Читать книгу Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen - Michael Schenk - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеSie ritten in der perfekten Kolonnenformation der Schwertmänner, und doch
unterschieden sie sich deutlich von den Kämpfern des Pferdevolkes.
Rüstungen blitzten silbrig im Sonnenlicht, graue Umhänge wehten im
Reitwind, und auf den Helmen wippten lange gelbe Federn. Das leise Klirren
und Klappern der Rüstungen und Waffen begleitete den Trab der Männer.
Der Besuch eines vollen Beritts der Gardekavallerie Alnoas rief auf seinem
Weg durch die Marken der Pferdelords einiges an Aufsehen hervor. Auch
wenn das Pferdevolk und das Reich von Alnoa einander in Freundschaft
verbunden waren, so beschränkten sich die Begegnungen beider doch
überwiegend auf Händler und deren Begleitungen.
Auf den Brustteilen der Harnische und den rechteckigen Schilden prangte
das Wappen des Königreiches, dessen graues Banner an der Spitze des Beritts
flatterte. Dort ritten zwei Soldaten nebeneinander, die sich angeregt
unterhielten und doch immer wieder achtsam um sich spähten. Eine
Angewohnheit von Männern, die schon zu oft im Kampf gestanden hatten,
um sich noch irgendwo in Sicherheit zu wähnen.
Der Mann mit den zwei Federn eines Hauptmanns hieß Panval Erkat und
war ein Niedriggeborener. Zahlreiche Kämpfe gegen Barbaren und Orks
hatten den einfachen Gardisten an die Spitze eines Beritts befördert. Eine
Seltenheit im Reich Alnoa, in dem die adlige Herkunft großen Einfluss auf
die Karriere hatte. Im Hohen Kronrat des Königreiches waren Stimmen gegen
Erkat laut geworden, doch der hagere Reiter hatte zwei mächtige Fürsprecher:
seine Verdienste, für die das Volk ihn liebte, und jenen Mann, der nun an
seiner Seite ritt.
Daik ta Enderos, Hochgeborener des Reiches und Oberkommandierender
der Gardekavallerie, besaß das Wohlwollen des Königs, und er gehörte zu
jenen erfahrenen Streitern, denen die Herkunft eines Mannes gleich war,
solange er nur ordentlich zu kämpfen wusste. Ta Enderos hatte die Provinzen
des Reiches Alnoa nur selten verlassen, doch im Augenblick war er der
Feilschereien und Intrigen, die den Rat zu spalten drohten, überdrüssig.
Dieser Ritt ins Land des Pferdevolkes gab ihm die Gelegenheit, der Enge der
Königsstadt Alneris zu entkommen und zugleich ein für ihn neues Land zu
sehen. Er hatte schon Schulter an Schulter mit den Pferdelords gestanden und
schätzte dieses Reitervolk, auch wenn es ihn noch immer ein wenig
barbarisch anmutete.
Daik ta Enderos strich sich über den schmalen Oberlippenbart, der bei den
Hochgeborenen so beliebt war, und hängte seine Wasserflasche an den
Sattelknauf zurück. »Ein beeindruckendes Land, das Reich des Pferdevolkes,
nicht wahr, Panval? Endlose Weiten und nur dünn besiedelt. Kein Wunder,
dass es hier noch so große Herden von Wildpferden gibt.«
»Sind die wirklich so gut?« Panval Erkat trug einen sauber gestutzten
Vollbart, was für einen Hauptmann eher ungebührlich war und seinen
stummen Protest gegen den Hohen Rat zum Ausdruck bringen sollte.
»Es sind die besten.« Ta Enderos deutete über das weite Land. »Bei uns
sind die Wildpferde längst verschwunden. All unsere Reittiere stammen aus
Zuchtgestüten. Gute Pferde, fraglos, doch es fehlt ihnen an Temperament. Die
Rösser des Pferdevolkes sind ebensolche Kämpfer wie ihre Reiter. Sie treten
und beißen. Wahrlich, ich habe selbst erlebt, wie sie dem Feind zusetzten.«
Panval räusperte sich. »Bei allem Respekt, Hochgeborener, doch ich
meinte nicht die Pferde.«
Ta Enderos lachte auf. »Die Pferdelords? Glaube mir, Panval, sie sind die
Besten unter den Besten. Von unserem eigenen Regiment einmal abgesehen«,
schränkte er lächelnd ein.
»Man sagt, die Pferdelords seien Primitive und hielten es nicht sehr mit der
Reinlichkeit.«
Daik ta Enderos sah seinen Hauptmann scharf an. »Es sind einfache und
wenig komplizierte Menschen, Panval. Sie mögen sich nicht dauernd mit
Blütenwasser bestäuben, wie es beim Hohen Kronrat in Alnoa der Fall ist,
aber sie schätzen ein offenes Wort und sind furchtlos im Sturm gegen den
Feind. Bei ihnen werdet Ihr keine Hinterlist finden. Und da Ihr gerade von
Reinlichkeit sprecht, mein guter Panval, könnten wir wohl selbst alle ein Bad
gebrauchen. Ich bin froh, dass wir Merdonan bald erreichen. Wir sind lange
und schnell geritten, und sosehr ich das auch genossen habe, sosehr freue ich
mich doch auf eine weiche Bettstatt.«
»Gegen Mittag müssten wir die Stadt zu Gesicht bekommen«, meinte
Panval. »Sie und diesen seltsamen Turm.«
»Ja, darauf bin ich sehr gespannt«, gestand ta Enderos. »Die alte Ostwache
ist legendär. Niemand weiß, wer diesen gewaltigen Turm errichtet hat. Man
soll von seiner Spitze aus bis in das Reich des Schwarzen Lords blicken
können.«
»Nun, wir werden sehen.« Panval Erkat strich sich mit den Fingern durch
den Bart.
Ihr Weg hatte sie durch die Südmark des Pferdevolkes in die Ostmark
geführt. Sie waren schnell vorangekommen, aber der Rückweg würde weit
mehr Zeit in Anspruch nehmen. Ta Enderos wollte im Reich des Pferdevolkes
eine Ware erstehen, die ihm als Reiter als das Wertvollste erschien. Die Garde
brauchte Pferde. Viele Pferde.
Panval Erkat reckte sich ein wenig im Sattel. »Ich glaube, wir sind fast da.
Das dort könnte der berühmte Turm sein. Ich hoffe, Kommandeur, man wird
Euch den gebührenden Respekt erweisen.«
»Unser Bote muss schon vor zwei Tageswenden in Merdonan eingetroffen
sein. Pferdefürst Bulldemut wird sicher seine Vorbereitungen getroffen
haben. Er soll alt sein, aber immer noch beachtlich wendig seine Stoßlanze
führen.«
Merdonan, die Hauptstadt der Ostmark des Pferdevolkes, lag direkt an der
Grenze zum Reich des Schwarzen Lords. Die Weißen Sümpfe schützten die
Stadt vor dessen Angriffen. Zumindest weitestgehend, denn es gab einen
verborgenen Pfad, der allerdings nur ein langsames Vorwärtskommen zuließ.
Zu langsam, um die Stadt mit einem starken Truppenaufgebot überraschen zu
können. Vor Jahren allerdings war es den Legionen der Orks gelungen, die
Sümpfe mit hölzernen Stegen zu überwinden. Merdonan wäre beinahe
gefallen, aber die Verstärkungen waren rechtzeitig eingetroffen. Die
Bewohner Merdonans hatten dieses Ereignis niemals vergessen und die
Befestigungen der Stadt weiter ausgebaut.
Auf der Straße näherte sich der Stadt eine Gruppe von drei Fuhrwerken.
Eines von ihnen hatte einen stabilen kastenförmigen Aufbau, die beiden
anderen waren hochwandige Lastfahrzeuge, deren Fracht unter schweren
Planen verborgen war. Alle Gespanne wurden von Pferden gezogen und
trugen das Zeichen eines alnoischen Handelshauses. Ta Enderos schätzte die
Geschwindigkeit seines Beritts und die der Handelswagen ab und kam zu dem
Schluss, dass sie nahezu gleichzeitig am Tor eintreffen würden. Er überlegte,
ob er die Gardisten zu schnellerem Trab auffordern sollte, aber dann
entschied er sich dagegen. Es wäre ungebührlich gewesen, solche Hast zu
zeigen.
Im offenen Tor stand eine Gruppe von Schwertmännern mit den schwarzen
Rosshaarschweifen der Ostmark. Ihr Anführer trat dem vorderen Gespann in
Gespannführer wandte. »Seid uns willkommen in Merdonan, guter Herr
Händler. Habt die Freundlichkeit und löst die Planen.«
Der Händler runzelte überrascht die Stirn. »Die Planen öffnen? Wir sind
auf dem Weg zum Markt, um dort zu handeln. Wir bringen feinsten Klarstein
aus dem fernen Alnoa und dazu Tücher und kunstvoll gefertigtes
Geschmeide. Kommt zum Markt, und Ihr könnt Euch davon überzeugen.«
»Auf Geheiß des Hohen Lords Bulldemut muss ich Eure Fracht schon hier
am Tor in Augenschein nehmen.«
Die Stimme des Händlers wurde etwas ärgerlich. »Wozu dieser Umstand?
Dergleichen wurde noch nie zuvor verlangt, und ich bin wahrlich oft in
Merdonan. Ihr müsstet mich doch kennen, ich bin Erdewar aus Lheonaris.
Mein Name steht für gute Ware und gerechte Preise.«
»Das will ich Euch gern glauben, guter Herr Erdewar. Dennoch muss ich
die Fracht sehen, um sie schätzen zu können. Danach berechnet sich die Höhe
des Tributs, den Ihr dem Pferdefürsten zu entrichten habt.«
»Tribut? Was für ein Tribut?« Händler Erdewar war nun sichtlich
verärgert, und sein Gesicht rötete sich zunehmend. »Ich musste noch nie
einen Tribut an den Pferdefürsten entrichten.«
»Gemach, guter Herr. Der Tribut dient Eurem Schutz.«
»Schutz?«
Der Scharführer nickte bedächtig. »In den letzten Monden geht Seltsames
in der Ostmark vor sich. Einzelne Reisende und allein fahrende
Handelswagen verschwinden spurlos. Wir gehen davon aus, dass sich eine
Gruppe Gesetzloser herumtreibt.«
»Raubgesindel? In der Ostmark?« Der Händler erblasste. »So etwas habe
ich bislang nur aus dem Reich Alnoa gehört. Dort trifft man des Öfteren auf
Halsabschneider, die Reisenden ihre goldenen Schüsselchen rauben.« Er sah
den Scharführer herausfordernd an. »Dann läge es wohl an Euch Pferdelords,
dem Einhalt zu gebieten.«
Der Wachführer seufzte vernehmlich. »Unsere Scharen bestreifen die
Mark reichlich, besonders die Handelswege. Zwei volle Beritte der
Schwertmänner musste der Hohe Lord Bulldemut neu aufstellen. Das kostet
viele goldene Schüsselchen, guter Herr. Da die Streifen Eurem Schutz dienen,
erhebt der Pferdefürst den Tribut.«
»Dann soll er unsere Wagen von einer Schar begleiten lassen. So wird sich
kein lichtscheues Gesindel an meine Waren herantrauen«, knurrte der
Händler. Er gab seinen Helfern einen Wink, die daraufhin begannen, die
Planen und Verriegelungen zu lösen.
»Es gibt zu viele Handelswagen und zu wenige Schwertmänner, als dass
wir jeden einzelnen Wagen begleiten können«, entgegnete der Schwertmann.
»Aber Ihr könnt Euch der Dienste bewaffneter Begleiter versichern, guter
Herr. Seit die Brennsteinmaschinen aus dem Reich Alnoa die Hämmer
unserer Werkstätten antreiben, hat mancher brave Mann seine Arbeit verloren
und ist sicher froh, ein paar Schüsselchen verdienen zu können, wenn er sich
bei Euch verdingt. Es sind viele gute Pferdelords darunter, die Euch Schutz
gewähren können.«
»Bewaffnete Begleiter?« Der Händler schlang die Zügel um den
Bremshebel und schwang sich vom Bock des Wagens. »Das kostet mich
zusätzliche Schüsselchen und schmälert meinen Gewinn. Ich müsste gar die
Preise anheben, was den Kunden nicht gefallen würde.«
»Ihr mögt ein paar Schüsselchen einbüßen, aber das ist sicher besser, als
Fracht und Leben zu verlieren.«
»Das ist wohl wahr«, gestand der Händler griesgrämig ein. »Bei den
finsteren Abgründen, in den letzten Jahreswenden hat der Handel
zugenommen, und nun treibt sich immer mehr Gesindel herum. Früher konnte
man durch Eure Marken reiten und musste nur Unwetter, Raubtiere und Orks
fürchten. Aber schön, so schätzt die Waren eben.«
Die Schwertmänner verstanden sich darauf, den Wert der Waren zu
bestimmen. Schließlich begann der besorgte Händler, die Endsumme
herunterzurechnen, aber der Scharführer ließ sich nicht darauf ein. Erneut
begann ein erregter Streit üben den zu entrichtenden Tribut.
Ta Enderos verlor das Interesse an der Auseinandersetzung und trieb sein
Pferd an den Handelswagen vorbei zum Scharführer. Als dieser den Alnoer
unvermittelt vor sich sah, brachte er den zeternden Händler mit einer
Handbewegung zum Schweigen.
»Seid willkommen in Merdonan, guter Herr. Ich hörte schon von solchen
metallenen Anzügen, wie Ihr sie tragt«, sagte er und musterte ta Enderos und
die anderen neugierig. »Ihr seid Panzerreiter aus dem fernen Königreich
Alnoa, nicht wahr? Da seid Ihr aber weit entfernt von Eurem Streifgebiet.
Was führt Euch in die Ostmark des Pferdevolkes?«
»Ein Handel, guter Herr Pferdelord«, erwiderte der Hochgeborene
freundlich und zugleich irritiert. »Die Garde braucht Pferde, und ich hörte, in
der Ostmark ließen sich welche finden.«
Der Scharführer grinste breit. »Daran fehlt es uns nicht. Ihr findet die
Pferdehändler auf dem großen Markplatz, und dort gibt es auch gutes Quartier
für die Nacht.«
Panval Erkat räusperte sich. Obwohl er selbst aus dem Mannschaftsstand
kam, achtete er sehr darauf, dass man es dem von ihm verehrten ta Enderos
gegenüber nicht an Respekt fehlen ließ. Als der Scharführer nun den
Hauptmann ansah, deutete der auf seinen Kommandeur. »Meldet Eurem
Pferdefürsten die Ankunft von Daik ta Enderos, Hochgeborener des Reiches
von Alnoa und Kommandeur seiner Garde.«
Die Augen des Scharführers weiteten sich vor Überraschung. »Das ist
fürwahr ein bedeutsamer Besuch, Ihr Hohen Herren.« Er salutierte
respektvoll. »So seid uns nun doppelt willkommen. Ich werde den Hohen
Lord sofort verständigen.« Er wandte sich um und gab einem seiner Männer
einen Befehl. Der Mann eilte zu einem am Wachhaus stehenden Pferd,
schwang sich hinauf und trabte dann auf die Silhouette des riesigen Turms zu,
so rasch es das Gedränge auf der Straße zuließ. Der Scharführer trieb die
anderen an, damit man die Wagen zur Seite fuhr, die das Tor teilweise
blockierten. Natürlich hätten sich die Gardisten daran vorbeizwängen können,
doch für jeden Kämpfer war es eine Frage von Ehre und Tradition, dass man
ihnen Respekt erwies und den nötigen Raum schaffte.
»Sagt, guter Herr Scharführer, habt Ihr keine Kunde über unsere Ankunft
erhalten? Wir haben zwei Männer entsandt, die uns vorausritten.«
Der Pferdelord schüttelte den Kopf. »Glaubt mir, Hoher Herr, zwei Reiter
in Panzern wären nicht unbemerkt geblieben. Sie haben Merdonan gewiss
nicht erreicht.«
Ta Enderos runzelte die Stirn. »Das ist seltsam. Sie müssten lange vor uns
eingetroffen sein.«
Der Wachführer leckte sich über die Lippen und blickte unwillkürlich zum
offenen Tor hinaus. »In letzter Zeit kommt es immer wieder vor, dass Leute
einfach verschwinden. Vor einem Zehntag fand eine unserer Streifen ein
verlassenes Gehöft. Von seinen Bewohnern und dem Vieh fehlte jede Spur.
Es gab keine Hinweise auf einen Überfall oder ein gefährliches Tier, das die
Bewohner angegriffen haben könnte. Irgendetwas sucht unsere Mark heim,
Hoher Herr, und wir bestreifen sie, um die Übeltäter zu finden und zu
bestrafen. Nicht jeder will seine goldenen Schüsselchen durch ehrliche Arbeit
und Handel verdienen.«
»Das kommt auch im Reich Alnoa vor«, seufzte ta Enderos. »Doch
überfallen die Ehrlosen keine einsamen Höfe oder Gardisten, sondern
lohnendere Ziele wie kleine Handelszüge.«
»Wohl wahr, Hoher Herr, doch wenn Eure Männer unerwartet auf eine
Bande Gesetzloser gestoßen sind, wird man sie ohne Zögern niedergemacht
haben.«
»Das steht wohl zu befürchten.« Daik ta Enderos blickte die Hauptstraße
entlang. Irgendwo war ein Hornsignal zu hören, und er glaubte am Ende der
Straße den dreieckigen grünen Wimpel eines Beritts der Schwertmänner
flattern zu sehen.
Wenig später erreichte eine berittene Schar das Tor, um ta Enderos das
gebührende Ehrengeleit zu geben. »Seid willkommen, Hoher Lord«, grüßte
der Anführer der Schar und bewies damit, dass ihm der hohe Rang des Gastes
weit bewusster war als dem Führer der Torwache. Dieser errötete prompt, da
er nicht erkannt hatte, dass ta Enderos einem Pferdefürsten gleichgestellt war.
»Ich bin Mor, Erster Schwertmann der Ostmark. Pferdefürst Bulldemut
entbietet Euch durch mich seine Grüße und freut sich darauf, Euch persönlich
willkommen zu heißen. Wenn Ihr mir nun die Ehre erweisen wollt, mich zu
begleiten?«
Ta Enderos nickte und gab Hauptmann Panval Erkat das Zeichen, mit dem
Beritt zu folgen. Er selbst ritt an Mors Seite und musterte den Ersten
Schwertmann der Ostmark verstohlen. Die tiefschwarzen Haare waren
ungewöhnlich für einen Mann des Pferdevolkes. Mor bemerkte seine Blicke
und lächelte. »Ihr vermutet richtig, Hoher Lord. Ich stamme aus Alneris.« Das
Lächeln vertiefte sich. »Ich war Wachmann im Dienste eines fahrenden
Händlers.«
»Und nun seid Ihr Erster Schwertmann einer Mark?« Ta Enderos zwirbelte
seinen Bart. »Recht ungewöhnlich, will mir scheinen.«
»Es ist eine verwickelte Geschichte, gut geeignet für lange Winterabende
und lodernde Kaminfeuer.« Mors Gesicht wurde ernst. »Darf ich fragen, was
den Hohen Lord so weit nach Norden und bis nach Merdonan führte?«
»Pferde«, antwortete ta Enderos knapp.
Mor lachte freundlich. »Seht es mir nach, Hoher Lord, doch für einen
Pferdeeinkäufer habt Ihr einen ungewöhnlich hohen Rang.«
»Kein Dienst ist zu niedrig, wenn er zum Wohl des Reiches ist.«
Der Erste Schwertmann der Ostmark nickte bedächtig. Er vermutete mehr
hinter ta Enderos Besuch, aber es wäre unhöflich gewesen, weiter in den
hohen Gast zu dringen. Sie passierten eine Gruppe von Männern und Frauen,
die abgedeckte Eimer mit sich führten, von denen ein bestialischer Gestank
aufstieg. Mor bemerkte, wie ta Enderos die Nase rümpfte.
»Die meisten Städte des Pferdevolkes haben eine vernünftige
Kanalisation«, erklärte er, »doch hier in Merdonan lässt der Boden das nicht
zu. Das dort sind Dungschlepper, welche die Abfälle sammeln und aus der
Stadt bringen.«
Der Gardekommandeur versuchte durch den Mund zu atmen. »Ein
durchaus ehrbares Handwerk. Es hilft, Krankheiten zu vermeiden.«
»Und es hält die Felder fruchtbar.«
Langsam trabten die Gardisten und die Pferdelords auf den riesigen Turm
der alten Ostwache zu. Die breite Straße, auf der sie sich bewegten, führte
vom Haupttor über den großen Handelsplatz bis zum Haus des Pferdefürsten,
wo sich die Ostwache erhob. Während sie näher kamen, wurde den Alnoern
die enorme Größe dieses Bauwerks deutlich.
Der Große Turm war das Wahrzeichen der Stadt und fand sich als Symbol
auf den grünen Rundschilden der Pferdelords aus Merdonan wieder. Er war
ungewöhnlich hoch und ungewöhnlich alt. An seiner Basis maß er gut
zwanzig Längen im Durchmesser und stieg über hundert Längen auf, bevor er
sich an seiner obersten Spitze zu einer Plattform von kaum vier Längen
verjüngte. Unten gab es nur eine schmale Türöffnung, die von einer schweren
Metalltür verschlossen wurde, und ab der zweiten Turmebene zogen sich enge
Schießscharten um seine fünf Seiten herum.
»Euer Hoher Lord Bulldemut schätzt eine trutzige Bauweise«, meinte ta
Enderos lakonisch und deutete auf des Haus des Pferdefürsten. Es stand an
der Basis des Turms und hatte im Untergeschoss keine Öffnungen außer einer
schweren metallenen Tür. Im Obergeschoss zogen sich schießschartenartige
Schlitze entlang, und auf dem flachen Dach ragten die Arme zweier Katapulte
auf.
»Diese Bauweise hat uns genutzt, als die Orks Merdonan einnahmen. Hier,
auf diesem Platz, haben wir den letzten Widerstand geleistet, bis die Beritte
der Marken zu Hilfe eilten. Ah, Ihr hättet die Schlacht erleben sollen. Seite an
Seite mit den Elfen trieben wir die Bestien in die Sümpfe zurück.«
»Ich hörte, die Elfen hätten ihre Ländereien verlassen.«
»Ja, sie sind zu den Neuen Ufern aufgebrochen. Ihre Länder sind nun
verwaist.«
»Das Bündnis wird schwächer«, murmelte der Gardekommandeur leise.
»Vor einigen Jahreswenden kämpfte ich an ihrer Seite zusammen mit tapferen
Pferdelords der Hochmark gegen die Schwärme der See.«
»Dann kennen wir also beide gute Geschichten für lange Winterabende«,
meinte Mor schmunzelnd.
Vor dem Haus des Pferdefürsten wartete ein Ehrenberitt und präsentierte
im Ehrensalut, als ta Enderos seine Männer einschwenken ließ. Der
Gardekommandeur saß ab und übergab die Zügel einem seiner Reiter. Auf
der obersten Stufe der Treppe, die ins Gebäude hineinführte, wartete die
stämmige Gestalt Bulldemuts. Graue Strähnen durchzogen seine rotblonden
Locken, und als er kurz zur Seite blickte, sah ta Enderos, dass dem
Pferdefürsten das rechte Ohr fehlte.
Das Willkommen war herzlich, wenn auch ein wenig distanziert, und ta
Enderos spürte, dass der Pferdefürst hinter seinem Besuch mehr vermutete als
den Kauf von Pferden. Dieser Eindruck bewahrheitete sich, als Bulldemut
seinen Gast in das bescheidene Amtszimmer führte. Der Pferdefürst wartete,
bis ein Bediensteter die gebotenen Erfrischungen gebracht und den Raum
wieder verlassen hatte. Nachdem die beiden Hohen Lords allein waren, lehnte
sich der Pferdelord in seinem Stuhl zurück und musterte den Alnoer
nachdenklich.
»Ihr braucht also Pferde, Hochgeborener? Dafür habt Ihr einen mühseligen
und weiten Weg auf Euch genommen.«
Es war wohl an der Zeit, sein Gegenüber einzuweihen, etwas, das ta
Enderos nicht einmal mit seinem Hauptmann getan hatte. Es wäre ihm lieber
gewesen, mit Nedeam zu sprechen, den er kannte, doch die Hochmark
verfügte über keine größeren Herden von Wildpferden, die der offizielle
Grund für seine Reise waren. Immerhin genoss Bulldemut den Ruf eines alten
Kämpfers. Ta Enderos hoffte, in ihm den richtigen Ansprechpartner zu
finden, um seinen flüchtigen Plan reifen zu lassen, bevor er an das Ohr des
Königs drang.
»Was haltet Ihr von den Orks, Hoher Lord Bulldemut?«
Die Züge des Pferdefürsten nahmen einen lauernden Ausdruck an. »Es
geht wohl doch nicht nur um Pferde, nicht wahr? Schön, wir sollten diese
Formalitäten sein lassen und wie Kämpfer miteinander reden. Was ich von
den Orks halte? Jeder kennt diese Bestien. Solange sie existieren und dem
Schwarzen Lord dienen, wird es keinen Frieden für die Marken des
Pferdevolkes geben.«
»Auch nicht für die Provinzen des Reiches Alnoa«, stimmte ta Enderos zu.
»Wir beide wissen, dass die Legionen der Finsternis in Rushaan geschlagen
wurden. Und ebenso gewiss ist, dass dies kein endgültiger Sieg war. In ihren
Bruthöhlen werden sie zu Hunderten geworfen, so können diese Kreaturen
ihre Verluste leicht ausgleichen. Jeder getötete Ork wird von zwei neuen
ersetzt, doch jeder unserer gefallenen Kämpfer hinterlässt eine schmerzliche
Lücke.«
»Wohl wahr«, nickte Bulldemut. »Es dauert viele Jahreswenden, bis ein
Knabe zu einem Pferdelord herangewachsen ist.«
»Unsere Völker verschleißen sich im endlosen Krieg gegen die
Finsternis.« Ta Enderos nippte an dem verdünnten Gerstensaft. »Jetzt sind
auch noch die Elfen fort, und unser Bund wird schwächer, während die
Legionen erneut erstarken.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«, knurrte Bulldemut.
»Wenn wir immer nur darauf warten, dass die Orks uns angreifen,
überlassen wir ihnen die Initiative und geben ihnen die Gelegenheit, Zeit und
Ort zu bestimmen und in großer Stärke aufzutreten.«
Bulldemuts Augen verengten sich für einen Moment, als er ta Enderos
Gedanken erahnte. »Ihr wollt sie angreifen? Ihnen zuvorkommen?«
Ta Enderos nickte. »Das Reich Alnoa hat die letzten Jahreswenden in
relativem Frieden gelebt. Natürlich gibt es kleine Kämpfe an den Pässen,
doch unsere Grenzfesten sind stark und sicher. Noch. Die Bürger des Reiches
und vor allem den Hohen Kronrat interessiert es nur wenig, was dort vor sich
geht, solange die Bestien nicht über die Grenzen gelangen. Sie interessieren
sich mehr für die goldenen Schüsselchen, die der Unterhalt der Garde kostet.«
»Ja, verdammte Schüsselchen. Ich schätze sie nicht besonders«, brummte
Bulldemut. »Früher gab es Ware oder Arbeitskraft, die man untereinander
tauschte. Heute erhält man dafür wertloses Gold.«
»Es ist nicht wertlos, Pferdefürst der Ostmark. Manche Menschen schätzen
seinen Wert sogar höher ein als das Leben eines braven Gardisten.«
»Dann schickt diese Menschen an die Grenze. Da werden sie die wahren
Werte kennenlernen. Gold schützt sie nicht gegen den Feind. Nur guter Stahl
und starke Arme vermögen das.«
»Beides muss mit Schüsselchen bezahlt werden.« Ta Enderos seufzte leise.
»Mit vielen Schüsselchen. Die will der Hohe Kronrat jedoch lieber für andere
Dinge ausgeben.«
Bulldemut strich sich über das Kinn. »Ich verstehe nicht, worauf Ihr
hinauswollt.«
»Der Hohe Rat hat beschlossen, einige Regimenter der Garde aufzulösen.
Das wird das Heer des Reiches schwächen.«
»Bei den finsteren Abgründen. Was für eine Narretei. Und Euer König?«
»Er hat nur in Kriegszeiten die absolute Befehlsgewalt. Doch jetzt, im
Frieden, hat der Hohe Rat das Sagen.«
»Mögen die Abgründe den Rat verschlingen«, sagte Bulldemut mitfühlend.
»Alnoa wird weniger Truppen haben«, nahm ta Enderos den Faden wieder
auf. »Daher will ich die verbleibenden beweglicher machen. Mit Pferden
kann man sie schnell von einem Ort zum anderen verlegen.«
»Man muss lernen, auf einem Pferd zu reiten. Wenn Ihr Eure Fußsoldaten
auf die Tiere setzt, wird die Hälfte von ihnen heruntergefallen sein, bevor sie
das Schlachtfeld erreichen.«
»Notfalls lasse ich sie auf den Pferden festbinden«, knurrte ta Enderos
grimmig. »Doch das ist nicht das Problem.«
Bulldemut erhob sich von seinem Stuhl und trat an die Landkarte. »Der
Schwarze Lord hat nicht viele Möglichkeiten, die freien Reiche anzugreifen.
Der Pass von Rushaan im Norden ist ihm versperrt, und durch das Eis des
Kaltlandes kann er seine Orks nicht schicken. Sie würden erfrieren. Bleiben
ihm noch der Weg über den Pass von Merdoret und die Weißen Sümpfe nach
Merdonan oder die beiden Pässe an der Südgrenze Alnoas. Merdonan wird er
nicht nehmen, die Sümpfe sind ein zu großes Hindernis, und noch einmal
lassen wir uns nicht von ihm überraschen. Wenn er erneut angreift, wird er
das im Süden tun. Bei Euch, ta Enderos, im Reich Alnoa.«
»Vermutlich«, stimmte ihm der Gardekommandeur zu. »Und wenn wir
abwarten, bis er bereit ist, wird er in überwältigender Stärke auftreten. Alnoa
ist gewappnet, aber seine Macht wächst nicht weiter, im Gegensatz zu der des
Schwarzen Lords.«
Erneut strich sich Bulldemut übers Kinn. »Also, sprecht frei heraus, was
habt Ihr vor?«
»Nicht zuzusehen, wie der Feind immer stärker wird, während unsere
Kräfte schwinden. Den Krieg endlich zu ihm zu tragen. Es missfällt mir,
immer nur auf seine Schläge warten zu müssen. Es ist an der Zeit, dass wir
selbst endlich zuschlagen.«
»Dem stimme ich zu«, sagte Bulldemut nachdenklich. »Doch es wird nicht
gehen, ta Enderos. Wir kennen sein Land nicht und auch nicht seine wahre
Stärke. Ihm ohne dieses Wissen entgegenzutreten, hieße unsere Männer
sinnlos zu opfern.«
»Ja, wir können sein Reich nicht nehmen, das ist mir klar.« Ta Enderos trat
neben Bulldemut. »Aber wir können ihn dort treffen, wo es ihn schmerzt.« Er
tippte auf die Karte. »Dort, in Cantarim.«
»Cantarim?« Bulldemut schüttelte den Kopf. »Vergesst es. Cantarim ist
eine starke Festung. Auch wenn wir nicht viel über das Reich der Finsternis
wissen, diese alte Feste ist uns wohlbekannt.«
»Sie ist nicht nur eine starke Festung. Sie ist eine der Waffenschmieden
und Bruthöhlen der Legionen. Sie zu zerstören würde dem Herrn der
Finsternis einen bösen Schlag versetzen.«
»Wunschdenken«, schnaubte Bulldemut. »Wirklich, ein reizvoller
Gedanke, doch er ist nicht durchführbar.«
»Vielleicht doch. Bedenkt, was Ihr soeben selbst gesagt habt. Er kann
seine Orks nicht durch das Kaltland schicken, da sie sonst erfrieren würden.
Und denkt an den Winter, Bulldemut.« Ta Enderos lächelte verschwörerisch.
»In diesem Jahr soll er besonders kalt werden.«
Bulldemut stieß ein leises Grunzen aus. »Große Kälte lässt das Blut der
Bestien erstarren. Das macht sie langsam, sogar unbeweglich … Fürwahr, ein
reizvoller Gedanke.« Er straffte sich. »Dennoch, es ist aussichtslos. Der Eid
verpflichtet die Pferdelords, ihre Heimat zu verteidigen. Sie müssen ihm nicht
Folge leisten, wenn wir fremde Grenzen überschreiten. Ein solches Wagnis,
noch dazu im Winter, wird keiner eingehen wollen.«
»Einen vorbeugenden Schlag gegen das Reich der Finsternis zu tun ist
auch eine Form der Verteidigung«, beharrte ta Enderos. »Weit besser als
abzuwarten, bis die Bestien wieder zu uns kommen.«
»Mag sein. Aber ein Krieg im Winter? Nicht nur die Orks würden frieren.
Auch müssten wir uns mehrere Zehntage durch Feindesland schlagen, bevor
wir Cantarim erreichen. Und wenn wir seine Mauern sehen, haben wir sie
noch lange nicht genommen.«
»In der Eiseskälte des Winters werden die Orks nicht besonders eifrig
umherstreifen. Sie werden die Wärme suchen. Wenn unsere Streitmacht den
Weg sorgsam erkundet und sich verborgen hält, dann können wir die Bestien
überraschen.«
»Warum kommt Ihr mit solchen Gedanken zu mir?«, knurrte Bulldemut
unschlüssig. »Es wäre eine Sache des Königs. Eures und unseres Königs.
Solche Dinge entscheidet nicht ein Pferdefürst. Nicht einmal der Rat der
Pferdefürsten. Ihr solltet auf dem Tisch würfeln und nicht in der hohlen
Hand.«
»Eure Stimme findet sicher Gehör beim Rat der Pferdefürsten und auch
beim König des Pferdevolkes.«
»Streicht mir keinen Honig in den Bart, ta Enderos.« Bulldemut blickte auf
die Karte und schüttelte unbewusst den Kopf. »Warum kommt Ihr damit
ausgerechnet zu mir? Warum in die Ostmark? Nein, sagt es nicht, ich kann es
mir denken.« Bulldemut ließ seine Hand auf die Karte klatschen. »Der Weg
von Süden aus wäre zu weit. Für Euren Plan bleibt nur eine Möglichkeit. Der
Marsch durch die Weißen Sümpfe und über den Pass von Merdoret. Reizvoll,
aber undurchführbar. Es gibt nur einen schmalen Pfad. Mann muss hinter
Mann marschieren. Könnt Ihr Euch ausmalen, was hier ein Rückzug bedeuten
würde? Auf der anderen Seite der Sümpfe würde sich alles stauen, von den
Orks bedrängt. Es würde ein sehr einseitiges Schlachten werden. Und wir«,
sagte er leise, »wir könnten von Merdonan aus zusehen.«
Ta Enderos versuchte seine aufkommende Enttäuschung zu verbergen.
»Wenn ich meinem König mitteilen könnte, dass das Pferdevolk sich
beteiligt, wird er zustimmen. Und Euer König würde es wohl auch, wenn er
erführe, dass mein König …«
»Ihr treibt ein gefährliches Spiel, Hochgeborener ta Enderos. Ihr versucht,
den einen gegen den anderen auszuwürfeln. Ist das die Art, in der man im
Reich Alnoa miteinander umgeht? Auch wenn Eure Absicht ehrbar ist, so
schätze ich die Weise nicht, mit der Ihr versucht, mich und den König zu
überlisten, Hochgeborener. Ja, Cantarim wäre fürwahr ein schmackhafter
Happen, doch an diesem Bissen können wir nur zu leicht ersticken.«
Der Gardekommandeur seufzte leise. »Es wäre nicht recht, mit Euch
darüber in Streit zu geraten, Hoher Lord Bulldemut. Es ist schon spät.
Vielleicht sollten wir eine Nacht darüber ruhen und unsere Gedanken
ordnen.«
Bulldemut schürzte die Lippen und nickte dann. »Man wird Euch Euer
Quartier zeigen. Morgen können wir dann über die Pferde sprechen.«
»So mag es sein.«
Ta Enderos empfand das bittere Gefühl der Niederlage. Auch wenn er
nicht erwartet hatte, dass Bulldemut seinem Plan gleich zustimmte, so hatte er
doch auf mehr Interesse gehofft. Der Pferdefürst sollte zu den verwegensten
Pferdelords gehören, und wenn der schon zögerte, so würden die anderen ta
Enderos’ Idee erst recht nicht folgen.
In dieser Nacht fand der Kommandeur der alnoischen Garde lange keine
Ruhe. Seine Gedanken kreisten um das Reich von Alnoa, das immer
schwächer wurde, und um die gleichfalls schwache Hoffnung, dem Feind
zuvorzukommen. Doch schließlich sank der besorgte Alnoer doch noch in den
Schlaf.
Er erwachte, als jemand unsanft gegen die Tür seiner Kammer polterte.
Benommen schüttelte er den Schlaf ab und schwang die Beine von der
Bettstatt. »Ich bin wach«, knurrte er missmutig. »Tretet ruhig ein.«
Es war der Erste Schwertmann Mor, der die Tür öffnete und ta Enderos
einen knappen Salut erwies. »Pferdefürst Bulldemut bittet Euch zu sich.«
Der Alnoer blickte zu der schießschartenartigen Öffnung der Kammer
hinüber. Die Nacht begann gerade erst der Morgendämmerung zu weichen.
Fröstelnd zog er die Schultern hoch. »Schön, sagt ihm, dass ich komme.«
Mor lächelte hintergründig und reichte ta Enderos einen schweren
Umhang. »Nehmt, Hochgeborener. Ihr werdet ihn brauchen. Der Hohe Lord
ist oben. Auf der Plattform der alten Ostwache. Nehmt eine Brennsteinlampe
mit, der Weg dorthin ist dunkel.«
Der Weg war nicht nur dunkel, sondern auch lang. 1654 steinerne Stufen
führten im Inneren des Turms auf die Plattform hinauf. Die Stufen waren
ausgetreten und mühsam zu erklimmen. Niemanden verlangte es danach, es
häufiger zu tun, und der Abstieg war nicht weniger schwer und gefahrvoll als
der Aufstieg. Schon mancher Mann war dabei zu Tode gestürzt.
Die Brennsteinlampe, die ta Enderos mit sich führte, bestand aus einem
zylindrischen Gefäß, auf dessen Boden der Brennstein brannte. Das warme
Licht drang aus breiten Schlitzen, erhellte die Stufen aber nur notdürftig. Ta
Enderos stieg sie langsam empor. Zum einen wegen der mangelhaften Sicht
und zum anderen, weil er einen solchen Treppenaufstieg nicht gewohnt war.
Im Reich Alnoa hätte man bei solcher Mühsal längst einen Windenaufzug
installiert, und der Alnoer verfluchte im Stillen den Pferdefürsten, der ihn zu
diesem Weg zwang. Doch bei einer Verschnaufpause musste er an
Bulldemuts Alter denken und daran, dass ihm der Aufstieg sicher noch weit
schwerer gefallen war. Der Pferdefürst hatte offenbar einen guten Grund,
seinen Gast auf den Turm hinaufzubitten.
Als Daik ta Enderos die Plattform betrat, konnte er den wachhabenden
Schwertmännern und Bulldemut nur ein knappes Nicken schenken. Keuchend
rang er nach Atem, und die Luft war eisig und brannte in seiner Kehle. Der
Pferdefürst stand an der Brüstung, zwischen zwei der ungewohnt geformten
Zinnen, und winkte seinen Gast zu sich heran. Der umrundete den
Lampenspiegel, der das alte Signalfeuer ersetzte, und hüllte sich enger in den
Umhang, der ihn nur unvollkommen gegen die schneidende Kälte des Windes
schützte.
»Ihr kommt gerade noch rechtzeitig, um es zu sehen«, brummte der
Pferdefürst.
»Um was zu sehen?« Ta Enderos lächelte schwach. »Wollt Ihr mir die
Schönheit des Sonnenaufgangs zeigen?«
»Glaubt Ihr, dafür hätte ich mich hier heraufgequält? Schaut nach Osten, ta
Enderos. Was seht Ihr?«
Hinter der Frage des Pferdefürsten steckte eine besondere Absicht, aber der
Alnoer wusste nicht, welche. »Nun, ich sehe im Südosten die Schwarzen
Berge von Uma’Roll und im Nordosten das Gebirge von Noren-Brak. Und
direkt vor unseren Nasen liegt der Pass, der die Gebirge teilt.«
»Der Pass von Merdoret, genau«, stimmte Bulldemut zu. »Und davor die
Weißen Sümpfe. Nun, ich vermute, es fällt Euch nicht auf, da Ihr die Sümpfe
noch nicht kennt.«
»Ich habe sie noch nie gesehen und kenne nur die alten Legenden. Dass
dort einst eine furchtbare Schlacht tobte und der Sumpf die Toten
verschlungen hat.«
Bulldemut nickte bedächtig. »Nicht wie ein gewöhnlicher Sumpf, ta
Enderos. Die Weißen Sümpfe sind verflucht. Sie nehmen die Toten nicht auf
und geben sie auch nicht frei. Die Kämpfer liegen noch immer dort, wo sie
gefallen sind. Menschen, Elfen und Orks. Was in das verfluchte Wasser
taucht, kann nicht zerfallen, doch was aus ihm emporragt, hat sich aufgelöst.
Es ist ein entsetzlicher Anblick, Alnoer. Ein einziges Mal habe ich es mit
eigenen Augen gesehen, und Ihr könnt mir glauben, dass ich es nicht auf ein
zweites Mal anlege.«
»Und was sollte mir nun auffallen, Hoher Lord Bulldemut?«
»Seht hinunter.« Bulldemut deutete in Richtung der verwunschenen
Sumpflandschaft. »Sie sind zugefroren, die Sümpfe. Zum ersten Mal, seit wir
Pferdelords in diese Mark kamen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wir hatten
schon kalte und unbarmherzige Winter, und dennoch waren sie nie von Eis
bedeckt. Doch in diesem Jahr ist es anders. Dabei hat der Winter noch nicht
einmal begonnen. Es ist mir ein Rätsel, ta Enderos, ein wahres Rätsel.«
»Zugefroren«, murmelte der Gardekommandeur und stützte sich auf eine
der Zinnen. Hastig zog er die Hände zurück, denn der Stein war
außergewöhnlich kalt. Während er seine Hände aneinanderrieb, überlegte er
fieberhaft. »Ich verstehe. Sie sind passierbar, nicht wahr? Das Eis würde
Männer mit Waffen tragen können.«
»Wir treiben ein paar schwere Hornviehbullen in die Sümpfe«, brummte
Bulldemut. »Dann werden wir es erfahren.« Er seufzte. »Wahrscheinlich
tauen sie rasch wieder auf. Bedenkt, es ist noch nicht richtig Winter.«
»Eben.« Ta Enderos lächelte. »Doch wenn sie im Winter zugefroren
bleiben, dann hätten wir einen Weg ins Reich der Finsternis. Einen Weg nach
Cantarim, nicht wahr, Pferdefürst Bulldemut?«