Читать книгу Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel - Michael Schenk - Страница 6

Kapitel 4

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Als Garodem einst die Königsmark verließ, um hier im Gebirge die

Hochmark zu gründen, da verfügte er über nicht mehr als fünfzig

Schwertmänner, und sein gesamtes Gefolge hatte aus nur wenigen Hundert

Seelen bestanden. Als er das fruchtbare Tal von Eternas fand, wurde ihm

sofort klar, dass hier der richtige Ort für die neue Heimat war. Mit den

Traditionen des Pferdevolkes fest verwurzelt und sich der ständigen Gefahren

von außen bewusst, hatte Garodem dafür gesorgt, dass man zunächst die Burg

von Eternas erbaute. Sie sollte den Bewohnern der Hochmark Schutz und

Zuflucht bieten, wenn ein Gegner sie bedrohte. Schon damals war Garodem

davon ausgegangen, dass die Mark sich entwickeln würde, und so hatte er

Festung und Stadt großzügig geplant. Doch seine Voraussicht wurde

inzwischen von der Entwicklung überholt. Immer mehr Menschen

bevölkerten die Mark, und ihr Bedarf an Nahrung, Raum und Schutz wuchs

beständig.


Der Pferdefürst der Hochmark musste überrascht erkennen, dass die gute

Entwicklung einer Mark auch zu einem Problem werden konnte. Dies war der

Grund, warum er an diesem späten Vormittag mit seiner Gemahlin Larwyn

auf die Plattform des Signalturms der Burg Eternas stieg. Der Schwertmann

der Wache salutierte ehrerbietig, und als Larwyn ihm zunickte, verließ der

Mann schweigend den Turm, um das Paar allein zu lassen.


Garodem, Pferdefürst und unumschränkter Herr der Hochmark, war von

stattlicher Gestalt. Obwohl nur mittelgroß, war er trotz seines gesetzten Alters

muskulös und strahlte Kraft aus. Sein Haar waren inzwischen ergraut, und an

den Schläfen und in dem kurzen Bart zeigten sich weiße Strähnen, was der

Pferdefürst mit zwiespältigen Gefühlen registrierte. Sein Gesicht war von

Wind und Wetter gegerbt und wies jene Falten auf, die ein reifes Alter und

einen reichen Schatz an Erfahrungen verrieten. Der Pferdefürst trug einen

losen Überwurf über seinem Wams und den Beinkleidern, und kein Schmuck

oder Zierrat deutete auf seinen hohen Rang hin.


Er trat an die steinerne Brüstung der Plattform, legte die Hände auf die

Steine und spürte, wie seine Gemahlin Larwyn neben ihn trat und ihre Hand

sanft über die seine legte.


Noch immer war sie eine Schönheit, und Garodem fragte sich, warum das

Alter an manchen Menschen so spurlos vorüberzugehen schien. Sie war noch

immer schlank und dabei fraulich. Und trotz der Linien, die sich kaum

merklich in ihrem Gesicht zu zeigen begannen, strahlte Larwyn etwas

mädchenhaft Unschuldiges aus, das ihren Gemahl immer wieder aufs Neue

faszinierte. Sie war weitaus jünger als er selbst, und ihr langes Haar fiel weit

über ihren Rücken und schimmerte in einem makellosen Goldton. Sie trug ein

schlichtes weißes Kleid, das ihren Körper lose umspielte, und um ihre Taille

hatte sie einen grünen Gürtel gelegt, der mit einer Spange in der Form des

Symbols des Pferdevolkes verschlossen war. Dieses Symbol wiederholte sich

auch in dem zarten Stirnreif, den sie in ihr Haar geschoben hatte.


Garodem wies mit der freien Hand in Richtung Stadt. »Unsere Hochmark

wächst und gedeiht. Weitaus besser, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.

Der Kampf gegen die Orks des Schwarzen Lords scheint längst vergessen,

obwohl wir erst vor wenigen Jahreswenden vor Merdonan kämpften. Aber die

Wunden sind offenbar verheilt, und die Lücken, die der Feind uns riss, sind

geschlossen. All das geschah in so unglaublich kurzer Zeit.«


Larwyn lachte leise auf. »Vermisst du die Schlacht? Vermisst du den

Klang der Hörner und den Anblick der Beritte, die deinem Banner in die

Schlacht folgen?«


Garodem blickte unwillkürlich zu dem auf der Plattform gestapelten Holz

mit dem Fett und dem Brennstein hinüber, die bereitlagen, um das Feuer

jederzeit zu entzünden, wenn Gefahr drohte. »Meine Zeit als Krieger ist

vorbei. Ich habe es in Merdonan gespürt. In jedem einzelnen meiner

Knochen.«


Larwyns Hand umschloss die seine. »Für dich gewinnt nun die Weisheit

mehr Bedeutung als das Führen deiner Klinge.«


Er gab ein leises Schnauben von sich, wie ein Wildpferd, dem man zum

ersten Mal Sattel und Zaumzeug anzulegen versuchte. »Aus deinen Worten

klingt die Liebe einer Gemahlin, Larwyn, und dafür danke ich dir. Aber mein

Rücken spricht klarere Worte.« Garodem erwiderte zärtlich den Druck ihrer

Finger. »Merdonan war wohl meine letzte große Schlacht, meine Liebe. Mir

fehlen die Schnelligkeit und Stärke der vergangenen Jahreswenden. Oh, mein

Wille ist stark wie zuvor, Larwyn, aber ich beginne in der Nacht die weiche

Bettstatt zu schätzen. Als ich vor drei Zehntagen den neuen Weiler besuchte

und eine Nacht mit den Männern im Freien verbrachte, da fand ich kaum

Schlaf, so sehr schmerzten mir die Glieder. Wahrhaftig, Larwyn, für einen

Moment empfand ich am Morgen Neid auf die anderen, die sich um mich

herum mit Leichtigkeit erhoben.«


»Garwin, dein Sohn, wird dein Banner bald führen können.«


Garodem sah auf das große Feld hinunter, das sich westlich von der Burg

Eternas erstreckte. Seit Gründung der Hochmark diente es ihren Pferdelords

in doppelter Weise: für die Übung ihrer Wehrfähigkeit und für die Heerschau,

wenn sie sich unter dem Banner Garodems für die Schlacht sammelten. Auch

jetzt war dort Bewegung, und von der hohen Warte des Signalturms aus

konnten Garodem und Larwyn Männer mit den Rosshaarschweifen der

Wache erkennen. Sie ritten zum Klang der Signalhörner und Kommandos

ihrer Scharführer über den Platz. Auch Garwin, ihr Sohn, befand sich unter

den Reitern.


Garodems Miene war schwer zu deuten, und Larwyn spürte die Zweifel in

seiner Stimme, als er ihr endlich antwortete. »Ja, vielleicht wird Garwin mein

Banner bald in die Schlacht führen können.«


Sie beide liebten ihren Sohn und empfanden Stolz beim Anblick des

jugendlichen Reiters, der in den Reihen eines Beritts übte. Dennoch spürte

Larwyn instinktiv, dass der Anblick des Sohnes widerstreitende Gefühle in

ihrem Gemahl weckte. Obwohl Garodem in seinem Leben vor keinem Kampf

zurückgeschreckt war, scheute er sich in diesem Fall, seine Sorgen mit ihr zu

teilen.


»Du zweifelst an Garwin, nicht wahr?«


Garodem beobachtete die Männer auf dem Feld und schien nach den

richtigen Worten zu suchen. »Er ist ein hervorragender Reiter und beherrscht

seine Waffen«, erwiderte er schließlich mit leiser Stimme, »aber es ist etwas

an seinem Wesen, das ihn von den anderen Pferdelords unterscheidet.«


Das Thema schien dem Pferdefürsten unangenehm, und Larwyn bemerkte,

wie Garodem ihr auszuweichen versuchte, als er mit weit ausholender Geste

über das Feld und die Burg wies. »Eternas ist gewachsen, so wie alles wächst.

Die Stadt muss vergrößert werden und auch die Burg.«


»Ja, du hast recht.« Larwyn lächelte, obwohl es sie schmerzte, dass der

geliebte Mann sich ihr nicht anvertrauen mochte. Dafür konnte es nur einen

einzigen Grund geben. Garodem befürchtete, dass seine Worte sie verletzen

könnten. So vieles hatten sie im Verlauf der Jahreswenden miteinander

geteilt, und nun, da es um ihr gemeinsames Kind ging, zögerte er, offen mit

ihr darüber zu reden. Die blonde Herrin der Hochmark kannte ihren Garodem

und wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu bedrängen. So beschloss sie,

das Thema zunächst auf sich beruhen zu lassen, und ging auf seine

ausweichenden Worte ein. »Die Hochmark gedeiht, und wir müssen für die

Zukunft planen.«


Garodem sah sie an und lächelte. Sie spürte seine Erleichterung darüber,

dass sie den Themenwechsel angenommen hatte. »Die Stadt kann noch ein

wenig wachsen«, brummte er, »aber ein Ende lässt sich absehen. Bald ist sie

zu klein, um alle Menschen aufnehmen zu können. Aber wenn sie noch

stärker wächst, wird das Tal seine Bewohner nicht mehr ernähren können.« Er

seufzte leise. »Und die Gehöfte und Weiler können nur begrenzten Raum

bieten.«


Larwyn folgte seinen Gedankengängen. »Du denkst an die Zeit zurück, in

der du die Hochmark gegründet hast?«


»Ja.« Garwins Blick glitt nach Süden, dorthin, wo sich die anderen Marken

des Pferdevolkes erstreckten.


»Garwin ist noch zu jung, um eine eigene Mark zu gründen«, sagte sie

leise.


Der Pferdefürst nickte. »Natürlich ist er zu jung dazu. Zudem wüsste ich

nicht, wo er eine neue Mark aufbauen könnte. Jenseits der Westmark liegt das

Dünenland, unsere alte Heimat. Dort gibt es kein fruchtbares Land mehr, und

außerdem ist die Wüste das Gebiet der Clans. Im Süden stoßen unsere

Grenzen an das Reich Alnoa und im Norden an die Städte der guten Herren

Zwerge. Nein, Larwyn, mein geliebtes Weib, ich denke nicht an eine neue

Mark.«


Garodem löste sich von der Einfassung des Turms und begann auf der

kleinen Turmplattform auf und ab zu schreiten. Larwyn kannte diese

Angewohnheit. Immer wenn er sich auf ein Problem konzentrierte,

verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und ging in seinem

Arbeitszimmer von einer Seite zur anderen. Eine stete Folge von Schritten, in

denen seine Gedanken an einem anderen Ort zu weilen schienen, so lange, bis

er eine Lösung gefunden hatte.


»In den unteren Marken gibt es noch Raum.« Der Pferdefürst verharrte

kurz und nickte dann, als müsse er seine eigenen Worte bestätigen. »Sollte die

Hochmark weiter wachsen, werden wir Familien in die anderen Marken

entsenden.«


»Sie werden dort willkommen sein.«


»Das werden sie.« Garodem lächelte versonnen. »Vor allem der brave

Bulldemut wäre sicherlich dankbar, wenn wir seine Stadt und seine Weiler

mit frischem Leben füllen würden. Auch wenn die Ostmark nicht allzu viel

gelitten hat, als die Orks Merdonan berannten, so weiß ich doch, dass ihr

Pferdefürst die Stadt vergrößern und stärker machen will. Ihre Lage am Pfad

durch die Weißen Sümpfe verleiht ihr eine Schlüsselposition, falls die Orks

erneut vorstoßen wollen.«


»Sofern sie nicht aus einer anderen Richtung kommen.«


»Ja, das mag geschehen.« Garodem leckte sich über die Lippen und trat

wieder neben Larwyn. »Aber kommen werden sie. Eines Tages.«


»Wir werden gerüstet sein«, versicherte Larwyn. »Die Hochmark wird

bereitstehen.«


Ihr Gemahl nickte. »Ja, so gut wir es vermögen.« Er blickte abermals auf

das freie Feld hinunter. »Vier volle Beritte bringen die Schwertmänner

mittlerweile in den Sattel. Gut, dass wir die Burg nun endlich erweitern.«


Am Anfang hatte die Burg von Eternas reichlich Raum geboten, aber nun

war sie zu klein geworden. Schon als die Wache auf hundert Schwertmänner

angewachsen war, hatte es eine unangenehme Enge in Stall und Unterkünften

gegeben. Schon damals hatten Garodem und der Erste Schwertmann

Tasmund erwogen, die Burg zu vergrößern. Man hatte die Absicht immer

wieder aufgeschoben und der Entwicklung der Stadt den Vorrang gegeben,

aber vor drei Jahreswenden hatte man endlich mit den Erweiterungen

begonnen, die nun nahezu abgeschlossen waren.


Zunächst hatte Garodem erwogen, die gesamte Burg auszubauen und auch

die neuen Gebäude in den Schutz der Wehrmauer einzubeziehen, aber er hatte

den Gedanken rasch aufgegeben.


»Die Schwertmänner werden dem Feind wie gute Pferdelords auf dem

Rücken ihrer Pferde begegnen«, hatte er lakonisch festgestellt. »Es hat keinen

Sinn, ihre Bettstatt zu verteidigen, die man rasch neu errichten kann. Zudem

braucht eine kurze Mauer weniger Verteidiger, und die Gewölbe unter der

Burg sind noch groß genug, um den Alten und Schwachen, den Frauen und

Kindern, eine Zuflucht zu bieten.«


Jetzt war das freie Feld, auf dem sich die Pferdelords sammelten, im

Westen und Norden von Gebäuden umgeben. Im Norden standen die

eingeschossigen Unterkünfte der Schwertmänner. Sie waren lang gestreckt

und flach, aus massiven Steinquadern erbaut und mit Steinplatten gedeckt.

Ihre Türen und Fenster waren klein, sodass die Gebäude eher wie kompakte

Festungen wirkten, was sie im Grunde auch waren. Die Öffnungen im

Gebäude ließen sich durch metallene Platten auf schmale Schlitze verengen.

Kein Brandpfeil vermochte diesen Bauten zuzusetzen. Im Inneren bestanden

die Unterkünfte aus den Kammern für die Scharführer, einer Sattel- und

Rüstkammer sowie einem großen Raum, in dem die einfachen

Schwertmänner ihre Bettstatt und Kleiderkiste hatten.


Im Westen befanden sich die Ställe und die Koppel. Vierhundert

Schwertmänner brauchten neben ihren Reitpferden auch Ersatzpferde, zudem

mussten Vorräte und Abfälle transportiert werden. So kam es, dass nun fast

tausend Tiere im Umfeld der Burg grasten. Es gab noch keine Engpässe bei

der Versorgung von Mensch und Tier, aber Garodem wusste, dass die

Hochmark bald an den Rand ihrer Möglichkeiten stoßen würde.


Der Süden des Platzes wurde nicht von Gebäuden begrenzt. Von hier hatte

man freien Blick auf die nahe gelegene Stadt Eternas, die sich ebenfalls

entwickelt hatte. Doch auch ihrem Wachstum waren Grenzen gesetzt.


Die Burg erhob sich nördlich der Stadt, nur wenige Hundertlängen von

ihren Rändern entfernt, und Garodem ließ nicht zu, dass auch nur ein einziges

Gebäude näher an die Festung gebaut und so deren Schussfeld geschmälert

würde. Im Osten verhinderte der kleine Fluss Eten den Ausbau, und im

Westen und Süden würde jedes neue Haus auf Kosten der Anbauflächen

gehen, die zur Ernährung der Bevölkerung erforderlich waren.


Ja, Garodem und Larwyn empfanden sowohl Stolz als auch Sorge, wenn

sie die Entwicklung ihrer Hochmark verfolgten, und Gleiches galt für die

Entwicklung ihres Sohnes Garwin.


Als Kind hatte er den Bewohnern der Burg so manchen Streich gespielt,

und diese hatten es hingenommen. Teils amüsiert, teils aus Respekt den Eltern

gegenüber, hatte man das Verhalten des Knaben toleriert. Vielleicht war dies

ein Fehler gewesen, denn die Streiche wurden mit der Zeit immer weniger

harmlos. Garodem war erstmals wütend geworden, als Garwin den

Schwertmännern stechende Klettpflanzen unter die Sättel geschoben hatte.

Seitdem achtete der Pferdefürst stärker auf das Verhalten seines Sohnes und

legte Wert darauf, dass der Junge streng in den Traditionen des Pferdevolkes

unterwiesen wurde. So wie Garodem und seine Männer den

Heranwachsenden in Gebräuchen und Kriegshandwerk unterwiesen,

unterrichteten Larwyn und ihre Freundin, die Heilerin Meowyn, ihn in der

Kunst des Schreibens und Lesens, und inzwischen vermochte Garwin sogar

die elfischen Zeichen zu setzen und zu deuten. Der Sohn des Pferdefürsten

hatte es gelernt, seine Mitmenschen mit Respekt zu behandeln, aber Garodem

störte es, dass dies stets mit einem amüsiert wirkenden Funkeln in den Augen

geschah. Ebendies sorgte den Herrn der Hochmark.


Die Reiter unten auf dem freien Feld übten sich gerade in den engen

Reitformationen, mit denen sie die dicht geschlossenen Reihen einer orkschen

Legion aufzubrechen vermochten. Vor den einzelnen Beritten waren die

Scharführer mit ihren Wimpeln zu erkennen, deren Lanzen deutlich länger

waren als die Stoßlanzen der Kämpfer. Daher ragten die grünen dreieckigen

Tücher hoch über die Köpfe der Reiter empor. Auch wenn ein Scharführer

mit ihnen durchaus zustoßen und einen Feind töten konnte, hatten die Wimpel

hauptsächlich die Funktion, die Position des Kommandeurs in der Schlacht

anzuzeigen und seine Befehle zu verdeutlichen. Die Haltung der Lanze und

des Wimpels zeigte dabei an, wie und in welche Richtung sich ein Beritt

bewegen sollte. Im Gewühl einer Schlacht war der Wimpelträger nicht immer

zu erkennen, daher gab es in jedem Beritt zusätzlich zwei Männer, welche die

metallenen Hörner der Hochmark blasen konnten, deren Klang die Befehle

über den Schlachtlärm trug.


Einer der Beritte auf dem Feld hatte unter Hörnerklang eine enge

Angriffsformation eingenommen und preschte im vollen Galopp über das

Gelände, als plötzlich Unruhe entstand. Garodem hatte dies sofort erkannt

und beugte sich interessiert über die Brüstung des Signalturms.


»Kormunds Beritt«, brummte er halblaut. »Das Pfeilsymbol auf seinem

Wimpel ist unverkennbar.«


»Was geht dort vor sich?«, fragte Larwyn neugierig und trat ebenfalls dicht

an die Brüstung heran. »Der ganze Beritt ist aus dem Tritt.«


»Ja, das ist keine disziplinierte Doppellinie von Schwertmännern«, stieß

Garodem grimmig hervor. »So sehen einberufene Pferdelords an ihrem ersten

Übungstag aus. Aber das dort sind keine einfachen Pferdelords, das sind

meine Schwertmänner.«


Garodem schätzte die beherrschte Disziplin der Schwertmänner. Sie

hielten ihre enge, fast Knie an Knie gefügte Formation auch unter dem

Pfeilhagel des Gegners aufrecht und schlossen die Lücken, die entstanden, bis

sie mit massierter Wucht in den Feind prallten. So schufen sie jene tödlichen

Breschen, durch welche die anderen Pferdelords nachstoßen konnten. Doch

was er dort unten sah, erregte seinen Unmut, zumal die Ordnung des Beritts

immer weiter zerfiel, bis der Scharführer an der Spitze schließlich die Lanze

quer hielt und die Reiter anhalten ließ. Unverwechselbar war es Scharführer

Kormund, der nun mit einem der Reiter erregte Worte wechselte.


Garodem ahnte, wer dieser Reiter war, und sah Larwyn stirnrunzelnd an.

»Ich werde den Männern ein wenig bei der Übung zusehen, Larwyn. Gib du

bitte Tasmund Bescheid, dass ich ihn später in meinem Arbeitsraum sprechen

will.«


Die Hohe Dame wäre ihrem Gemahl lieber gefolgt, aber sie wusste, dass

Garodem allein klären wollte, was dort auf dem Übungsfeld geschehen war,

und sie kannte auch den Grund dafür. »Er ist noch jung und unerfahren«,

sagte sie leise.


»Er ist ein Pferdelord«, erwiderte Garodem entschieden. »Und wie ein

solcher hat er sich auch zu benehmen.«


Sie stiegen über die Leiter ins Haupthaus hinunter, und der Schwertmann

der Wache, der hier gewartet hatte, kletterte wieder auf die Plattform hinauf.

Im Obergeschoss des Haupthauses befanden sich die privaten Gemächer des

Pferdefürsten und ihres Sohnes Garwin. Einst hatten hier auch die Scharführer

und der Erste Schwertmann ihre Kammern gehabt, doch die Scharführer

wohnten nun in den neuen Häusern im Norden des Übungsfeldes, während

die alte Unterkunft der Schwertmänner mittlerweile dem Ersten Schwertmann

Tasmund und seiner Frau, der Heilerin Meowyn, als Wohnstatt dienten. Über

den Amtsraum des Pferdefürsten erreichten Garodem und Larwyn die Treppe,

die in die große Versammlungshalle der Burg von Eternas hinunterführte.


Sie durchquerten die Halle und erreichten das Hauptportal, an dem zwei

voll gerüstete Schwertmänner als Ehrenwache standen. Über die breite

Vortreppe traten Garodem und Larwyn auf den vorderen Burghof, wo sie sich

schließlich trennten. Die beiden Pferdelords sahen einander kurz an.


»Mir scheint, unseren Herrn Garodem plagen unfreundliche Gedanken«,

meinte einer von ihnen.


»Und ich kann mir denken, warum«, stimmte der andere zu. »Garwin übt

gerade mit Kormunds Beritt.«


Sein Kamerad spuckte aus. »Ich möchte nicht Garwins Scharführer sein.«


»Ja«, seufzte der andere. »Und ich nicht sein Vater.«


Beide Männer beneideten Garodem nicht um dessen Sohn. Die anfängliche

Sympathie der Männer für den Sprössling des Pferdefürsten war zunehmender

Skepsis gewichen. Garwin war durchaus freundlich, aber er beharrte zu oft

und zu unnachgiebig auf seiner Meinung und ließ die anderer, meist weitaus

erfahrenerer Männer kaum gelten.


Es waren nur wenige Hundertlängen bis zum Übungsfeld, aber als

Pferdelord wäre es Garodem niemals in den Sinn gekommen, die Strecke zu

Fuß zurückzulegen. Er schritt durch eines der drei Tore, durch die man vom

vorderen in den hinteren Burghof gelangte, und gab dort einem der

Stallburschen einen Wink. Wenig später ritt er durch das Tor der Burg zum

Übungsplatz hinüber. Schon aus einiger Entfernung hörte er erregte Stimmen

aus einer Gruppe herüberdringen, die sich um Kormunds Wimpel versammelt

hatte.


»Es mag ja Tradition sein«, hörte Garodem besorgt die Stimme seines

Sohnes, »aber welchen Zweck soll eine Tradition haben, die uns die Kraft

unserer Arme und die Schnelligkeit unserer Pferde nimmt?«


»In der Schlacht, Hoher Herr Garwin, reiten wir gegen eine Legion der

Orks, die in Kampfformation steht. Vorne Lanzen und Spieße, dahinter die

Schlagschwerter – durchweg kraftvolle und gut gepanzerte Rundohren, Hoher

Herr. Dahinter befinden sich die kleineren Spitzohren, die ihre Pfeile auf uns

lösen.«


Kormunds Stimme klang mühsam beherrscht.


»Genau darum geht es doch«, erwiderte Garwin ärgerlich. »Viele von uns

haben schnellere und stärkere Pferde. Warum sollen sie sich dem Pfeilhagel

länger als nötig wehrlos aussetzen, wo sie doch viel rascher am Feind sein

könnten?«


»Weil der einzelne Reiter oder eine kleine Gruppe die Linien des Feindes

nicht durchbrechen kann«, stieß Kormund hervor. Man hörte den Ärger in

seiner Stimme, und Garodem sah an dem Wimpel, der sich über die Köpfe

erhob, dass der sonst so gefasste und ruhige Scharführer den Arm hektisch

bewegte. »Die Orks würden ihre Reihen etwas öffnen, die wenigen Reiter

aufnehmen und die Formation wieder schließen. Die so isolierten Männer

müssten nach allen Seiten hin kämpfen und hätten keine Chance.« Kormunds

Stimme wurde eindringlich. »Aber wenn ein Beritt seine Reihen eng

geschlossen hält, dann treffen alle Männer gleichzeitig auf den Feind und

durchbrechen seine Linie.«


»Wenn die Starken vorwegreiten, dann wäre die Linie längst gebrochen.«

Garwins Stimme duldete keinen Widerspruch.


»Die Stärke des Pferdevolkes liegt in seiner Einheit«, rief Garodem

dazwischen. Er hatte sein Pferd nach vorne gedrängt, und die Männer

machten ihm rasch Platz, als sie ihn erkannten.


Kormund und Garwin, inmitten einer dicht gedrängten Schar von

neugierigen Reitern, sahen ihm gleichermaßen erregt entgegen. Kormunds

Gesicht war von Ärger gerötet, während Garwin entspannt im Sattel saß und

den Scharführer spöttisch musterte. Als der junge Reiter seinen Vater

erkannte, wurde sein Blick für einen Moment unsicher, um dann einen fast

trotzigen Ausdruck anzunehmen.


Garodem spürte die Anspannung der umgebenden Pferdelords beinahe

körperlich.


»Ich erkenne mit Wohlgefallen, dass sich meine Schwertmänner in der

Waffenkunst üben«, sagte der Pferdefürst mit einem beschwichtigenden

Lächeln, als er die beiden Streitenden erreicht hatte. »Es ist immer wieder ein

stolzer Anblick, die geschlossenen Reihen eines Beritts im vollen Galopp zu

sehen.«


»Die geschlossene Reihe nimmt uns …«


Garodem hob seine Hand und brachte Garwin so zum Verstummen. »Die

geschlossene Reihe gibt uns die Kraft, die Linien des Feindes zu

durchbrechen.« Seine Stimme schien keinen Widerspruch zu dulden. »Erst

wenn sie gebrochen sind, löst sich die enge Formation des Beritts auf, um

Einzelkämpfe zu ermöglichen.«


»Weil die Tradition es will?«, brauste Garwin auf.


Garodems Stimme wurde kalt. »Weil die Erfahrung es uns lehrt!«


Zustimmendes Gemurmel war bei einigen Reitern zu hören, und Garwins

Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Der Pferdefürst erkannte, dass sein Sohn

etwas erwidern wollte. Ein Mann und eine Frau hatten das Recht, ihre

Meinung zu vertreten, aber Garwin war dabei, einen schrecklichen Fehler zu

begehen, ohne es zu merken.


»Die Erfahrung des Pferdevolkes lehrt uns auch, dass unsere Stärke in

unserer Einigkeit liegt. Als wir noch in der alten Heimat im Westen lebten, da

bildeten wir einzelne Clans, die untereinander Krieg führten. Als das

Sandvolk uns bedrohte, hat der Erste König uns geeint und uns gezeigt, dass

wir nur gemeinsam bestehen können. Gemeinsam leben, gemeinsam kämpfen

und, wenn die Fügung es will, gemeinsam sterben.« Garodem senkte seine

Stimme und sah Garwin versöhnlich an. »Wenn der Befehl kommt und der

Einzelkampf beginnt, dann mögen die Stärke deines Armes und die

Schnelligkeit deines Pferdes von Bedeutung sein, aber im ersten Ansturm

zählt die Kraft des geeinten Beritts.«


»Auch wenn es den sinnlosen Tod von Männern bedeutet?« Garwin stützte

seine Hände auf das Sattelhorn, und man sah, wie die Knöchel weiß wurden.


Garodem blickte die Pferdelords ernst an. »Auch wenn dies den Tod von

Männern bedeutet. Ich bin in manche Schlacht geritten und habe manchen

guten Reiter sterben sehen. Der Tod gehört zum Kampf dazu, und wir müssen

das hinnehmen wie wahre Pferdelords. Nach jeder Schlacht habe ich mir die

Toten angesehen. Jeden einzelnen von ihnen. Und jedes Mal habe ich mich

gefragt, ob meine Entscheidungen richtig waren oder ob ich die Männer

sinnlos in den Tod führte.«


Garodem zwang seinen Sohn mit diesen Worten, die Kritik von

Scharführer Kormund auf sich selbst zu beziehen. Der junge Pferdelord

erkannte die Absicht seines Vaters und lehnte sich im Sattel zurück. Mit

verengten Augen musterte er den Pferdefürsten.


»Du hast deine Schlachten immer gewonnen«, sagte Garwin heiser.


»Nicht ich war es, Pferdelord Garwin«, korrigierte Garodem. Garwin stand

hier nicht als sein Sohn, sondern als ein Reiter von Kormunds Beritt. Der

junge Mann musste dies erkennen und akzeptieren, denn es durfte keine Rolle

spielen, dass er der Sohn des Pferdefürsten und künftige Herr der Hochmark

war. Er war Gleicher unter Gleichen, doch er schien dies noch nicht

verinnerlicht zu haben. »Wir, die Pferdelords, haben die Schlachten

gewonnen. Geeint in unserer Kraft und unserem Mut.«


»Und unter deinem … Eurem Banner.« Garwins Stimme klang gepresst.

Der Wechsel zur förmlichen Anrede verriet, dass er erkannt hatte, was sein

Vater von ihm erwartete. Es gefiel dem jungen Reiter nicht, aber die Disziplin

und Tradition verlangten von ihm, dass er sich fügte.


»Ja, unter meinem Banner.« Garodem versuchte, seinen Unmut zu

verbergen. Er wies auf seinen Sohn. »Ihr tragt den Umhang eines Pferdelords,

Garwin. Er ist vor Eurem Hals mit einer goldenen Spange in der Form des

doppelten Pferdekopfes verschlossen. Diese Spange ist nicht nur ein

Verschluss, Pferdelord Garwin. Ihr Symbol wiederholt sich auf den Schilden

der Schwertmänner, im Griff der Schwerter und auch auf meinem Banner.

Die nach außen gewandten Pferdeköpfe symbolisieren die Wehrhaftigkeit

unseres Volkes und die Kraft unserer Pferde. Die Köpfe sind in der Form

eines Hufeisens verbunden, das Zeichen für den Ring der Einigkeit, die

unserem Volk die Stärke gibt. Es ist das Zeichen unseres Pferdevolkes und

weitaus mehr als das.«


Garodem reckte sich im Sattel und spürte, wie ihm dabei ein stechender

Schmerz durch den Rücken fuhr. »Das Zeichen unseres Volkes ist die

Verpflichtung für die Träger des grünen Umhangs. Wer diesen Umhang trägt,

ist ein Pferdelord, und seine Pflicht ist es, das Bestehen des Volkes mit dem

eigenen Leben zu schützen. So, wie es Tradition und Eid verlangen.«


Garodem seufzte. Er wies auf den neben ihm verharrenden Kormund,

dessen Gesicht noch immer abweisend war. Der Pferdefürst spürte die

Anspannung, unter welcher der Scharführer stand. »Der gute Herr Kormund

ist der wohl beste Scharführer, den sich die Hochmark wünschen kann. Viele

Kämpfe haben wir Seite an Seite bestanden und manche Narbe

davongetragen. Jeder Mann, der einen Wimpel der Hochmark führt, tut dies

an meiner Stelle und in meinem Namen.«


Würde Garwin nach diesen Ausführungen weiterhin Kritik äußern, so

griffe er damit unmittelbar auch seinen Vater an. Jeder der Reiter erkannte

dies und wusste, dass Garodem mit seinen Worten eine Entscheidung

herbeigeführt hatte. Dies galt auch für Garwin, der einige Male tief

durchatmete und sich dann langsam im Sattel entspannte.


»Ich verstehe, Hoher Lord«, erwiderte der junge Reiter förmlich. »So will

ich denn dem Wimpel des guten Herrn Kormund folgen, als sei es Euer

Banner, Herr.«


Eine tiefe Kluft hatte sich zwischen Vater und Sohn geöffnet. Garodem

wurde dies mit einem Mal schmerzlich bewusst, und er las im Gesicht

Kormunds, dass auch sein alter Weggefährte es so sah. Kormund räusperte

sich, und seine Stimme klang beherrscht, als er sich wieder an die Männer des

Beritts wandte.


»Es ist an der Zeit, eine Ruhepause einzulegen. Die Pferde und wir können

eine Rast gebrauchen. Versorgt nun die Tiere und euch selbst, Ihr Herren. Am

Nachmittag werden wir dann den Stoß mit der Lanze üben.«


Der Beritt löste sich auf, und Garodem nickte dem Scharführer zu, um

dann sein Pferd neben das von Garwin zu lenken. Dessen Gesichtsausdruck

war schwer zu deuten. Garodem musterte seinen Sohn nachdenklich.

Äußerlich schien er das Ideal eines Pferdelords zu sein. Er war

hochgewachsen und von kraftvoller Gestalt, obwohl er erst siebzehn

Jahreswenden zählte. Erst einen Zehnmond war es her, dass er den Eid

abgelegt und den grünen Umhang der Reiter empfangen hatte. Sein Haar war

hell wie das der meisten Menschen des Pferdevolkes; er trug es schulterlang

und hatte es im Nacken mit einem Stoffstreifen zusammengebunden. Viele

der Männer taten dies, damit das lange Haar sie im Kampf nicht behinderte.

Die Andeutung eines Bartwuchses bedeckte das Kinn des jungen Pferdelords,

dessen Gesicht noch immer jungenhaft wirkte. Er trug die hellen, ledernen

Hosen eines Reiters und darüber ein rotbraunes Wams. Schwert und Dolch,

deren Griffe mit dem Handschutz in der Form des doppelten

Pferdekopfsymbols ausgeführt waren, hingen an seinem Gürtel. Eine Seite

des grünen Umhangs hatte er über die Schulter zurückgeschlagen, und die

Stoßlanze des Reitervolkes lehnte in seiner Armbeuge.


Garwin erwiderte den Blick des Vaters und löste die Hände vom

Sattelknauf. »Mit Eurer Erlaubnis, Hoher Lord, werde ich mich den Männern

nun anschließen.«


Garodem hatte bei seinem Sohn auf Verständnis und Einsicht gehofft, doch

als Garwin auch in Abwesenheit der anderen Männer noch die förmliche

Anrede benutzte, verfinsterte sich sein Gesicht erneut. »Tut das, Pferdelord

Garwin.« Als dieser sein Pferd herumzog, um den anderen zu folgen, hielt

Garodems Stimme ihn zurück. »Du bist mein Sohn, Garwin. Aber all die

Liebe, die ich für dich empfinde, verleiht dir keine besonderen Rechte. Im

Gegenteil. Eines Tages wirst du die Hochmark und diese Männer führen. Du

wirst die Verantwortung für ihre Zukunft und ihr Leben tragen. Sei dir dessen

bewusst, Garwin, mein Sohn.«


»Das bin ich.« Garwin zeigte ein Lächeln, aber es war ohne Wärme.

»Wenn Ihr mich nun entschuldigen wollt, Vater?«


Garodem nickte und folgte Garwin mit dem Blick. Sein Sohn ritt zu den

anderen Männern hinüber, die ihre Tiere an einem der Ställe versorgten. Der

Pferdefürst spürte Bewegung neben sich und sah den Schatten des Reiters.

»Er weilt unter den Männern, Kormund, mein Freund, aber er ist nicht bei

ihnen, wenn du verstehst, was ich meine.«


Kormund sah den Pferdefürsten mitfühlend an. »Es gibt Augenblicke, in

denen ich froh bin, nicht die Verantwortung für einen Sohn oder eine Tochter

tragen zu müssen. Ich glaube, es ist leichter, die Klinge mit einem Feind zu

kreuzen, als sich dem eigenen Blut zu stellen, und sei es auch nur mit

Worten.«


»Du sagst es, mein Freund, du sagst es.« Die Kämpfe der Vergangenheit

hatten die beiden Männer zusammengeschweißt, und sie schätzten offene

Worte. Nur in der Anwesenheit anderer und wenn es die Tradition verlangte,

wahrten sie die förmliche Distanz. Garodem legte seine Hand auf den

Unterarm des Scharführers. »Es wäre gut, wenn die Männer dem nicht zu viel

Bedeutung beimessen würden.«


»Ich verstehe.« Kormund nahm den Helm mit dem Rosshaarschweif ab

und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Aber das wird nicht leicht sein. Die

Männer kämpfen als Einheit, und sie leben auch so, Garodem, mein Freund.

Garwin fügt sich nur schwer ein. Etwas geht in ihm vor sich, das ich nicht

deuten kann.«


An den Unterkünften der Schwertmänner stieg dünner Rauch aus den

Kaminen der Kochstellen. Man begann das Essen vorzubereiten, aber

zunächst wurden die Pferde versorgt. Garodem blickte zur Burg hinüber.

Auch dort würde nun in der Küche Hochbetrieb herrschen, um die Männer,

Frauen und Kinder zu versorgen. Garodem wusste ein gutes Mahl zu

schätzen, aber ihm war der Appetit vergangen.


»Ein offenes Wort, Kormund, mein Freund. Meinst du, Garwin wird

irgendwann einmal die Männer führen können?« Kormund erwiderte den

Blick des Pferdefürsten und schwieg einen Moment. Garodem seufzte.

»Sprich frei, wir sind oft genug miteinander geritten.«


»Wer führen will, muss erst einmal zu folgen lernen«, sagte Kormund

zögernd. »Garwin ist ein guter Reiter und Kämpfer. Aber erst im Waffengang

wird sich zeigen, ob er sich bewährt und Größe hat.«


»Ja, du hast recht.« Garodem nickte. Er löste die Hand von Kormunds

Arm. »Ich will hoffen, dass genug von meinem Blut und dem der Pferdelords

in ihm fließt.«


»Er ist dein Sohn.«


»Manchmal wäre es leichter, er wäre es nicht.«


Sie trennten sich, und während der Scharführer zu den Männern

hinüberritt, lenkte Garodem sein Pferd in Richtung Burg. Wenig später betrat

er sein Amtszimmer im Obergeschoss des Haupthauses. Der Raum nahm die

ganze Breite des Gebäudes ein und wurde von dem wuchtigen Schreibtisch

dominiert, hinter dem in einem Gestell Garodems Rüstung stand. Einige

Schriftrollen, Tusche und Feder lagen auf der Platte bereit, die eine tiefe

Kerbe aufwies, Zeugnis davon, dass hier einst ein heimtückisches graues

Wesen versucht hatte, die Herrin Larwyn zu ermorden. Vor dem Schreibtisch

war eine dunkle Stelle am Boden, dort, wo Garwin vor einigen Jahreswenden

ein Fässchen Tinte umgestoßen hatte. Rechts an der Wand stand ein Regal, in

dem der Pferdefürst eine Reihe von Schriftrollen und Büchern aufbewahrte.

Gegenüber hing eine detaillierte Karte der Marken des Pferdevolkes, das

Geschenk der elfischen Freunde Lotaras und Leoryn. Direkt neben ihr war

eine Streitaxt befestigt, die mit fremdartig wirkenden Gravuren und

Einlegearbeiten versehen war. Der Zwergenkönig Balruk, Herr der grünen

Kristallstadt Nal’t’rund, hatte sie Garodem zum Geschenk gemacht.


Einige gepolsterte Stühle standen im Raum, dessen Rückwand mit Holz

getäfelt war. Dort führte eine Tür in die Privatgemächer und zum Signalturm.

Früher hatte Garodem es geschätzt, wenn seine Scharführer und

Schwertmänner den Weg durch seinen Arbeitsraum nahmen und er so die

Gelegenheit erhielt, immer wieder mal ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.

Nun benutzte der Wachmann des Signalturms jene Tür, die das Haupthaus

und den Turm mit der westlichen Wehrmauer verband.


Larwyn hatte den Ersten Schwertmann Tasmund gerufen, und nun saß der

Vertraute und Freund des Pferdefürsten in einem der Stühle. Als Garodem die

Tür hinter sich schloss, erhob er sich ehrerbietig, aber der Pferdefürst winkte

ab. »Bleib sitzen, mein Freund. Unsere Knochen sind zu alt, als dass wir uns

in sinnlosen Verrenkungen ergehen sollten.«


Tasmund lächelte freudlos. »Du ergehst dich zu oft in Gedanken über

deine schwindende Jugend.«


»Findest du? Offen gesagt ist es Garwin, der mich an meine schwindende

Jugend gemahnt. Wenn Kinder heranwachsen, erfüllt es die Eltern mit Stolz,

aber zugleich ist es ein Zeichen dafür, wie vergänglich wir sind.«


Der Erste Schwertmann der Hochmark hatte noch immer die schlanke

Figur eines Reiters, aber im Gegensatz zu den meisten Männern besaß er

tiefschwarze Haare. Falten hatten sich um seine Mundwinkel und Augen

herum gebildet, die von den Erlebnissen vieler Jahreswenden zeugten. Er saß

ein wenig schräg auf dem Stuhl, eine Folge davon, dass er unbewusst

versuchte, seine rechte Schulter zu entlasten.


»Schmerzen?« Garodem wies auf Tasmunds Schulter und umrundete dann

seinen mächtigen Schreibtisch, um dahinter Platz zu nehmen.


»Das Wetter schlägt um. Die kalten Winde kommen, und der Herbst

kündigt den schweren Winter an«, brummte Tasmund. »Jede Narbe, die wir

erlitten haben, bekundet, dass wir einen sehr kalten Winter bekommen

werden.«


Garodem nickte mitfühlend. Tasmunds rechte Schulter war einst beim

Kampf um Eternas zerschmettert worden. Nur der elfischen Heilkunst

Leoryns hatte er es zu verdanken, dass er sie noch bewegen konnte, auch

wenn der rechte Arm ein wenig steif geblieben war. Zu der Zeit, als

Merdonan von den Orks angegriffen wurde, hatte Tasmund mit Nedeam und

anderen Pferdelords zur Befreiung des elfischen Hauses Deshay beigetragen

und dabei eine weitere schwere Verletzung erlitten, die ihm der Dolchstoß

einer verwandelten Elfin zugefügt hatte. Man hatte den Schwerverletzten

nach Eternas gebracht, wo er dank der Heilerin Meowyn wieder genesen war.

Doch aufgrund dieser weiteren Verletzung konnte sich Tasmund kaum noch

in den Sattel heben, zu groß waren dabei die Schmerzen. Selbst Meowyn, die

bald nach seiner Genesung seine Frau geworden war, konnte dem nicht

abhelfen.


»Tasmund, mein Freund, ich muss eine wichtige Angelegenheit mit dir

besprechen.« Garodem legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und

sah den Ersten Schwertmann eindringlich an. »Es geht um die Anforderung

unseres guten Königs Reyodem.«


»Das Gold?« Tasmund lächelte. »Die Menge fällt kaum ins Gewicht. Wir

haben genug davon.«


»Ich weiß.« Garodem erwiderte das Lächeln seines Freundes. »Er soll

davon bekommen, soviel er braucht. Als ich vor einigen Tageswenden im

Hammergrundweiler war, traf ich dort einen Mann aus der Königsmark, der

Näheres zu berichten wusste. Das Gold soll nicht zum König nach Enderonas,

sondern nach Gendaneris gebracht werden.«


»Gendaneris?« Tasmund runzelte die Stirn. »Das liegt im Reich der

weißen Bäume. Warum dorthin?«


»Es geht wohl um die Schüsselchen, die der König von Alnoa als Währung

herstellt.«


»Das wird aber eine verdammt große Menge an Schüsselchen ergeben«,

brummte Tasmund. »Warum schaffen wir das Zeug dann nicht nach Alneris?

Dort befinden sich doch die Hersteller der Schüsselchen.«


»Ich weiß es nicht. Reyodem hat offenbar eine Anfrage aus Gendaneris

bekommen. Von einem der dortigen Händler.« Garodem erhob sich und trat

an die Landkarte. »Vielleicht wollen sie das Gold mit Schiffen nach Alneris

bringen.«


»Das wäre viel zu umständlich.« Tasmund trat neben den Pferdefürsten.

»Der Transport mit dem Gold geht von uns aus nach Süden und muss dann

hier«, er tippte mit dem Finger auf die Karte und fuhr dann ein Stück weit auf

ihr entlang, »die Straße nach Südosten nehmen. Dort liegt schon Alneris. Und

dort, viel weiter im Westen, liegt Gendaneris. Ein gewaltiger Umweg also,

zeitraubend und mühsam mit der schweren Ladung.« Er sah seinen Freund an.

»Warum holt der Händler es nicht ab?«


»Es ist ein weiter und für die voll beladenen Wagen beschwerlicher Weg.

Glücklicherweise ist er, von Schlaglöchern und Raubtieren einmal abgesehen,

nicht besonders gefährlich.« Garodem kratzte sich im Nacken. »Von uns aus

in die Nordmark, dann in die Königsmark und hinunter ins Reich der weißen

Bäume. Man schickt uns ein paar Wagen, aber wir werden auch eigene

benutzen müssen. Das Gold ist sehr schwer.«


Tasmund lachte auf. »Das wird den Händler Helderim freuen. Er hat die

meisten Wagen und wird sich ihre Bereitstellung mit vielen Schüsselchen

vergelten lassen.«


Garodem wurde ernst. »Normalerweise bräuchten wir keinen starken

Begleitschutz für den Transport. Es werden viele Wagen sein und viele

Helfer. Eine Bande Räuber würde sich kaum heranwagen. Zudem ist das Gold

wertlos.«


»Nicht im Reich der weißen Bäume.«


»Da hast du recht.« Garodem trat an eines der Fenster, die nach Süden

zeigten, und beugte sich vor. Als er den Kopf wandte, konnte er einen Teil

des Übungsfeldes einsehen. Dort herrschte mittägliche Ruhe, aber bald

würden die Pferdelords erneut zu üben beginnen, und unter ihnen würde auch

Garwin sein. Abrupt wandte sich der Pferdefürst wieder zu Tasmund.

»Dennoch will ich dem Transport einen starken Schutz geben. Einen vollen

Beritt.«


Erneut runzelte der Erste Schwertmann die Stirn. »Befürchtest du

Schwierigkeiten?«


»Nein. Aber es wäre eine gute Übung für die Männer.«


Tasmund verengte die Augen und musterte Garodem nachdenklich. »Ich

glaube, mein Freund, du denkst an einen ganz bestimmten von ihnen.«


Der Pferdefürst seufzte erneut. »Ja, das tue ich.«


Der Erste Schwertmann gab einen undefinierbaren Laut von sich.

»Vielleicht täte es allen ganz gut, sich nicht aneinander, sondern am Sattel zu

reiben. Ein langer Ritt, auch wenn es nicht zum Kampf kommt, kann Männer

zusammenschweißen und zu einer festen Einheit werden lassen.«


»So ist es.« Garodem lächelte.


»Garwin ist kein Scharführer«, wandte Tasmund ein. »Er hat noch nicht

das Recht, einen Wimpel zu führen.«


»Verdammt, Tasmund, das weiß ich«, fuhr Garodem auf. Entschuldigend

hob er die Hände. »Verzeih, mein Freund.« Der Pferdefürst zwang sich zur

Ruhe. »Es ist sicherlich ein Risiko, aber Garwin muss lernen, Verantwortung

zu übernehmen. Wenn er erst in Krisenzeiten damit beginnt, kann es sein,

dass er versagt, wenn weder du noch ich ihm beistehen können.«


»Du befürchtest also tatsächlich, dass er versagt.«


Garodem sah seinen Freund kummervoll an. »Falls es bei einem harmlosen

Begleitritt nach Gendaneris geschieht, hat es wenigstens nicht den Tod von

guten Pferdelords zur Folge.«


»Dennoch ist er kein Berittführer. Nicht einmal Führer einer Schar. Es

kann böses Blut unter den Männern geben.«


»Nicht unter meinen Schwertmännern.« Garodem zuckte die Schultern.

»Nun, und wenn das geschehen sollte, sind sie diszipliniert genug, ihren

Unmut im Zaum zu halten.«


Tasmund schwieg einen Moment und wiegte dann langsam den Kopf. »Ich

halte es für zu gefährlich. Wenn Garwins Autorität nun Schaden nimmt und er

später dein Banner übernehmen muss, dann kann das üble Folgen haben. Ich

würde vorschlagen, ihm einen fähigen Mann zur Seite zu stellen. Als …

Berater, sozusagen. Offiziell soll Garwin führen, aber du musst ihm deutlich

machen, dass er sich im Zweifel an das zu halten hat, was der Berater ihm

sagt.« Tasmund schnaubte. »Ich würde diese Aufgabe übernehmen, Garodem,

das weißt du, aber …«


Garodem winkte ab. »Wir beide taugen nicht mehr für den Sattel.

Kormund will ich den langen Ritt nicht zumuten, und außerdem brauche ich

ihn hier, für den Fall, dass eine Gefahr droht, der wir begegnen müssen.«


»Die anderen Scharführer werden einen schweren Stand gegen Garwin

haben. Dein Sohn ist … sehr eigensinnig und temperamentvoll.« Tasmund

spitzte die Lippen und lachte leise auf. »Ich glaube, wir haben denselben

Mann im Sinn.«


»Nedeam.«


Die Pferdelords 05 - Die Korsaren von Umbriel

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