Читать книгу Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen - Michael Schenk - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеDer Wind war schneidend und strich unbarmherzig durch die Täler der
Hochmark. Der Winter kam früh. Eigentlich viel zu früh, und er würde sehr
lang und kalt werden. Obwohl die Menschen der Mark daran gewöhnt waren,
bereiteten sie sich in diesem Jahr besonders gründlich darauf vor. Überall auf
den Feldern um die Stadt Eternas wurde fieberhaft die zweite Ernte
eingebracht. Denn Getreide, das nicht innerhalb weniger Tage in den
Scheunen und Vorratshäusern lag, würde dem Frost zum Opfer fallen. Viel
früher als gewohnt wurden die Ställe ausgebessert und die Dächer darauf
überprüft, ob sie der Last von Schnee und Eis standhalten würden.
Es war früh am Morgen, und die Schritte des Mannes knirschten auf dem
Boden der kleinen Koppel, der von Reif überzogen war. Er war von schlanker
Statur und hatte sich eng in den grünen Umhang der Pferdelords gehüllt,
dennoch konnte er ein Frösteln nicht unterdrücken. An seinem rotbraunen
Helm mit dem goldenen Symbol des Pferdevolkes wippte bei jedem Schritt
ein blau gefärbter Rosshaarschweif auf und nieder. Dieser und der schmale
blaue Saum des Umhangs zeigten an, dass er ein Schwertmann der Hochmark
war. Und wie das goldene Symbol bewies, kein beliebiger, sondern der Erste
Schwertmann der Hohen Dame Larwyn, der Herrin der Mark. Er trug die
Verantwortung für die Sicherheit der Menschen hier und führte das Banner
Larwyns in die Schlacht.
Nedeam strich nachdenklich über die Holme des Gatters. Das einst glatte
und frisch geschälte Holz war nun rissig und dunkel. Die vielen Jahre waren
nicht spurlos an dem kleinen Gehöft vorübergegangen, der Geburtsstätte
Nedeams, wo er unter der Obhut des Vaters und seiner Mutter Meowyn
aufgewachsen war. Bis die Horden der Orks seinen Vater töteten und seine
Mutter schwer verletzten. Sie lebte nun in der Burg von Eternas und war eine
berühmte Heilerin geworden. Nedeam hingegen hatte das elterliche Gehöft
viele Jahre zusammen mit seinem älteren Freund und Mentor Dorkemunt
bewirtschaftet. Nun war Dorkemunt tot, gefallen im Kampf gegen einen
mächtigen Zauberer, und es gab nichts mehr, was Nedeam noch an das alte
Gehöft gebunden hätte. Die Witwe Henelyn und ihre beiden Söhne, die es
nach Nedeams Aufstieg zum Ersten Schwertmann gemeinsam mit Dorkemunt
bewirtschaftet hatten, lebten seit dem Tod des alten Pferdelords im
Hammergrundweiler.
Nedeam hörte ein unterdrücktes Hüsteln und blickte kurz zum Haupthaus
hinüber. Dort standen Elbort und seine Familie und erwiesen ihm ihren
Respekt. Trotz der Kälte harrten sie aus, denn sie wussten, dass der erfahrene
Kämpfer nun endgültig Abschied von den Jahren seiner Kindheit nahm.
Elbort war ein Pferdelord, aber kein Schwertmann. Daher stand er nicht
ständig unter Waffen, sondern ergriff diese nur, wenn die Losung des
Pferdevolkes gegeben wurde und die Mark verteidigt werden musste. Nedeam
unterdrückte ein leises Seufzen. Der Anblick der kleinen Familie erinnerte ihn
an die glücklichen Jahre seiner Kindheit, und er hoffte, dass ihr das Leid
erspart blieb, dem er schon zu oft gegenübergestanden hatte. Denn mit seinen
siebenunddreißig Jahren hatte Nedeam schon manchen Kampf gefochten.
Die Sorge um die Zukunft der Hochmark bedrückte ihn. Zu dem alten
Feind im Osten, dem Schwarzen Lord und seinen orkischen Legionen, war
ein neuer und heimtückischer Gegner hinzugekommen: Garwin, der Sohn der
Hohen Dame Larwyn, ein Verräter und Renegat.
Er zuckte zusammen, als seine Hand gegen einen Splitter in dem
verwitterten Holz stieß. Instinktiv zog er sie zurück, entfernte den Splitter und
ließ ihn achtlos fallen. Nedeam wusste, dass sich diese Wunde sehr rasch
wieder schließen würde.
Er seufzte erneut und versuchte, die schwermütigen Gedanken
abzuschütteln. Vielleicht wäre er besser nicht hergekommen, um von dem
alten Gehöft Abschied zu nehmen. Aber er fühlte sich dazu verpflichtet,
zumal der Abschied auch einem treuen alten Gefährten galt. Stirnfleck, einst
das Pferd seines Vaters, hatte Nedeam über viele Jahre treu gedient, doch nun
war endgültig die Zeit gekommen, da sich ihre Wege trennen mussten.
Nedeam stützte sich leicht auf das Gatter und blickte zu dem Hengst hinüber,
der ein wenig abseits auf der Koppel stand und ihn noch nicht bemerkt hatte.
Stirnfleck war hager geworden und auf einem Auge fast blind. Es betrübte
den Ersten Schwertmann zu sehen, wie kraftlos das Tier an den Halmen
zupfte. Für einen Moment war er versucht, zu dem alten Gefährten
hinüberzugehen. Doch es war wohl besser, es nicht zu tun. Die Trennung war
ihnen beiden schwergefallen, und ein Wiedersehen mit erneutem Abschied
würde den Schmerz nur vergrößern.
Nedeam nickte Stirnfleck schweigend zu und wandte sich dann ab.
Langsam ging er zum Haupthaus zurück, wo Elbort und seine Familie noch
immer ausharrten. Elbort wusste, was in dem Mann vor sich ging. Jeder
Reiter des Pferdevolkes hätte es nachempfinden können.
»Wir werden uns gut um Stirnfleck kümmern, Hoher Herr Nedeam«,
versicherte der Pferdelord. »Seid unbesorgt. Er wird in Ehren und in Frieden
altern.«
»Dessen bin ich mir gewiss«, erwiderte Nedeam leise. »Bei Euch ist er in
guten Händen, und das gilt auch für das Gehöft. Ich sehe, Ihr habt den Stall
ausgebaut, guter Herr Elbort.« Der Erste Schwertmann nickte anerkennend.
»Das Dach wird jeder Schneelast standhalten.«
»Wir bekommen noch ein paar Schafe vom Horngrundweiler.« Elbort
lächelte Frau und Kindern zu. »Enyana versteht sich darauf, gute Wollfäden
zu spinnen. Das bringt noch immer Gewinn, trotz der feinen Tücher, die man
inzwischen aus dem Reich Alnoa erhält.«
»Ja, das Pferdevolk weiß gutes Wolltuch zu schätzen.« Nedeam strich
unbewusst über seinen grünen Umhang, der bis fast auf den Boden reichte.
»Nun, guter Herr Elbort, es ist an der Zeit zurückzureiten. Mir bleibt nur
noch, Euch für die Gastfreundschaft der Nacht zu danken. Somit ist dies nun
Elborts Gehöft, und ich wünsche Euch und den Euren ein langes und
glückerfülltes Leben.«
Nedeam wollte das Unvermeidliche nicht länger hinauszögern. Mit diesem
Gehöft waren schöne, doch auch schmerzhafte Erinnerungen verbunden. Vor
allem jene an Dorkemunt. Nein, er musste die trüben Gedanken abstreifen,
denn seine Zukunft lag in Eternas und an der Seite seiner geliebten Elfin
Llaranya.
Er trat neben Duramont, den großen braunen Hengst mit den schwarzen
Fesseln, den er jetzt ritt. Das Pferd schnaubte leise und scharrte mit den
Hufen. Es war begierig, sich endlich wieder bewegen zu können. Nedeam
hatte Duramont vor zwei Jahren ausgewählt und seine Ausbildung selbst
übernommen, ganz wie es der Tradition des Pferdevolkes entsprach. Der
Hengst war gelehrig und voller Temperament, und Nedeam war gespannt
darauf, wie sich sein neuer Gefährte bewähren würde, wenn er eines Tages
vom Lärm und Blut einer Schlacht umgeben war. Nedeam strich ihm sacht
über die Nüstern und flüsterte ein paar jener elfischen Worte, die Llaranya ihn
gelehrt hatte. Duramont schnaubte erneut, als Nedeam in den Sattel stieg und
sich vergewisserte, dass seine Waffen und der runde Schild mit dem Zeichen
der Hochmark griffbereit waren.
Ein letztes Mal schaute er zurück, dann gab der Erste Schwertmann seinem
Hengst die Zügel frei. Der Reitwind war schneidend kalt, und doch genoss
Nedeam diese Frische, die seine Gedanken frei machte. Für ihn gab es außer
Llaranyas Armen nichts, was trübe Gedanken rascher vertrieb als ein
schneller Ritt.
Er erreichte das lang gestreckte Tal, das sich vom Südpass der Mark bis
zum Tal von Eternas erstreckte. Auf halbem Weg lag der
Hammergrundweiler. Der Boden war hier besonders reich an Erz und Gold,
was in den letzten Jahren zu einem rapiden Wachstum des kleinen Weilers
geführt hatte. Noch vor wenigen Jahren hatte man sich kaum um den Abbau
von Gold bemüht. Es war für das Pferdevolk immer nur ein hübsch
glänzendes, aber nutzloses Material gewesen, da sich daraus keine tauglichen
Waffen oder Rüstungen fertigen ließen. Man hatte es als Zierrat benutzt oder
wertvolleres Metall damit überzogen, da es immerhin witterungsbeständig
war und edlen Stahl vor Rost schützte. Doch mittlerweile war sein Ansehen
gestiegen.
Der König des Reiches Alnoa hatte vor etlichen Jahren die Währung der
goldenen Schüsselchen eingeführt. Inzwischen verdrängten diese zunehmend
die einst üblichen Tauschgeschäfte. Selbst der Pferdekönig Reyodem ließ nun
eigene Schüsselchen herstellen, und der Hammergrund lieferte den dafür
notwendigen Rohstoff. Nedeam musste eingestehen, dass die neue Währung
den Handel vereinfachte, da jede Leistung oder Ware darin ihren Gegenwert
hatte. Aber ihm missfiel die zunehmende Gier mancher Menschen, denen es
immer stärker darum ging, ihren Besitz an Schüsselchen zu mehren.
Das steinerne Band der Handelsstraße zog sich von Süden nach Norden
durch die Hochmark und führte inzwischen bis zu den Städten des
Zwergenvolkes, jenen kleinen Männern und Frauen, die im
freundschaftlichen Waffenbund mit dem Pferdevolk standen. Immer wieder
stießen Handelskarawanen bis zu den Kristallstädten Nal’t’rund und
Nal’t’hanas vor, brachten Nahrungsmittel zu den »kleinen Herren« und
kehrten beladen mit kostbaren Edelsteinen und Erzen zurück.
Die Sonne stieg nun höher, und ein feiner Dunst begann vom Boden
aufzusteigen. Es würde also noch ein warmer Tag werden, und Nedeam war
froh darüber. Hoffentlich gelang es den Bauern im Tal von Eternas noch
rechtzeitig, den Rest der zweiten Ernte einzufahren. Viele Menschen mussten
versorgt werden, und auch wenn man Nahrungsmittel aus den anderen
Marken einhandeln konnte, so mochte sich Nedeam darauf nicht verlassen. Es
war wichtig, dass sich die Mark selbst versorgen konnte. Zu leicht geriet man
in Abhängigkeiten, und in Zeiten des Krieges konnte sich das als
verhängnisvoll erweisen. Niemand vermochte zu sagen, wie lange die Zeit
des Friedens anhalten würde. Im Grunde war es ja kein Frieden. Der
Schwarze Lord wartete nur auf eine Gelegenheit, die freien Länder erneut mit
Krieg zu überziehen, obwohl er vor sechs Jahren am Pass von Rushaan
geschlagen worden war. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er seine
Legionen erneut entsenden würde. Dann würde sich zeigen, wie gut man
darauf vorbereitet war.
Der Erste Schwertmann überholte eine Gruppe von drei Planwagen, die
das Handelszeichen des Hauses Helderim an den Seiten führten.
Wahrscheinlich brachten sie wieder Klarstein für Fenster, feinste Tücher und
jenen unnützen Tand, den man im Reich Alnoa so sehr schätzte. Filigranes
Essbesteck mit sorgsam gearbeiteten Verzierungen, glitzernde Steine, die sich
die Frauen um den Hals hängten, und aufwendig gearbeitete Kleidung.
Nedeam empfand es als überflüssig, ein Messer mit feinen Ziselierungen und
Ätzarbeiten zu versehen. Ein Feind sollte schließlich keine Gelegenheit
finden, solchen Schmuck zu bewundern. Für ihn selbst musste eine Waffe
praktisch, für den Gegner jedoch tödlich sein. Allerdings schätzte seine
Llaranya solchen Zierrat durchaus. In mancher Hinsicht waren die
unsterblichen Wesen noch immer ein Rätsel für Nedeam, obwohl er mit
einem von ihnen verbunden war. Vielleicht hatten die Jahre der Kämpfe
seinen Blick für die Schönheit getrübt. Er führte ja selbst eine jener
geschwungenen elfischen Klingen anstelle des geraden Schwertes des
Pferdevolkes. Das Elfenschwert war schlank und mit filigranen Mustern
versehen. Dennoch musste er zugeben, dass sich damit Stoff und Harnisch
gleichermaßen mühelos zerteilen ließen.
Er ritt am Hammergrundweiler vorbei und wechselte ein paar Worte mit
einem der Herdenwächter. Die Bewohner des Weilers begannen soeben, ihr
Tagewerk aufzunehmen. Überall flimmerte die Luft über den Schornsteinen.
Kratzläufer stoben gackernd vor Nedeam auseinander, um dann nicht weit
entfernt erneut nach Nahrung zu picken. Aus einer nahe gelegenen
Bodenmulde war stetes Hämmern zu vernehmen, das noch eine Weile in
Nedeams Ohren nachklang, nachdem er dem Weiler schon längst den Rücken
gekehrt hatte.
Endlich erreichte er das Tal von Eternas und schließlich auch die Stadt.
Zügig trabte er die Hauptstraße von Eternas entlang und nickte den Männern
und Frauen zu, die ihm einen Gruß entboten. Entgegen seinen sonstigen
Gewohnheiten ließ er sich jedoch in kein Gespräch verwickeln. An diesem
Tag störten ihn die Enge und der Lärm der Stadt, obwohl er sie eigentlich
gewohnt war. Vielleicht lag es daran, dass der Besuch auf dem alten Gehöft
so viele Erinnerungen in ihm wachgerufen hatte. Er war erleichtert, die Stadt
bald wieder hinter sich zu lassen und die massiven Mauern der Burg von
Eternas vor sich aufragen zu sehen.
Als er in der Nähe des Tores war, hörte Nedeam Kommandos und das
Dröhnen von Hufen vom westlichen Übungsplatz herüberdringen. Den leicht
kehligen Klang der Kommandostimme kannte er nur zu gut, und er war
neugierig, wie sich ihr Besitzer unter den Schwertmännern schlug. Kurz
entschlossen zog er Duramont herum, erwiderte noch den Salut der Torwache
der Burg und trabte langsam zu den Gebäuden der Schwertmänner hinüber,
die vor einigen Jahren um den Platz herum errichtet worden waren.
Vor Nedeam übte ein Beritt von hundert Schwertmännern die engen
Reitformationen, für die sie beim Gegner so gefürchtet waren. Aber die
mustergültige Ordnung war dahin. Pferde bockten, und einige der Reiter
hatten Mühe, sich im Sattel zu halten. Stimmen schwirrten durcheinander und
wurden nur noch von dem mächtigen Organ des verärgerten Berittführers
übertönt.
Den Männern gegenüber saß ein riesiger Kämpfer auf einem gewaltigen
schwarzen Hengst. Im Gegensatz zu den Schwertmännern mit ihren grünen
Umhängen war er in eine wallende braune Kutte gehüllt. »Haltet die Tiere
ruhig, Pferdemenschen!«, brüllte Fangschlag wütend und bleckte seine
scharfen Fangzähne.
»Bei den finsteren Abgründen, Ihr habt leicht reden«, keuchte ein Reiter,
der krampfhaft versuchte, sein Pferd unter Kontrolle zu bringen. »Die Tiere
sind den Geruch von Orks nicht gewohnt, und außerdem schnappt Euer
verdammter Gaul nach ihnen!«
»Beißer ist ein gutes Pferd«, erwiderte Fangschlag und nickte dazu. »Ein
guter Kämpfer. Angemessen für einen großen Krieger.«
Beißer war ein bösartiges Biest. Das riesige Rundohr war der Einzige, der
sich ihm einigermaßen gefahrlos nähern konnte. Natürlich versuchte der
Hengst immer wieder, auch nach ihm zu treten oder ihn zu beißen, aber es
waren eher halbherzige Versuche, denn Fangschlag war sich nicht zu schade
zurückzubeißen. Wenn das Pferd gar zu störrisch wurde, hieb der Ork ihm mit
der flachen Hand auf den Schädel. Jedes andere Tier wäre davon gefällt
worden, doch auf Beißer hatte es eine besänftigende Wirkung. Pferd und
Reiter passten zusammen, obwohl man sich immer wieder fragen musste, wer
von ihnen am Ende die Oberhand behielte. Aber die beiden waren ein
wahrhaft Furcht einflößendes Gespann. Vielleicht war dies der Grund dafür,
dass man sich noch immer nicht an Fangschlags Gegenwart gewöhnt hatte,
obwohl er nun schon seit sechs Jahren bei den Pferdelords lebte.
Das Rundohr Fangschlag hatte bei der Schlacht von Rushaan die orkischen
Legionen des Schwarzen Lords als Oberkommandeur geführt. Er war den
Pferdelords schon zuvor begegnet und hatte sich im Kampf gegen Nedeams
Ziehvater Dorkemunt als ehrenvoller Kämpfer erwiesen. Er war seit vielen
Jahren von einem leidenschaftlichen Widerwillen gegen das Spitzohr Einohr
beseelt, durch dessen Feigheit und Hinterhältigkeit die Legionen Fangschlags
in Rushaan vernichtet wurden, während sich das Spitzohr selbst in Sicherheit
brachte. Das allein hätte Fangschlag vielleicht noch hingenommen, doch dann
hatte Einohr auch noch einen von Fangschlags Kohortenführern ermordet, um
keine unliebsamen Zeugen zu hinterlassen. Diese feige Tat hatte in
Fangschlag einen abgrundtiefen Hass gegen Einohr wachgerufen. Er hatte in
einen Waffenstillstand mit den Pferdelords eingewilligt, wenigstens so lange,
bis Einohr sein verdientes Ende gefunden haben würde, und war zusammen
mit ihnen in die Hochmark gekommen. Ein einsames Wesen ohne Heimat
und zunächst auch ohne Freunde. Dann gab es Verrat im Pferdevolk und
einen heimtückischen Mordanschlag gegen die Hohe Dame Larwyn. Man
bezichtigte Fangschlag der Tat, doch der alte Pferdelord Dorkemunt befreite
seinen alten Feind und zog mit ihm in das vergangene Reich von Jalanne, um
die Unschuld des Orks zu beweisen. Dort war der tapfere kleine Mann wie ein
wahrer Pferdelord gefallen, und während er in Ehren hinauf zu den Goldenen
Wolken ritt, wuchs zwischen Nedeam und Fangschlag eine tiefe
Verbundenheit. Aus dem feindlichen Ork war ein Freund geworden und ein
wertvoller Verbündeter im Kampf gegen den Schwarzen Lord.
Einer der Schwertmänner wurde nun endgültig abgeworfen und landete
direkt vor den Hufen von Nedeams Duramont. Benommen kam der Mann auf
die Beine und erkannte seinen Oberkommandeur. »Wahrhaftig, Hoher Herr
Nedeam, mein Pferd scheut sicherlich vor keiner einzelnen Bestie zurück,
doch dies hier sind gleich zwei.«
»Fangschlag ist keine Bestie«, rief der Ork und reckte sich im Sattel.
Beißer wollte diese günstige Gelegenheit nutzen, um ihn abzuwerfen, doch
das Rundohr hieb ihm beiläufig die Hand auf den Schädel, und der schwarze
Hengst schnaubte empört. »Fangschlag ist ein Krieger.«
»Wie wir alle schon feststellen konnten.« Nedeam lachte gut gelaunt.
»Und ganz offensichtlich macht es dem Krieger Fangschlag noch immer
Freude, meine braven Schwertmänner zu erschrecken.«
Der Ork entblößte erneut seine Fänge und stieß ein heiseres Bellen aus.
»Nedeam, mein menschlicher Freund, du weißt, ich bin ein friedfertiges
Wesen. Ein zahmer Ork, sozusagen. Und doch erschrecken deine Pferdereiter,
wenn sie mich und meinen kleinen Beißer sehen. Ha, wie müssen sie dann
erst erschrecken, wenn sie meinen wilden Brüdern begegnen?« Fangschlag
bellte erneut und krümmte sich dabei im Sattel. Die Unruhe, die seine
Gegenwart im Beritt ausgelöst hatte, amüsierte ihn. »Deine Männer müssen
sich an mich gewöhnen. Ich bin harmlos. Ich beiße nicht und benutze nicht
mein Schlagschwert. Aber andere werden das tun. Deine Pferdereiter müssen
vorbereitet sein.«
»So ist es, mein Freund.« Nedeam trabte an Fangschlags Seite. Er tat dies
demonstrativ, denn auch wenn man Fangschlag als Kämpfer respektierte, war
es wichtig, den Männern zu zeigen, dass der Erste Schwertmann das Rundohr
als Kampfgefährten und Freund sah. Viele der Pferdelords hatten schon gegen
die Orks gefochten, und die alten Instinkte ließen sich nur schwer
beherrschen. Die Bewohner der Burg und die Schwertmänner waren
Fangschlags Anblick mittlerweile zwar gewohnt, doch in der Stadt und in den
Weilern rief das Rundohr noch immer Abwehr hervor. Daher verbarg sich der
Ork stets unter seiner unförmigen Kutte, und Nedeam achtete darauf, dass der
Krieger mit der dunkel gescheckten Haut nicht allein durch die Hochmark
streifte.
»Fangschlag hat recht, Schwertmänner der Hochmark«, wandte sich
Nedeam an den Beritt, in den nun langsam wieder Ordnung kam. »Die Pferde
müssen sich an seinen Anblick und Geruch gewöhnen. Sie dürfen nicht davor
zurückscheuen.«
»Das tun nur die neuen Tiere«, wandte der Berittführer ein. Der Mann
hatte den Wimpel in die Armbeuge gelegt und folgte leicht amüsiert dem
Treiben. »Wir haben hier einige Pferde, die gerade erst zugeritten wurden.
Das bringt immer etwas Unordnung hinein, Hoher Herr.«
»Das ist wohl wahr«, bestätigte Nedeam. Er bemerkte, wie Beißer
begehrlich auf Duramonts Flanke schielte, aber der braune Hengst war auf der
Hut. »Du solltest dir wirklich ein anderes Pferd zulegen«, raunte er
Fangschlag zu.
»Beißer ist ein gutes Pferd. Groß und stark und bösartig.« Der Ork grunzte
und klopfte seinem Hengst gegen den Hals. »Das Pferd eines wahren
Kriegers.«
»Nun, wenn du es so siehst«, lenkte Nedeam ein und lächelte. »Wir hätten
sicherlich auch Mühe, ein anderes für dich zu finden.«
»Dorkemunt hat es ausgesucht. Eine wahrhaft gute Wahl.« Fangschlag
schürzte die Lippen. »Ein ruhmvolles Ende. Er war ein guter Krieger.
Dorkemunt hatte Ehre.«
»Und er war ein guter Freund«, ergänzte Nedeam.
Fangschlag sah ihn abschätzend an und nickte dann. »Auch Fangschlag ist
betrübt, Freund Nedeam. Ein großer Verlust.«
Der Erste Schwertmann seufzte. Dieser Tag schien voller schmerzlicher
Erinnerungen zu sein. »Ich werde zur Burg reiten, um der Hohen Dame zu
berichten, und danach freue ich mich auf ein Bad und auf Llaranya.«
»Arm umschlingen und Lefzen berühren?«
»Ja, auch darauf freue ich mich«, gestand Nedeam lachend ein.
»Menschliche Wesen sind sehr seltsam.« Fangschlag kratzte sich im
Nacken.
»Manchmal verstehen wir uns selber nicht.« Der Erste Schwertmann sah
zur Burg hinüber. Er glaubte die schlanken Gestalten von Larwyn und
Llaranya auf der Plattform des Signalturms zu erkennen. »Aber wir lernen
dazu.«
Während Nedeam sich der Burg näherte, musste er an die vergangenen
Jahre mit Llaranya denken. Sie waren ein Paar, wie es der Tradition des
Pferdevolkes entsprach, auch wenn die Vereinigungszeremonie nach dem
Brauch des elfischen Volkes ungewohnt gewesen war. Nedeam liebte sein
Weib über alle Maßen und war glücklich mit ihr, doch zugleich stellte diese
Liebe ihn immer wieder auf eine harte Probe. Denn die Elfin war nicht nur
eine schöne Frau, sondern zugleich eine hervorragende Kriegerin. Während
die Frauen des Pferdevolkes das Kriegshandwerk ihren Pferdelords
überließen, scheute Llaranya keineswegs davor zurück, ihre Meinung dazu
kundzutun. Im Prinzip hatte Nedeam auch nichts dagegen einzuwenden,
zudem vermochte er ihrer Beharrlichkeit ohnehin wenig entgegenzusetzen.
Doch gelegentlich wurmte es ihn, dass sie weit besser focht und ritt als er
selbst. Ihre Fertigkeiten waren bei den Schwertmännern anerkannt, dennoch
achtete Nedeam darauf, dass sie nicht allzu oft an den Waffenübungen
teilnahm. Hin und wieder hatte er es zugelassen und dann bemerkt, wie sehr
seine Männer darauf schauten, ob die schöne Elfin vielleicht bei einer ihrer
Übungen die Stirn runzelte. Im Volk der Pferdelords bewunderten die Frauen
die Kunstfertigkeit ihrer Männer im Umgang mit den Waffen, statt ihre
Haltung zu korrigieren und Verbesserungsvorschläge zu machen. Nein,
manchmal fiel es Nedeam nicht leicht, die Eigenheiten des elfischen Volkes
hinzunehmen.
Der Erste Schwertmann ritt in den vorderen Burghof ein, wich einem
Gespann aus, das Mist aus den Ställen zu den Feldern brachte, und stieg am
achteckigen Brunnen aus dem Sattel. Im Schatten des Haupthauses stand der
alte Tasmund. Einst Erster Schwertmann unter dem Pferdefürsten Garodem,
war er aufgrund der im Kampf erlittenen Verletzungen nicht mehr in der
Lage, in den Krieg zu ziehen. Er hatte Nedeams Mutter Meowyn zum Weib
genommen und beriet die Herrin Larwyn in Dingen, welche die Führung der
Hochmark betrafen.
»Verbreitet die Bestie wieder Schrecken?« Tasmunds Lächeln nahm seinen
Worten die Schärfe. Es hatte lange gedauert, bis er Fangschlag akzeptiert
hatte, und gelegentlich klang noch immer etwas von den alten Vorbehalten
durch. »Ich bemerkte Unruhe bei der Formationsübung und glaubte, das
Rundohr zu erkennen.«
»Ja, er bleckt ein wenig die Fänge«, räumte Nedeam ein.
»Nun, das schadet nicht.« Tasmund stützte sich schwer auf einen kurzen
Stock. Sein Rücken schmerzte wieder einmal. »Solange der Bursche nicht
beißt … Der nächste Ork, dem die Männer begegnen, wird nicht bloß seine
Fänge zeigen. Er wird ihr Fleisch wollen.«
Nedeam ließ Duramont am Brunnen saufen und sah am Mauerwerk des
Haupthauses empor. Die Sonne spiegelte sich in den Klarsteinscheiben der
Fenster. »Der Winter kommt in diesem Jahr sehr früh. Morgens liegt schon
Reif auf den Feldern.«
»Der Winter kommt jedes Jahr ein wenig früher und bleibt ein wenig
länger«, brummte Tasmund. »Vor einigen Jahreswenden war es um diese Zeit
noch warm, und es blieb reichlich Zeit, die zweite Ernte einzufahren. Aber
vielleicht täusche ich mich ja, und es sind nur meine alten Knochen, die gegen
die Kälte protestieren.«
»Nein, alter Freund, ich glaube, du hast recht. Es ist einfach noch zu früh
für diese Kälte.«
Tasmund nickte bedächtig. »Immerhin hat es einen Vorteil.« Er sah seinen
Freund schmunzelnd an. »Fangschlag war gestern bei Barus, dem alten
Nagerjäger.« Er lachte auf, als Nedeam die Stirn runzelte. »Barus soll ihm aus
den Nagerpelzen ein warmes Wams fertigen. Diese Kälte setzt den
verdammten Orks weit mehr zu als uns Menschen. Im Winter können sie sich
kaum bewegen und erst recht keinen Krieg führen. Wie es die alten Lieder
schon besingen, die Monde des Winters sind Monde des Friedens.«
»Solange der Schwarze Lord nicht auch auf den Gedanken kommt, seine
Legionen mit Pelzen auszurüsten«, lachte Nedeam.
Tasmunds Gesicht verfinsterte sich. »Reiß die Finsteren Abgründe nicht
auf, mein Freund, auch nicht im Scherz. Das fehlte uns noch.«
Nedeam legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Sei unbesorgt,
Tasmund. Es gibt nicht genug Nager, um all die Orks in Pelz zu hüllen.«
»Wer weiß?« Der alte Kämpfer zuckte die Schultern. »Niemand vermag zu
sagen, was in den Landen der Finsternis vor sich geht.«
Der Erste Schwertmann nickte. »Selbst Fangschlag kann nicht viel darüber
berichten. Er kennt die Bruthöhlen von Cantarim, in denen er geworfen
wurde, und die Gegenden, in die ihn seine Kämpfe führten. Aber er war nie
sehr weit im Osten, dort wo sich der Turm des Schwarzen Lords erhebt.«
»Nun, wie dem auch sei. Es reizt einen nicht gerade hinzureiten, nur um zu
sehen, ob es dort genug Nager für Pelze gibt.«
Sie lachten beide auf und nickten einander zum Abschied zu, und während
Tasmund langsam zum hinteren Burghof hinüberging, betrat der Erste
Schwertmann das Haupthaus, um der Hohen Dame Larwyn zu berichten und
endlich seine geliebte Llaranya wiederzusehen.
Bei seinem Blick zum Signalturm hatte er sich nicht getäuscht. Als er
Larwyns Arbeitszimmer betrat, saßen die beiden Frauen neben dem
Schreibtisch und studierten eine elfische Schriftrolle. Nedeam entbot der
Herrin seinen Ehrengruß und beugte sich dann zu Llaranya, um das
Willkommen mit ihr auszutauschen. Larwyn blickte lächelnd zur Seite und
tat, als betrachtete sie aufmerksam die elfische Karte, die hinter dem
Schreibtisch an der Wand hing. Als Nedeam sich aufrichtete, wies die Herrin
der Hochmark auf einen der gepolsterten Stühle.
»Setzt Euch, mein Freund. Ihr müsst rasch geritten sein, dass Ihr schon so
bald wieder in Eternas seid. Fiel es Euch schwer?«
Nedeam wusste, was die Herrin damit meinte, und nickte. »Das Gehöft
gehört nun Elbort. Er ist ein guter Mann und ein braver Pferdelord, Hohe
Dame. Es befindet sich bei ihm in guten Händen.«
»Und dennoch schmerzt es«, sagte Larwyn leise. »Wahrhaftig, Nedeam,
guter Freund, jeder Verlust hinterlässt seine Spuren in der Fährte unseres
Lebens.« Sie zögerte kurz. »Gibt es … Neuigkeiten?«
»Auf meinem Ritt zum Gehöft begegnete ich einer kleinen
Handelskarawane. Sie ist auf dem Weg nach Norden. Zu den Zwergen und
zur neuen Nordfeste am Pass des Eten. Die ist wohl beinahe fertig, ein
Wunder, das wir dem Fleiß und der Handwerkskunst der kleinen Herren zu
verdanken haben. Die Signaltürme zu errichten, wird weitaus länger dauern.«
Nedeam trat an die Karte heran und fuhr mit dem Finger den Pass entlang, der
von der Nordgrenze der Hochmark durch das Gebirge von Noren-Brak hin
zur Grenze der Öde von Rushaan führte. »Hier oben liegt das Bollwerk und
deckt den Zugang zum Pass. Der ist recht eng, verwinkelt und sehr lang.
Unmöglich, die Signaltürme oben auf den Gipfeln zu errichten. Also werden
sie in die steil aufragenden Felswände gebaut. Ohne die Zwerge wäre das gar
nicht zu schaffen. Es müssen zehn Türme errichtet werden, und keiner von
ihnen darf ausfallen, wenn ein Notsignal rasch zu uns gelangen soll. Die
Zwerge bauen sehr sorgfältig, aber schon ein schwerer Blitzsturm kann einen
Steinschlag auslösen und alles zunichtemachen. Notfalls wird uns die
Besatzung in der Feste doch durch einen Reiter benachrichtigen müssen. Aber
die Anlage wird stark genug sein, auch einer längeren Belagerung
standzuhalten, und wir würden sie sicherlich noch schnell genug erreichen.«
»Falls es je einen Angriff auf sie geben wird«, wandte Larwyn ein. »Der
Pass von Rushaan ist versperrt, und weiter im Norden gibt es keinen Weg,
den der Schwarze Lord nehmen könnte. Zu weit und zu kalt.«
»Ja, zu weit und zu kalt«, stimmte Nedeam zu. »Da wir von Kälte sprechen
… der Winter bricht früh herein, und wir müssen uns eilen, die Vorräte
einzubringen.«
Larwyn lächelte sanft. »Die Bauern sind dabei, und zwei Beritte der
Schwertmänner unterstützen sie. Gibt es Nachrichten von … Garwin?«
Nedeam zuckte entsagungsvoll die Schultern. »Nein, keine Nachrichten
über den Verbleib dieses … von Garwin.«
»Nennt es ruhig beim Namen, mein Freund. Garwin mag mein Sohn sein,
doch er ist auch ein Verräter und Renegat. Mit dem heimtückischen Verrat an
unseren Männern in Jalanne und dem Versuch, mich, seine eigene Mutter, zu
ermorden, hat er mit dem Pferdevolk gebrochen. Nein, Nedeam, Garwin ist
nun zu einer Gefahr für uns alle geworden. Es gibt Gerüchte, dass er Männer
um sich sammelt. Gerüchte, dass er den König stürzen und sich selbst zum
Herrn des Pferdevolkes machen will.« Larwyns Augen verrieten den
Schmerz, den sie empfand. »Das muss verhindert werden, Nedeam. Garwin
muss Einhalt geboten werden.«
»Es gibt keine Spur von ihm.« Nedeam wandte sich erneut der Landkarte
zu und deutete mit einer ausholenden Bewegung über die Marken des
Pferdevolkes. »Niemand kann sagen, ob er überhaupt noch in den Marken ist
oder sich nicht sogar ins Königreich Alnoa zurückgezogen hat, wo er sich
weit besser verbergen kann.«
»Das glaube ich nicht«, meldete sich Llaranya zu Wort. »Man mag von
ihm denken, was man will, doch feige ist er nicht. Hinterlistig und
rücksichtslos, ja, aber nicht feige. Nein, er wird nicht weit sein, denn ich
glaube nicht, dass er seine Pläne aufgegeben hat.«
»Ja«, stimmte Nedeam zu. »Was immer das für Pläne sein mögen, wir
werden sicherlich noch von ihm hören. Und ich glaube nicht, dass uns das
gefallen wird.«