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02 Ein altes Schiff, ein alter Freund

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„Wenn sie die Wellen nimmt, hat sie die Eleganz eines Schmiedehammers“, seufzte Pernat und klammerte sich an der Brückenreling fest. „Oder meinethalben auch die einer Dampframme.“

Soeben hob sich der Bug der Beovanaal erneut über einen Wellenkamm und als das Schiff ihn genommen hatte, wuchtete es mit der Gewalt seines Rumpfes ins Meer zurück. Ein Schwall Wasser fegte vom Bug herüber und während Pernat instinktiv den Nacken einzog, lachte Herios-Lar gutgelaunt auf. „Sie ist eben alt und kein junges Mädchen mehr. Aber dafür robust wie die Anstandsdamen der Königin.“

Herios-Lar liebte seine Beovanaal. Lange vor seiner Geburt hatte ihr Kiel zum ersten Mal Salzwasser gekostet und viele Jahre hatte sie zu den modernsten und schnellsten Schiffen der königlichen Marine gehört. Sie war der erste Kreuzer gewesen, den man mit Segeln und einer zusätzlichen Dampfmaschine versehen hatte. Damals hatten die Brennsteinkessel und das mächtige Schaufelrad am Heck ihr die enorme Geschwindigkeit von 25 Kilometern in der Stunde verliehen und sie war unabhängig von der Kraft des Windes gewesen.

Als Herios sie zum ersten Mal erblickte, hatte er sich auf Anhieb in sie verliebt, obwohl sie da schon fast 110 Jahre alt gewesen war und längst nicht mehr in der Flotte Telans diente. Die Konstruktion des Rumpfes, ihre Maschinen und ihre Waffen waren längst veraltet und hielten einem Vergleich mit den Flottenneubauten nicht stand. Nur ihr Name erinnerte noch an die ruhmreiche Vergangenheit, denn nur die Kriegsschiffe des Königs durften das doppelte „a“ in der Namensendung führen. Sie war in Privatbesitz übergegangen und diente einem neuen Herren, dem Handelshaus Tar. Eigentlich hieß sie nun Tar-Beovanaal, aber niemand, nicht einmal der Handelsherr selbst, nannte sie so. Trotz ihres langen Lebens war sie robust und zuverlässig. Jetzt befuhr sie seit 150 Jahren die Meere der Welt, hatte viele Kapitäne kommen und gehen sehen und vielleicht würde auch Herios-Lar nicht der letzte Kommandant auf ihrer Brücke sein.

„Mit allem gebührenden Respekt, Kapitän“, rief Pernat gegen den Lärm der schweren See an, „Sie ist alt, robust, schwerfällig und...“

„Ja, ja, ich weiß. Sie ist das älteste noch schwimmende Schiff im Reich Telan.“ Herios-Lar beugte sich weit vor, als die Beovanaal sich den nächsten Wellenkamm empor arbeitete, lachte erneut auf, als sie auf dem Kamm abkippte, lehnte sich weit zurück und jauchzte vergnügt, als der runde Bug ins Wasser zurück klatschte. Die See ergoss sich in mächtigem Schwall über das einsame Buggeschütz vor der Brücke, letztes Zeugnis einer glorreichen Vergangenheit. „Und sie wird noch lange schwimmen, Pernat, noch sehr lange.“

Der hölzerne Rumpf ächzte in seinen Verbänden und vom Heck war das Rauschen des Schaufelrades zu vernehmen, das einen Moment leer drehte, bevor es wieder in sein Element griff.

Pernat hatte seinen Entschluss, zur See zu fahren, nie bereut. Er liebte sie, wie sein Kapitän sie liebte. Nur die innige Verbindung von Herios-Lar mit dem alten Schiff konnte er nicht nachvollziehen. Es war nicht nur das älteste Schiff Telans sondern auch, nach seiner festen Überzeugung, das unbedeutendste des Handelshauses Tar.

Rund sechzig Meter lang, eine maximale Breite von zwölf Metern am Heck, dazu der hölzerne Rumpf, der nur unterhalb der Wasserlinie mit Kupfer beschlagen war, um dem Bewuchs mit Algen und Muscheln entgegen zu wirken. Ein runder, bauchig wirkender Bug, wo die neuen Schiffe eine schnittige Form aufwiesen, die das Wasser zu zerteilen schien. Nein, Pernat träumte von einer Position auf einem der modernen Handelsschiffe, wenn er schon nicht auf einem der Flottenkreuzer dienen konnte.

Die Brücke der Beovanaal befand sich am Ende des vorderen Drittels auf dem Oberdeck, dahinter folgten die beiden Ladeluken mit ihren Kränen. Am Heck ragte der dünne, pfeifenartige Schornstein der Dampfmaschine auf, deren ewig hungriger Kessel mit Brennstein und Wasser gefüttert werden musste. Hinter dem Heck wirbelte ein steter Vorhang von Spritzwasser auf, begleitet vom Klatschen des Schaufelrades. Die modernen Schiffe verfügten über Propeller, die sich rasch und effektiv unter Wasser drehten.

Nein, die Beovanaal war nicht Pernats Traum aber ihr Kapitän Herios-Lar gehörte unbestritten zu den erfahrensten Seefahrern des Reiches und wenn Pernat sich einem Mann in Freundschaft verbunden fühlte, dann diesem schlanken und kauzigen Seeoffizier, der in diesem Augenblick seiner Freude freien Lauf ließ und nur wenig Würde zeigte. Das Schiff hätte Pernat jederzeit gegen ein anderes getauscht, nicht jedoch seinen Kommandanten und solange Herios-Lar auf der Brücke der Beovanaal stand, würde Pernat ihm und dem Schiff gleichermaßen dienen.

„Das Wetter beruhigt sich, Kapitän“, brüllte der Steuermann. Er stand an dem großen Steuerrad auf der Brücke und war ebenso nass, wie die beiden Offiziere. Das Schiff verfügte nicht einmal über ein Brückenhaus, nur über ein kleines Regendach, das von Pfosten gehalten wurde. Direkt hinter der Brücke erhob sich der Vordermast mit den Rahen des Großsegels. Der Hintermast stand vor dem Schornstein und seine Rah und eingeholten Segel waren vom Ruß der alten Maschine geschwärzt.

Die grauen Wolken am Himmel rissen auseinander und das erste, goldgelbe Licht der Sonne warf blitzende Reflexe auf die Wellen, die sich langsam beruhigten und an Kraft verloren. So schnell, wie der Sturm entstanden war, flaute er auch wieder ab und nach wenigen Minuten glitt die Beovanaal, scheinbar bedächtig, über ihrem Spiegelbild dahin.

„Wenigstens konnten wir die Ladeluken rechtzeitig schließen“, brummte Pernat. „Die verdammten Gelbfrüchte sind enorm empfindlich. Ein Spritzer Salzwasser und sie sind verdorben.“

„Das wäre verdammt übel für unsere kleinen Freunde“, seufzte Herios-Lar. Er sah seinen Ersten Offizier lächelnd an. „Das ist übrigens auch einer der Vorteile unseres alten Mädchens. Kein anderes Handelsschiff fährt die schwimmende Stadt der Zwerge an. Du genießt das Privileg, Pernat, als einer der wenigen im Reich, die Herren Zwerge zu kennen.“

„Hm.“ Pernat empfand das als zweifelhaftes Privileg. Zwar fand er die Zwerge durchaus beeindruckend, aber fühlte sich zwischen ihnen eher unwohl. Sie reichten ihm gerade bis zum Bauchnabel, obwohl Pernat kein ungewöhnlich großer Mann war. Sich in ihren Gebäuden zu bewegen, war eine Qual, da sie nicht für die Bedürfnisse eines Menschen eingerichtet waren. Immerhin, die kleinen Herren waren herzliche und liebenswürdige Geschöpfe, wenn man ihnen nicht auf die Füße trat oder sie zu übervorteilen trachtete. Er fand ihre Weise, auf dem Meer zu leben und unter seiner Oberfläche zu arbeiten, höchst bemerkenswert und bewunderte sie für den Mut, den sie dabei unzweifelhaft bewiesen. Er selbst hingegen war froh, immer wieder festen Boden betreten zu können. Die Vorstellung, sein Leben einem gläsernen Helm und einem Schlauch anzuvertrauen, erschreckte ihn zutiefst.

„Nun komm schon, Pernat, alter Freund, gib es zu, die Beovanaal hat auch ihre Vorzüge.“

„Wenigstens sind wir auf See“, grunzte der Erste Offizier und sah seinen Kommandanten dann lächelnd an. „Und das Schiff bewegt sich immerhin.“

Herios-Lar warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Dann schlug er seinem Freund auf die Schulter. „Eines Tages wirst du an Deck eines anderen Schiffes stehen, Pernat, aber ich garantiere, dann wird dir bewusst, dass du die alte Beovanaal vermissen wirst.“ Die See war nun glatt und ruhig und der Kapitän beschattete seine Augen. „Reich mir einmal das Teleskop, Pernat. Ich glaube, wir nähern uns der Zwergenstadt.“

Klickend glitten die Segmente des Teleskops auseinander und Herios-Lar suchte den Horizont ab. Dann verharrte die Linse an einem festen Punkt. „Na also“, brummte der Kapitän zufrieden. „Fast genau über dem Bug. Rudergänger, zwei Strich Rechtsweisend und dann gerade darauf zu.“

„Zwei Strich Rechtsweisend und gerade darauf zu“, bestätigte der stämmige Rudergänger und legte den neuen Kurs durch Drehung am Rad.

„Keine zwei Stunden mehr und wir sind bei unseren kleinen Freunden“, sagte Herios-Lar. „Sie werden sich freuen, uns und unsere Gelbfrüchte zu sehen. Die können sie immer brauchen.“

„Auch der Handelsherr Tar wird sich darüber freuen.“ Pernat stützte sich auf die Reling und registrierte, wie rasch sich das Holz nach dem Regensturm trocken und heiß anfühlte. „Es ist ein gutes Geschäft für den Herrn. Billige Früchte für kostbare Metalle und Kristalle.“

„Ja“, knurrte Herios-Lar unbehaglich. „Wenn ich nicht wüsste, wie notwendig die kleinen Herren die Gelbfrüchte brauchen, würde ich glatt behaupten, der Handelsherr zieht die Zwerge über den Tisch.“

„Angebot und Nachfrage bestimmen nun einmal den Preis.“

Erneut lachte Herios-Lar, doch diesmal klang es weniger froh. „Du gehörst wirklich auf ein Handelsschiff und nicht auf einen Flottenkreuzer. Weißt du, ich habe nichts gegen einen guten Gewinn, Pernat, aber ich weiß, unter welchen Umständen die Zwerge das Metall und die Kristalle aus dem Meer holen. Tapfere kleine Kerle, dass muss ich schon sagen. Ich fände nicht den Mut, unter Wasser zu arbeiten.“

Pernat sah auf die hölzernen Planken des Schiffes. „Auch ich fühle mich über Wasser wohler.“ Er löste die Hände vom Handlauf. „Ich werde nach der Ladung sehen, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung ist, wenn wir anlegen.“

Herios-Lar nickte und hörte, wie sein Erster Offizier die kleine Treppe zum Deck hinunter stieg. Über eine weitere Treppe betrat Pernat dann das Frachtdeck. Alles wirkte eng, zweckgebunden und ein wenig schmutzig, aber die zwölfköpfige Mannschaft der Beovanaal hatte meist andere Sorgen, als sich um Sauberkeit zu kümmern. Die Maschine war ebenso alt, wie das übrige Schiff. Sie verschlang mehr Brennstein, als die modernen Kreuzer, ihre Kolben hatten zu viel Spiel und die Dampfleitungen mussten immer wieder geflickt werden. Einige Schaufeln des mächtigen Heckrades waren ausgetauscht, bei anderen schien dies dringend erforderlich. Hin und wieder ging eine Stange oder Welle entzwei und die Maschine musste gestoppt werden, damit die erforderlichen Reparaturen ausgeführt werden konnten. Dann kamen gelegentlich doch noch die Segel zum Einsatz.

Vorne im Bug befanden sich die Mannschaftsquartiere. Zwei lange Kammern, in denen jeweils vier der Männer untergebracht waren. Daran schlossen sich die kleine Küche, die Vorratskammer und der Aufenthaltsraum an. Eine Krankenstube gab es nicht mehr, seit das Schiff unter der Handelsflagge des Hauses Tar fuhr. Der Handelsherr hatte den Platz für Brennsteinvorrat nutzen wollen. Pernat war erleichtert, dass es während seiner Dienstzeit bislang zu keiner ernsten Verletzung gekommen war.

Direkt unter der Brücke befanden sich die Kammern der Schiffsoffiziere und da die Beovanaal nur Kommandant und Ersten Offizier hatte, waren es zwei bescheidene Räume. Im Anschluss folgten die beiden Frachträume und diese glänzten vor Sauberkeit. Das Schiff mochte wenig reinlich sein, aber auf die Ladung wurde geachtet und Pernat ließ nicht die geringste Schlamperei durchgehen.

Hinter den Laderäumen, zum Heck hin, lagen die Vorratsräume für den Brennstein und der kleine Maschinenraum, in dem zwei Maschinisten ihrer Arbeit nachgingen. Die alte Anlage war hungrig nach Brennstein und Wasser und benötigte ständig die Schmierung durch Fette und Öle. Ihr Stampfen und Hämmern hatte längst das Gehör der Maschinisten geschädigt und der Rest der Besatzung war froh, nur selten ins Heck gehen zu müssen und das ihre Unterkünfte im Bug lagen.

Pernat kontrollierte in den Lagerräumen zunächst die Luken an der Decke, dann die Wände. Nirgends war Feuchtigkeit zu erkennen. Er ging sehr sorgfältig und gewissenhaft vor, trat mit seiner Öllampe dicht an das Holz, danach überprüfte er jede der gestapelten Kisten. Schließlich nickte er zufrieden und ging wieder zur Treppe, als er von oben die Befehle des Kapitäns hörte. Offensichtlich waren sie nun nahe der Stadt und bereiteten sich auf das Anlegemanöver vor.

Als Pernat ins grelle Sonnenlicht zurückkehrte, sah er die schwimmende Stadt der Zwerge nur wenige hundert Meter voraus. Rechts der Beovanaal glitt eines der Kampfschiffe der Zwerge durch die Wellen und gab ihnen das Ehrengeleit. Es war kaum vier Meter breit und zwanzig Meter lang und mit geringem Freibord über dem Wasser. Ein scharf geschnittener und nach oben gebogener Bug und ein hoher Aufbau am Heck. Keine Masten und Segel, aber auf jeder Seite eine Reihe Ruder, die das Fahrzeug sehr schnell und gefährlich machten. Seine Hauptwaffe war ein stählerner Rammsporn unterhalb der Wasserlinie. Einem hölzernen Schiff konnte ein solches Ruderkampfschiff sehr gefährlich werden. Es konnte jeden Segler ausmanövrieren und wenn das Rammen nichts half, würden die Zwerge, mit ihrer typischen Agilität, den Gegner entern und niederkämpfen.

Dennoch gehörte dieses Zwergenschiff einer vergehenden Epoche an. Gegen einen metallenen und hochbordigen Kreuzer der Flotte Telans würde es keine Chance haben, selbst wenn dessen Lichtdruckkanonen es nicht zuvor aus dem Wasser brannten.

„Ich dachte, sie hätten wenigstens Segel.“ Pernat wies zu den Ruderern hinüber. „Stattdessen mühen sie sich mit den Rudern ab.“

„Unterschätz die kleinen Herren nicht“, ermahnte Herios-Lar. Er winkte den Zwergen zu und lachte fröhlich. „Das da, zwischen den Ruderbänken, das ist ein Mast. Wenn sie wollen, können sie durchaus ein Segel setzen und die Burschen verstehen sich aufs Segeln.“ Er drehte sich kurz zum Steuermann um. „Zudem sind diese Rammboote sehr gefährlich. Nicht nur für gesetzte Damen wie unsere Beovanaal. Sieh dir den Rammsporn an. Scharf geschnitten und massiv. Er würde selbst der stählernen Seitenwand eines modernen Kreuzers zusetzen.“ Der Kapitän grinste, als er Pernats zweifelnden Blick bemerkte. „Maschine Viertelkraft zurück, Dormos, sonst rammen wir die Stadt und unsere Kunden würden darüber nicht sehr erfreut sein.“

Dormos grinste breit und zwischen seinem Vollbart zeigte sich ein lückenhaftes Gebiss. „Viertelkraft zurück, Kapitän.“

Die Beovanaal rüttelte sich, als das Schaufelrad gegen ihre Fahrt ankämpfte und sie verlangsamte. Herios-Lar und Dormos waren erfahren und hatten den richtigen Moment abgepasst. Mit einem unmerklichen Ruck und begleitet vom Ächzen des Rumpfes, legte sich das Schiff mit der linken Seite an eine der Plattformen der Stadt. Herios-Lar stieß seine Hand in die Luft, aber Dormos kuppelte bereits die Maschine aus und zog an der Schnur, die durch ein Rohr zum Maschinenraum führte. Dort klingelte ein Glöckchen und die Maschinisten legten Hebel um. Dampf entwich pfeifend aus den seitlichen Entlastungsrohren und das Schaufelrad kam endgültig zum Stillstand.

Der Rumpf des Frachtschiffes ragte hoch über die Plattform auf und die Brücke war auf gleicher Höhe mit den meisten der Dachgiebel in der Zwergenstadt. Die Beovanaal rieb sich an den polsternden Säcken, die zum Schutz der Plattform an ihren Seiten hingen. Matrosen warfen Leinen hinüber und Zwerge fingen sie auf und machten sie gekonnt an den metallenen Pollern fest. Erst als einer der Zwerge die Hand hob, wurde der breite Steg des Schiffes auf die Plattform gesenkt.

Herios-Lar nickte zufrieden. „Lass uns die kleinen Herren begrüßen, Pernat. Und verhalte dich respektvoll. Sie können empfindlich sein.“

Pernat nickte. „Keine Sorge, Kapitän, das tue ich. Aber ich will ein Auge auf die Lademannschaft haben. Wir haben zwei Matrosen, die noch nie Zwerge gesehen haben und du kennst das lose Mundwerk unserer Seefahrer.“

Ein Zwerg in knielanger Jacke aus weichem rotem Leder, die mit goldenen Fäden bestickt war, trat auf die Plattform und breitete seine Arme aus. Über sein breites Gesicht glitt ein freudiges Lächeln. „Kapitän Herios-Lar, es ist mir eine Freude, dich und deine Beovanaal zu sehen.“

„Die Freude ist auf meiner Seite, Herr Klugweil.“ Der Kapitän meinte dies ehrlich, denn an dem Lächeln des Zwerges war nicht die Falschheit, die typisch für viele Händler war. „Ich komme früher als erwartet, ich weiß.“

„Du und deine Mannschaft, ihr seid willkommen“, versicherte Theon Klugweil, Handelsherr der Stadt. Da Theon entschieden kleiner als sein menschlicher Geschäftspartner war, ging dieser vor ihm in die Hocke, so dass sie sich zum Gruß die Hände auf die Schultern legen konnten. „Sei auch du gegrüßt und willkommen, Pernat, und auch du, Steuermann Dormos.“ Theon winkte dem grinsenden Seemann. „Dein Anlegemanöver war gekonnt wie immer.“

Dormos strich sich erfreut über den Vollbart. Er hatte schon manchen Becher mit dem freundlichen Herrn Theon Klugweil geleert und freute sich auf den kommenden Abend, denn die Ankunft des Schiffes war stets ein Grund für ein kleines Fest des Zwergenclans.

„Ich vermute, du hast wieder Gelbfrüchte für uns?“ Theon strich eine Falte aus seiner Jacke und warf einen Blick auf das Schiff, der gleichgültig wirkte. Aber Herios-Lar wusste, dass der Handelsherr den Tiefgang und die Zuladung der Beovanaal einschätzte. „Wir haben immer Bedarf an Gelbfrüchten, wie du weißt.“

„Und das Handelshaus Tar hat immer Bedarf an Metallen und Kristallen.“

Theon schlug dem Kapitän freundschaftlich an die Hüfte. „Wir werden uns schon einig werden.“

„Und wie üblich“, seufzte Herios-Lar, „wird der Handel nicht ganz fair sein.“

Der Zwerg nickte verständnisvoll. „Glaube mir, ich kenne deine Sorge. Wir Zwerge sind nicht dumm und wissen, dass dein Handelsherr uns gerne übervorteilt. Aber wir nehmen es hin, denn Metall und Kristall finden wir oft genug, auch wenn es mühsam ist. Aber die Gelbfrucht ist ein Mangel, den wir beheben müssen. Das weiß dein Handelsherr, Kapitän.“ Theon nickte zu seinen Worten. „Er wird dir einen Preis aufgetragen haben, nicht wahr?“

„Es wäre leichter für euch, wenn ihr mehr mit Weißkristall handeln würdet, Freund Theon. Der ist nämlich bei uns eine Mangelware. Zumindest, seitdem die königliche Flotte ihn für den Bau der Lichtdruckkanonen benötigt.“

„Guter Weißkristall ist schwer zu finden“, seufzte Theon. „Sicher, kleinere Kristallstrukturen finden wir häufig, aber ihr braucht Säulen von beachtlicher Größe.“

„Zwei Meter und mehr, mein Freund.“ Herios-Lar kratzte sich im Nacken. „Sonst lässt sich nicht genug Lichtkraft darin speichern, um ein Schiff zu brennen.“

Der kleine Handelsherr schüttelte melancholisch den Kopf. „Es ist seltsam, wie oft ihr Menschen von Krieg sprecht und ihn führt. Wir Zwerge sind da anders. Wir wollen in Frieden leben und gestehen dies auch Anderen zu.“

„Aber das nützt nichts, wenn man euch den Frieden nicht lässt.“

„Das Meer ist gewaltig, mein menschlicher Freund, und lässt Raum für jeden.“

„Manchmal beneide ich dein kleines Volk, Theon Klugweil. Und ich glaube, mein Freund, dass die Welt nicht so friedlich ist, wie du es dir wünschen magst. Denk an die Kristallstädte deines Volkes. Sie stehen in ständigem Kampf gegen Orks und andere Feinde. Auch mein Volk muss kämpfen.“

Theon nickte. „Vielleicht muss es das. Immerhin seid ihr ein Landvolk und Landmänner sind stets neidisch aufeinander. Die Clans der See hingegen sind nicht neidisch und niemand erhebt Anspruch auf die See. Dafür ist sie einfach zu gewaltig und erhaben. Zudem wäre es schwer für ein Landvolk, uns anzugreifen. Das Meer ist für uns wie ein riesiger Festungsgraben.“

„Ich hoffe, es wird so bleiben und dein Volk kann weiter in Frieden leben“, wünschte Herios-Lar von ganzem Herzen. „Bislang ist kein Feind aufgetreten, der die Freiheit der Meere bedroht.“

„Aber ich weiß, dass euer Reich Telan eine mächtige Kriegsflotte unterhält.“

„Ja, das tun wir, mein Freund. Wir sind gerne vorbereitet, verstehst du?“

„Schiffe kosten Geld und ihr Unterhalt ist aufwändig“, brummte der Zwerg. „Eine Kriegsflotte ist ein kostspieliges Vergnügen.“

„Auch ihr habt Kriegsschiffe.“ Herios-Lar wies auf das Ruderschiff neben der Beovanaal.

„Oh, man kann mit ihnen kämpfen“, bestätigte Theon und lächelte verschmitzt. „Sehr gut sogar. Aber eigentlich nutzen wir sie zum schleppen der Stadtflöße. Aber unsere Herren Axtschläger, welche die Rammboote bemannen, schätzen es gar nicht, wenn wir sie als Stadtschlepper bezeichnen. Sie haben ihren Stolz, die Freunde der Axt.“

Herios-Lar nickte. „Lass uns auf den Grund meines Besuches zurückkommen. Je eher wir die Gelbfrüchte umgeladen haben, desto besser. Über den Preis werden wir uns schon einig.“ Er sah sich kurz um. „Bei meinem letzten Besuch sagtest du, ihr versucht, die Gelbfrüchte selbst zu ziehen.“

„Natürlich. Wir wären dumm, wenn wir es nicht wenigstens versuchten. Aus etlichen Kernen haben wir Setzlinge gezogen, aber es ist schwer, sie am Leben zu erhalten. Nur wenige kommen durch. Man braucht gutes Wasser, guten Boden und gute Luft. Unsere Luft ist immer ein wenig feucht und auch salzhaltig. Das bekommt den Früchten nicht sonderlich gut. Vielleicht wachsen sie daher nur auf den größeren Inseln.“

„Nun, mein Freund, jeder Kapitän eines Handelsschiffes darf auch ein wenig Handel auf seine eigene Rechnung treiben, wie du weißt.“

„So ist es Brauch, auch bei uns.“ Theon sah den menschlichen Kapitän forschend an. „Aber ich entnehme deinen Worten eine besondere Bedeutung.“

Herios-Lar lächelte. „Sorge dafür, dass meine Mannschaft am Abend gut beschäftigt ist, dann können wir einen privaten Handel schließen.“

„Mit beschäftigt meinst du sicher, dass sie nicht bei Sinnen sein soll?“

Herios-Lar zuckte harmlos die Schultern. Theon grinste. „Du machst mich neugierig, mein menschlicher Freund. Also, was hast du vor?“

„Ich habe eine Kiste mit unseren Setzlingen in die Ladung geschmuggelt. Handelsherr Tar darf das natürlich nicht wissen und wenn er es erfährt, wird er glauben, ich wolle sein Geschäft schädigen. Es sind gute Setzlinge, Theon, mein Freund.“

Der Blick des kleinen Handelsherren war mehr als interessiert. „Und was willst du dafür haben?“

„Ich habe deine Freundschaft, Handelsherr Theon Klugweil, und die deines Clans, und das ist mir mehr als genug.“

Der Zwerg nickte bedächtig und schwieg einen Moment. Was sollte man auf diese offenen und aus tiefstem Herzen kommenden Worte erwidern?

Herios-Lar lächelte sanft. „Aber einen gewissen Gegenwert erwarte ich schon, mein Freund. Wenn wir später bei einem Becher Wein zusammensitzen, dann erwarte ich, eine gute Geschichte zu hören.“

Theon lachte laut auf. „Du wirst sie hören, mein Freund, du wirst sie hören.“

Sie traten ein wenig zur Seite, als einige Zwerge mit Tragegeschirren herankamen. Auf dem Deck des Schiffes hoben Matrosen die Lukendeckel von den Frachträumen. Dormos persönlich übernahm es, den Ladekran zu bedienen. Mit dem leisen Quietschen alter Zahnräder und dem Ächzen der Winde, bewegte sich der lange Lastarm. Männer hakten im Laderaum die Kisten ein, traten rasch zur Seite, weil sie der Tragfähigkeit des altersschwachen Krans nicht richtig trauten. Eine Kiste nach der anderen, wurde aus dem Bauch der Beovanaal gehoben und auf die Plattform gesenkt.

Theon Klugweil hielt sein kleines Notizbuch in der Hand, sah aufmerksam zu, wie die Kisten rasch auf die Waage gestellt, gewogen und geöffnet wurden. Auch wenn er wusste, dass Herios-Lar die Ladung stets sorgfältig prüfte, musste er sichergehen, dass die kostbaren Gelbfrüchte keinen Schaden genommen hatten. Der menschliche Kapitän hätte sich auch gewundert, wenn der kleine Mann auf die Kontrolle verzichtet hätte. Auch wenn sie befreundet waren, so war Klugweil ein fähiger Handelsherr, der seine Verantwortung ernst nahm.

Kiste auf Kiste wurde von den Trägern aufgenommen und rasch zu den beiden Flößen getragen, wo sich die Lager und Zuchtbeete der Früchte befanden. Sie lagen an entgegen gesetzten Orten der schwimmenden Stadt, damit ein Schaden nicht alle Vorräte vernichtete.

Herios-Lar war zufrieden. Auch die beiden neuen Matrosen benahmen sich gut. Zwar warfen sie immer wieder verstohlene Blicke auf die Zwerge, aber sie versuchten, ihre Neugierde in Grenzen zu halten und behandelten die kleinen Herren mit Respekt.

Schließlich war die Arbeit getan. Die Besatzung des Schiffes und die Zwerge legten eine wohlverdiente Ruhepause ein, denn bald würde die Gegenleistung des Zwergenclans im Rumpf der Beovanaal verschwinden. Barren aus Eisen und Gold, und Kristalle verschiedener Beschaffenheit und Größe. Nur zwei Kisten, eine geringe Fracht, nichtsdestoweniger würde sie dem Handelshaus Tar einen guten Gewinn bringen.

Zwergenfrauen brachten Krüge mit Wasser, dem man etwas Wein beigefügt hatte sowie Körbe mit Brot und Fisch. Während die so unterschiedlichen Männer gemeinsam aßen, kamen sie rasch ins Gespräch. Auch wenn ihre Größe verschieden war, so verband sie das Meer, auf dem sie lebten und fuhren.

Herios-Lar kannte die Zwerge nun seit vielen Jahren, aber er war noch immer vom Anblick ihrer Frauen überrascht. Sie hatten die Größe der Männer, waren aber deutlich zierlicher. Sie erinnerten an eine kräftig gebaute Menschenfrau und hatten in der Regel eine offene und liebenswerte Art. Eine manchmal raue Herzlichkeit, die auch Herios-Lars Seeleuten gefiel. Scherze zwischen Männern und Frauen waren wohl in allen Häfen der Welt gleich, wie der Kapitän bei sich dachte.

„Lass Dormos als Ankerwache an Bord“, sagte Herios-Lar zu seinem Ersten Offizier. „Das reicht. Die Herren Zwerge bestreifen mit ihren Schiffen die Umgebung der Stadt und wir sind unter guten Freunden. Heute Abend werden wir die Gesellschaft der Zwerge genießen.“

Pernat nickte. „Im Fallenden Meißel, vermute ich.“

„Wo sonst?“ Herios-Lar lachte.

Zwei Stunden später waren die beiden schweren Kisten im Frachtraum verstaut und Pernat kontrollierte die Luken sorgfältig, bevor er Herios-Lar zunickte. Dieser zwinkerte Dormos zu, der auf der kleinen Brücke der Beovanaal stand und rief die übrige Besatzung zu sich.

„Die meisten von euch kennen den Fallenden Meißel. Und ihr kennt die Wirkung des Weins, den die kleinen Herren ausschenken.“ Er sah einige der Männer wissend lächeln und hob mahnend die Hand. „Morgen werden wir wieder auf See gehen. Ihr dürft euch betrinken, Männer der Beovanaal, aber auch wenn ihr morgen einen Brummschädel habt, erwarte ich, dass der Griff eurer Hände sitzt. Und behandelt mir die kleinen Herren und ihre Frauen mit Respekt und Freundlichkeit.“

„Keine Sorge, Kapitän“, erwiderte einer der ältesten Matrosen. „Wer das nicht beachtet, bekommt das Tau und hat seine letzte Reise auf unserer braven Beo gemacht.“

Herios-Lar lachte leise auf. „Es wäre das erste Mal, dass einer meiner Matrosen das Tau spürt und ich denke, wir alle können darauf verzichten.“

Es gab strenge Regeln an Bord eines Schiffes, damit die Disziplin bewahrt wurde. Lange Zeiten auf See und das Zusammenleben auf engem Raum, konnten zu Streitigkeiten oder Nachlässigkeit führen. In der verschworenen Gemeinschaft der Beovanaal hatten die Männer zueinander gefunden und nur ein einziges Mal hatte es bösen Streit gegeben, den Dormos mit seinen gewaltigen Fäusten rasch geregelt hatte. Aber auf den größeren Schiffen und den Kreuzern der Flotte, auf denen Hunderte von Männern und Frauen fuhren, kam es gelegentlich zu Verstößen, die dann mit dem Tau geahndet wurden. Der Betreffende wurde nach den königlichen Artikeln bestraft, in denen für jedes Vergehen eine Strafe festgelegt war. Es war die unangenehme Pflicht des Ersten Offiziers, sie zu vollstrecken und die entsprechende Anzahl der Schläge mit dem Tauende auszuführen. Pernat hatte noch nie „das Tau geschwungen“ und war insgeheim froh darüber. Ein Tauende konnte, je nach Kraft der Schläge, üble Verletzungen am Rücken hervorrufen und Pernat hatte schon Seeleute gesehen, deren Rücken voller Narben gewesen waren.

Begleitet von einer fröhlichen Schar Zwerge und dem Handelsherrn Theon Klugweil, machte sich die Besatzung auf den Weg zum Fallenden Meißel. Die Schänke lag in der Nähe der Anlegeplattform und war von ihrem Besitzer den menschlichen Bedürfnissen angepasst worden. Der Wirt hatte bereitwillig die Zwischendecke herausgenommen und einige Tische und Bänke anfertigen lassen, die den Maßen der Menschen entsprachen. Damit seine Gäste sich auf Augenhöhe gegenüber sitzen konnten, waren die Tische parallel zu den Wänden aufgestellt. An der Wandseite waren Podeste gezogen worden, so dass die Zwerge dort erhöht saßen. In der Mitte der Schänke war eine große Tanzfläche freigelassen worden, die direkt an den Tresen grenzte. Auch hier standen etliche der Schemel auf kleinen Podesten. Die Zwerge nahmen diese Unbequemlichkeit gerne auf sich, da sie sich als höfliche Gastgeber zeigen wollten.

Es war noch ein wenig Zeit, bis zum Einbruch der Dunkelheit, aber der „Fallende Meißel“ war bereits gut besucht, als die Mannschaft der Beovanaal mit ihren Begleitern eintraf. Die Ankunft des Menschenschiffes hatte sich herumgesprochen und bot dem geselligen Zwergenvolk die Gelegenheit für eine der kleinen Feiern, die sie so sehr schätzten. Entsprechend würde es auch in den anderen Schänken hoch hergehen und die Wachen würden besonders aufmerksam sein, dass jeder sicher nach Hause gelangte und kein Streit ausbrach.

Herios-Lar und Theon hatten sich an einen kleinen Tisch gesetzt, von dem aus sie einen guten Überblick über das Treiben hatten. Einige der Matrosen der Beovanaal hatten ihre Instrumente mitgebracht. Flöten, mit Saiten bespannte Streichbretter und die beliebten Schlagtrommeln. Letztere waren kaum faustgroß und stammten noch aus jener Zeit, da auch das Reich Telan über Ruderschiffe verfügte, bei denen der Takt geschlagen werden musste. Die Matrosen begannen sofort, eine der beschwingten Melodien zu spielen, die in Telan so populär waren und der Rhythmus wurde bereitwillig von Händen und Füßen der anderen Gäste aufgenommen. Andere gingen auf die Tanzfläche und fröhliches Gelächter erklang, wenn die unterschiedlich großen Tänzer versuchten, im Takt zu bleiben und die Füße der anderen zu verschonen.

Becher und Krüge kreisten, und die Trinkgefäße der Herren Zwerge entsprachen nicht ganz dem Volumen, das ein gestandener Seemann aus Telan gewohnt war.

Als eine Zwergenfrau den Krug von Herios-Lar nachfüllen wollte, legte Theon Klugweil rasch seine Hand darüber. „Nein, keinen Wein mehr. Bring uns etwas von dem Götterstoff unserer Landbrüder. Ich will sehen, wie es unserem Freund schmeckt.“

„Götterstoff?“

Theon lachte leise auf. „Vielleicht auch ein Stoff der finsteren Mächte. Ich weiß nicht, woraus unsere Brüder des Landes ihn fertigen, aber sie nennen ihn Blor. Eine glasklare Flüssigkeit, die es in sich hat, wie du gleich feststellen wirst.“

Die Frau brachte einen neuen Krug und schenkte ihnen ein, wobei sie Herios-Lar neugierig musterte. Er erwiderte ihren Blick mit freundlichem Lächeln.

Die hübsche Zwergenfrau schien unsicher, doch dann fasste sie sich ein Herz. „Diese Bräune deiner Haut, Menschenwesen, hast du sie überall?“

Herios-Lar schüttelte überrascht den Kopf und Theon lachte auf. „Du musst ihre Neugier verstehen. Sie hat noch nie zuvor Menschen gesehen und zudem ist Besana die Tochter unserer Heilerin und erlernt selbst diese Kunst. Da ist ihre Wissbegier sicher verständlich.“

Die junge Frau nickte ernst. „Dann scheint eure Haut wie die unsere beschaffen zu sein und sich nur unter der Sonne zu bräunen. Aber eure Haare sind anders. Sie sind kürzer und feiner, als die unseren. Ihr tragt auch nicht alle einen Bart. Wächst er nicht bei Jedem?“

„Oh doch, bei uns Männern schon“, entgegnete Herios-Lar gutmütig. „Aber jeder von uns kann sein Barthaar so schneiden, wie es ihm gefällt.“

„Ich wette, Besana würde gerne einen von euch Menschen aufschneiden, um zu sehen, wie ihr Innen beschaffen seid.“ Theon lachte schallend.

Die junge Zwergin sah den Handelsherrn nachdenklich an. „Immerhin sind es unsere Freunde, wie du sagst, Herr Klugweil. Wie sollen sie von unseren Heilern versorgt werden, wenn wir nicht wissen, wie sie beschaffen sind?“

„Keine Sorge, sie sind wie wir.“ Theons Stimme klang unvermittelt ernst. „Ich sprach mit den Brüdern vom Lande, die an der Seite der Menschen kämpften. Sie haben genug Tote von ihnen gesehen und mir versichert, dass sie ebenso beschaffen sind, wie wir. Nur ein wenig größer.“ Er hob seinen gefüllten Becher an. „Und nun lass zwei alten Männern die Freude, etwas von dem Blor zu kosten.“

Während die Zwergin davon ging, sah Theon ihr wohlgefällig nach. „Ein kluges Mädchen und sehr schön. Gerät sehr nach ihrer Mutter, mein Freund.“

„Ich kann mir gut vorstellen, dass die Männer des Clans hinter ihr her sind.“

„Vor allem zwei“, bestätigte der kleine Handelsherr. „Ein Schürfer und ein Pumper. Zwei Freunde.“

„Das klingt nicht gut, Theon. Eine Frau kann schnell zwischen zwei Freunde treten.“

„Sprichst du da aus Erfahrung, mein großer Freund?“

„Mag sein.“

Der Zwerg spürte, dass er da bei seinem menschlichen Freund einen wunden Punkt berührte und hob rasch seinen Becher. „Lass uns den Blor kosten und dann sag mir, wie du ihn findest.“

Der Kapitän hatte bei den Zwergen bislang nur Wein und Gerstensaft getrunken und unterschätzte offensichtlich die klare Flüssigkeit, denn er nahm einen kräftigen Schluck. Er brauchte eine Weile, um wieder zu Atem zu kommen und nickte Theon mit gerötetem Gesicht zu.

„Götterstoff, nicht wahr?“, brummte der Handelsherr zufrieden.

„Wenn man ihn in Maßen trinkt“, ächzte Herios-Lar. „Ansonsten ein Gebräu der Finsternis. Mit dem sich wahrscheinlich der Rost von unserer Dampfmaschine entfernen lässt.“

Theon lehnte sich zufrieden zurück. „Wie dem auch sei. Ob du ihn trinken oder für deine, äh, Dampfmaschine nutzen willst, ich werde dir ein Fässchen davon mitgeben. Ah, still, jetzt kommt etwas Besonderes.“

Ein Zwergenpaar trat auf die Tanzfläche und die anderen machten ihm erwartungsvoll Platz, denn beide trugen Zupfinstrument und Flöte des Zwergenvolkes. Die schwarzen Strähnen in ihren Haaren verrieten ihr hohes Alter. Andächtige Stille herrschte, als das Paar eine der schwermütigen Balladen seines Volkes zum Besten gab. Beide verfügten über beeindruckende Stimmen und die helle Stimme der Frau ergänzte sich auf harmonische Weise mit dem tiefen Bass des männlichen Sängers. Einige der Begriffe waren den Matrosen aus Telan fremd, da sie für den Kulturkreis der Zwerge typisch waren, aber die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die verstand jeder Seemann. Als das Paar schwieg, schienen seine Stimmen noch für einen Moment im Raum zu schwingen, bevor die anderen Gäste begeistert mit Händen und Füßen stampften.

Der Mann und die Frau dankten es, in dem sie eine flotte Melodie zu spielen begannen und mit den fröhlichen Klängen war die Schänke erneut von unbeschwertem Gelage erfüllt.

Als Herios-Lar den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, nickte er Theon verschwörerisch zu. Der kleine Handelsherr gab dem Wirt einen Wink und zwei stämmige Zwerge trugen ein kleines Fass heran.

„Der Blor gibt uns den Grund, zu deinem Schiff zu gehen, Kapitän“, sagte Theon augenzwinkernd und im Gefolge der Fassträger zogen sich die beiden Freunde aus dem Trubel der Schänke zurück. Inzwischen war es Nacht geworden und der Mond und die Sterne warfen ihr Licht auf die schwimmende Stadt. Der warme Schein von Öllampen erhellte den Weg zur Anlegeplattform.

Dormos stand noch immer auf der Brücke. Er hatte sich einen Schemel geholt, die Füße gemütlich auf die Reling gelegt und paffte ein Pfeifchen. Als er die beiden näher kommen sah, erhob er sich und beugte sich über den Handlauf.

„Es tut mir leid, dass ich dir das Vergnügen verderben musste, Dormos“, sagte Herios-Lar freundlich. „Im Fallenden Meißel geht es hoch her.“

„Kein Problem, Kapitän.“ Dormos hob seine Pfeife an. „Ich habe mein Pfeifchen und einen Krug Wein bei mir und die See leistet mir Gesellschaft. Zudem“, er zwinkerte Theon zu, „dient es ja einem guten Zweck.“

„Haben die Anderen etwas bemerkt?“

Der alte Seemann wusste, was Herios-Lar damit meinte. „Die beiden Neuen haben nichts davon bemerkt. Pernat hat sie an Deck eingeteilt und Monros und Malkwin haben die beiden Kisten geschickt zur Seite geschoben. Eine mit Setzlingen und eine mit Mutterboden.“

„Mutterboden?“ Theon sah den Kapitän überrascht an.

„Nun, ihr müsst die Setzlinge ja irgendwo einpflanzen, nicht wahr? Ich denke, es dürfte euch auch an guter Erde mangeln. Viel konnte ich nicht an Bord schaffen, aber sie ist vom besten Acker meines Vaters.“

„Dann danke ich dir und auch deinem Vater, mein Freund.“ Theon blickte sichtlich gerührt zu Dormos hinauf. „Und auch dir danke ich. Wir haben hier etwas mitgebracht, was dich für die Einsamkeit auf der Brücke entschädigen wird.“

„Wie erwähnt, Handelsherr, ich habe mein Pfeifchen und…“ Dormos verstummte überrascht. Er blickte auf seine Hand, die auf dem Handlauf der Reling lag. „Da ist etwas. Etwas hat das Schiff berührt.“

Herios-Lar winkte ab. „Das Schiff wird gegen die Plattform gestoßen sein.“

Dormos schüttelte den Kopf. „Nein, Kapitän, das war es nicht. Da. Da ist es wieder.“ Dormos beugte sich über die Reling. „Es kommt von unten. Aus dem Wasser.“

Die beiden Anderen traten näher heran und starrten ebenfalls ins Wasser.

„Da ist etwas.“ Theon deutete nach unten. „Ein Schatten unter dem Schiff.“

„Verdammt, jetzt kann ich es auch sehen.“

Dormos nickte. Von oben hatte er die bessere Sicht. „Ist ein Wal, Kapitän.“

„Ein Wal?“

„Ein Wal, Kapitän. Ich würde sagen, es ist ein junges Männchen. Die Tentakel sind noch sehr hell und nicht besonders lang. Gut zu erkennen, jetzt, wo er direkt unter dem Schiff liegt.“

„Verdammt“, fluchte Herios-Lar erneut. „Das fehlte noch.“

„Wie kommt ein Tentakelwal unter euer Schiff, mein Freund?“, fragte der kleine Handelsherr irritiert.

„Es ist die Zeit, in der sich die Wale paaren“, brummte der Kapitän. „Jetzt, bei Vollmond und von unten betrachtet, ähnelt der Rumpf der Beovanaal den Umrissen eines Walweibchens, zumal das Schaufelrad von unten, wenigstens ungefähr, wie die paarungsbereit eingerollten Tentakel eines Weibchens aussehen kann. Der Bursche da ist in der Brunft und will sich mit unserem Schiff paaren.“

Fröhliches Gelächter klang auf, aber Herios-Lar schüttelte den Kopf. „So witzig ist das nicht, ihr Freunde. Ich habe die Paarungsspiele der Tentakelwale einige Male sehen können und da geht es ziemlich heftig zu. Zwar kann der Bursche dem Rumpf nichts anhaben, aber er könnte die Schaufeln des Rades zerquetschen.“

Theon Klugweil zupfte sich an den Bartzöpfen. „Das wäre nicht gut. Schön, ich lasse ein paar Axtschläger der Wache holen. Die können den Wal mit ihren Speeren vertreiben.“

„Wenn er nur verletzt wird, gerät er derart in Wut, dass er alles Mögliche anstellen kann“, wandte Dormos ein. „Am Besten warten wir ab, bis er aufgibt.“

„Das kann lange dauern, glaube mir. Diese Walmännchen sind zähe Burschen. Wenn wir Pech haben, hängt der noch morgen Mittag unter dem Schiff, reibt sich am Rumpf und zerlegt in seiner Liebeslust das Schaufelrad mit seinen Tentakeln. Nein, Dormos, wir müssen ihn irgendwie loswerden.“

„Warte, wie wäre es damit?“ Theon deutete auf das Fässchen mit Blor, welches die Helfer auf die Plattform gestellt hatten. „Es lässt sich mit Wasser verdünnen. Diese Wale sind sehr empfindlich, was die Veränderung des Wassers angeht. Wenn wir das Blor hineingießen…“

„Schade um das Zeug, aber es ist einen Versuch wert.“ Herios-Lar wies unter das Schiff. „Versuchen wir es.“

Die Fassträger öffneten es, hoben es an den Rand der Plattform und begannen den Inhalt ins Wasser zu kippen.

„Hoffentlich bringt es ihn nicht um“, murmelte einer der Zwerge. „Ein solcher Kadaver unter der Stadt und hier wimmelt es in zwei Stunden von Dornfischen. Dann ist es erst einmal vorbei, mit dem Schürfen.“

„Hoffentlich wirkt es überhaupt.“

Es wirkte.

Erst begann die Beovanaal unmerklich zu schaukeln, dann waren einige Schläge zu hören, als das Walmännchen hektisch mit den Tentakeln peitschte. Wasser wirbelte einen Moment auf, dann verschwand der Schatten unter dem Schiff.

„Armer Kerl“, sagte Dormos mitfühlend. „Der hat sich von dieser Nacht sicherlich mehr versprochen.“

Herios-Lar lächelte erleichtert. Sein Schiff schien keinen Schaden genommen zu haben. „Zudem hat er morgen vielleicht einen ansehnlichen Brummschädel.“

„Etwas von dem Blor ist noch übrig“, meldete einer der Zwerge, der in das Fass hinein blickte.

„Schön, ich denke, wir sollten jetzt die Kisten vom Schiff holen“, sagte Theon. „Danach können wir uns zu Dormos gesellen und uns unbeschwert einem weiteren Becher zuwenden.“

„Auch zwei Bechern, mein Freund, auch zweien.“

Zwerge der Meere

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