Korsaren kannten
die Gefahr und steuerten nach links, um das offene Meer zu erreichen und den
schweren Batterien der Hafenfestung zu entgehen.
»Bei den Finsteren Abgründen.« Der Großkapitän stieß ein wütendes
Knurren aus. »Sie kommen an Gendaneris vorbei. Verfluchte Brut.« Er sah
den Steuermatrosen an. »Maximale Umdrehungen! Wir müssen die Bastarde
erwischen!«
Es würde ein Wettrennen werden, dessen Ausgang ungewiss war. Das
Jagdschiff der Korsaren konnte entkommen, wenn der Wind günstig war,
doch für das größere Kampfschiff standen die Chancen schlechter. Ohnehin
schwerfälliger als sein kleinerer Bruder, war es durch den fehlenden Mast und
die beschädigten Segel zusätzlich behindert. Dennoch würde die Jagd nicht
einfach werden. Die beiden Dampfkanonenschiffe Alnoas würden nun bald
die offene See erreichen, deren rauere Wellen eine höhere Belastung für die
Schaufelräder darstellten.
»Das Jagdschiff flieht!«, rief der Ausguck erregt. »Es lässt den anderen
zurück!«
»Wir kriegen sie!« Ta Mergon schlug sich abermals aufgeregt in die
Hände. »Zumindest das Kampfschiff werden wir einholen.«
Die »Shanvaar« und die »Aivaar« dampften mit voller Leistung an der
Stadt und Festung Gendaneris vorbei, den fliehenden Korsaren dicht auf den
Fersen. Das Segelkampfschiff »Netluaar« hingegen fiel immer weiter zurück.
Vielleicht würde es aufschließen können, wenn die Winde der offenen See
seine Segel füllten. Ta Mergon schlug seinem Ersten Offizier freundschaftlich
auf die Schulter. »Lass das Schiff klar zum Gefecht machen, Halblar. Auch
wenn es noch ein Weilchen dauern wird, bis wir die Bastarde erreichen, wir
wollen vorbereitet sein.«
Gendaneris hinter ihnen wurde immer kleiner und die See immer bewegter.
Die »Shanvaar« begann leicht zu stampfen, und die Schaufelräder unter der
Brücke am Heck hoben sich gelegentlich für einige Augenblicke aus dem
Wasser und drehten leer, bevor sie erneut ins Meer klatschten und mit ihrem
Druck das Schiff vorantrieben. Dennoch war das Dampfkanonenschiff
schneller als der beschädigte Korsarensegler. Allmählich holte man zum
Feind auf.
Halblar warf nachdenklich einen Blick in den Himmel hinauf. »Es wird
bald Dunkeln, ta Mergon, mein Freund. Die Nacht beginnt sich über die See
zu legen.«
»Wir holen auf«, erwiderte der Kapitän. »Zudem haben wir einen klaren
Himmel, und der Bastard vor uns hat weißes Tuch gesetzt. Wir werden ihn
nicht verlieren, mein Freund.«
Mit überraschender Plötzlichkeit brach die Nacht herein. Keiner der
Seeleute Alnoas hatte einen Blick für die Schönheit des Sonnenuntergangs
auf dem offenen Meer, denn das Jagdfieber hatte sie gepackt. Während das
kleine Jagdschiff der Korsaren am Horizont in der hereinbrechenden
Dunkelheit verschwand, rückte der beschädigte Kampfsegler immer näher.
Seine ungewohnt weißen Segel leuchteten durch die Nacht, und so fiel es
nicht schwer, ihm zu folgen.
Die Kampfstationen der »Shanvaar« und ihres Schwesterschiffes »Aivaar«
waren längst besetzt. Im Kanonenturm hatte die Bedienung eine der schweren
Geschosskugeln mit seinem Ladepfropfen in die Mündung des Laufes
gesteckt und mit einem Rammstock nach hinten gedrückt. Die Kugel lag nun
direkt vor der Druckkammer, und es musste nur noch der Ventilhebel
umgelegt werden, um die Maschinenkraft vom Antrieb in das Geschütz zu
leiten und das Geschoss aus dem Lauf herauszupressen. Die
Kanonenturmbesatzung achtete akribisch darauf, den Feind im Ziel zu
behalten und die Dampfleitung bei den dazu erforderlichen Bewegungen nicht
zu beschädigen.
Die beiden seitlichen Katapulte, die rechts und links des Hauptmastes in
Gefechtsbuchten außen am Rumpf aufgestellt waren, waren bemannt.
Gelegentlich sprühte die Gischt über die Männer an den Waffen und
durchnässte sie. Entlang der Reling hatten sich die Seesoldaten der
»Shanvaar« formiert. Während die Matrosen nur einen metallenen
Brustpanzer trugen, hatten die Soldaten die volle Rüstung angelegt: Bein- und
Armschienen, dazu Panzer und Helm. Im Gegensatz zu den Landtruppen des
Königreiches Alnoa wiesen die Helme der Seesoldaten jedoch keine
Zierfedern auf. Die zweischneidigen geraden Schwerter sowie die Bogen und
Zierfedern auf. Die zweischneidigen geraden Schwerter sowie die Bogen und
Spieße wurden noch in Ruhestellung gehalten. Zum Schutz gegen die See war
ihr Stahl von gut gefetteten Lederhüllen umgeben, denn das Wasser setzte
diesem rasch zu. Bald würde der Schutz entfernt werden, um die Klingen in
die Leiber der Schwarmmänner zu senken.
Das Rauschen des Wassers mischte sich mit dem Stampfen der Maschine
und dem Klatschen des Schaufelrades und übertönte die üblichen Geräusche,
die ein Schiff erfüllten: das leichte Knarren von Takelage und Holz, das
Flappen der Segel, das Tappen nackter Matrosenfüße auf den Planken und die
geflüsterten Worte der Männer.
Die »Aivaar« fuhr nun nahezu auf gleicher Höhe mit dem Flaggschiff, und
als Halblar kurz nach hinten sah, nickte er zufrieden. »Die ›Netluaar‹ holt auf.
Der Seewind hat ihr endlich Schnelligkeit verliehen.«
»Sie kommen zu spät.« Ta Mergon lachte leise. »Aber sie werden einen
guten Platz haben, um zuzusehen, wie wir den Korsaren versenken.«
Halblar nickte. »Sie sind jetzt in Reichweite der Kanone, ta Mergon, mein
Freund.«
Der Großkapitän lächelte. »Gerade eben. Nun, dann lass uns die Bestien
mal aufscheuchen.« Er beugte sich ein wenig zur Seite. »Nehmt sie unter
Beschuss! Geschütz frei!«
Der Hauptmaschinist im Rumpf der »Shanvaar« wartete, bis vom
Kanonenturm die Bestätigung kam, dass man das Ziel im Visier habe, dann
legte er den großen Ventilhebel um.
Schlagartig war das Schaufelrad ohne Dampfdruck. Das Klatschen der
mächtigen Schaufeln verstummte und das Schiff verlor sofort an Fahrt. Denn
der Dampf strömte nun durch die vordere Leitung zum Kanonenturm und
begann sich in der Druckkammer des Geschützes zu sammeln. Rasend schnell
stieg dort der Druck an, und als ein Überdruckventil schrill zu pfeifen begann,
schlug ein Matrose des Kanonenturms auf den Auslöser. Ein winziger Hebel,
der das Geschoss im Geschützrohr festgehalten hatte, klappte zur Seite, und
explosionsartig schleuderte der Dampfdruck das metallene Geschoss aus dem
Kanonenrohr.
Ein Knall ertönte, begleitet vom lauten Zischen entweichenden Dampfes,
als die Eisenkugel zum feindlichen Schiff hinüberschnellte, während der
Maschinist den Dampf bereits wieder auf den Antrieb gelegt hatte und die
Kanonenturmbesatzung eine neue Kugel in das noch heiße und feuchte Rohr
stopfte.
Unweit des Korsarenschiffes stieg indes eine dünne Wassersäule aus der
See empor, deren Gischt im Licht der sternklaren Nacht hell aufleuchtete.
»Dicht dran«, knurrte ta Mergon zufrieden. »Lass uns noch etwas
aufschließen, und das nächste Geschoss wird ihr Schiff dann zertrümmern.«
Die Marine Alnoas hatte lange versucht, das richtige Maß zu finden.
Größere Geschosse hatten sich als wenig wirkungsvoll erwiesen, da sie eine
sehr geringe Reichweite hatten und schnell an Durchschlagskraft verloren.
Die jetzt genutzten Eisenkugeln waren relativ klein, aber sie trafen mit
verheerender Wucht und waren in der Lage, Eisenplatten und dicke
Bordwände zu zerschlagen.
»Sie ›Netluaar‹ kommt längsseits«, rief der Ausguck aus dem Mastkorb
mit einem Mal.
»Was soll der Unsinn?« Der Großkapitän blickte verdrossen zur Seite.
»Die sollen Abstand halten.«
Halblar trat an die Reling und sah dem herangleitenden Kampfschiff
entgegen, dessen weiße Segel sich deutlich gegen den Hintergrund der
nächtlichen See abhoben. Das Schiff war bereits unerhört nah. Der Erste
Offizier verengte die Augen. Für einen Moment erstarrte er, bevor er
herumfuhr.
»Das ist nicht die ›Netluaar‹!«, rief er überrascht. »Das ist ein Korsar!«
»Unmöglich.« Ta Mergon starrte auf den Segler, der nun fast längsseits der
»Shanvaar« fuhr.
Aber nun, wo das gesamte Schiff deutlich sichtbar wurde, war die
Täuschung offenkundig. Der schnittige schwarze Rumpf verriet den
Korsaren, an dessen der »Shanvaar« zugewandten Seite sich Männer stauten,
deren Klingen und Rüstungen im Sternenlicht blinkten.
»Klar zur Abwehr von Enterern!«, brüllte ta Mergon erschrocken.
Auch dieses Schwarmschiff führte weiße Segel, wodurch der Großkapitän
und seine Männer getäuscht worden waren. Wahrscheinlich hätten sie die List
dennoch früh genug erkannt, wenn sie nicht so sehr darauf konzentriert
gewesen wären, den verfolgten Korsaren zu stellen.
Die Seesoldaten der »Shanvaar« reagierten sofort, aber im Gegensatz zu
den Korsaren mussten sie gegen jenen kurzen Augenblick des Schocks
ankämpfen, der einen überraschten Krieger für entscheidende Augenblicke
lähmen konnte. Die Korsaren hingegen waren vorbereitet und ließen ihre
Pfeilgeschosse auf die Soldaten Alnoas niederhageln. Die Wirkung war
verheerend. Um die Takelage und Segel eines Feindes zu zerstören, trugen die
armdicken Pfeile dieser Waffen breite sichelförmige Klingen mit
Widerhaken, die nun wie Sensen in die Reihen der Verteidiger schlugen.
Männer schrien auf und wurden verstümmelt auf das Deck der »Shanvaar«
zurückgeworfen oder stürzten über die Bordwand hinab ins aufspritzende
Wasser. Bogenschützen der Korsaren nahmen jene Soldaten zum Ziel, die der
ersten Salve entkommen waren, während sich die Schiffe weiter näherten.
Ta Mergon zückte sein Schwert und sah seinen Freund Halblar wütend an.
»Diese Brut der Finsternis hat es auf unser Schiff abgesehen. Sie sind zu
nahe, um sie mit der Kanone bekämpfen zu können. Gib Signal an die
›Aivaar‹, dass sie den Feind von der anderen Seite her angreifen soll!
Steuermatrose, das Steuer linksseitig, wir müssen von dem Bastard
freikommen!«
Der Mann am Steuer nickte und wollte den Befehl gerade ausführen, als
ein Pfeil seinen Hals durchschlug und seinen sterbenden Leib auf die Planken
warf. Ein anderer Mann sprang an seine Stelle, wurde aber ebenfalls gefällt.
Ein mächtiger Stoß erschütterte die »Shanvaar«, als das Korsarenschiff gegen
ihre Bordwand stieß. Leinen mit eisernen Haken flogen nun heran, krallten
sich in das Holz der Reling und verbanden die Schiffe miteinander. Zwar
versuchten alnoische Matrosen noch, die Leinen zu kappen und ihr Schiff zu
befreien, aber es war zu spät. Wie eine Woge stürmten die Korsaren auf das
Deck der »Shanvaar«.
Die Männer des Königreiches Alnoa waren von vornherein in der
Minderheit. Ein unendlicher Strom von Kämpfern schien aus dem Bauch des
Korsarenschiffs hervorzuquellen und überrannte die Besatzung des
Dampfkanonenschiffs.
Halblar hatte noch zwei Brennsteinlaternen gepackt, um der nahen
»Aivaar« zu signalisieren, sah dann aber schockiert, wie sich zwei weitere
Korsarenschiffe neben das Schwesterschiff legten und es ebenfalls enterten.
Mit bleichem Gesicht wandte er sich zu seinem Freund ta Mergon um und
schrie dann peinerfüllt auf, als ein breites Schwert in seinen Leib drang. Der
Erste Offizier ließ die beiden Laternen fallen und versuchte seine
hervorquellenden Gedärme festzuhalten, während er den triumphierenden
Korsaren mit brechenden Augen anstarrte. Dann kippte er haltlos mit dem
Gesicht voran zu Boden.
Ta Mergon parierte indes den Hieb eines Angreifers, tötete den Mann und
schwang herum, um einem anderen zu begegnen. Dann schrie er auf in Zorn
und Schmerz, als der tödliche Stoß seinen Körper traf. Um ihn herum war der
Lärm des Kampfes zu hören. Das Klirren aufeinanderprallender Waffen, das
Stöhnen und Schreien der Kämpfer und die verzweifelten Rufe verletzter
Soldaten. Der Großkapitän sank auf die Knie und sah ein letztes Mal das
seltsam entspannte Gesicht seines toten Freundes, bevor ihn die
Unendlichkeit umfing.
Allmählich erlosch der Kampflärm, und einige wenige Männer der
alnoischen Marine lieferten sich der Gnade der Eroberer aus und warfen ihre
Waffen aufs Deck. Korsaren in einem bunten Gemisch an Kleidung und
Rüstungen schwärmten unterdessen durchs Schiff, um auch den letzten
Widerstand zu brechen.
»Verschont die Brennsteinmänner«, brüllte ein stämmiger Mann, dessen
langes schwarzes Haar im Nacken von einem Band zusammengehalten
wurde. »Wer Hand an die Brennsteinmänner legt, den werfe ich den
Dornfischen vor!«
Einige der Korsaren lachten bei der Doppeldeutigkeit der Worte. Die
Dornfische waren berüchtigte Raubfische der Meere, mit starken,
zahnbewehrten Kiefern und zwei lanzenartigen Dornen über dem riesigen
Maul. Doch nach diesen Fischen benannte sich auch jener Korsarenschwarm,
der die Schiffe Alnoas geentert und erobert hatte.
Der stämmige Mann schritt mit kaltem Lächeln über die blutbefleckten
Planken auf der Brücke des eroberten Dampfkanonenschiffes. Verächtlich
stieß er mit dem Fuß gegen den toten Halblar. »Nehmt ihnen die Kleidung ab,
dann werft sie über Bord«, befahl er kalt. Elek-Mar T’os, Führer des
Korsarenschwarms der »Dornfische«, wischte seine blutbefleckte Klinge am
Beinkleid der Leiche ab. »Und säubert ihre Kleidung. Wir brauchen sie
noch.«
Der Anführer trug eine Rüstung, die aus dem Brustpanzer eines alnoischen
Kapitäns und einem Kettenhemd bestand. Der Vorderteil des Panzers war mit
der schillernden Kehlhaut eines Dornfisches bezogen. Eine blutrote Narbe
zog sich über die Wange des Mannes und verlief vom Ansatz des rechten
Ohrs bis zum Kinn. Sie war allerdings nicht geradlinig, sondern gezackt, und
schien nicht von der Klinge eines Schwertes herzurühren.
Ein schlanker Mann mit blonden Haaren trat neben Elek-Mar T’os. Sein
brauner Brustpanzer wies an einigen Stellen frische Blutflecke auf, andere
Bereiche schimmerten hell, wo das Salzwasser dem Leder im Laufe der Zeit
zugesetzt hatte. »Was ist mit den anderen Überlebenden?«
Elek-Mar zuckte die Schultern. »Was schon? Nehmt ihre Kleidung und
Rüstung, dann tötet sie. Wir brauchen nur die Brennsteinmänner lebend.«
Segu-Mar T’os, stellvertretender Schwarmführer der Dornfische, legte die
Hände vor den Mund. »Die Landmänner sollen sich ausziehen. Danach könnt
ihr sie erschlagen.«
Einige der Seeleute Alnoas versuchten nun doch noch, um ihr Leben zu
kämpfen, nachdem sie begriffen hatten, dass es keine Gnade geben würde,
aber sie hatten keine Chance. Während sich in der Mitte des Decks ein Stapel
von Kleidung und Rüstungen bildete, ertönte immer wieder das Klatschen,
mit dem die nackten Körper ermordeter Seeleute ins Meer schlugen.
Elek-Mar stützte seine Hände auf die Einfassung der Brücke, an genau
jener Stelle, an der Halblar dies vor einigen Zehnteltagen getan hatte. Doch
nun war die Hitze des Tages der Kühle der Nacht gewichen, und ein
angenehmer Wind strich über das Meer. Der Führer des Korsarenschwarms
sog die leicht salzige Luft tief ein und hatte den Geschmack von Kupfer auf
der Zunge, als Blutgeruch von der nahen »Aivaar« herübertrieb. Auch dort
stürzten nackte Leiber ins Meer. Elek-Mar nickte zufrieden.
»Diese Landmänner von Alnoa haben wirklich geglaubt, die ›Nar’akk‹ sei
beschädigt. Ihre Gier, das Schiff zu versenken, hat sie blind gemacht.«
»Und unsere weißen Segel haben sie getäuscht«, stimmte Segu-Mar zu.
»Ein wirklicher Seemann hätte sich nicht täuschen lassen«, brummte Elek-
Mar. »Aber diese alnoischen Landmänner sind schon lange keine Seefahrer
mehr. Sie haben es verlernt, Wind und Wellen zu beherrschen.«
»Man kann Wind und Wellen nicht beherrschen«, wandte Segu-Mar ein.
»Wir mögen uns ihrer bedienen, aber niemand beherrscht das Meer.«
Sein Schwarmführer stieß ein leises Grunzen aus. »Ich mag dieses Schiff
nicht. Es stinkt nach Brennstein und hat nicht einmal eine anständige
Besegelung.«
Segu-Mar lachte vergnügt auf. »Es braucht uns nicht zu gefallen. Das
Schiff soll uns ja nur kurze Zeit dienen.«
»Und das wird es auch«, stimmte Elek-Mar zu. Er strich sich unbewusst
über die tiefrote Narbe in seinem Gesicht. »Lass uns ein Wort mit den
Brennsteinmännern wechseln. Ich hoffe, es sind noch genug von ihnen übrig,
um dieses Ding zu fahren.«
Die Korsaren standen lachend auf Deck und musterten die erbeuteten
Kleidungsstücke und Rüstungen der alnoischen Besatzung. »Steht nicht
herum und schwatzt wie die Weiber«, rief Elek-Mar ihnen zu. »Zieht die
Sachen an, damit wir endlich Kurs nehmen können!«
Sein Stellvertreter strich sich über das bärtige Kinn. »Nach Gendaneris?«
»Wohin sonst?« Der Anführer lachte auf. »Natürlich nach Gendaneris. Die
Dornfische werden dort eine Menge Beute machen.«