Читать книгу Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen - Michael Schenk - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеShowaa war unbestreitbar jung und auf jene Art verspielt, wie es für die
Lederschwingen typisch war. Schwingenführer Mordeschdar hatte Anschudar
darauf vorbereitet und ihm geraten, Showaa ihren Willen zu lassen, solange
dies die Mission nicht gefährdete. »Sie wird sich austoben wollen,
Anschudar«, hatte Mordeschdar gesagt. »Lass sie gewähren. Wenn sie ihrem
natürlichen Trieb nicht folgen kann, wird sie übellaunig, und du weißt ja, wie
störrisch eine Lederschwinge werden kann. Nimm sie nur an den Lenkstab,
wenn es nicht anders geht. Und halte immer die Augen auf. Showaa hat gute
Anlagen, aber ihr fehlt es an Erfahrung. Lass dich also von ihr nicht ablenken,
und achte auf alles, was um dich herum geschieht. Doch das Wichtigste ist,
dass ihr Gelbstein für den Horst findet. In dieser Hinsicht kannst du dich auf
Showaas Instinkte verlassen. Sie ist jung und gierig, denn sie muss noch
wachsen. Da wird sie auf das feinste Anzeichen von Gelbstein reagieren.«
Also ließ Anschudar seiner Showaa ihren Willen. Zumindest
weitestgehend. Die Lederschwinge genoss den langen Flug und versuchte
sich in den verschiedensten Flugmanövern. Für Anschudar war es nicht
besonders angenehm, wenn die junge Schwinge abrupt abtauchte, sich in
rasendem Sturzflug dem Boden näherte und sich dann nach einer Rolle
wieder hinauf in den Himmel schwang. Allmählich begann sein Magen auf
diese Bewegungen zu reagieren, und er war froh, zuvor nicht viel gegessen zu
haben, denn es wäre verschwendet gewesen.
Nach einer mehrfachen Seitenrolle hatte Anschudar genug und setzte nun
doch den Lenkstab ein. »Langsam, Showaa, langsam«, sang er in der
typischen Weise der Schwingenreiter. Der Befehl glich einer sanften Melodie,
doch das Volk der Lederschwingen reagierte instinktiv auf diese Lautfolgen.
Showaa mochte die Worte ihres menschlichen Reiters noch nicht ganz
verstehen, aber die Abfolge der Töne, mit denen sie ausgesungen wurden,
machte ihr sofort deutlich, was Anschudar von ihr erwartete. Die junge
Schwinge stieß ein missbilligendes Zischen aus, ging aber gehorsam in einen
langsamen Flug über, bei dem sich ihre riesigen dreieckigen Schwingen nur
träge bewegten.
Anschudar wartete, bis sich sein Magen beruhigt hatte, und strich seinem
Reittier dann sanft über die schuppige Haut des Halses. Ein leises wohliges
Brummen klang aus Showaas Kehle. »Ich hoffe, du hattest deinen Spaß,
Showaa«, sagte er leise. »Denn jetzt müssen wir uns auf unsere Arbeit
konzentrieren.«
Der Schwingenreiter schob das Visier seines Helms nach oben. Die
Klarsteinscheibe war an der Innenseite beschmutzt und verströmte einen
unangenehmen Geruch. Anschudar hatte sie nicht rechtzeitig öffnen können,
als er sich um seinen Mageninhalt erleichterte. Er würde den Helm gründlich
reinigen müssen und war froh, dass kein anderer Schwingenreiter von seinem
Missgeschick erfuhr. Aber Showaas Lebhaftigkeit hatte ihn wirklich
überrascht. Für eine so junge Schwinge war sie ungewöhnlich schnell.
Anschudar sah sich um und achtete dabei auf das Gelände, das sie
überflogen. Sie hielten sich am östlichen Rand des mächtigen Uma’Roll.
Rechts lag die riesige Ebene von Cantarim. Nahe dem Gebirge wirkte sie öde
und leer, aber Anschudar konnte weiter im Osten ausgedehnte Waldgebiete
erkennen. Das Land begann sich von den Kriegen zu erholen, die es einst
verstümmelt hatten. Nur in der Mitte der Ebene herrschte noch immer die
sengende Öde der Wüste. Doch die würden sie nicht zu Gesicht bekommen,
denn sie mussten sich an die Ausläufer der Berge halten. Nur in den unteren
Regionen oder tiefer gelegenen Bergtälern bestand die Möglichkeit,
ausgedehnte Gelbsteinvorkommen zu finden. Noch gab es Geländemarken,
die Anschudar vertraut waren. Die Zwillingsfelsen, die wie zwei Finger in
den Himmel ragten, der kleine Wasserfall des Gebirgsbaches oder auch jener
einsame Berggipfel, der seine typische Form erhalten hatte, als ein Teil von
ihm abgebrochen war. Aber schon bald würde Anschudar ein Gebiet
erreichen, in das schon sehr lange keine Lederschwinge mehr vorgestoßen
war. Der Pass von Merdoret würde die auffälligste Geländemarke sein und
jene Grenze markieren, die Anschudar und seine Showaa als erste Angehörige
ihres Volkes überqueren würden.
Er spürte, wie Showaa sich mit einem ihrer Beine am Hals kratzte. Sie
mochte die Halteriemen der Packtaschen nicht, die man ihr noch im Horst
umgeschnallt hatte. Aber irgendwie mussten sie ihren Proviant transportieren
und auch den Gelbstein, wenn sie denn welchen fanden. Showaas
Maultentakel hielten keinen der kostbaren Brocken. Der Geruch hätte ihre
Sinne beeinflusst. Feedanaa hatte die junge Schwinge an einem Gelbstein
riechen und lecken lassen, damit sie die Witterung aufnahm. Nun war es an
Showaa, den typischen Geruch des Gelbsteins aufzuspüren, der sie zu einem
Vorkommen führen würde. Aus dieser Höhe würde das allerdings nicht
möglich sein, und so entschloss sich Anschudar, seine Schwinge in den
Tiefflug gleiten zu lassen.
Eine erfahrene Lederschwinge beherrschte es, rasend schnell und in einer
Höhe von nur wenigen Längen über den Boden zu fliegen. Sie passte ihren
Flug dem Gelände an. Ein rasches Auf und Ab und eine tödliche
Überraschung für jeden Feind, der in Bodennähe nicht mit dem Angriff eines
solch gewaltigen Flugwesens rechnete. Showaa würde dies erst noch lernen
müssen. Um den Gelbstein zu wittern, war es ohnehin erforderlich, dass sie
langsam flog, damit ihr nichts entging.
»Tiefer, Showaa«, sang Anschudar aus. »Tiiiiefer, Showaa.« Sie glitt
gehorsam nach unten, bis sie nur eine Körperlänge vom Boden entfernt war.
»So ist es gut, Showaa, so ist es guuuut.«
Die Sonne stand fast senkrecht über ihnen, und Anschudar konnte ihren
Schatten sehen, der über die Felsen hinweghuschte. Von oben sah Showaa
aus, als hätte man ein kleineres Dreieck mit der Spitze an der stumpfen Seite
eines sehr viel größeren Dreiecks befestigt. Anschudar sah fasziniert, wie die
Schatten sich veränderten, wenn Showaa dem Relief des Geländes folgte.
Ein leises Bellen ertönte und ließ den Schwingenreiter aus seinen
Gedanken schrecken. Das Zucken der Maultentakel verriet ihm, dass Showaa
etwas gewittert hatte. »Such, Showaa, suuuch.«
Die junge Schwinge glitt herum und flog ein Stück zurück, langsam und
konzentriert, während ihre Tentakel nervös hin und her zuckten. Es musste
Gelbstein sein. Es konnte gar nichts anderes sein. Anschudar starrte
angestrengt auf den Boden. Vielleicht war es nur ein kleiner Tümpel, in dem
der Gelbstein noch flüssig war und bestialisch nach faulen Eiern stank. Er
hoffte jedoch, dass es sich um ein größeres Vorkommen handelte, das zu
Brocken oder gar Steinen getrocknet war. Aber selbst wenn es nicht fest war,
konnte man das Wasser vorsichtig verdampfen und so das wertvolle Mineral
gewinnen.
Anschudar schnupperte in die Luft, als Showaa langsam zu kreisen
begann. Ihre Schwingen berührten dabei fast den Boden. Ja, er konnte es nun
selbst riechen. Das war Gelbstein, wenn auch wohl in flüssiger Form. Es
konnte nicht viel sein, denn nirgends war ein Tümpel zu erkennen, eines
dieser dampfenden Steinbecken, in denen Gelbstein entstand. Dann bemerkte
er am Boden eine braungelbe Schwade, die sich rasch verflüchtigte.
»Gut gemacht, Showaa«, lobte er und tätschelte ihren Hals.
Showaa landete mit einem sanften Nachschwingen ihres Leibes, und
Anschudar löste die Füße aus den Steigbügeln und wartete, bis sein Reittier
den Hals an den Boden legte. Nachdem er abgestiegen war, richtete sich die
Schwinge wieder auf und hüpfte von einem Bein auf das andere. Sie war
unruhig, ihre Maultentakel streckten sich der dünnen Schwade entgegen, und
die beiden Schlitzpupillen waren geweitet.
»Keine Sorge, Showaa, du bekommst etwas davon«, versicherte ihr
Anschudar. Er näherte sich dem Ursprung der Schwade, wobei er die Füße
vorsichtig aufsetzte. Von dem Tümpel war nichts zu sehen, und doch musste
er da sein, wie ihm der gelbbraune Dunst verriet. Somit war die
Gelbsteinquelle unter dem Boden verborgen. Dieser wirkte fest wie
gewöhnlicher Fels, doch Anschudar wusste, dass dies in diesem Falle
täuschte. Es gab darunter einen Hohlraum, in dem es vor Hitze brodelte, und
es wäre fatal für ihn gewesen, wäre er dort hineingestürzt. Doch wie weit
erstreckte sich der Hohlraum? Wie weit konnte Anschudar gehen, bevor der
Boden unter ihm nachgab?
Er versuchte sich an die zahllosen Ratschläge der anderen Schwingenreiter
zu erinnern. Es hatte wenig Sinn, nach einem Stock zu suchen, mit dem er
hätte tasten können. In der Nähe wuchs nicht einmal einer jener
verkümmerten Bäume, die gelegentlich in den höheren Gebirgslagen zu
finden waren. Steine und Felsbrocken gab es reichlich. Doch erstere waren zu
klein, um die Belastbarkeit des Untergrundes durch einen Wurf zu prüfen,
und letztere zu schwer, um sie überhaupt zu bewegen. Halt. Der
Gelbsteintümpel war heiß. Der Boden müsste erwärmt sein. Zumindest dort
wo die Gesteinsdecke über dem Tümpel nur dünn und somit für ihn
gefährlich war.
Anschudar ging in die Hocke und prüfte mit der Handfläche die Wärme
des Bodens, bewegte sich ein Stück vorwärts und legte die Hand erneut flach
auf den Grund. Nachdem er auf diese Weise wenige Längen in seltsam
watschelnder Gangart zurückgelegt hatte, seufzte er entsagungsvoll und
streckte sich flach hin. Obwohl nun die Steine gegen seinen Körper drückten,
war diese kriechende Fortbewegung doch weit bequemer. Langsam robbte er
auf die aufsteigende Gelbsteinschwade zu und nahm erleichtert zur Kenntnis,
dass der Boden unter ihm wärmer wurde. Na also, auf diese Weise ging es.
Doch wie weit konnte er sich vorwagen, und wie brach er den Boden auf, um
an die Flüssigkeit zu gelangen?
Showaa schnupperte erregt mit den Maultentakeln. Anschudar
konzentrierte sich auf den Untergrund und achtete nicht auf die junge
Lederschwinge, die immer unruhiger wurde. Schließlich stieß sie ein heiseres
Maunzen aus und machte einen Satz, der sie an die Seite ihres Reiters brachte.
Obwohl Showaa nicht sonderlich schwer war, gab ihr zusätzliches Gewicht
den Ausschlag. Anschudar hörte ein bedrohliches Knacken, dann brach der
Boden unter ihm weg.
Während er einen entsetzten Schrei ausstieß und verzweifelt versuchte,
sich herumzuwerfen, ließ Showaa ein empörtes Zischen hören und schaffte
es, sich mit der Kraft ihrer Schwingen in die Luft zu erheben. Eine von ihnen
streifte dabei unabsichtlich Anschudar. Vielleicht war dies sein Glück, denn
der Stoß, so unsanft er auch war, schleuderte den Reiter ein Stück nach oben.
Gerade weit genug, dass er sich mit den Händen am Rand des Felsbruchs
festhalten konnte. Panisch klammerte er sich fest und spürte dabei die Hitze,
die aus dem freigelegten Gelbsteintümpel aufstieg. Fauliger Gestank breitete
sich aus und raubte ihm fast die Sinne. Schweiß drang aus seinen Poren, und
er fürchtete den Dampf, der ihn verbrühen könnte, noch bevor er den Halt
verlor. Seine Finger krallten sich in den felsigen Grund.
Anschudar war in einer misslichen Lage. Seine Kräfte reichten nicht aus,
sich weiter hinaufzuziehen, und bald würden sie nachlassen. Dann würde er
rücklings in den heißen Brodem des flüssigen Gelbsteins stürzen und bei
lebendigem Leib gekocht werden. Diese Aussicht spornte den
Schwingenreiter zu einer letzten Kraftanstrengung an, aber es gelang ihm
dennoch nicht, sich zu retten. Den Tod vor Augen, suchte er fieberhaft nach
einer Lösung. Er versuchte sich auf Showaa zu konzentrieren, fühlte und rief
ihren Namen mit Mund und Gedanken. Aber immer wieder drängte sich ihm
das Bild auf, wie er hilflos in die kochende Flüssigkeit hinabstürzte.
Dann, als er schon glaubte, den Halt endgültig zu verlieren, schob sich
unvermutet Showaa in sein Gesichtsfeld. Die Schlitzpupillen ihres Auges
fixierten ihn, und die junge Schwinge legte den Kopf ein wenig schief, als
müsste sie angestrengt überlegen, warum ihr Reiter da so zappelte und schrie.
»Hierher, Showaa«, ächzte Anschudar. »Komm hierher.«
Eher unschlüssig pendelten die Pupillen zwischen ihm und dem für
Showaa so verlockenden Gelbsteintümpel hin und her. Schließlich kam die
Schwinge zögernd näher und senkte den Schädel. Die beiden Tentakel unter
ihrem Maul streckten sich dem jungen Mann entgegen und zogen sich dann
wieder zurück.
Anschudar blieb keine Wahl. Als einer der Tentakel erneut in seine Nähe
kam, setzte er alles auf einen Wurf und packte beherzt zu. Showaa zischte
wütend. Obwohl die Tentakel muskulös waren und großer Hitze
widerstanden, waren sie doch zugleich empfindlich. Instinktiv versuchte die
junge Schwinge dem unangenehmen Druck des Griffes zu entkommen,
während ihr Reiter sich krampfhaft weiter am Tentakel festhielt. Anschudar
spürte den Schmerz, als er von der Bewegung nach oben gezogen wurde und
sein Bauch über die Felskante schrammte. Zugleich empfand er unendliche
Erleichterung, denn Showaa hatte ihn gerettet.
Er blieb auf dem Bauch liegen und schnappte keuchend nach Luft, doch
seine Augen verrieten die Dankbarkeit, die er Showaa gegenüber empfand.
Diese aber hatte sich ein Stück zurückgezogen und sah ihn nun sichtlich
beleidigt an.
»Du bist eine gute Schwinge, Showaa«, sagte Anschudar beschwichtigend
und erhob sich, um zu ihr hinüberzugehen. »Du hast mich gerettet, das werde
ich dir nicht vergessen.«
Sie zog die Tentakel ein und wich ein Stück zurück, aber dann fasste sie
wieder Zutrauen zum weichen Klang der Stimme. Schließlich begann sie leise
zu zischen und reckte ihren Hals voller Wohlbehagen, als Anschudar sie sacht
streichelte. Durch die Berührung gelang nun auch wieder die geistige
Verbindung, die so wichtig für eine Schwinge und ihren Reiter war.
Es war an der Zeit, sich anzusehen, was sie beide da entdeckt hatten. Ohne
Zweifel Gelbstein, doch wie viel und in welcher Form? Wo zuvor eine dünne
Schwade gelbbraunen Gelbsteindampfes aufgestiegen war, klaffte nun ein
Loch von mehreren Längen Durchmesser. Der unterhöhlte Boden war in die
Kaverne gestürzt, in der es vernehmlich zischte und brodelte. Sehr viel
vorsichtiger als zuvor trat Anschudar an den Rand heran und spähte in die
tiefe Mulde. Der Gestank hatte sich beinahe verflüchtigt, ein gutes Zeichen.
Nur flüssiger Gelbstein roch so penetrant, in fester Form war der Geruch bei
Weitem nicht so ausgeprägt.
Es war, wie Anschudar vermutet hatte, und seine Erleichterung war groß.
Vor langer Zeit musste sich hier der unterirdische Tümpel gebildet haben. Der
durch die kochende Flüssigkeit entstehende Druck hatte die Kaverne stetig
vergrößert, bis er sich durch die Öffnung im Fels ein Ventil geschaffen hatte.
Beim ersten Durchbruch musste es eine beeindruckende Fontäne gewesen
sein, deren Zischen und Brausen sicherlich weit zu hören gewesen war. Im
Lauf der Jahre war die meiste Flüssigkeit verkocht oder hatte sich zu festem
Gelbstein gewandelt. Anschudar sah nur eine kleine Pfütze verbliebener
Flüssigkeit. Mit dem Einbruch der Gesteinsdecke waren nun Hitze und
Überdruck gewichen.
»Gelbstein«, murmelte er andächtig. »Nicht besonders viel, aber es wird
helfen.« Der Schwingenreiter schätzte die Menge ab. Es gab einige große
Brocken, das meiste jedoch war eine körnige Substanz und ähnelte grobem
Sand. Aber diese Substanz konnte man zu festen Klumpen pressen. Die
Schwingen und Menschen des Horstes verstanden sich darauf und würden
nichts von dem kostbaren Gelbstein verschwenden.
Es war gerade genug, um die leeren Transporttaschen damit zu füllen.
Sollte er den kostbaren Fund erst zum Horst bringen oder seine Suche
fortsetzen? Ihn für später zurückzulassen, kam nicht infrage. Wenn es ein
schweres Unwetter gab, konnte sich die Mulde füllen, und das Wasser würde
den Gelbstein vielleicht mit sich führen. Oder es gab einen Steinschlag, der
den Fundort verschüttete. Nein, Anschudar konnte das Risiko nicht eingehen.
Er musste den Gelbstein für den Horst bergen.
Der Schwingenreiter knotete ein dünnes Seil um einen der umstehenden
Felsen und ließ sich daran in die Mulde hinab. Die Hitze war erträglich und
der Boden fest genug. Er begann die festen Brocken mit seinem Messer zu
lösen und warf sie dann nach oben. Während Showaa Wache hielt und
begehrlich auf den Gelbstein schielte, den ihr Reiter ans Tageslicht
beförderte, löste dieser ein Stück nach dem anderen. Er merkte kaum, wie die
Zeit verging. Schließlich war er erschöpft und beschloss, eine Pause
einzulegen. Gerade rechtzeitig, denn es begann schon dunkel zu werden. Die
Nacht würde kalt sein, aber ein Feuer wäre zu verräterisch gewesen, und
Anschudar wusste nicht, was in den tieferen Lagen des Gebirges
herumstreifen mochte. Raubkrallen und Pelzbeißer, sicherlich Felsböcke und
möglicherweise auch Orks. Anschudar fürchtete sich nicht vor einer
Begegnung mit ihnen, aber im Zuge dessen hätte er die Mulde mit dem
verbleibenden Rest an Gelbstein vielleicht aufgeben müssen. So fütterte er
Showaa mit einigen Fleischstreifen aus dem Reiseproviant, aß selbst etwas
davon und schmiegte sich dann zur Nacht an seine Schwinge.
Mit dem ersten Tageslicht erwachte er durch eine Bewegung Showaas und
befürchtete im ersten Moment, sie hätte eine Gefahr entdeckt. Doch alles war
ruhig. So stieg er wieder hinab in die Mulde, nahm diesmal zwei der Taschen
mit und füllte das körnige Gelbsteinpulver hinein. Die Taschen waren zu
schwer, um sie nach oben zu werfen, und so knotete er sie an die Leine,
kletterte hinauf und zog die Taschen dann nach oben.
Showaas Tentakel tasteten begierig nach dem verlockenden Geruch, doch
Anschudar schüttelte den Kopf. »Wir müssen weitersuchen, Showaa. Der
Horst braucht noch viel mehr Gelbstein. Den müssen wir finden. Wir fliegen
noch bis zum Pass von Merdoret, dann kehren wir um und bringen unsere
Beute heim.«
Er wusste, dass dies Showaa nicht gefiel. Über viele vergangene
Generationen hinweg waren die Instinkte der Lederschwingen darauf
ausgerichtet worden, den Gelbstein für ihren Flammenatem zu verwenden,
und nun hatte sie den begehrten Stein vor ihrer Nase und durfte ihn nicht
benutzen. Anschudar hätte ihr gern begreiflich gemacht, warum es nicht
anders ging, doch dafür war ihre Verbindung noch nicht intensiv genug. In
jedem Fall musste er den geborgenen Gelbstein vor dem Weiterflug so
verpacken, dass Showaa durch seinen Geruch nicht abgelenkt wurde.
Das Einpacken war eine mühsame Arbeit, denn Showaa versuchte immer
wieder, mit ihren Tentakeln einen der Brocken zu erreichen, die ihr Reiter,
ebenso wie das Gelbsteinpulver, sorgfältig in Leder hüllte. Nachdem alles gut
verschnürt war, zog er eine metallene Flasche aus der Provianttasche und
öffnete sie. Ein intensiver Duft nach Blüten stieg auf, und Anschudar tröpfelte
etwas von der Essenz auf jeden Packen und verrieb sie sorgfältig. Er konnte
nur hoffen, dass diese Maßnahme genügte, um Showaas Witterung zu
täuschen. Mordeschdar hatte ihm das versichert und diese List nach eigenem
Bekunden selbst erfolgreich angewandt.
Anschudar vergewisserte sich, dass die Packtaschen gut befestigt waren,
und klopfte dann sanft gegen Showaas Hals. Sie senkte ihren Kopf, und er
stieg in den Sattel. Dann schwang sich die Lederschwinge mit mächtigen
Schlägen in die Luft. Die Suche ging weiter und würde sie beide nun bis zum
Pass von Merdoret führen.