Читать книгу Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel - Michael Schenk - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеDer Sommer begann sich zu neigen, und die kalten Winde kündeten den
nahen Herbst an. Der Reiter, der aus Richtung der Stadt Eternas kam und
langsam durch die Mark ritt, zog fröstelnd den grünen Umhang der
Pferdelords enger um die Schultern, als ein kräftiger Windstoß Staub
aufwirbelte, der den Mann einhüllte. Die einst kräftige grüne Farbe des
Umhangs war inzwischen ausgeblichen. Der dicke Wollstoff war an einigen
Stellen verschlissen und am unteren Saum stark ausgefranst. Dieses Symbol
der Pferdelords wirkte alt und mitgenommen und schien zu dem Mann, der es
trug, nicht recht passen zu wollen. Ein kurz geschnittener Bart bedeckte die
untere Partie seines Gesichts, und in den folgenden Zehntagen würde er ihn
noch wachsen lassen, denn je dichter er war, desto mehr Schutz bot er vor der
kalten Witterung des Winters.
Der Mann war jung, schlank und hochgewachsen, und die Weise, wie er
im Sattel saß, verriet den geübten Reiter. Er beschränkte sich darauf, seinen
großen braunen Hengst mit sanftem Schenkeldruck zu lenken, und ließ die
Zügel lose über dem Sattelknauf hängen. Rechts am Pferd, dem Schild
gegenüber, hingen eine stoffbezogene Wasserflasche aus Metall und ein
Köcher, dessen Pfeile die blaue Befiederung der Hochmark Garodems
aufwiesen. Den dazugehörenden Bogen hatte der Reiter hinter sich am Sattel
befestigt. Er trug nicht die typische beidseitig geschliffene Klinge eines
Pferdelords, sondern führte das leicht geschwungene Schwert eines elfischen
Kriegers, das zierlich und zerbrechlich wirkte und doch in der Lage war, den
dicken Brustpanzer eines orkschen Rundohrs säuberlich zu durchschneiden.
Griff und Klinge waren mit feinen Ätzungen und Einlegearbeiten verziert,
ebenso wie die metallene Scheide der Waffe. Nein, es war keine Klinge des
Reitervolkes, aber der Mann führte sie mit Stolz, denn sie war das Geschenk
eines Elfen. Der Reiter hatte entscheidend zur Rettung eines elfischen Hauses
beigetragen, und der elfische Stahl war ein Zeichen der Verbundenheit
zwischen seinem Träger und dem elfischen Volk.
Der Reiter hieß Nedeam, und er war, trotz seiner relativ jungen Jahre, einer
der erfahrensten Kämpfer der Pferdelords.
Als junger Knabe hatte er einst mit seinem Vater Balwin und seiner Mutter
Meowyn auf dem elterlichen Gehöft gelebt und Wolltiere gezüchtet. Dann
waren Orks in die Hochmark eingefallen und hatten sie mit Krieg überzogen.
Sein Vater war von ihnen getötet und seine Mutter schwer verletzt worden.
Der Knabe hatte sie in die Stadt Eternas bringen können, wo sie gerettet
wurde und nun als Heilerin lebte. Nedeam war damals ausgezogen, um dem
Pferdefürsten Garodem zu folgen, der seine Pferdelords in die unteren
Marken geführt und nicht geahnt hatte, welche Gefahr Eternas drohte. Eternas
und die Hochmark waren gerettet worden, und Nedeam erhielt trotz seiner
Jugend den grünen Umhang eines Pferdelords. Inzwischen hatte er darin viele
Abenteuer bestanden, gemeinsam mit seinem älteren Freund und Mentor
Dorkemunt, dem er einst in der Nordmark begegnet war und mit dem er seit
vielen Jahreswenden auf Balwins altem Gehöft lebte.
Nedeam war in Eternas gewesen, um in der Stadt einige Dinge des
täglichen Bedarfs einzutauschen. Seitdem er und sein Freund und Gefährte
Dorkemunt nicht nur eine kleine Herde Wolltiere, sondern auch fünfzehn Stück
Hornvieh hielten, konnten sie neben Wolle auch Leder und getrocknete
Fleischstreifen zum Handel anbieten.
Wolle, Fleisch und zwei gegerbte Häute hatten genug eingebracht, um die
Vorräte des Gehöfts für den Winter aufzufüllen. So waren nun nicht nur die
Provianttaschen an Nedeams Hengst Stirnfleck prall gefüllt, auch das
Handpferd, das der junge Pferdelord mit sich führte, war mit Waren bepackt:
Gewürze aus den unteren Marken des Pferdekönigs Reyodem befanden sich
darunter, Mehl, um damit Brot zu backen, getrocknete Früchte, ein neues
Schurmesser und zwei neue Nadeln, dazu feinste Schnur zum Nähen von
Stoff und Leder sowie zwei dicht gewebte Wolldecken. Da Nedeam den
Geschmack der Süßwurzel schätzte, hatte er auch hiervon einen begrenzten
Vorrat erstanden.
Wahrscheinlich würde er erst zur Jahreswende, in der Mitte des Winters,
erneut nach Eternas reiten. Zwar war der Weg nicht besonders weit oder
beschwerlich, aber ein Ritt in die Stadt bedeutete, dass der Freund das Gehöft
allein bewirtschaften musste. Neben dem Schutz der Herden fielen auf einem
Gehöft noch genug andere Arbeiten an. Futter für den Winter musste angelegt
werden, die Gebäude waren auf ihre Festigkeit zu prüfen und gegebenenfalls
auszubessern, ebenso wie die wenigen eingezäunten Bereiche, in denen
Nedeam und Dorkemunt die Tiere bei den schweren Regenstürmen, die
besonders im Herbst über die Hochmark hereinbrachen, zusammenhielten.
Zudem musste das Gehöft sauber gehalten und Mahlzeiten mussten zubereitet
werden. Sattelzeug und Kleidung galt es auszubessern, und noch mancherlei
Dinge mehr waren zu erledigen.
Während sich Nedeam darüber Gedanken machte, beugte er sich
unbewusst im Sattel vor und tätschelte den Hals seines Hengstes. Stirnfleck
kam nun langsam in die Jahre und würde bald nicht mehr als Kriegspferd
taugen. Er hatte schon Nedeams Vater Balwin gedient und war hervorragend
ausgebildet. Im Kampf und bei der Herdenwache war er ein wirklicher
Gefährte, denn er konnte die Rüstung eines Rundohrs mühelos mit den Hufen
zertrümmern und reiterlos ein ausgerissenes Wolltier zur Herde zurücktreiben.
Der große Hengst mit dem weißen Fleck an der Stirn scheute sich auch nicht,
einen störrischen Bullen in die Flanke zu zwicken, und er war noch immer
schnell genug, dem Stoß der Hörner auszuweichen. Aber inzwischen wurde er
rascher müde, und Nedeam gestand sich ein, dass Stirnfleck es sich verdient
hatte, seine letzten Jahreswenden friedvoll zu verbringen. Es würde dem
jungen Pferdelord schwerfallen, sich an ein anderes Pferd zu gewöhnen, und
er vermutete, dass auch der Hengst es nicht gerne sehen würde, wenn Nedeam
den Rücken eines anderen Pferdes bedeckte. Früher oder später würde er sich
ein neues Reittier wählen und es sorgfältig ausbilden müssen, aber er zögerte
diesen Moment immer wieder hinaus.
Der junge Pferdelord folgte den Schluchten und Tälern, die vom nördlich
gelegenen Eternas zum südlichen Pass der Hochmark führten.
Seit der Schlacht um Merdonan, vor über sechs Jahreswenden, herrschte
Frieden in den Marken des Pferdevolkes. Seitdem die Legionen der Orks des
Schwarzen Lords vor den Weißen Sümpfen vernichtend geschlagen worden
waren, hatten sich keine Bestien mehr an den östlichen Grenzen gezeigt.
Im Westen hielten die Clans des Wüstenvolkes einen eher brüchigen
Waffenstillstand, denn ab und zu fielen kleine Gruppen von Jungkriegern in
die Westmark ein, um sich im Kampf zu bewähren und so die Manneswürde
zu erlangen. Aber es waren nur kleine Gefechte mit wenigen Opfern, und so
nahm man die gelegentlichen Störungen hin, denn ein Krieg hätte für beide
Seiten unnötige Opfer bedeutet. Die Überfälle hielten sich auch deshalb in
Grenzen, da sich langsam ein, wenn auch eingeschränkter, Handel zwischen
der Westmark und den Turiks des Wüstenvolkes entwickelte. Die Clans
tauschten dabei das für sie wertvolle Holz und zunehmend auch Metall gegen
ein Sekret ein, das von ihren Sandwühlern erzeugt wurde und bei den Frauen
des Königreiches Alnoa sehr beliebt war. Für das Sandvolk war diese
Ausscheidung zuvor eher ein Ärgernis gewesen, und es amüsierte sie, dass
man den Gestank in Alnoa als Duft handelte.
Im Süden wachten die Truppen des Königreiches Alnoa an den Pässen und
Grenzen, die ins Reich des Schwarzen Lords führten, und auch dort herrschte,
von kleineren Scharmützeln abgesehen, ein Zustand, der einem Frieden
durchaus nahekam.
Aber niemand war so naiv, die Gefahr durch die Legionen der Orks zu
unterschätzen. Schon zweimal hatte der Schwarze Lord versucht, die
menschlichen Reiche zu vernichten. Vor vielen Menschenaltern war ihm das
Erste Bündnis aus Elfen und Menschen entgegengetreten und hatte ihn
bezwungen. Dann, als Nedeam noch ein Knabe gewesen war, hatten die
Legionen es erneut versucht und waren schließlich in der Schlacht vor der
Stadt der weißen Bäume, der Weißen Stadt Alneris, abermals geschlagen
worden. Die Schlacht von Merdonan war die letzte Begegnung mit den Orks
gewesen. Zwar hatte der Schwarze Lord dabei viele Legionen verloren, doch
geschlagen war er deshalb noch nicht. Er leckte seine Wunden und würde
erneut seine Rundohren und Spitzohren in den Schleimbeuteln der Bruthöhlen
heranzüchten. In den Schmieden würden Rüstungen und Waffen entstehen,
und eines Tages würde sich der Feind aufs Neue erheben und die Reiche der
Menschen berennen. Auf diesen Tag bereitete sich das Volk der Pferdelords
vor, ebenso wie seine Verbündeten.
Denn die Menschen waren nicht allein. Sie hatten Freunde.
Etwa die Häuser der Elfen des Waldes und die Häuser der Elfen der See.
Seit vielen Zeitaltern standen sie an der Seite der Menschen, aber es war
ungewiss, wie lange dies noch der Fall sein würde. Das elfische Volk
bereitete sich seit vielen Jahren auf seine geheimnisvolle Reise zu den Neuen
Ufern vor. Kein Mensch vermochte zu sagen, wo diese neue Heimat der Elfen
lag und wann diese Reise stattfinden würde. Aber die Elfen würden gehen
und von der Seite ihrer menschlichen Verbündeten weichen, womit sie eine
schmerzliche Lücke hinterlassen würden, denn die unsterblichen Wesen
waren überragende Kämpfer.
Doch das Pferdevolk hatte noch andere Verbündete gefunden, die
vielleicht nicht so elegant wie das elfische Volk auftraten, aber in ihrer rauen
Herzlichkeit dem Reitervolk entsprachen und zudem effektive Krieger waren.
Das Volk der Zwerge lebte in seinen unterirdischen Kristallstädten in den
Herzen der großen Gebirge, und auch wenn von den sieben Städten nur noch
vier geblieben waren, so bildete das kleine Volk doch eine beachtliche Macht.
Nedeam hatte keinen Zweifel, dass die kleinen Herren mit den langen
Bartzöpfen treu an der Seite der Menschen stehen würden, wenn sich,
irgendwann, die Finsternis im Osten erneut regte.
So sicher, wie der Schwarze Lord und seine Legionen von Orks im Osten
wieder erstarkten, so unbezweifelbar erholten sich auch die westlichen Reiche
der Menschen und Zwerge von den vielen vergangenen Kämpfen. Eine
höhere Macht schien es zu fügen, dass der Kinderreichtum die Lücken wieder
zu füllen begann, welche die Schlachten gerissen hatten. Auch in der
Hochmark machte sich dies bemerkbar.
Stetig nach Süden reitend, erreichte Nedeam schließlich den
Hammergrund, einen Weiler, den man erst vor zwei Jahreswenden gegründet
hatte. Er lag auf halbem Wege zwischen Horngrundweiler und Balwins
Gehöft und war ein Zeichen für das Wachstum der Bevölkerung, aber auch
für den Wandel der Hochmark, denn der wesentliche Grund für seine
Errichtung war Gold gewesen.
In unmittelbarer Nähe zum Weiler lagen überaus reiche Vorkommen des
Metalls, das die Männer und Frauen zutage förderten. Für sie selbst hatte es
nur einen begrenzten Nutzen, denn es ließ sich nicht zu Waffen oder
Rüstungen schmieden, und man konnte es ja auch nicht essen. Aber die
Händler des Königreiches von Alnoa boten gute Ware für den wertlosen
Tand. Der König in Alneris ließ aus dem weichen Metall kleine Scheiben
gießen, in die sein Siegel gehämmert wurde. Der wuchtige Schlag verformte
die Scheiben zu kleinen Schüsselchen, die im Königreich der weißen Bäume
als Zahlungsmittel dienten. Daher stieg dort der Bedarf an Gold stetig an, und
so lohnte es sich für den Hammergrundweiler, mit dem eigentlich wertlosen
Metall zu handeln.
Der Weiler war noch relativ klein und bestand nur aus einem einzelnen,
um den zentralen Versammlungsplatz gruppierten Ring von Häusern, aber
Nedeam erkannte einige neue Gebäude, die bald einen zweiten Ring bilden
würden. Der Weiler wuchs, und das war auch ein Zeichen für das Erstarken
der Mark.
Nedeam lenkte seinen Hengst Stirnfleck über die staubige Straße, die
Eternas mit dem Südpass verband, und führte ihn zwischen die ersten Häuser
des Weilers, wobei er einigen Bewohnern zunickte, die ihrem Tagwerk
nachgingen. Hinter einer jungen Frau drängten drei kleine Kinder hervor, die
den Reiter neugierig anstarrten.
»Ein weiter Weg von Eternas in den Hammergrund, guter Herr«, sagte sie
freundlich.
Nedeam verharrte auf seinem Stirnfleck und stützte die Hände auf das
Sattelhorn. »Nein, gute Frau, ich bin auf dem Weg nach Hause, zu Balwins
Gehöft.«
»Oh, zum guten Herrn Dorkemunt.« Sie lachte auf. »Dann müsst Ihr
Nedeam sein. Verzeiht, aber wir sind erst vor wenigen Tageswenden aus der
Königsmark heraufgekommen.«
»Dann war Euer Weg ein wenig weiter als der meine.« Nedeam beugte
sich zur Seite und öffnete seine Provianttasche, die hinter ihm am Sattel hing.
Er suchte kurz darin und zog dann ein großes Stück Süßwurzel hervor, das er
den Kindern reichte. »Teilt es gerecht, wie es sich für Pferdelords gebührt«,
sagte er lachend, als die kleinen Hände nach der begehrten Wurzel griffen.
Eigentlich besaß er nur wenig von der Süßigkeit, aber er konnte dem
schmachtenden Blick der Kinder nichts entgegensetzen. Erneut sah er die
Frau an. »Was hat Euch aus der Königsmark hierher geführt?«
»Mein Gemahl ist Hofschmied in Enderonas. Unser König Reyodem
braucht Gold. Viel Gold, wie mein braver Hartwin sagt, und so soll mein
guter Mann sehen, ob es hier genug davon gibt.«
Nedeam lachte schallend auf, und als er das Gesicht der jungen Frau sah,
machte er eine entschuldigende Geste. »Seht es mir nach, gute Frau, ich lache
nicht über Euch. Aber ich frage mich, was unser guter König Reyodem mit so
viel nutzlosem Weichmetall anfangen kann. Will er die Dächer von
Enderonas gegen Regen schützen?«
»Das vermag ich nicht zu sagen.« Die Frau sah drohend zu ihrem ältesten
Kind, das die Verteilung der Süßwurzel übernommen hatte und dabei ein
recht eigenwilliges Verständnis von Gerechtigkeit zeigte. »Aber mein guter
Hartwin sagt, ein Bote des Königs Reyodem sei zum Hohen Lord Garodem
unterwegs, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen.«
Nedeam richtete sich überrascht im Sattel auf. »Ein Bote Reyodems?«,
murmelte er dann. Er konnte kaum glauben, dass der König des Pferdevolkes
mit dem Pferdefürsten wegen einer solchen Nichtigkeit wie Gold verhandeln
wollte.
»Er wird wohl erst in einigen Tageswenden eintreffen.« Die Frau zuckte
die Schultern. »Ich weiß es ja auch nur deshalb, weil man Hartwin, meinem
guten Mann, sagte, der Bote wolle erst mit ihm sprechen, bevor er zum Hohen
Lord Garodem weiterreite.«
Nedeam räusperte sich und verschloss die Provianttasche wieder. »Nun, er
wird sicher zufrieden sein. Gold findet man hier am Hammergrundweiler
reichlich. Ich wollte nur, es wäre etwas Nützlicheres, wie etwa Holz. Daran
mangelt es uns noch immer, und wir müssen es aus den anderen Marken
einführen. Aus Holz lassen sich wenigstens Pfeilschäfte und Lanzen
machen.«
Die Frau lachte fröhlich. »Ihr denkt wie ein Pferdelord, guter Herr.«
»Nun, das bin ich auch.« Nedeam nickte ihr und den Kindern zu, ließ
seinem Pferd die Zügel und ritt dann zwischen den Gebäuden hindurch auf
den zentralen Weilerplatz.
Für einen kurzen Augenblick drang ihm der schwache Geruch von Urin in
die Nase, als er an einem Stapel gegerbter Häute vorüberkam. Zwei Männer
saßen vor einem Haus und glätteten die Schäfte für neue Pfeile. Sie erkannten
Nedeam und winkten ihn zu sich.
»Ihr seid auf dem Ritt zu Dorkemunt, guter Herr? Mein Weib hat ein paar
neue Lederriemen für ihn gefertigt, und Ihr könnt sie ihm gleich mitnehmen.
Aber nun steigt erst einmal ab und erfrischt Euch ein wenig, während ich sie
hole.«
Nedeam saß ab und gab Stirnfleck die Zügel frei. Einer der Männer erhob
sich und verschwand im Haus, während der andere die Schäfte zur Seite legte
und Nedeam einen Krug mit frischem Wasser reichte. Der junge Pferdelord
spülte den Mund, spuckte aus und trank dann dankbar. Aus den
Augenwinkeln sah er seinen Hengst, der an der Tränke neben dem Haus
durstig soff.
»Es sind wenige Männer und Frauen im Weiler.« Nedeam wies über den
Platz.
Der Mann nickte. »Sind alle am Graben.« Er spuckte auf den Boden. »Man
kommt sich schon vor wie einer der guten Herren Zwerge. Als gäbe es nichts
Sinnvolleres, als nach diesem Gold zu buddeln. Vor einem Zehntag war ich in
Eternas, in Malvins Schenke. Einer der Gäste meinte, wir sollten unseren
schönen Hammergrundweiler doch gleich Goldgrundweiler nennen. Ich
wollte dem vorlauten Burschen für diese Beleidigung schon seine Zähne in
den Rachen drücken, aber eine blonde Frau hat mir dann die Arbeit
abgenommen.«
»Esyne«, brummte Nedeam lakonisch.
Der Mann kratzte sich im Nacken. »Ja, so heißt sie wohl. Sehr hübsch und
ausgesprochen schlagfertig.«
»Sie macht noch immer die besten Schuhe und Stiefel in Eternas.«
Nedeam blickte auf seine eigenen Stiefel. »Meine wurden ebenfalls von ihr
gefertigt. Sie versteht sich wahrhaftig auf feine Lederarbeiten. Aber sie ist
nicht gerade ein umgängliches Weib.«
Der Bewohner des Hammergrundweilers lachte leise. Dann nahm er den
Krug von Nedeam zurück und wies zu einem flachen Hügel, der sich westlich
des Weilers erhob. »Die meisten von uns sind dort drüben und scharren in der
Erde wie eine wilde Horde Kratzläufer. Wir haben schon viel von dem Gold
aus der Erde geholt, und unsere Schmiede bereiten nun seine Formung vor.«
»Seine Formung?«
»Ja, das Zeug soll in Platten gegossen werden. Der gute Herr Hartwin aus
der Königsmark hat uns das Maß genannt.« Der Mann seufzte leise. »Wir
sollten unsere Zeit nicht mit dem Gold vergeuden. Mir wäre es lieber, wir
würden anständiges Hornvieh oder Wolltiere züchten. Ein Mann des
Pferdevolkes gehört auf den Rücken eines Pferdes und nicht in ein Loch, das
er in die Erde gräbt.«
»Hör auf zu jammern.« Der andere Mann trat wieder aus dem Haus, eine
Reihe von ledernen Riemen und Gurten über dem Arm drapiert. »Immerhin
bekommen wir gute Waren für das Zeug. Der gute König Reyodem wird
schon wissen, wofür er es braucht.«
Nedeam nickte. »Ich habe in Eternas gehört, die Stadt des Königs wachse
zusehends. Vielleicht will man dort ebensolche Rohre in den Boden legen wie
bei uns, damit der Unrat nicht über die Straßen sickert, sondern unter ihnen
entlangfließt.«
»Ja, dafür mag das Zeug etwas taugen.« Der Mann, der Nedeam den Krug
gereicht hatte, setzte sich wieder und nahm erneut die Pfeilschäfte auf. »Es
rostet nicht und lässt sich leicht bearbeiten.«
»Auf ein Wort, guter Herr Nedeam.« Der andere reichte dem jungen
Pferdelord die Riemen und Gurte und trat dabei ein wenig näher. »Es geht
mich vielleicht nichts an, aber ich mache mir so meine Gedanken um den
guten Herrn Dorkemunt.«
Nedeam schob die Lederwaren in ein Bündel und schnürte es am Sattel
fest. »So? Was für Gedanken?«
»Nun, ich weiß, dem guten Herrn Dorkemunt wird es nicht recht sein,
wenn ich Euch darauf anspreche …« Der Mann zögerte einen Augenblick,
bevor er fortfuhr. »Ich glaube, es fällt ihm zunehmend schwer, die Arbeit auf
dem Gehöft zu verrichten, guter Herr.«
Nedeam runzelte die Stirn. »Was sollte ihm daran schwerfallen? Wir sind
die Arbeit gewohnt, sie ist unser Leben.«
»Ja, da habt Ihr sicherlich recht.« Der Mann strich sich über das Kinn.
»Aber Ihr seid auch noch jung. Der gute Herr Dorkemunt hingegen … Seine
Schläfen werden langsam hell, und sein Rücken beugt sich, Ihr versteht?«
Nedeam begriff. Sollte der Freund tatsächlich alt geworden sein? Zu alt,
um den Rücken eines Pferdes zu bedecken und in den Kampf zu ziehen, Seite
an Seite mit Nedeam? Für den jungen Pferdelord war dieser Gedanke
unvorstellbar. Andererseits musste er nur an seinen Hengst Stirnfleck denken,
dem das Kriegshandwerk allmählich zu beschwerlich wurde. Dass dies auch
für Dorkemunt gelten könnte, daran hatte Nedeam nie gedacht. Bei den
Worten des Hammergrundbewohners erinnerte er sich an manche Situation,
bei der die Bewegungen seines kleinwüchsigen Freundes die Geschmeidigkeit
früherer Tage hatten vermissen lassen, und manchmal, wenn Dorkemunt sich
unbeobachtet fühlte, langte er sich ächzend an seinen Rücken. Sollten all dies
Anzeichen des Alters sein? Nedeam hatte sie nie als solche aufgefasst.
Vielleicht, weil er Tageswende um Tageswende mit Dorkemunt verbrachte.
Der Mann sah Nedeams besorgten Gesichtsausdruck und räusperte sich
verlegen. »Bitte seht mir meine Worte nach, guter Herr Nedeam. Ich bin
sicher, der gute Herr Dorkemunt wird den Rücken seines Wallachs noch
lange bedecken.«
»Sicher wird er das«, stimmte Nedeam eher halbherzig zu. Doch die gut
gemeinten Worte des Mannes hatten ihn mehr beunruhigt, als er sich
eingestehen wollte.
Der junge Pferdelord verabschiedete sich von den Männern und saß auf. In
langsamem Trab ritt er aus dem Weiler heraus, weiter Richtung Süden, bis er
den Zugang des Südpasses mit dem aufragenden Turm des Signalfeuers
erkannte, der Bestandteil einer Kette von Feuern war, welche die Marken
untereinander verband und bei Gefahr entzündet wurde, um die Pferdelords
zu den Waffen zu rufen. Ein Stück vor dem Pass öffnete sich der breite
Taleinschnitt nach Westen und führte zu Halfars und Balwins Gehöft.
Die Worte des Mannes hatten Nedeam derart beunruhigt, dass er Stirnfleck
zum Galopp antrieb. Der brave Hengst schnaubte erfreut, als Nedeam ihm die
Zügel freigab. Der Pferdelord warf einen kurzen Blick zurück, um
sicherzugehen, dass das Handpferd folgte, und beugte sich dann vor, um dem
Wind weniger Widerstand zu bieten. Er genoss den raschen Ritt, bei dem der
Reitwind seinen zerschlissenen Umhang hinter ihm auswehen ließ. Vor ihm
tauchte nun das kleine Seitental auf, und Nedeam spürte eine wohlige Wärme
in sich aufkommen, als er das Gehöft erkannte und die unverwechselbare
Gestalt des Freundes, der gerade aus dem Wohnhaus trat.
Überrascht registrierte Nedeam ein gesatteltes Pferd, das neben dem
Gehöft graste. Die tiefschwarze Stute kam ihm bekannt vor, und wie zur
Bestätigung trat nun ein stämmiger Mann neben Dorkemunt, der den
kleinwüchsigen Pferdelord mit der kräftigen Statur deutlich überragte. Der
Mann trug weder Helm noch Umhang und hatte Wams und Hemd geöffnet.
Als Nedeam näher ritt, sah er die rötliche Narbe an der Brust des Besuchers,
aber er hätte ihn auch ohne dieses Zeichen erkannt.
»Scharführer Kormund, guter Herr, es ist eine Freude, Euch zu sehen«,
grüßte Nedeam herzlich und schwang sich aus dem Sattel. Er sah Dorkemunt
an. »Ich habe die Ledersachen aus dem Hammergrund mitgebracht und
Vorräte für den Winter.«
»Und sicherlich auch Süßwurzel«, erwiderte Dorkemunt mit breitem
Grinsen. Er schlug Nedeam freundschaftlich an den Arm. »Versorge
Stirnfleck, und dann lass uns ein paar Worte mit unserem Freund Kormund
reden.«
Nedeam ließ seinen Hengst an die Tränke und kümmerte sich zunächst um
das Handpferd; er nahm ihm die Lasten ab und löste die Gurte, um es
anschließend abzusatteln.
Kormund, Schwertmann der ständigen Wache des Pferdefürsten Garodem
und als Scharführer der Kommandeur eines Beritts, lehnte sich leicht gegen
die massige Steinwand des Hauses und kratzte sich unbewusst an der Narbe.
Vor etlichen Jahreswenden, als die Orks Eternas berannten, hatte er eine
Pfeilwunde in der Brust erlitten und sie mit viel Glück und dank seiner
robusten Natur überlebt. Gelegentlich schmerzte das vernarbte Gewebe und
behinderte Kormund in der Führung seines Schwertes, aber der Scharführer
ließ sich dies niemals anmerken und unterdrückte den Schmerz.
Die unbewusste Geste ließ Nedeam einen Blick zu Dorkemunt werfen. Ja,
die Schläfen des Freundes waren hell geworden, und er hielt sich nicht mehr
so gerade wie noch zu der Zeit, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
Merkwürdig, dass ihm das zuvor nicht aufgefallen war.
Der junge Pferdelord stellte die Packlasten ans Haus, legte den Sattel dazu
und gab das Handpferd frei. Es war gut genug ausgebildet, um sich nicht zu
entfernen, und so soff es an der Tränke und begann dann zu grasen.
»Hat der Besuch unseres Freundes Kormund einen besonderen Grund?«
Nedeam nahm Waffen und Lasten von Stirnfleck, um ihn dann ebenfalls
abzusatteln. »Immerhin ist der Weg von Eternas für eine einfache Plauderei
recht weit.«
»Ein Weg, der zu Freunden führt, ist niemals weit«, erwiderte Kormund
lächelnd. »Aber du hast recht, Nedeam. Sosehr ich es auch schätze, mit dir
und Dorkemunt über vergangene Taten zu reden, so gibt es doch einen
bestimmten Grund, der mich zu euch führt.«
»Einen guten Grund, wie mir scheinen will.« Dorkemunt nahm einige der
Packen auf und trug sie ins Haus.
Nedeam und Kormund folgten mit dem Rest. Sie stellten die Sachen neben
die Waffentruhe an der Tür und setzten sich dann an den massigen Tisch, auf
dem noch die Reste eines Mahls standen. Nedeam nahm sich Brot und Käse
und sah die beiden an.
»Nun, was gibt es zu bereden?«, fragte er und kaute dabei genüsslich.
Kormund strich abermals über die Narbe an seiner Brust. Instinktiv spürte
Nedeam, dass der Besuch des Scharführers, zumindest indirekt, mit der alten
Wunde zusammenhing. Der Scharführer räusperte sich und suchte nach den
rechten Worten.
»Nun, Nedeam, mein Freund, unsere Mark lebt jetzt schon einige
Jahreswenden in Frieden, und sie entwickelt sich prachtvoll. Die Herden
wachsen, und junge Männer und Frauen füllen die Lücken, die so manche
Schlacht gerissen hat.« Kormund räusperte sich erneut. »Aus Knaben werden
junge Männer und Pferdelords.«
»Der Horngrundweiler stellt nun seinen vierten Beritt auf«, fügte
Dorkemunt mit seltsam eindringlicher Stimme hinzu. »Vierhundert Lanzen
bringt er mittlerweile in den Sattel.«
»Ja, ich weiß«, brummte Nedeam verwirrt. »Und im Hammergrund wird
nach Gold gegraben, auch das ist mir bekannt.«
Kormund errötete ein wenig, da er Nedeams Anspielung verstanden hatte.
»Nun, Nedeam, mein Freund, aus Knaben werden Männer und Pferdelords
…«
»Ich glaube, das erwähntest du bereits.«
»Hm.« Der Scharführer stieß ein leises Brummen aus. »Also schön,
Nedeam, ich will den Reiter in den Sattel heben. So, wie aus Knaben junge
Männer werden, so werden aus jungen Männern alte Männer. Du verstehst?«
Nedeam sah unwillkürlich zu Dorkemunt, der nun ebenfalls errötete.
»Ich kann mein Pferd wohl noch bedecken und meine Axt noch
schwingen«, knurrte der kleinwüchsige Pferdelord heiser. »Und ich kann es
noch immer mit jeder verfluchten Bestie aufnehmen, die sich mir in den Weg
stellt.«
Kormund nickte. »Das kannst du, Dorkemunt, mein Freund, ganz gewiss.«
Nedeam schob Brot und Käse zur Seite und nahm einen Becher mit
Wasser. »Eure Worte bleiben ein wenig dunkel.«
»Schön, du willst wissen, worum es geht, und das ist dein gutes Recht.«
Kormund legte seine Hand flach auf jene tiefe Kerbe in der Tischplatte, in die
einst Balwins Schwertklinge gehackt hatte, um seinen Worten Nachdruck zu
verleihen. »Nedeam, mein Freund, du bist trotz deines jungen Alters einer der
erfahrensten und besten Pferdelords, die ich kenne.«
Dorkemunt nickte zu den Worten des Scharführers, und Nedeam sah die
Gefährten so mancher Kämpfe mit verengten Augen an.
»Die Mark braucht erfahrene Pferdelords, Nedeam.« Dorkemunt lächelte
sanft. »Wir alle wissen, dass der Schwarze Lord nicht endgültig bezwungen
ist. Er wird erneut sein Haupt erheben und das Land mit den Legionen seiner
Orks überziehen.«
Kormund nickte. »Dann brauchen wir Männer, die der Losung folgen.«
»Das werde ich tun«, brummte Nedeam, »oder zweifelt ihr daran?«
»Und wir brauchen Männer, welche die Pferdelords in den Kampf führen.«
Die Worte Kormunds waren unmissverständlich, und Nedeam starrte die
beiden Kämpfer sprachlos an.
»Du hast noch etwas Käse zwischen den Zähnen«, stellte Dorkemunt
lakonisch fest. »Schließ erst einmal den Mund und schlucke ihn hinunter.«
Die raue Herzlichkeit von Dorkemunts Worten verschaffte Nedeam die
Zeit, die er benötigte, um die Fassung wiederzuerlangen. »Ich soll
Scharführer werden?« Er schüttelte den Kopf. »Ich stamme von Balwins
Gehöft und nicht aus einem großen Weiler, der einen Beritt stellen kann. Mir
steht kein eigener Wimpel zu, vielmehr schließe ich mich einem Wimpel an.«
Kormund schüttelte nun ebenfalls den Kopf und sah Nedeam seltsam
mitfühlend an. »Nein, Nedeam, mein Freund. Du sollst nicht Scharführer
werden, sondern dich zu den Schwertmännern Garodems melden und den
Wimpel eines seiner Beritte führen.«
»Ihr seid verrückt«, stieß Nedeam instinktiv hervor.
»Du bist verrückt, wenn du es nicht tust.« Dorkemunt legte seine Hände
flach auf den Tisch, aber Nedeam erkannte, dass sie unmerklich zitterten. Der
alte Pferdelord war sichtlich aufgewühlt, als er den jüngeren Freund nun
eindringlich ansah. »Nedeam, du bist mir nicht nur ein Freund, das weißt du,
ich habe dich an Sohnes statt in mein Herz genommen. Bevor du gekommen
bist, habe ich manches Wort mit unserem Freund Kormund gewechselt. Hör
mir jetzt gut zu, denn was ich sage, ist wahr, und es ist zu deinem Besten und
zum Besten der Hochmark.«
Nedeam sah, wie Kormund unwillkürlich nickte, während Dorkemunt
fortfuhr.
»Auch wenn es mir schwerfällt, es einzugestehen, ich bin nun reich an
Jahreswenden, Nedeam, mein Sohn. Ich schaffe es noch, meinen braven
Wallach zu besteigen und meine Axt zu führen, aber die Zeit ist absehbar,
dass ich zu alt und kraftlos sein werde, um in die Schlacht zu reiten.«
»Unsinn«, stieß Nedeam hervor und zuckte zusammen, als Dorkemunt
wütend mit der flachen Hand auf den Tisch schlug.
»Sei kein Narr, Nedeam, denn ich bin es auch nicht. Es ist der Lauf der
Welt, und es hat keinen Sinn, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.
Die Zeit der alten Krieger verstreicht. Kormund, unser guter Freund und
Kampfgefährte hier, spürt es in den Knochen. Garodem, unser Hoher Lord,
kann nur noch unter Schmerzen in den Sattel steigen, und auch Tasmund,
unser Erster Schwertmann, leidet unter den Narben, die er im Kampf erlitten
hat. Wir alle werden alt, Nedeam, mein Sohn, und wir brauchen nun Männer,
jüngere Männer, die für uns in den Sattel steigen und in die Schlacht ziehen.«
Scharführer Kormund seufzte leise. »Noch sind wir nicht zu alt, Nedeam,
mein Freund. Noch können wir Lanze und Schild des Pferdevolkes sein und
können an deiner Seite in die Schlacht reiten.«
»Aber bald werden andere an unserer Stelle reiten müssen, wenn die
Losung gegeben wird.« Dorkemunt erhob sich ruckartig, und der Schemel,
auf dem er gesessen hatte, stürzte polternd um. Der kleinwüchsige Pferdelord
wies zu der Waffentruhe neben der Tür. »Wer soll den Menschen des
Pferdevolkes Schild und Lanze bieten, wenn Männer wie Garodem, Tasmund
oder Kormund nicht mehr reiten? Wer, Nedeam, mein Sohn?« Dorkemunt
atmete tief durch. »Wahrhaftig, Nedeam, wenn ich dereinst zu den Goldenen
Wolken reite, und es möge ein ruhmreicher Ritt sein, dann will ich sicher
sein, dass man auch künftig unsere Legenden besingt. Und du, Nedeam, bist
der richtige Pferdelord, um das zu gewährleisten.«
»Du hast dich in vielen Kämpfen bewährt, Nedeam«, übernahm Kormund.
»Du hast Freunde im elfischen Volk und bei den Herren Zwergen. Keiner
wäre besser geeignet, das Banner zu führen, als du.«
»Wovon redet ihr?« Nedeam erblasste.
»Du wirst ein Schwertmann Garodems werden«, sagte Dorkemunt
entschlossen. »Du wirst lernen, einen Beritt zu führen, denn ich kann mir
keinen besseren Kämpfer vorstellen. Wenn du das beherrschst, was zweifellos
bald der Fall sein wird, dann wird der Hohe Herr Tasmund dich in die
Pflichten eines Ersten Schwertmanns einführen.«
»Ihr seid übergeschnappt.« Nedeam war fassungslos.
»Ich glaube, das erwähntest du schon.« Dorkemunt lächelte kaum
merklich.
»Ihr seid völlig verrückt«, wiederholte Nedeam leichenblass. »Ich bin ein
einfacher Pferdelord und folge der Losung. Aber ich bin kein Hoher Herr und
…«
»Der Hohe Herr Tasmund hat es selber vorgeschlagen«, unterbrach ihn
Kormund. »Garodem hat vor drei Tageswenden die Führer der Beritte seiner
Schwertmänner versammelt und sich mit ihnen besprochen. Der Beschluss
war einstimmig.«
»Deine Zukunft, Nedeam, mein Sohn, liegt nicht auf diesem Gehöft.«
Dorkemunts Blick war beschwörend. »Deine Bestimmung ist es, eines Tages
die Pferdelords in den Kampf zu führen. Auf Garodems Geheiß und unter
seinem Banner.«
Kormund erhob sich und trat neben seinen kleinwüchsigen Freund. »Du
musst das Banner aufnehmen, Nedeam. Erst den Wimpel eines Beritts und
dann das Banner der Hochmark.«
»Garodems Sohn Garwin ist noch nicht so weit«, drang Dorkemunts
Stimme an Nedeams Ohr. »Eines Tages wird er Pferdefürst der Hochmark
sein, aber er ist nicht der Mann, um die Pferdelords in die Schlacht zu führen.
Noch nicht.«
Nedeam nahm die Kritik kaum wahr, die in diesen Worten mitschwang.
Was seine älteren Freunde da sagten, überwältigte und verwirrte ihn. Das
Angebot, das man ihm machte, bedeutete eine riesige Chance für einen
Kämpfer, aber auch eine gewaltige Verantwortung. Nedeam scheute sich vor
keinem Kampf, aber es war ein gewaltiger Unterschied, in der Schlacht nur
für sich selbst und den Nebenmann Verantwortung zu tragen oder als
Kommandeur über den Ausgang des Kampfes zu entscheiden.
»Ich … ich weiß nicht, ob ich es kann«, murmelte er betroffen und
verstummte dann vollends.
Kormund beugte sich vor und legte Nedeam die Hand auf die Schulter. »Es
ist deine Entscheidung, Nedeam, mein Freund. Niemand wird dich zwingen.
Niemand wird dich verurteilen, wenn du die Verantwortung nicht
übernehmen willst. Aber alle werden es begrüßen, wenn du das Angebot
Garodems annimmst. Und es würde uns mit Stolz erfüllen, dir in den Kampf
zu folgen.«
»Selbst unser nörglerischer Freund Mortwin ist dafür«, fügte Dorkemunt
hinzu, und die Worte nahmen Nedeam etwas von seiner Beklemmung.
Dann straffte sich Kormund. »Was es zu sagen gab, ist nun gesagt. Ich
werde zurück nach Eternas reiten. Du, Nedeam, wirst morgen folgen und dem
Hohen Lord Garodem deine Entscheidung mitteilen.« Der alte Scharführer
schloss Hemd und Wams und lächelte die beiden anderen Pferdelords an.
»Und wie immer deine Entscheidung ausfallen mag, Nedeam, ich weiß, sie
wird ehrbar sein.«
Kormund nickte ihnen nochmals zu und verließ dann das Haus.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sah Nedeam seinen Freund
Dorkemunt hilflos an. »Was soll ich tun, Dorkemunt? Wie soll ich mich
entscheiden?«
Sein alter Freund zuckte die Schultern. »Ich vermag in der Schlacht an
deiner Seite zu stehen, Nedeam, mein Sohn. Doch diese Entscheidung kann
dir niemand abnehmen.«