Читать книгу Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel - Michael Schenk - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеAls Garodem einst die Königsmark verließ, um hier im Gebirge die
Hochmark zu gründen, da verfügte er über nicht mehr als fünfzig
Schwertmänner, und sein gesamtes Gefolge hatte aus nur wenigen Hundert
Seelen bestanden. Als er das fruchtbare Tal von Eternas fand, wurde ihm
sofort klar, dass hier der richtige Ort für die neue Heimat war. Mit den
Traditionen des Pferdevolkes fest verwurzelt und sich der ständigen Gefahren
von außen bewusst, hatte Garodem dafür gesorgt, dass man zunächst die Burg
von Eternas erbaute. Sie sollte den Bewohnern der Hochmark Schutz und
Zuflucht bieten, wenn ein Gegner sie bedrohte. Schon damals war Garodem
davon ausgegangen, dass die Mark sich entwickeln würde, und so hatte er
Festung und Stadt großzügig geplant. Doch seine Voraussicht wurde
inzwischen von der Entwicklung überholt. Immer mehr Menschen
bevölkerten die Mark, und ihr Bedarf an Nahrung, Raum und Schutz wuchs
beständig.
Der Pferdefürst der Hochmark musste überrascht erkennen, dass die gute
Entwicklung einer Mark auch zu einem Problem werden konnte. Dies war der
Grund, warum er an diesem späten Vormittag mit seiner Gemahlin Larwyn
auf die Plattform des Signalturms der Burg Eternas stieg. Der Schwertmann
der Wache salutierte ehrerbietig, und als Larwyn ihm zunickte, verließ der
Mann schweigend den Turm, um das Paar allein zu lassen.
Garodem, Pferdefürst und unumschränkter Herr der Hochmark, war von
stattlicher Gestalt. Obwohl nur mittelgroß, war er trotz seines gesetzten Alters
muskulös und strahlte Kraft aus. Sein Haar waren inzwischen ergraut, und an
den Schläfen und in dem kurzen Bart zeigten sich weiße Strähnen, was der
Pferdefürst mit zwiespältigen Gefühlen registrierte. Sein Gesicht war von
Wind und Wetter gegerbt und wies jene Falten auf, die ein reifes Alter und
einen reichen Schatz an Erfahrungen verrieten. Der Pferdefürst trug einen
losen Überwurf über seinem Wams und den Beinkleidern, und kein Schmuck
oder Zierrat deutete auf seinen hohen Rang hin.
Er trat an die steinerne Brüstung der Plattform, legte die Hände auf die
Steine und spürte, wie seine Gemahlin Larwyn neben ihn trat und ihre Hand
sanft über die seine legte.
Noch immer war sie eine Schönheit, und Garodem fragte sich, warum das
Alter an manchen Menschen so spurlos vorüberzugehen schien. Sie war noch
immer schlank und dabei fraulich. Und trotz der Linien, die sich kaum
merklich in ihrem Gesicht zu zeigen begannen, strahlte Larwyn etwas
mädchenhaft Unschuldiges aus, das ihren Gemahl immer wieder aufs Neue
faszinierte. Sie war weitaus jünger als er selbst, und ihr langes Haar fiel weit
über ihren Rücken und schimmerte in einem makellosen Goldton. Sie trug ein
schlichtes weißes Kleid, das ihren Körper lose umspielte, und um ihre Taille
hatte sie einen grünen Gürtel gelegt, der mit einer Spange in der Form des
Symbols des Pferdevolkes verschlossen war. Dieses Symbol wiederholte sich
auch in dem zarten Stirnreif, den sie in ihr Haar geschoben hatte.
Garodem wies mit der freien Hand in Richtung Stadt. »Unsere Hochmark
wächst und gedeiht. Weitaus besser, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.
Der Kampf gegen die Orks des Schwarzen Lords scheint längst vergessen,
obwohl wir erst vor wenigen Jahreswenden vor Merdonan kämpften. Aber die
Wunden sind offenbar verheilt, und die Lücken, die der Feind uns riss, sind
geschlossen. All das geschah in so unglaublich kurzer Zeit.«
Larwyn lachte leise auf. »Vermisst du die Schlacht? Vermisst du den
Klang der Hörner und den Anblick der Beritte, die deinem Banner in die
Schlacht folgen?«
Garodem blickte unwillkürlich zu dem auf der Plattform gestapelten Holz
mit dem Fett und dem Brennstein hinüber, die bereitlagen, um das Feuer
jederzeit zu entzünden, wenn Gefahr drohte. »Meine Zeit als Krieger ist
vorbei. Ich habe es in Merdonan gespürt. In jedem einzelnen meiner
Knochen.«
Larwyns Hand umschloss die seine. »Für dich gewinnt nun die Weisheit
mehr Bedeutung als das Führen deiner Klinge.«
Er gab ein leises Schnauben von sich, wie ein Wildpferd, dem man zum
ersten Mal Sattel und Zaumzeug anzulegen versuchte. »Aus deinen Worten
klingt die Liebe einer Gemahlin, Larwyn, und dafür danke ich dir. Aber mein
Rücken spricht klarere Worte.« Garodem erwiderte zärtlich den Druck ihrer
Finger. »Merdonan war wohl meine letzte große Schlacht, meine Liebe. Mir
fehlen die Schnelligkeit und Stärke der vergangenen Jahreswenden. Oh, mein
Wille ist stark wie zuvor, Larwyn, aber ich beginne in der Nacht die weiche
Bettstatt zu schätzen. Als ich vor drei Zehntagen den neuen Weiler besuchte
und eine Nacht mit den Männern im Freien verbrachte, da fand ich kaum
Schlaf, so sehr schmerzten mir die Glieder. Wahrhaftig, Larwyn, für einen
Moment empfand ich am Morgen Neid auf die anderen, die sich um mich
herum mit Leichtigkeit erhoben.«
»Garwin, dein Sohn, wird dein Banner bald führen können.«
Garodem sah auf das große Feld hinunter, das sich westlich von der Burg
Eternas erstreckte. Seit Gründung der Hochmark diente es ihren Pferdelords
in doppelter Weise: für die Übung ihrer Wehrfähigkeit und für die Heerschau,
wenn sie sich unter dem Banner Garodems für die Schlacht sammelten. Auch
jetzt war dort Bewegung, und von der hohen Warte des Signalturms aus
konnten Garodem und Larwyn Männer mit den Rosshaarschweifen der
Wache erkennen. Sie ritten zum Klang der Signalhörner und Kommandos
ihrer Scharführer über den Platz. Auch Garwin, ihr Sohn, befand sich unter
den Reitern.
Garodems Miene war schwer zu deuten, und Larwyn spürte die Zweifel in
seiner Stimme, als er ihr endlich antwortete. »Ja, vielleicht wird Garwin mein
Banner bald in die Schlacht führen können.«
Sie beide liebten ihren Sohn und empfanden Stolz beim Anblick des
jugendlichen Reiters, der in den Reihen eines Beritts übte. Dennoch spürte
Larwyn instinktiv, dass der Anblick des Sohnes widerstreitende Gefühle in
ihrem Gemahl weckte. Obwohl Garodem in seinem Leben vor keinem Kampf
zurückgeschreckt war, scheute er sich in diesem Fall, seine Sorgen mit ihr zu
teilen.
»Du zweifelst an Garwin, nicht wahr?«
Garodem beobachtete die Männer auf dem Feld und schien nach den
richtigen Worten zu suchen. »Er ist ein hervorragender Reiter und beherrscht
seine Waffen«, erwiderte er schließlich mit leiser Stimme, »aber es ist etwas
an seinem Wesen, das ihn von den anderen Pferdelords unterscheidet.«
Das Thema schien dem Pferdefürsten unangenehm, und Larwyn bemerkte,
wie Garodem ihr auszuweichen versuchte, als er mit weit ausholender Geste
über das Feld und die Burg wies. »Eternas ist gewachsen, so wie alles wächst.
Die Stadt muss vergrößert werden und auch die Burg.«
»Ja, du hast recht.« Larwyn lächelte, obwohl es sie schmerzte, dass der
geliebte Mann sich ihr nicht anvertrauen mochte. Dafür konnte es nur einen
einzigen Grund geben. Garodem befürchtete, dass seine Worte sie verletzen
könnten. So vieles hatten sie im Verlauf der Jahreswenden miteinander
geteilt, und nun, da es um ihr gemeinsames Kind ging, zögerte er, offen mit
ihr darüber zu reden. Die blonde Herrin der Hochmark kannte ihren Garodem
und wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu bedrängen. So beschloss sie,
das Thema zunächst auf sich beruhen zu lassen, und ging auf seine
ausweichenden Worte ein. »Die Hochmark gedeiht, und wir müssen für die
Zukunft planen.«
Garodem sah sie an und lächelte. Sie spürte seine Erleichterung darüber,
dass sie den Themenwechsel angenommen hatte. »Die Stadt kann noch ein
wenig wachsen«, brummte er, »aber ein Ende lässt sich absehen. Bald ist sie
zu klein, um alle Menschen aufnehmen zu können. Aber wenn sie noch
stärker wächst, wird das Tal seine Bewohner nicht mehr ernähren können.« Er
seufzte leise. »Und die Gehöfte und Weiler können nur begrenzten Raum
bieten.«
Larwyn folgte seinen Gedankengängen. »Du denkst an die Zeit zurück, in
der du die Hochmark gegründet hast?«
»Ja.« Garwins Blick glitt nach Süden, dorthin, wo sich die anderen Marken
des Pferdevolkes erstreckten.
»Garwin ist noch zu jung, um eine eigene Mark zu gründen«, sagte sie
leise.
Der Pferdefürst nickte. »Natürlich ist er zu jung dazu. Zudem wüsste ich
nicht, wo er eine neue Mark aufbauen könnte. Jenseits der Westmark liegt das
Dünenland, unsere alte Heimat. Dort gibt es kein fruchtbares Land mehr, und
außerdem ist die Wüste das Gebiet der Clans. Im Süden stoßen unsere
Grenzen an das Reich Alnoa und im Norden an die Städte der guten Herren
Zwerge. Nein, Larwyn, mein geliebtes Weib, ich denke nicht an eine neue
Mark.«
Garodem löste sich von der Einfassung des Turms und begann auf der
kleinen Turmplattform auf und ab zu schreiten. Larwyn kannte diese
Angewohnheit. Immer wenn er sich auf ein Problem konzentrierte,
verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und ging in seinem
Arbeitszimmer von einer Seite zur anderen. Eine stete Folge von Schritten, in
denen seine Gedanken an einem anderen Ort zu weilen schienen, so lange, bis
er eine Lösung gefunden hatte.
»In den unteren Marken gibt es noch Raum.« Der Pferdefürst verharrte
kurz und nickte dann, als müsse er seine eigenen Worte bestätigen. »Sollte die
Hochmark weiter wachsen, werden wir Familien in die anderen Marken
entsenden.«
»Sie werden dort willkommen sein.«
»Das werden sie.« Garodem lächelte versonnen. »Vor allem der brave
Bulldemut wäre sicherlich dankbar, wenn wir seine Stadt und seine Weiler
mit frischem Leben füllen würden. Auch wenn die Ostmark nicht allzu viel
gelitten hat, als die Orks Merdonan berannten, so weiß ich doch, dass ihr
Pferdefürst die Stadt vergrößern und stärker machen will. Ihre Lage am Pfad
durch die Weißen Sümpfe verleiht ihr eine Schlüsselposition, falls die Orks
erneut vorstoßen wollen.«
»Sofern sie nicht aus einer anderen Richtung kommen.«
»Ja, das mag geschehen.« Garodem leckte sich über die Lippen und trat
wieder neben Larwyn. »Aber kommen werden sie. Eines Tages.«
»Wir werden gerüstet sein«, versicherte Larwyn. »Die Hochmark wird
bereitstehen.«
Ihr Gemahl nickte. »Ja, so gut wir es vermögen.« Er blickte abermals auf
das freie Feld hinunter. »Vier volle Beritte bringen die Schwertmänner
mittlerweile in den Sattel. Gut, dass wir die Burg nun endlich erweitern.«
Am Anfang hatte die Burg von Eternas reichlich Raum geboten, aber nun
war sie zu klein geworden. Schon als die Wache auf hundert Schwertmänner
angewachsen war, hatte es eine unangenehme Enge in Stall und Unterkünften
gegeben. Schon damals hatten Garodem und der Erste Schwertmann
Tasmund erwogen, die Burg zu vergrößern. Man hatte die Absicht immer
wieder aufgeschoben und der Entwicklung der Stadt den Vorrang gegeben,
aber vor drei Jahreswenden hatte man endlich mit den Erweiterungen
begonnen, die nun nahezu abgeschlossen waren.
Zunächst hatte Garodem erwogen, die gesamte Burg auszubauen und auch
die neuen Gebäude in den Schutz der Wehrmauer einzubeziehen, aber er hatte
den Gedanken rasch aufgegeben.
»Die Schwertmänner werden dem Feind wie gute Pferdelords auf dem
Rücken ihrer Pferde begegnen«, hatte er lakonisch festgestellt. »Es hat keinen
Sinn, ihre Bettstatt zu verteidigen, die man rasch neu errichten kann. Zudem
braucht eine kurze Mauer weniger Verteidiger, und die Gewölbe unter der
Burg sind noch groß genug, um den Alten und Schwachen, den Frauen und
Kindern, eine Zuflucht zu bieten.«
Jetzt war das freie Feld, auf dem sich die Pferdelords sammelten, im
Westen und Norden von Gebäuden umgeben. Im Norden standen die
eingeschossigen Unterkünfte der Schwertmänner. Sie waren lang gestreckt
und flach, aus massiven Steinquadern erbaut und mit Steinplatten gedeckt.
Ihre Türen und Fenster waren klein, sodass die Gebäude eher wie kompakte
Festungen wirkten, was sie im Grunde auch waren. Die Öffnungen im
Gebäude ließen sich durch metallene Platten auf schmale Schlitze verengen.
Kein Brandpfeil vermochte diesen Bauten zuzusetzen. Im Inneren bestanden
die Unterkünfte aus den Kammern für die Scharführer, einer Sattel- und
Rüstkammer sowie einem großen Raum, in dem die einfachen
Schwertmänner ihre Bettstatt und Kleiderkiste hatten.
Im Westen befanden sich die Ställe und die Koppel. Vierhundert
Schwertmänner brauchten neben ihren Reitpferden auch Ersatzpferde, zudem
mussten Vorräte und Abfälle transportiert werden. So kam es, dass nun fast
tausend Tiere im Umfeld der Burg grasten. Es gab noch keine Engpässe bei
der Versorgung von Mensch und Tier, aber Garodem wusste, dass die
Hochmark bald an den Rand ihrer Möglichkeiten stoßen würde.
Der Süden des Platzes wurde nicht von Gebäuden begrenzt. Von hier hatte
man freien Blick auf die nahe gelegene Stadt Eternas, die sich ebenfalls
entwickelt hatte. Doch auch ihrem Wachstum waren Grenzen gesetzt.
Die Burg erhob sich nördlich der Stadt, nur wenige Hundertlängen von
ihren Rändern entfernt, und Garodem ließ nicht zu, dass auch nur ein einziges
Gebäude näher an die Festung gebaut und so deren Schussfeld geschmälert
würde. Im Osten verhinderte der kleine Fluss Eten den Ausbau, und im
Westen und Süden würde jedes neue Haus auf Kosten der Anbauflächen
gehen, die zur Ernährung der Bevölkerung erforderlich waren.
Ja, Garodem und Larwyn empfanden sowohl Stolz als auch Sorge, wenn
sie die Entwicklung ihrer Hochmark verfolgten, und Gleiches galt für die
Entwicklung ihres Sohnes Garwin.
Als Kind hatte er den Bewohnern der Burg so manchen Streich gespielt,
und diese hatten es hingenommen. Teils amüsiert, teils aus Respekt den Eltern
gegenüber, hatte man das Verhalten des Knaben toleriert. Vielleicht war dies
ein Fehler gewesen, denn die Streiche wurden mit der Zeit immer weniger
harmlos. Garodem war erstmals wütend geworden, als Garwin den
Schwertmännern stechende Klettpflanzen unter die Sättel geschoben hatte.
Seitdem achtete der Pferdefürst stärker auf das Verhalten seines Sohnes und
legte Wert darauf, dass der Junge streng in den Traditionen des Pferdevolkes
unterwiesen wurde. So wie Garodem und seine Männer den
Heranwachsenden in Gebräuchen und Kriegshandwerk unterwiesen,
unterrichteten Larwyn und ihre Freundin, die Heilerin Meowyn, ihn in der
Kunst des Schreibens und Lesens, und inzwischen vermochte Garwin sogar
die elfischen Zeichen zu setzen und zu deuten. Der Sohn des Pferdefürsten
hatte es gelernt, seine Mitmenschen mit Respekt zu behandeln, aber Garodem
störte es, dass dies stets mit einem amüsiert wirkenden Funkeln in den Augen
geschah. Ebendies sorgte den Herrn der Hochmark.
Die Reiter unten auf dem freien Feld übten sich gerade in den engen
Reitformationen, mit denen sie die dicht geschlossenen Reihen einer orkschen
Legion aufzubrechen vermochten. Vor den einzelnen Beritten waren die
Scharführer mit ihren Wimpeln zu erkennen, deren Lanzen deutlich länger
waren als die Stoßlanzen der Kämpfer. Daher ragten die grünen dreieckigen
Tücher hoch über die Köpfe der Reiter empor. Auch wenn ein Scharführer
mit ihnen durchaus zustoßen und einen Feind töten konnte, hatten die Wimpel
hauptsächlich die Funktion, die Position des Kommandeurs in der Schlacht
anzuzeigen und seine Befehle zu verdeutlichen. Die Haltung der Lanze und
des Wimpels zeigte dabei an, wie und in welche Richtung sich ein Beritt
bewegen sollte. Im Gewühl einer Schlacht war der Wimpelträger nicht immer
zu erkennen, daher gab es in jedem Beritt zusätzlich zwei Männer, welche die
metallenen Hörner der Hochmark blasen konnten, deren Klang die Befehle
über den Schlachtlärm trug.
Einer der Beritte auf dem Feld hatte unter Hörnerklang eine enge
Angriffsformation eingenommen und preschte im vollen Galopp über das
Gelände, als plötzlich Unruhe entstand. Garodem hatte dies sofort erkannt
und beugte sich interessiert über die Brüstung des Signalturms.
»Kormunds Beritt«, brummte er halblaut. »Das Pfeilsymbol auf seinem
Wimpel ist unverkennbar.«
»Was geht dort vor sich?«, fragte Larwyn neugierig und trat ebenfalls dicht
an die Brüstung heran. »Der ganze Beritt ist aus dem Tritt.«
»Ja, das ist keine disziplinierte Doppellinie von Schwertmännern«, stieß
Garodem grimmig hervor. »So sehen einberufene Pferdelords an ihrem ersten
Übungstag aus. Aber das dort sind keine einfachen Pferdelords, das sind
meine Schwertmänner.«
Garodem schätzte die beherrschte Disziplin der Schwertmänner. Sie
hielten ihre enge, fast Knie an Knie gefügte Formation auch unter dem
Pfeilhagel des Gegners aufrecht und schlossen die Lücken, die entstanden, bis
sie mit massierter Wucht in den Feind prallten. So schufen sie jene tödlichen
Breschen, durch welche die anderen Pferdelords nachstoßen konnten. Doch
was er dort unten sah, erregte seinen Unmut, zumal die Ordnung des Beritts
immer weiter zerfiel, bis der Scharführer an der Spitze schließlich die Lanze
quer hielt und die Reiter anhalten ließ. Unverwechselbar war es Scharführer
Kormund, der nun mit einem der Reiter erregte Worte wechselte.
Garodem ahnte, wer dieser Reiter war, und sah Larwyn stirnrunzelnd an.
»Ich werde den Männern ein wenig bei der Übung zusehen, Larwyn. Gib du
bitte Tasmund Bescheid, dass ich ihn später in meinem Arbeitsraum sprechen
will.«
Die Hohe Dame wäre ihrem Gemahl lieber gefolgt, aber sie wusste, dass
Garodem allein klären wollte, was dort auf dem Übungsfeld geschehen war,
und sie kannte auch den Grund dafür. »Er ist noch jung und unerfahren«,
sagte sie leise.
»Er ist ein Pferdelord«, erwiderte Garodem entschieden. »Und wie ein
solcher hat er sich auch zu benehmen.«
Sie stiegen über die Leiter ins Haupthaus hinunter, und der Schwertmann
der Wache, der hier gewartet hatte, kletterte wieder auf die Plattform hinauf.
Im Obergeschoss des Haupthauses befanden sich die privaten Gemächer des
Pferdefürsten und ihres Sohnes Garwin. Einst hatten hier auch die Scharführer
und der Erste Schwertmann ihre Kammern gehabt, doch die Scharführer
wohnten nun in den neuen Häusern im Norden des Übungsfeldes, während
die alte Unterkunft der Schwertmänner mittlerweile dem Ersten Schwertmann
Tasmund und seiner Frau, der Heilerin Meowyn, als Wohnstatt dienten. Über
den Amtsraum des Pferdefürsten erreichten Garodem und Larwyn die Treppe,
die in die große Versammlungshalle der Burg von Eternas hinunterführte.
Sie durchquerten die Halle und erreichten das Hauptportal, an dem zwei
voll gerüstete Schwertmänner als Ehrenwache standen. Über die breite
Vortreppe traten Garodem und Larwyn auf den vorderen Burghof, wo sie sich
schließlich trennten. Die beiden Pferdelords sahen einander kurz an.
»Mir scheint, unseren Herrn Garodem plagen unfreundliche Gedanken«,
meinte einer von ihnen.
»Und ich kann mir denken, warum«, stimmte der andere zu. »Garwin übt
gerade mit Kormunds Beritt.«
Sein Kamerad spuckte aus. »Ich möchte nicht Garwins Scharführer sein.«
»Ja«, seufzte der andere. »Und ich nicht sein Vater.«
Beide Männer beneideten Garodem nicht um dessen Sohn. Die anfängliche
Sympathie der Männer für den Sprössling des Pferdefürsten war zunehmender
Skepsis gewichen. Garwin war durchaus freundlich, aber er beharrte zu oft
und zu unnachgiebig auf seiner Meinung und ließ die anderer, meist weitaus
erfahrenerer Männer kaum gelten.
Es waren nur wenige Hundertlängen bis zum Übungsfeld, aber als
Pferdelord wäre es Garodem niemals in den Sinn gekommen, die Strecke zu
Fuß zurückzulegen. Er schritt durch eines der drei Tore, durch die man vom
vorderen in den hinteren Burghof gelangte, und gab dort einem der
Stallburschen einen Wink. Wenig später ritt er durch das Tor der Burg zum
Übungsplatz hinüber. Schon aus einiger Entfernung hörte er erregte Stimmen
aus einer Gruppe herüberdringen, die sich um Kormunds Wimpel versammelt
hatte.
»Es mag ja Tradition sein«, hörte Garodem besorgt die Stimme seines
Sohnes, »aber welchen Zweck soll eine Tradition haben, die uns die Kraft
unserer Arme und die Schnelligkeit unserer Pferde nimmt?«
»In der Schlacht, Hoher Herr Garwin, reiten wir gegen eine Legion der
Orks, die in Kampfformation steht. Vorne Lanzen und Spieße, dahinter die
Schlagschwerter – durchweg kraftvolle und gut gepanzerte Rundohren, Hoher
Herr. Dahinter befinden sich die kleineren Spitzohren, die ihre Pfeile auf uns
lösen.«
Kormunds Stimme klang mühsam beherrscht.
»Genau darum geht es doch«, erwiderte Garwin ärgerlich. »Viele von uns
haben schnellere und stärkere Pferde. Warum sollen sie sich dem Pfeilhagel
länger als nötig wehrlos aussetzen, wo sie doch viel rascher am Feind sein
könnten?«
»Weil der einzelne Reiter oder eine kleine Gruppe die Linien des Feindes
nicht durchbrechen kann«, stieß Kormund hervor. Man hörte den Ärger in
seiner Stimme, und Garodem sah an dem Wimpel, der sich über die Köpfe
erhob, dass der sonst so gefasste und ruhige Scharführer den Arm hektisch
bewegte. »Die Orks würden ihre Reihen etwas öffnen, die wenigen Reiter
aufnehmen und die Formation wieder schließen. Die so isolierten Männer
müssten nach allen Seiten hin kämpfen und hätten keine Chance.« Kormunds
Stimme wurde eindringlich. »Aber wenn ein Beritt seine Reihen eng
geschlossen hält, dann treffen alle Männer gleichzeitig auf den Feind und
durchbrechen seine Linie.«
»Wenn die Starken vorwegreiten, dann wäre die Linie längst gebrochen.«
Garwins Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Die Stärke des Pferdevolkes liegt in seiner Einheit«, rief Garodem
dazwischen. Er hatte sein Pferd nach vorne gedrängt, und die Männer
machten ihm rasch Platz, als sie ihn erkannten.
Kormund und Garwin, inmitten einer dicht gedrängten Schar von
neugierigen Reitern, sahen ihm gleichermaßen erregt entgegen. Kormunds
Gesicht war von Ärger gerötet, während Garwin entspannt im Sattel saß und
den Scharführer spöttisch musterte. Als der junge Reiter seinen Vater
erkannte, wurde sein Blick für einen Moment unsicher, um dann einen fast
trotzigen Ausdruck anzunehmen.
Garodem spürte die Anspannung der umgebenden Pferdelords beinahe
körperlich.
»Ich erkenne mit Wohlgefallen, dass sich meine Schwertmänner in der
Waffenkunst üben«, sagte der Pferdefürst mit einem beschwichtigenden
Lächeln, als er die beiden Streitenden erreicht hatte. »Es ist immer wieder ein
stolzer Anblick, die geschlossenen Reihen eines Beritts im vollen Galopp zu
sehen.«
»Die geschlossene Reihe nimmt uns …«
Garodem hob seine Hand und brachte Garwin so zum Verstummen. »Die
geschlossene Reihe gibt uns die Kraft, die Linien des Feindes zu
durchbrechen.« Seine Stimme schien keinen Widerspruch zu dulden. »Erst
wenn sie gebrochen sind, löst sich die enge Formation des Beritts auf, um
Einzelkämpfe zu ermöglichen.«
»Weil die Tradition es will?«, brauste Garwin auf.
Garodems Stimme wurde kalt. »Weil die Erfahrung es uns lehrt!«
Zustimmendes Gemurmel war bei einigen Reitern zu hören, und Garwins
Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Der Pferdefürst erkannte, dass sein Sohn
etwas erwidern wollte. Ein Mann und eine Frau hatten das Recht, ihre
Meinung zu vertreten, aber Garwin war dabei, einen schrecklichen Fehler zu
begehen, ohne es zu merken.
»Die Erfahrung des Pferdevolkes lehrt uns auch, dass unsere Stärke in
unserer Einigkeit liegt. Als wir noch in der alten Heimat im Westen lebten, da
bildeten wir einzelne Clans, die untereinander Krieg führten. Als das
Sandvolk uns bedrohte, hat der Erste König uns geeint und uns gezeigt, dass
wir nur gemeinsam bestehen können. Gemeinsam leben, gemeinsam kämpfen
und, wenn die Fügung es will, gemeinsam sterben.« Garodem senkte seine
Stimme und sah Garwin versöhnlich an. »Wenn der Befehl kommt und der
Einzelkampf beginnt, dann mögen die Stärke deines Armes und die
Schnelligkeit deines Pferdes von Bedeutung sein, aber im ersten Ansturm
zählt die Kraft des geeinten Beritts.«
»Auch wenn es den sinnlosen Tod von Männern bedeutet?« Garwin stützte
seine Hände auf das Sattelhorn, und man sah, wie die Knöchel weiß wurden.
Garodem blickte die Pferdelords ernst an. »Auch wenn dies den Tod von
Männern bedeutet. Ich bin in manche Schlacht geritten und habe manchen
guten Reiter sterben sehen. Der Tod gehört zum Kampf dazu, und wir müssen
das hinnehmen wie wahre Pferdelords. Nach jeder Schlacht habe ich mir die
Toten angesehen. Jeden einzelnen von ihnen. Und jedes Mal habe ich mich
gefragt, ob meine Entscheidungen richtig waren oder ob ich die Männer
sinnlos in den Tod führte.«
Garodem zwang seinen Sohn mit diesen Worten, die Kritik von
Scharführer Kormund auf sich selbst zu beziehen. Der junge Pferdelord
erkannte die Absicht seines Vaters und lehnte sich im Sattel zurück. Mit
verengten Augen musterte er den Pferdefürsten.
»Du hast deine Schlachten immer gewonnen«, sagte Garwin heiser.
»Nicht ich war es, Pferdelord Garwin«, korrigierte Garodem. Garwin stand
hier nicht als sein Sohn, sondern als ein Reiter von Kormunds Beritt. Der
junge Mann musste dies erkennen und akzeptieren, denn es durfte keine Rolle
spielen, dass er der Sohn des Pferdefürsten und künftige Herr der Hochmark
war. Er war Gleicher unter Gleichen, doch er schien dies noch nicht
verinnerlicht zu haben. »Wir, die Pferdelords, haben die Schlachten
gewonnen. Geeint in unserer Kraft und unserem Mut.«
»Und unter deinem … Eurem Banner.« Garwins Stimme klang gepresst.
Der Wechsel zur förmlichen Anrede verriet, dass er erkannt hatte, was sein
Vater von ihm erwartete. Es gefiel dem jungen Reiter nicht, aber die Disziplin
und Tradition verlangten von ihm, dass er sich fügte.
»Ja, unter meinem Banner.« Garodem versuchte, seinen Unmut zu
verbergen. Er wies auf seinen Sohn. »Ihr tragt den Umhang eines Pferdelords,
Garwin. Er ist vor Eurem Hals mit einer goldenen Spange in der Form des
doppelten Pferdekopfes verschlossen. Diese Spange ist nicht nur ein
Verschluss, Pferdelord Garwin. Ihr Symbol wiederholt sich auf den Schilden
der Schwertmänner, im Griff der Schwerter und auch auf meinem Banner.
Die nach außen gewandten Pferdeköpfe symbolisieren die Wehrhaftigkeit
unseres Volkes und die Kraft unserer Pferde. Die Köpfe sind in der Form
eines Hufeisens verbunden, das Zeichen für den Ring der Einigkeit, die
unserem Volk die Stärke gibt. Es ist das Zeichen unseres Pferdevolkes und
weitaus mehr als das.«
Garodem reckte sich im Sattel und spürte, wie ihm dabei ein stechender
Schmerz durch den Rücken fuhr. »Das Zeichen unseres Volkes ist die
Verpflichtung für die Träger des grünen Umhangs. Wer diesen Umhang trägt,
ist ein Pferdelord, und seine Pflicht ist es, das Bestehen des Volkes mit dem
eigenen Leben zu schützen. So, wie es Tradition und Eid verlangen.«
Garodem seufzte. Er wies auf den neben ihm verharrenden Kormund,
dessen Gesicht noch immer abweisend war. Der Pferdefürst spürte die
Anspannung, unter welcher der Scharführer stand. »Der gute Herr Kormund
ist der wohl beste Scharführer, den sich die Hochmark wünschen kann. Viele
Kämpfe haben wir Seite an Seite bestanden und manche Narbe
davongetragen. Jeder Mann, der einen Wimpel der Hochmark führt, tut dies
an meiner Stelle und in meinem Namen.«
Würde Garwin nach diesen Ausführungen weiterhin Kritik äußern, so
griffe er damit unmittelbar auch seinen Vater an. Jeder der Reiter erkannte
dies und wusste, dass Garodem mit seinen Worten eine Entscheidung
herbeigeführt hatte. Dies galt auch für Garwin, der einige Male tief
durchatmete und sich dann langsam im Sattel entspannte.
»Ich verstehe, Hoher Lord«, erwiderte der junge Reiter förmlich. »So will
ich denn dem Wimpel des guten Herrn Kormund folgen, als sei es Euer
Banner, Herr.«
Eine tiefe Kluft hatte sich zwischen Vater und Sohn geöffnet. Garodem
wurde dies mit einem Mal schmerzlich bewusst, und er las im Gesicht
Kormunds, dass auch sein alter Weggefährte es so sah. Kormund räusperte
sich, und seine Stimme klang beherrscht, als er sich wieder an die Männer des
Beritts wandte.
»Es ist an der Zeit, eine Ruhepause einzulegen. Die Pferde und wir können
eine Rast gebrauchen. Versorgt nun die Tiere und euch selbst, Ihr Herren. Am
Nachmittag werden wir dann den Stoß mit der Lanze üben.«
Der Beritt löste sich auf, und Garodem nickte dem Scharführer zu, um
dann sein Pferd neben das von Garwin zu lenken. Dessen Gesichtsausdruck
war schwer zu deuten. Garodem musterte seinen Sohn nachdenklich.
Äußerlich schien er das Ideal eines Pferdelords zu sein. Er war
hochgewachsen und von kraftvoller Gestalt, obwohl er erst siebzehn
Jahreswenden zählte. Erst einen Zehnmond war es her, dass er den Eid
abgelegt und den grünen Umhang der Reiter empfangen hatte. Sein Haar war
hell wie das der meisten Menschen des Pferdevolkes; er trug es schulterlang
und hatte es im Nacken mit einem Stoffstreifen zusammengebunden. Viele
der Männer taten dies, damit das lange Haar sie im Kampf nicht behinderte.
Die Andeutung eines Bartwuchses bedeckte das Kinn des jungen Pferdelords,
dessen Gesicht noch immer jungenhaft wirkte. Er trug die hellen, ledernen
Hosen eines Reiters und darüber ein rotbraunes Wams. Schwert und Dolch,
deren Griffe mit dem Handschutz in der Form des doppelten
Pferdekopfsymbols ausgeführt waren, hingen an seinem Gürtel. Eine Seite
des grünen Umhangs hatte er über die Schulter zurückgeschlagen, und die
Stoßlanze des Reitervolkes lehnte in seiner Armbeuge.
Garwin erwiderte den Blick des Vaters und löste die Hände vom
Sattelknauf. »Mit Eurer Erlaubnis, Hoher Lord, werde ich mich den Männern
nun anschließen.«
Garodem hatte bei seinem Sohn auf Verständnis und Einsicht gehofft, doch
als Garwin auch in Abwesenheit der anderen Männer noch die förmliche
Anrede benutzte, verfinsterte sich sein Gesicht erneut. »Tut das, Pferdelord
Garwin.« Als dieser sein Pferd herumzog, um den anderen zu folgen, hielt
Garodems Stimme ihn zurück. »Du bist mein Sohn, Garwin. Aber all die
Liebe, die ich für dich empfinde, verleiht dir keine besonderen Rechte. Im
Gegenteil. Eines Tages wirst du die Hochmark und diese Männer führen. Du
wirst die Verantwortung für ihre Zukunft und ihr Leben tragen. Sei dir dessen
bewusst, Garwin, mein Sohn.«
»Das bin ich.« Garwin zeigte ein Lächeln, aber es war ohne Wärme.
»Wenn Ihr mich nun entschuldigen wollt, Vater?«
Garodem nickte und folgte Garwin mit dem Blick. Sein Sohn ritt zu den
anderen Männern hinüber, die ihre Tiere an einem der Ställe versorgten. Der
Pferdefürst spürte Bewegung neben sich und sah den Schatten des Reiters.
»Er weilt unter den Männern, Kormund, mein Freund, aber er ist nicht bei
ihnen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Kormund sah den Pferdefürsten mitfühlend an. »Es gibt Augenblicke, in
denen ich froh bin, nicht die Verantwortung für einen Sohn oder eine Tochter
tragen zu müssen. Ich glaube, es ist leichter, die Klinge mit einem Feind zu
kreuzen, als sich dem eigenen Blut zu stellen, und sei es auch nur mit
Worten.«
»Du sagst es, mein Freund, du sagst es.« Die Kämpfe der Vergangenheit
hatten die beiden Männer zusammengeschweißt, und sie schätzten offene
Worte. Nur in der Anwesenheit anderer und wenn es die Tradition verlangte,
wahrten sie die förmliche Distanz. Garodem legte seine Hand auf den
Unterarm des Scharführers. »Es wäre gut, wenn die Männer dem nicht zu viel
Bedeutung beimessen würden.«
»Ich verstehe.« Kormund nahm den Helm mit dem Rosshaarschweif ab
und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Aber das wird nicht leicht sein. Die
Männer kämpfen als Einheit, und sie leben auch so, Garodem, mein Freund.
Garwin fügt sich nur schwer ein. Etwas geht in ihm vor sich, das ich nicht
deuten kann.«
An den Unterkünften der Schwertmänner stieg dünner Rauch aus den
Kaminen der Kochstellen. Man begann das Essen vorzubereiten, aber
zunächst wurden die Pferde versorgt. Garodem blickte zur Burg hinüber.
Auch dort würde nun in der Küche Hochbetrieb herrschen, um die Männer,
Frauen und Kinder zu versorgen. Garodem wusste ein gutes Mahl zu
schätzen, aber ihm war der Appetit vergangen.
»Ein offenes Wort, Kormund, mein Freund. Meinst du, Garwin wird
irgendwann einmal die Männer führen können?« Kormund erwiderte den
Blick des Pferdefürsten und schwieg einen Moment. Garodem seufzte.
»Sprich frei, wir sind oft genug miteinander geritten.«
»Wer führen will, muss erst einmal zu folgen lernen«, sagte Kormund
zögernd. »Garwin ist ein guter Reiter und Kämpfer. Aber erst im Waffengang
wird sich zeigen, ob er sich bewährt und Größe hat.«
»Ja, du hast recht.« Garodem nickte. Er löste die Hand von Kormunds
Arm. »Ich will hoffen, dass genug von meinem Blut und dem der Pferdelords
in ihm fließt.«
»Er ist dein Sohn.«
»Manchmal wäre es leichter, er wäre es nicht.«
Sie trennten sich, und während der Scharführer zu den Männern
hinüberritt, lenkte Garodem sein Pferd in Richtung Burg. Wenig später betrat
er sein Amtszimmer im Obergeschoss des Haupthauses. Der Raum nahm die
ganze Breite des Gebäudes ein und wurde von dem wuchtigen Schreibtisch
dominiert, hinter dem in einem Gestell Garodems Rüstung stand. Einige
Schriftrollen, Tusche und Feder lagen auf der Platte bereit, die eine tiefe
Kerbe aufwies, Zeugnis davon, dass hier einst ein heimtückisches graues
Wesen versucht hatte, die Herrin Larwyn zu ermorden. Vor dem Schreibtisch
war eine dunkle Stelle am Boden, dort, wo Garwin vor einigen Jahreswenden
ein Fässchen Tinte umgestoßen hatte. Rechts an der Wand stand ein Regal, in
dem der Pferdefürst eine Reihe von Schriftrollen und Büchern aufbewahrte.
Gegenüber hing eine detaillierte Karte der Marken des Pferdevolkes, das
Geschenk der elfischen Freunde Lotaras und Leoryn. Direkt neben ihr war
eine Streitaxt befestigt, die mit fremdartig wirkenden Gravuren und
Einlegearbeiten versehen war. Der Zwergenkönig Balruk, Herr der grünen
Kristallstadt Nal’t’rund, hatte sie Garodem zum Geschenk gemacht.
Einige gepolsterte Stühle standen im Raum, dessen Rückwand mit Holz
getäfelt war. Dort führte eine Tür in die Privatgemächer und zum Signalturm.
Früher hatte Garodem es geschätzt, wenn seine Scharführer und
Schwertmänner den Weg durch seinen Arbeitsraum nahmen und er so die
Gelegenheit erhielt, immer wieder mal ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
Nun benutzte der Wachmann des Signalturms jene Tür, die das Haupthaus
und den Turm mit der westlichen Wehrmauer verband.
Larwyn hatte den Ersten Schwertmann Tasmund gerufen, und nun saß der
Vertraute und Freund des Pferdefürsten in einem der Stühle. Als Garodem die
Tür hinter sich schloss, erhob er sich ehrerbietig, aber der Pferdefürst winkte
ab. »Bleib sitzen, mein Freund. Unsere Knochen sind zu alt, als dass wir uns
in sinnlosen Verrenkungen ergehen sollten.«
Tasmund lächelte freudlos. »Du ergehst dich zu oft in Gedanken über
deine schwindende Jugend.«
»Findest du? Offen gesagt ist es Garwin, der mich an meine schwindende
Jugend gemahnt. Wenn Kinder heranwachsen, erfüllt es die Eltern mit Stolz,
aber zugleich ist es ein Zeichen dafür, wie vergänglich wir sind.«
Der Erste Schwertmann der Hochmark hatte noch immer die schlanke
Figur eines Reiters, aber im Gegensatz zu den meisten Männern besaß er
tiefschwarze Haare. Falten hatten sich um seine Mundwinkel und Augen
herum gebildet, die von den Erlebnissen vieler Jahreswenden zeugten. Er saß
ein wenig schräg auf dem Stuhl, eine Folge davon, dass er unbewusst
versuchte, seine rechte Schulter zu entlasten.
»Schmerzen?« Garodem wies auf Tasmunds Schulter und umrundete dann
seinen mächtigen Schreibtisch, um dahinter Platz zu nehmen.
»Das Wetter schlägt um. Die kalten Winde kommen, und der Herbst
kündigt den schweren Winter an«, brummte Tasmund. »Jede Narbe, die wir
erlitten haben, bekundet, dass wir einen sehr kalten Winter bekommen
werden.«
Garodem nickte mitfühlend. Tasmunds rechte Schulter war einst beim
Kampf um Eternas zerschmettert worden. Nur der elfischen Heilkunst
Leoryns hatte er es zu verdanken, dass er sie noch bewegen konnte, auch
wenn der rechte Arm ein wenig steif geblieben war. Zu der Zeit, als
Merdonan von den Orks angegriffen wurde, hatte Tasmund mit Nedeam und
anderen Pferdelords zur Befreiung des elfischen Hauses Deshay beigetragen
und dabei eine weitere schwere Verletzung erlitten, die ihm der Dolchstoß
einer verwandelten Elfin zugefügt hatte. Man hatte den Schwerverletzten
nach Eternas gebracht, wo er dank der Heilerin Meowyn wieder genesen war.
Doch aufgrund dieser weiteren Verletzung konnte sich Tasmund kaum noch
in den Sattel heben, zu groß waren dabei die Schmerzen. Selbst Meowyn, die
bald nach seiner Genesung seine Frau geworden war, konnte dem nicht
abhelfen.
»Tasmund, mein Freund, ich muss eine wichtige Angelegenheit mit dir
besprechen.« Garodem legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und
sah den Ersten Schwertmann eindringlich an. »Es geht um die Anforderung
unseres guten Königs Reyodem.«
»Das Gold?« Tasmund lächelte. »Die Menge fällt kaum ins Gewicht. Wir
haben genug davon.«
»Ich weiß.« Garodem erwiderte das Lächeln seines Freundes. »Er soll
davon bekommen, soviel er braucht. Als ich vor einigen Tageswenden im
Hammergrundweiler war, traf ich dort einen Mann aus der Königsmark, der
Näheres zu berichten wusste. Das Gold soll nicht zum König nach Enderonas,
sondern nach Gendaneris gebracht werden.«
»Gendaneris?« Tasmund runzelte die Stirn. »Das liegt im Reich der
weißen Bäume. Warum dorthin?«
»Es geht wohl um die Schüsselchen, die der König von Alnoa als Währung
herstellt.«
»Das wird aber eine verdammt große Menge an Schüsselchen ergeben«,
brummte Tasmund. »Warum schaffen wir das Zeug dann nicht nach Alneris?
Dort befinden sich doch die Hersteller der Schüsselchen.«
»Ich weiß es nicht. Reyodem hat offenbar eine Anfrage aus Gendaneris
bekommen. Von einem der dortigen Händler.« Garodem erhob sich und trat
an die Landkarte. »Vielleicht wollen sie das Gold mit Schiffen nach Alneris
bringen.«
»Das wäre viel zu umständlich.« Tasmund trat neben den Pferdefürsten.
»Der Transport mit dem Gold geht von uns aus nach Süden und muss dann
hier«, er tippte mit dem Finger auf die Karte und fuhr dann ein Stück weit auf
ihr entlang, »die Straße nach Südosten nehmen. Dort liegt schon Alneris. Und
dort, viel weiter im Westen, liegt Gendaneris. Ein gewaltiger Umweg also,
zeitraubend und mühsam mit der schweren Ladung.« Er sah seinen Freund an.
»Warum holt der Händler es nicht ab?«
»Es ist ein weiter und für die voll beladenen Wagen beschwerlicher Weg.
Glücklicherweise ist er, von Schlaglöchern und Raubtieren einmal abgesehen,
nicht besonders gefährlich.« Garodem kratzte sich im Nacken. »Von uns aus
in die Nordmark, dann in die Königsmark und hinunter ins Reich der weißen
Bäume. Man schickt uns ein paar Wagen, aber wir werden auch eigene
benutzen müssen. Das Gold ist sehr schwer.«
Tasmund lachte auf. »Das wird den Händler Helderim freuen. Er hat die
meisten Wagen und wird sich ihre Bereitstellung mit vielen Schüsselchen
vergelten lassen.«
Garodem wurde ernst. »Normalerweise bräuchten wir keinen starken
Begleitschutz für den Transport. Es werden viele Wagen sein und viele
Helfer. Eine Bande Räuber würde sich kaum heranwagen. Zudem ist das Gold
wertlos.«
»Nicht im Reich der weißen Bäume.«
»Da hast du recht.« Garodem trat an eines der Fenster, die nach Süden
zeigten, und beugte sich vor. Als er den Kopf wandte, konnte er einen Teil
des Übungsfeldes einsehen. Dort herrschte mittägliche Ruhe, aber bald
würden die Pferdelords erneut zu üben beginnen, und unter ihnen würde auch
Garwin sein. Abrupt wandte sich der Pferdefürst wieder zu Tasmund.
»Dennoch will ich dem Transport einen starken Schutz geben. Einen vollen
Beritt.«
Erneut runzelte der Erste Schwertmann die Stirn. »Befürchtest du
Schwierigkeiten?«
»Nein. Aber es wäre eine gute Übung für die Männer.«
Tasmund verengte die Augen und musterte Garodem nachdenklich. »Ich
glaube, mein Freund, du denkst an einen ganz bestimmten von ihnen.«
Der Pferdefürst seufzte erneut. »Ja, das tue ich.«
Der Erste Schwertmann gab einen undefinierbaren Laut von sich.
»Vielleicht täte es allen ganz gut, sich nicht aneinander, sondern am Sattel zu
reiben. Ein langer Ritt, auch wenn es nicht zum Kampf kommt, kann Männer
zusammenschweißen und zu einer festen Einheit werden lassen.«
»So ist es.« Garodem lächelte.
»Garwin ist kein Scharführer«, wandte Tasmund ein. »Er hat noch nicht
das Recht, einen Wimpel zu führen.«
»Verdammt, Tasmund, das weiß ich«, fuhr Garodem auf. Entschuldigend
hob er die Hände. »Verzeih, mein Freund.« Der Pferdefürst zwang sich zur
Ruhe. »Es ist sicherlich ein Risiko, aber Garwin muss lernen, Verantwortung
zu übernehmen. Wenn er erst in Krisenzeiten damit beginnt, kann es sein,
dass er versagt, wenn weder du noch ich ihm beistehen können.«
»Du befürchtest also tatsächlich, dass er versagt.«
Garodem sah seinen Freund kummervoll an. »Falls es bei einem harmlosen
Begleitritt nach Gendaneris geschieht, hat es wenigstens nicht den Tod von
guten Pferdelords zur Folge.«
»Dennoch ist er kein Berittführer. Nicht einmal Führer einer Schar. Es
kann böses Blut unter den Männern geben.«
»Nicht unter meinen Schwertmännern.« Garodem zuckte die Schultern.
»Nun, und wenn das geschehen sollte, sind sie diszipliniert genug, ihren
Unmut im Zaum zu halten.«
Tasmund schwieg einen Moment und wiegte dann langsam den Kopf. »Ich
halte es für zu gefährlich. Wenn Garwins Autorität nun Schaden nimmt und er
später dein Banner übernehmen muss, dann kann das üble Folgen haben. Ich
würde vorschlagen, ihm einen fähigen Mann zur Seite zu stellen. Als …
Berater, sozusagen. Offiziell soll Garwin führen, aber du musst ihm deutlich
machen, dass er sich im Zweifel an das zu halten hat, was der Berater ihm
sagt.« Tasmund schnaubte. »Ich würde diese Aufgabe übernehmen, Garodem,
das weißt du, aber …«
Garodem winkte ab. »Wir beide taugen nicht mehr für den Sattel.
Kormund will ich den langen Ritt nicht zumuten, und außerdem brauche ich
ihn hier, für den Fall, dass eine Gefahr droht, der wir begegnen müssen.«
»Die anderen Scharführer werden einen schweren Stand gegen Garwin
haben. Dein Sohn ist … sehr eigensinnig und temperamentvoll.« Tasmund
spitzte die Lippen und lachte leise auf. »Ich glaube, wir haben denselben
Mann im Sinn.«
»Nedeam.«