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Kapitel 4

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Der sechste Kreis, geheimer Standort.

Jean Baptiste Lisenne war stolz auf seine französische Abstammung. Auch wenn vielen Menschen ihr einstiger Ursprung gleichgültig geworden war und sie ihre Herkunft auf den jeweiligen Planeten bezogen, auf dem sie geboren waren, so gehörte Lisenne zu jenen, denen die alten Traditionen viel bedeuteten. Er war glücklich, in seiner bescheidenen privaten Bibliothek ein paar handgebundene Bücher französischer Denker und Dichter zu besitzen. Die Vitrinen waren mit einem Edelgas gefüllt, damit das uralte Papier nicht litt. Lisenne hatte keines dieser Bücher im Original gelesen. Die Gefahr, dass den kostbaren Stücken ein Schaden zugefügt wurde, erschien ihm viel zu hoch. Er begnügte sich mit ihrem Besitz und den tetronischen Dateien, die ihm die Inhalte verfügbar machten. Jean Baptiste Lisenne war Ende der Fünfzig, sein schütter werdendes Haar war graumeliert. Er hielt sich für einen sehr kultivierten Mann, ungeachtet der Tatsache, dass sein Wirken schon Tausenden von Menschen das Leben gekostet hatte.

Lisenne war der Erste des sechsten Kreises der schwarzen Bruderschaft und als solcher für Konstruktion und Bau aller Raumschiffe verantwortlich, über welche die Gemeinschaft verfügte. Ihm und seinen Wissenschaftlern war es zu verdanken, dass man über kampfstarke Walzenschiffe verfügte und über eine Erfindung, die dem Direktorat bislang noch nicht gelungen war: Er hatte eine Möglichkeit entdeckt, den Hiromata-Nullzeitfunk weiterzuentwickeln, so dass dieser nun Sprache und Bild in Nullzeit übermittelte. Für die interstellare Kommunikation eine bahnbrechende Erfindung, doch sie war ein bestens gehütetes Geheimnis. Jean Lisenne ließ nur sieben dieser Geräte bauen, anschließend die Techniker töten und die Funkanlagen an die Ersten der insgesamt sieben Kreise liefern. Er persönlich sorgte für die Programmierung der Selbstzerstörungsfunktion, die absolut zuverlässig war, denn den Truppen des Direktorats war es nicht gelungen, die Geräte der Ersten des zweiten und des dritten Kreises zu erobern, als deren geheime Anlagen von den Sky-Troopern eingenommen worden waren.

Sieben Kreise, von denen zwei nun vernichtet waren. Ein herber Rückschlag für die Bruderschaft, denn der Posten in der Freihandelszone auf Kelly´s Rest und die dortige kleine Werftanlage hatten wichtige Verbindungen und den Zugang zu bedeutsamen Informationen ermöglicht. Diese Quellen waren nun unwiederbringlich verloren und die Bruderschaft stand vor ihrer bislang größten Herausforderung.

Jean Baptiste Lisenne und seinem sechsten Kreis kam dabei entscheidende Bedeutung zu, denn die Werft lag auf der Hauptwelt der Bruderschaft, auch wenn viele der einfachen Arbeiter einem anderen Volk angehörten. Humanoide, die einst selbst die Sterne bereisten und sich dann in einem sinnlosen Bruderkrieg zerfleischten. Sie hatten den größten Teil des einstigen Wissens verloren, doch es gab Artefakte in den Ruinen ihrer Städte und sogar ein paar gut erhaltene Wracks ihrer Schiffe, die immer tiefer im Sand versanken. Lisenne hatte manche technische Verbesserung erzielt, in dem er das alte Wissen der Negaruyen nutzte.

Im Grunde war es ein Glück, das die Bruderschaft auf diese Welt und ihre Bewohner gestoßen war. Das lag nun rund zweihundert Jahre zurück und seitdem war Gewaltiges geleistet worden.

Die Bruderschaft hatte sich innerhalb eines riesigen ringförmigen Gebirges niedergelassen. Die Eingeborenen Negaruyen bezeichneten es als „großen Wall“. Es durchmaß gute fünfhundert Kilometer. Der Felsenring war wenige Kilometer dick, seine Wände stiegen jedoch steil und schroff auf. Es gab nur wenige Stellen, an denen eine freie Durchfahrt vom Sandmeer ins Innere möglich war und kein Negaruyen hätte es gewagt, sie ohne die Zustimmung der Sternenmenschen zu nutzen.

Die Forscher der Bruderschaft waren sich sicher, dass dieser Felsenring vom Einschlag eines Meteors hervorgerufen worden war, mit sicherlich verheerenden Folgen für den Planeten. Der Krater war inzwischen mit Sand gefüllt, so dass nur noch sein Rand emporragte. Die Bruderschaft musste eine dreißig Meter dicke Schicht aus Plastikbeton gießen, um ein sicheres Fundament für ihre Anlagen zu erhalten. Diese Anlagen waren ebenso beeindruckend wie das Ringgebirge, wobei man aufgrund des Untergrundes auf unterirdische Einrichtungen verzichten musste.

Im Zentrum des einstigen Kraters lag die Werft der Bruderschaft, die sich über Kilometer erstreckte und in deren Hallen die Walzenschiffe in verschiedenen Stadien der Fertigstellung standen. Im Norden lag die Stadt der Sternenmenschen, im Süden die Siedlung jener Eingeborenen, die in den Diensten der Bruderschaft standen. Im Westen erhob sich die Garnison der schwarzen Garden und im Osten lag der Raumhafen. Drei große Fusionsreaktoren und Sonnenkollektoren an den Innenwänden des Gebirges versorgten alles mit der erforderlichen Energie.

Hier war das Zentrum der Macht der schwarzen Bruderschaft und diese hatte alles unternommen, das Geheimnis der Anlage zu hüten.

Das Innere des Ringgebirges wurde von einem gigantischen optronischen Tarnnetz überspannt. Es ruhte auf tausenden schlanker Säulen, die es mit Energie versorgten und ihm Halt gaben. Von unten war das Netz durchsichtig, von oben vermittelte die optische Oberfläche das Bild unberührten Sandes. Jede Säule verfügte über eine eingebaute Tetronik, welche den Energiefluss der Tarnung steuerte, so dass es allen bekannten Scannern unmöglich war, die Vorgänge unterhalb des optronischen Netzes anzumessen. Im Zentrum der Werftanlage stand der fünf Kilometer hohe Hauptmast, der den Hauptanker der Tarnung bildete.

Es war der Bruderschaft nicht möglich gewesen, das Innere des Gebirges mit einer Kuppel zu überspannen. Die Ausdehnungen waren zu gewaltig und ein stützendes Tri-Stahl-Gerüst hätte zu viele der kostbaren Ressourcen verschlungen. Das optronische Netz ermöglichte zudem die freie Luftzirkulation, was zugleich einen Nachteil bedeutete, denn häufig traten schwere Stürme auf, die Teile des Netzes in Mitleidenschaft zogen. Immer wieder waren Arbeitstrupps oben im Netz, um Schäden zu beheben.

Jean Baptiste Lisenne lebte im Verwaltungsturm des sechsten Kreise. Er stand an der Grenze zwischen der Stadt der Sternenmenschen und der Werft. Lisenne´s Wohnung befand sich unmittelbar unter der Spitze, im dreihundertsechsundzwanzigsten Stockwerk, und bot einen fantastischen Ausblick auf das, was die Bruderschaft auf Negaruyen geleistet hatte. Immer wieder trat der Erste des sechsten Kreises an eine der Panoramascheiben seines privaten Bereiches und genoss den Blick auf das, was seinem Befehl unterstand.

Auch jetzt war er in den Anblick vertieft, als hinter ihm ein leichtes Hüsteln ertönte. Lisenne wandte sich um und erkannte Harama, eine Negaruyen, die er als persönliche Bedienstete erwählt hatte. Selbst für seine Ansprüche war sie überaus attraktiv und Lisenne hatte dafür gesorgt, dass ihre weiblichen Formen durch entsprechend aufreizende Kleidung betont wurden. Dass ihre Nase klein und die Löcher eher Schlitzen glichen, störte dabei ebenso wenig wie die fehlenden Wimpern oder Augenbrauen. Gelegentlich nutzte Lisenne die anatomischen Ähnlichkeiten, um sich auf persönliche Weise zu entspannen. Intimitäten zwischen den Völkern waren nicht selten.

„Es ist alles vorbereitet, Monsieur“, verkündete die Negaruyen mit ihrer gleichgültig klingenden Stimme. Harama tat, was immer Jean Baptiste von ihr erwartete, aber das war ihre Pflicht als Dienerin. Nach ihren eigenen Wünschen wurde nicht gefragt. „In der Bibliothek ist eingedeckt und die Speisen sind bereit.“

„Gut, Harama. Ich werde meine Gäste benachrichtigen.“ Er zögerte kurz. „Diese Zusammenkunft ist für mich von Bedeutung und ich will Woronzev bei Laune halten. Ich erwarte, dass du ihm verfügbar bist.“

Sie beide wussten, was damit gemeint war. Harama nickte mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck. Lisenne war immer wieder überrascht, wie sehr sich Gestik und Mimik der beiden Völker glichen. Er entließ Harama mit einem Wink und benachrichtigte seine Gäste über den Mini-Comp.

Minuten später landete der Flugwagen auf dem Dach. Obwohl Jean Baptiste Lisenne der Erste des Kreises war, ließ er es sich nicht nehmen, seine Gäste abzuholen und in die Bibliothek zu begleiten. Sie hatten Wichtiges zu besprechen, denn für heute hatte der Erste des ersten Kreises eine wesentliche Entscheidung angekündigt.

Fighteneral Pjort Woronzev war Befehlshaber der schwarzen Garde und damit der Truppen der Bruderschaft. Für Lisenne vereinte er alle Vorurteile, die man gegenüber einem Militär hegen konnte. Hochgewachsen und hager, von Disziplin erfüllt und ohne jeglichen Anflug von Humor, versah Woronzev seine Pflicht mit fanatischem Eifer. Er war tüchtig und wurde durch keinerlei Skrupel behindert. Die schwarze Uniform schien ihm auf den Leib geschneidert und die Schuhe schimmerten wie schwarzes Glas. Die einzigen Farbtupfer bildeten die Rangabzeichen am Kragen, die einen Dolch im Kreis zeigten, und das gebräunte Gesicht des Offiziers, mit Augen von einem intensiven Blau, die an dunkle Saphire erinnerten. Selbst das Haar des Mannes war tiefschwarz.

Bettany Swan war die Verwaltungs-Koordinatorin des sechsten Kreises und Lisennes Stellvertreterin. Lisenne fand ihre Gesichtszüge ein wenig zu herb, dennoch war sie unbestreitbar apart. Er genoss ihre Gesellschaft, da sie unbestritten „culture“ und „esprit“ besaß. Sie war die einzige Person, mit der er sich gelegentlich über seine Leidenschaft für das alte Frankreich austauschte.

Die drei nahmen am Tisch der Bibliothek Platz, den Harama sorgfältig eingedeckt hatte. Die Negaruyen war eine ausgezeichnete Köchin, denn sie verstand es, die synthetischen Nahrungsmittel schmackhaft zuzubereiten. Es würde ein Genuss sein, sie zu verzehren, und Lisenne bedauerte, keinen ansprechenden Wein anbieten zu können. Sie würden sich mit dem verdünnten Brennwein der Eingeborenen begnügen müssen. Woronzev war dies sicherlich gleichgültig, solange es nur ordentlich in der Kehle brannte.

Entgegen der üblichen Erfahrung von Lisenne zeigte sich Woronzev bester Laune und machte auch kein Hehl daraus, warum dies so war. Während der Offizier ein beachtliches Stück Fleisch von seiner Portion säbelte und zum Mund führte, sah er sichtlich beifällig auf den gewagten Ausschnitt von Harama, die sein Glas nachfüllte. „Die Eroberung der Königsgrätz ist ein Glücksfall“, führte der Fighteneral aus, während er zu kauen begann. „Dieses Trägerschlachtschiff wird eine tödliche Überraschung für die Sky-Navy des verdammten Direktorats werden.“

„Möglicherweise wird das so sein“, murmelte Lisenne. Dieser Mann hatte einfach keine Kultur. Man schnitt nur kleine Stücke ab und man sprach nicht mit vollem Mund. Selbst die Negaruyen bewiesen mehr Anstand, denn sie bedeckten den Mund mit einer Hand, während sie kauten.

Bettany Swan schüttelte den Kopf. „Noch ist es nicht so weit, Fighteneral. Die Königsgrätz ist noch nicht hier, da man gerade erst dabei ist, ihren Hiromata zu installieren. Sobald sie im Orbit liegt, muss sie auf Herz und Nieren überprüft werden. Sie trieb lange Zeit ohne jede Wartung im Raum und es kann sein, dass die Terroristen von ‚Human Rights‘ ein paar unliebsame Überraschungen zurückgelassen haben. Nur für den Fall, dass das Schiff gefunden wird.“

„Jedenfalls ist das Schiff ein Zeichen, endlich loszuschlagen.“ Woronzev ließ sich in seiner Meinung nicht beirren. Er deutete mit der Gabel auf Lisenne. „Das Direktorat weiß nun von unserer Existenz, Erster, und es wird aufrüsten, um uns zu begegnen. Seine Industriekapazität ist höher als die unsere und je mehr Zeit verstreicht, bis wir zuschlagen, desto mehr ist dies zum Vorteil der verdammten Marsianer.“

„Möglicherweise wird das so sein“, pflichtete Lisenne mit einem seiner Lieblingssätze bei. „Doch das zu beurteilen, ist Sache des Ersten des ersten Kreises. Nur er verfügt über die erforderlichen Informationen.“

„Mich würde seine Identität interessieren“, knurrte Woronzev. „Alle Ersten sind bekannt, nur der Erste des Ersten nicht.“

„Aus gutem Grund“, wandte Bettany Swan ein. „Er lebt mitten unter den Feinden. Ein Schatten des Zweifels, der auf ihn fällt, würde zu seinem Tod führen. Zudem ist niemand über Verrat erhaben.“

„Unsinn. Ich lege für jeden meiner Gardisten die Hand ins Feuer.“

„Verbrennen Sie sich nicht die Finger“, spottete Bettany und erntete dafür einen wütenden Blick. „Außerdem muss ein Verrat nicht freiwillig erfolgen, Woronzev. Im Direktorat kennt man sicher Verhörmethoden, die jeden Willen brechen.“

Der Fighteneral schnaubte leise und schnitt ein weiteres Stück von seinem Braten. Er hob sein leeres Glas. „Negaruyen, tue deine Pflicht und fülle mir nach.“

„Sofort, Herr.“ Harama hielt sich als dezenter Schatten im Hintergrund und nun beeilte sie sich, dem Wunsch des Offiziers nachzukommen. Da die Karaffe leer war, verließ sie die Bibliothek, um sie nachzufüllen.

Woronzev beugte sich ein wenig vor. „Ihre Vertrautheit mit dieser Negaruyen ist gefährlich, Erster. Schön, sie ist ansehnlich und sicherlich befriedigend im Bett, aber sie hört alles, was wir besprechen. Ich hoffe doch sehr, dass Sie dafür sorgen, dass sie nicht zu ihrem Volk zurückkehrt.“

„Selbstverständlich.“ Lisenne empfand ein gewisses Bedauern, denn natürlich würde man Harama töten müssen, wenn die Zeit gekommen war. „Allerdings erwarte ich, dass sie bis dahin mit einem gewissen Respekt behandelt wird, Fighteneral.“

„Eine Negaruyen?“ Pjort Woronzev sah Lisenne überrascht an. „Zugegeben, sie sind gute Arbeiter und befriedigen im Bett, aber dennoch sind und bleiben sie primitive Eingeborene.“

„Reden Sie keinen Unsinn.“ Lisenne spürte, wie Ärger in ihm aufkam. Die Selbstgefälligkeit des Offiziers reizte ihn zum Widerspruch. „Die Negaruyen waren einst ein sternfahrendes Volk, bevor sie sich in einem unseligen Bürgerkrieg selbst zerfleischten. Sie kennen die Ruinen ihrer Metropolen, die wir unter dem Sand entdeckt haben. Viele unserer technischen Errungenschaften basieren auf den Entwicklungen der Negaruyen.“

„Was sie gefährlich macht“, erwiderte Woronzev. „Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihr einstiges Wissen wiedererlangen.“

Lisenne sah dies anders. „Wenn wir sie gut behandeln, dann könnten sie zu wertvollen Verbündeten werden.“

Bettany Swan runzelte die Stirn. „Verbündete sind niemals zuverlässig, Erster. Nein, ich muss dem Fighteneral beipflichten … Der erneute Aufstieg der Eingeborenen wäre ein zu großes Risiko für die Gemeinschaft der Kreise. Unsere Geschichte lehrt uns, dass man sich nur auf sich selbst verlassen kann.“

„So ist es“, pflichtete Woronzev ihr bei. „Die Geschichte lehrt es uns.“

Dieses Argument konnte Lisenne nicht von der Hand weisen.

Die Gemeinschaft der Kreise gehörte einst zu jenen Gruppen, welche das heimatliche Sol-System verließen, da die Erde unbewohnbar geworden war. Man fand eine geeignete Welt zum Siedeln und richtete sich ein. Die Lebensbedingungen waren angenehm und einige Lichtjahre entfernt gab es eine andere Kolonie, nahe genug, so dass sich auch mit den langsamen Überlichtschiffen ein begrenzter Handel lohnte. Dann war der Krieg zwischen der Mars-Föderation und den freien Kolonien ausgebrochen. Die Gemeinschaft hatte dies nicht gekümmert, bis eines Tages eine Flotte am Himmel erschien und Tod und Verderben brachte. Es spielte keine Rolle, ob es Schiffe der Föderation oder der Kolonialen gewesen waren … Fast die Hälfte der Gemeinschaft starb und die Überlebenden konnten sich nur mit Mühe auf einen interstellaren Frachter retten.

Erneut war man auf der Flucht und stieß durch Zufall, vor rund zweihundert Jahren, auf den Planeten Hiveen, der von den Eingeborenen Negaruyen genannt wurde. Wäre der Antrieb des Schiffes nicht defekt gewesen, wäre man wohl weitergeflogen, doch es gab keine Alternative zur Landung, wollte man überleben.

Fast zwei Drittel der Gemeinschaft überlebten nicht, denn die Umgebung war lebensfeindlich und die Eingeborenen feindselig, da man sich noch nicht mit ihnen verständigen konnte. Die Angehörigen der Bruderschaft retteten sich in das Ringgebirge und konnten es, dank ihrer überlegenen Technik, gegen die Negaruyen verteidigen. Es gab erste Verständigungen, einen einsetzenden Tausch von Lebensmitteln gegen technische Spielereien und schließlich entstand ein Handel, der zu einer friedlichen Koexistenz führte. Inzwischen respektierte man einander. Das Wissen der Menschen ermöglichte es den Negaruyen, ihre Wasserstädte effektiver zu gestalten und auszubauen, so dass ihr Volk wieder wachsen konnte. Im Gegenzug ermöglichte man den Menschen den Zugang zu den Ressourcen des Planeten und stellte ihnen Arbeitskräfte.

Wer auch immer für den Überfall auf ihre alte Welt verantwortlich gewesen war, er hatte einen unbändigen Hass gesät. Als die Gemeinschaft der Kreise erneut den Weltraum eroberte, war sie entschlossen, sich für das einstige Morden zu rächen. Unerkannt bewegten sich die Angehörigen der schwarzen Bruderschaft unter den übrigen Menschen, nahmen Wissen und Waren, und was sie nicht durch Handel erlangte, das nahm sie sich mit Gewalt.

Nach all den Jahren spielte die Schuldfrage keine Rolle mehr. Die Führungsebene der Bruderschaft ließ inzwischen keinen Zweifel daran, dass man einst nicht wegen der Umweltzerstörung von der Erde geflohen, sondern von dieser vertrieben worden sei. Innerhalb der Kreise stellte man keine Fragen. Von Kindesbeinen an wurde das Leben darauf ausgerichtet, sich an der übrigen Menschheit zu rächen.

Jean Baptiste Lisenne gehörte zur obersten Ebene der Kreise. Ihm waren Informationen zugänglich, die anderen vorbehalten blieben. Vor allem die Rettungsmission des Direktorats für das Volk der Hanari hatte seine Meinung ins Wanken gebracht. Eine Menschheit, die sich derart uneigennützig für den Erhalt einer Alien-Rasse einsetzte, passte nicht in das Bild einer rücksichtslosen Diktatur. Lisenne zweifelte nicht daran, dass man der Bruderschaft Unrecht getan hatte, aber er sah nun zunehmend die Gefahr, dass die Kreise dabei waren, selber Unrecht zu begehen. Seitdem er die Bilder der Katastrophe auf Neijmark gesehen hatte, die durch den gezielten Absturz eines Raumschiffes auf die Stadt herbeigeführt worden war, begann er zu zweifeln. Das Direktorat und sein Militär zu bekämpfen, war sicherlich rechtens, doch die Ermordung einfacher Bürger war der falsche Weg, Rache zu üben.

„Verbündete …“, nahm Lisenne den Faden des Gesprächs wieder auf. „Gaukeln wir den Eingeborenen nicht vor, sie seien unsere Verbündeten, während wir sie in Wahrheit nur benutzen?“

„Wir müssen alle verfügbaren Mittel einsetzen, um das Direktorat erfolgreich zu bekämpfen“, sagte Fighteneral Woronzev im Brustton der Überzeugung. „Wir stehen alleine und haben keine andere Wahl.“

„Ja, wir stehen alleine.“ Lisenne lächelte halbherzig. „Sollte es uns nicht zu denken geben, dass dies nicht für das Direktorat gilt? Das Direktorat besteht nicht alleine aus dem Mars. Alle besiedelten Welten sind im Hohen Rat des Direktorats vertreten. Die Streitkräfte bestehen aus Menschen, die von allen Kolonien stammen.“

Bettany Swan sah Lisenne forschend an. „Ich bekomme das Gefühl, Erster des sechsten Kreises, dass Sie an der Bruderschaft zweifeln.“

„Dem kann ich nur zustimmen.“ Woronzev´s Blick war drohend. „Als Erster sollten Sie die Interessen der Kreise vertreten, statt die oberste Maxime in Frage zu stellen.“

Jean Baptiste Lisenne wurde nun ein wenig bleich. „Niemand stellt die oberste Maxime in Frage. Aber als Erster des sechsten Kreises ist es meine Pflicht, alle Faktoren abzuwägen.“

Harama kam in die Bibliothek zurück und deutete eine Verbeugung an. „Herr, es ist an der Zeit.“

Lisenne nickte, erleichtert über die Unterbrechung. „Du wirst dich nun zurückziehen, Harama.“

Die junge Negaruyen verschränkte die Arme vor der Brust, verbeugte sich erneut und verließ den Raum.

Lisenne wartete, bis sich die Tür der Bibliothek schloss. Swan und Woronzev sahen zu, wie er zu einer der Glasvitrinen ging, in der ein ledergebundenes Buch lag. Der Erste legte seine Handfläche an das Glas. Farbige Muster liefen über die Fläche. Die Vorderseite der Vitrine wurde schwarz und ein weißer Totenkopf mit darunter gekreuzten Knochen erschien. Zwei dünne weiße Kreise formten sich um das alte Piratensymbol, die gemächlich und in entgegengesetzten Richtungen um ihre senkrechten Achsen rotierten.

Jean Baptiste Lisenne wartete geduldig. Der von ihm entwickelte Hiromata-Sender suchte nun nach den Gegenstationen und würde deren Identifikationen abgleichen.

„Verdammt, warum dauert das so lange?“, murrte Woronzev ungeduldig.

„Haben Sie Zweifel an der Zuverlässigkeit des Ersten des ersten Kreises?“ Lisenne konnte sich diese kleine Spitze einfach nicht verkneifen. „Der Erste des Ersten wird sich mit allen Kreisen in Verbindung setzen. Die Synchronisation dauert nun einmal eine gewisse Zeit.“

Woronzev errötete und wartete nun schweigend, doch das unmerkliche Wippen auf den Fersen verriet die Ungeduld des Offiziers.

Die beiden Ringe hörten auf zu rotieren. Eine geschlechtslose Stimme ertönte. „Der Erste des ersten Kreises an alle Kreise: Aktivieren Sie die Zerhacker und schließen Sie die Synchronisation ab.“

Lisenne legte die Handfläche erneut an die Glasfläche und tippte mit der freien Hand ein paar Eingaben in seinen Mini-Comp. Außerhalb der beiden Ringe erschien nun ein dritter. Seine Konturen waren zunächst verschwommen, wurden dann jedoch scharf.

„Erster des sechsten Kreises an alle Kreise: Synchronisation abgeschlossen. Zerhacker und Codierung sind aktiv.“

Weitere Bestätigungen waren zu hören. Über dem Totenkopfsymbol erschienen sieben winzige Kreise. Fünf von ihnen strahlten weiß, zwei von ihnen, die des zweiten und dritten Kreises, blieben dunkel und zeigten an, dass keine Verbindung bestand. Dies waren jene Sektionen der Bruderschaft, die vom Direktorat vernichtet worden waren.

Das Symbol verschwand. Stattdessen wurde inmitten der großen Ringe der Ausschnitt eines Raumes sichtbar. Eine schattengleiche Gestalt saß an einer Konsole. Nichts wies auf die Identität der Person oder den Ort hin.

„Der Erste des ersten Kreises an alle Ersten der Kreise, seid gegrüßt. Dies ist ein besonderer Tag in der Geschichte der schwarzen Bruderschaft, denn an diesem Tag werden wir über die Zukunft unserer Gemeinschaft entscheiden. Mit dem Verlust des zweiten und des dritten Kreises wurden wir im doppelten Sinn geschwächt. Eine wichtige Handels- und Informationsquelle wurde uns genommen und der Feind weiß nun von unserer Existenz. Auch wenn ihm unsere Ziele unbekannt sind, so wird er nun alles daransetzen, uns ausfindig zu machen und uns zu vernichten.“ Die Stimme schwieg einen Moment und ließ die Worte einwirken. Lisenne sah Woronzev und Swan bedeutungsvoll an. Der Erste fuhr fort. „Der Feind hat mehr Schiffe. Er hat mehr Truppen. Er hat mehr Ressourcen und Kapazitäten. Je länger wir warten, desto größer wird die Überlegenheit des Feindes. Daraus lässt sich nur eines folgern: Wir müssen zuschlagen, bevor der Feind dies tut. Erster des sechsten Kreises, ich sehe Fighteneral Woronzev in Ihrer Begleitung. Fighteneral, wie ist der aktuelle Stand unserer Flotte?“

„Dreiundzwanzig schwere Kreuzer und vierundsechzig leichte. Dazu sieben bewaffnete Handelsschiffe.“ Woronzev lächelte. „Sowie ein Trägerschlachtschiff.“

Der Erste des Ersten schien zu nicken. „Darauf werde ich später zurückkommen. Erster des Sechsten, wie viele Schiffe werden in nächster Zeit fertiggestellt?“

„Fünf, Herr. Allesamt schwere Kreuzer.“

„An Zahl der Schiffe sind wir der Sky-Navy des Feindes somit zumindest gleichwertig, wenn man von zwei Dingen absieht: seinen gefährlichen Railguns, die unserer Bewaffnung deutlich überlegen sind, und der Anzahl seiner Trägerschlachtschiffe. Fighteneral Woronzev, welche Aussichten sehen Sie bei einer offenen Schlacht?“

„Nun, wenn man die Träger des Feindes nicht einbezieht, haben wir gute Chancen, die Flotte des Feindes zu vernichten.“

Die Schattengestalt lachte leise. „Ich halte das für eine sehr optimistische Einschätzung, Fighteneral. Nein, wir können eine offene Konfrontation nicht riskieren. Unsere Chance liegt vielmehr darin, den Feind in einen Hinterhalt zu locken. Die eroberte Königsgrätz kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Für die Vernichtung des Feindes habe ich einen dreistufigen Plan ausgearbeitet. Für Stufe Eins werden wir einen abgelegenen Kolonialplaneten des Direktorats wählen. Wir werden seine Kommunikation stören und an Stelle der dortigen Kolonialverwaltung einen Notruf an das Direktorat senden. Irgendeine planetare Katastrophe, die den Einsatz der Trägerschlachtschiffe als Rettungsschiffe erfordert. Die damalige Katastrophe auf Neijmark zeigt, dass wir damit drei oder sogar vier der Träger des Feindes binden können. Natürlich wird die Täuschung nicht lange vorhalten. Der Feind benötigt acht Stunden, um die angeblich in Not befindliche Kolonie zu erreichen, allerdings auch weitere acht Stunden, bis er die Hiromata-Antriebe wieder für einen erneuten Nullzeit-Sturz geladen hat. Das ergibt ein Zeitfenster von mindestens sechzehn Stunden, in denen ihm diese Träger nicht zur Verfügung stehen. Dieses enge Zeitfenster gilt es, für Stufe Zwei zu nutzen. Hierzu brauchen wir ein Sonnensystem mit einem dichten Asteroidenfeld und die eroberte Königsgrätz. Wir müssen einen Weg finden, dass der Feind zufällig den vermissten Träger in diesem Asteroidenfeld entdeckt. Natürlich wird er das kostbare Schiff bergen wollen und einen Teil seiner Streitkräfte dafür abstellen. Wir werden jedoch unsere eigenen Einheiten zwischen den Asteroiden verborgen halten und damit die Falle zuschnappen lassen. Wenn Stufe Drei des Plans gelingt, dürften wir den Feind zwar noch nicht vernichten, ihm aber deutliche Verluste zufügen können. Erster des Zweiten, wann wird die Königsgrätz einsatzbereit sein?“

„Nach dem Stand der Dinge in einer knappen Woche solarer Standard-Zeit.“

„Gut, das gibt uns Zeit für die erforderlichen Vorbereitungen. Fighteneral Woronzev wird die taktische Ausarbeitung der drei Stufen meines Planes vornehmen. Die anderen Kreise halten ihre Einheiten bereit. Und nun erwarte ich Ihre Vorschläge zu dem Plan.“

Zunächst herrschte Schweigen, da wohl niemand den Anfang machen wollte. Schließlich räusperte sich Jean Baptiste Lisenne. „Ich schlage die Gruppe der Verenesta-Asteroiden vor. Dort gibt es starke natürliche Strahlungsfelder, welche jeden Scanner empfindlich stören.“

„Schwierig, dort zu navigieren“, wandte der Erste des vierten Kreises ein. „Das gefährdet unsere Schiffe.“

„Erschwert aber auch die Zielerfassung des Feindes“, verteidigte Lisenne seinen Vorschlag. „Die Schwierigkeit der Navigation ist nebensächlich. Unsere Schiffe haben Zeit, sich in Position zu bringen und eine optische Navigation vorzubereiten. Diese Zeit hat der Feind nicht, wenn wir ihn überraschend angreifen.“

„Dem stimme ich zu“, meinte Woronzev zu Lisennes Überraschung. „Ich bin ebenfalls für die Verenesta-Gruppe. Allerdings stellt sich mir die Frage, wie wir den Feind zur Königsgrätz locken sollen. Wir können ja keinen Notruf des Schiffes simulieren.“

„Prospektoren“, meldete sich der Erste des siebten Kreises zu Wort. „Prospektoren streunen doch überall herum und suchen nach Hiromata und anderen Ressourcen. Ein kleines Prospektorenschiff könnte die Königsgrätz zufällig gefunden haben und das der Sky-Navy melden.“

„Ein guter Vorschlag, Erster des Siebten. Erster des Sechsten, arbeiten Sie einen entsprechenden Plan aus und besprechen Sie das mit dem Fighteneral.“

Eine erregte Diskussion entspann sich, bei der sich der Erste des ersten Kreises weitgehend zurückhielt. Er lauschte dem Gespräch und den jeweiligen Argumenten. Allmählich kristallisierten sich immer mehr Details eines Planes heraus, der endlich zur Vernichtung der Sky-Navy und damit der Macht des Direktorats führen sollte.

Sky-Troopers 4 - Das Sandschiff

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