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05 Am Hof des Reiches Telan
ОглавлениеDie Lagune lag an der Westküste des Kontinents und ein hufeisenförmiges Gebirge schloss sie fast vollkommen ein und schützte sie. Zwischen dem Wasser und dem Gebirge gab es einen viele Kilometer breiten Streifen mit fruchtbarem Land und riesigen Wäldern. Nur zwei Pässe führten in das dahinter liegende Land. Vielleicht war die Lagune einst der Krater eines gewaltigen Vulkans gewesen, nun befanden sich hier der große Hafen und die Hauptstadt des Reiches Telan.
Die schmale Zufahrt zwischen dem offenen Meer und der Lagune wurde von mächtigen Geschützbatterien gedeckt, die den Schiffen und der Stadt Schutz vor jedem Angriff von See boten. Massive Festungswerke deckten die Gebirgspässe und inmitten der Lagune war eine künstliche Insel entstanden, auf der sich eine weitere Festung erhob.
Lange, gemauerte Kais führten ins Wasser, an denen die Schiffe Telans und der Händler anderer Völker festgemacht waren. Boote verschiedenster Größe und Beschaffenheit wimmelten zwischen den Schiffen umher, beluden und entluden sie, lotsten Neuankömmlinge zu ihren Liegeplätzen und geleiteten andere aufs offene Meer hinaus. Hoch aufragende Masten stolzer Segelschiffe waren ebenso zu erkennen, wie die dünnen Schlote der dampfgetriebenen Schiffe des Reiches Telan. Die mächtigen Rümpfe der Handelsschiffe dominierten, während ein Teil des natürlichen Hafens den tödlichen Kampfschiffen vorbehalten war.
Um den Hafen herum zog sich ein dichter Ring von Lagerhallen, Werkstätten, Händlern und Schänken, daran schlossen sich die Häuser der Stadt an. Sie waren aus dem weißen Stein errichtet, den man im Gebirge reichlich fand und ihre hohe und grazile Architektur kündete von den Fähigkeiten ihrer Erbauer. Der Handel blühte und die Stadt Alatan war der Umschlagplatz für jene Waren, die über die Meere hinweg, bis in die Provinzen im Hinterland transportiert oder von diesen in die Stadt gebracht wurden.
Einst war das Reich Telan nicht mehr als ein nomadisierender Stamm gewesen. Einer von vielen Clans, die sich gegenseitig befehdeten. Über viele Jahrtausende hinweg hatten sie von der Hand in den Mund gelebt und der Überlebenskampf gegen andere Clans und die Natur hatte wenig Raum gegeben, um eine hohe Kultur entwickeln zu können. Das Leben war in starren, fast ritualisierten Bahnen verlaufen, bis ein Mann die Clans erstmals vereint hatte. Er war es gewesen, der die Stadt Alatan erbauen ließ, da er den Vorteil des schützenden Gebirges und der Lagune erkannte. Von hier dehnte sich das Reich aus, trieb Handel mit anderen Völkern und wuchs. Nun beherrschte Telan den größten Teil des Kontinents, hatte seine Gegner besiegt und Verbündete gefunden. Es gab keine Feinde, die seine Grenzen ernsthaft bedroht hätten. Wohlstand und ein gewisses Maß an Dekadenz herrschten im Königreich.
Dennoch gab es Menschen, denen das erreichte nicht genügte und einer dieser Menschen war Grund für die Reise des Königs gewesen, der, nur von einer kleinen Eskorte begleitet, zu den östlichen Grenzen aufgebrochen war. Nun war der König zurück und trieb sein Pferd die lange Straße entlang, die zum Palast führte. Er ritt durch das breite Tor, über den kiesbestreuten Weg, direkt zum Hauptgebäude, wo er absaß und die Zügel einem Bediensteten zuwarf.
„Führe ihn ein wenig herum, bevor du ihn weiter versorgst“, befahl er dem Mann, nickte den beiden Ehrenwachen am Portal zu und betrat die angenehme Kühle des Gebäudes.
Achtlos zog er den Helm vom Kopf, warf ihn einer Frau zu und die Absätze seiner Reiterstiefel knallten auf dem Marmorboden der Halle.
„Wo ist sie?“
Der Angesprochene verneigte sich hastig. „In Eurer Bibliothek, Hoheit.“
Erneut salutierten Ehrenwachen, als der Mann durch einen Korridor schritt, kurz vor den beiden Türflügeln aus kostbaren Hölzern verharrte, und sie dann aufstieß. Ein großer Raum wurde sichtbar, an drei Seiten von hohen Regalen umgeben, angefüllt mit Büchern und alten Schriften. An der Stirnseite, gegenüber der Tür, war ein riesiges Fenster zu erkennen. An einer Seite des Raumes stand ein massiger Schreibtisch, daneben eine Ruhegruppe mit Liegen. Auf einer von ihnen lag eine Frau, die ihren Kopf hob und ihm entgegen sah.
„Du stinkst nach Schweiß und Pferd.“
Leos-Hod-Telan, König und Herr über das Reich und seine Provinzen, nickte und beugte sich vor, um seiner Frau einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Ein symbolischer und geschäftsmäßiger Kuss, der nichts mehr von der Leidenschaft beinhaltete, die beide einst füreinander empfunden hatten.
„Ich bin scharf geritten, meine Liebe.“ Der Telan des Reiches schritt zu seinem Schreibtisch und öffnete die Spange seines Umhangs, den er achtlos über die Rückenlehne des Stuhles warf. „Dein Bote erreichte mich auf dem Rückweg und so habe ich mich beeilt.“ Er warf ihr einen forschenden Blick zu. „In deinem Schreiben steht etwas von einer Gefahr für das Reich.“
„Ich wusste, dass dich das zur Eile antreibt.“
Er sah in ihr lächelndes Gesicht. Noch immer war Jania-Hoda-Tela eine atemberaubende Schönheit und sie wusste dies auch. „Treib keine Spiele mit mir, Jania.“
Sie richtete sich halb auf der bequemen Liege auf, nahm zwei Weintrauben und zerdrückte sie genüsslich in ihrem Mund. Eine sinnliche Handlung, die ihr die Zeit verschaffte, die Antwort zu überlegen. Sie musterte ihren Gemahl und König.
Leos-Hods beste Jahre waren vorbei, aber er war noch immer ein stattlicher Mann. Er hatte noch immer die charismatische Ausstrahlung, der sie einst verfallen war. Er trug nicht das am Hof übliche, weich fließende Gewand, sondern eine schlichte Uniform, an der nichts auf seinen Rang hinwies. Nur der Helm mit dem königlichen Wappen war kostbarer gearbeitet, als bei einem einfachen Kämpfer üblich. Um seinen Hals trug er die schlichte goldene Kette mit dem Siegel des Königs. Der Reitbesatz der Hose war fleckig und die kniehohen Stiefel waren staubig vom langen Ritt.
„Wie war es bei deinen kleinen Lieblingen?“
Der König runzelte die Stirn. „Was soll das? Du schreibst von Gefahr und fragst nach den Schonosch? Sie sind mit Sicherheit keine Gefahr für das Reich.“
„Aber eine Gefahr für dich, mein König.“ Sie lächelte. „Nun, vielleicht keine Gefahr. Aber deine kleinen Lieblinge bringen dich in Bedrängnis, Telan der Telaner.“
„Nenne sie nicht meine Lieblinge“, knurrte er.
„Aber sie sind es doch, nicht wahr?“ Ihr Lächeln vertiefte sich. „Jeder weiß das.“
„Sie sind keine Schoßtiere.“ Leos-Hod nahm Glas und Karaffe vom Schreibtisch und schenkte sich Wasser ein. „Sie sind ein eigenständiges Volk von hoher Kultur.“
„Sie sind Primitive“, erwiderte sie verächtlich. „Sie sitzen auf ihrem reichen Land und nutzen es nicht. Sie sind zu dumm, es zu nutzen.“
„Unsinn“, sagte er unwirsch. „Sie sind keineswegs primitiv. Sie sehen manche Dinge anders als wir und streben nicht nach Besitz.“
„Womit wir beim Punkt wären.“ Sie streckte eine Hand aus und der König füllte ihr ein anderes Glas, reichte es ihr. „Jolos-Tar, Handelsherr des Hauses Tar.“
Leos-Hods Gesicht verfinsterte sich. „Jolos-Tar? Ich verstehe. Er hat noch nicht aufgegeben, nicht wahr? Aber das würde auch nicht zu seinem gierigen Wesen passen.“ Er sah sie kalt an. „Darin passt er hervorragend zu dir.“
Jania-Hoda lachte leise auf. „Eifersüchtig? Das passt nicht zu dir, mein König.“
„Solange es hinter verschlossenen Türen bleibt“, knurrte er, „kannst du treiben, was immer du willst. Sofern du dabei nicht vergisst, dass du die Tela des Reiches bist.“
„Keine Sorge, Leos, ich wähle mir mein Vergnügen sorgfältig aus.“
Leos-Hod hoffte, dass das Verhältnis seiner Frau ein gut gehütetes Geheimnis war. Noch dazu, da es sich um den Handelsherrn Jolos-Tar handelte, von dem sie sich regelmäßig besteigen ließ. Tar war nicht nur ein mächtiger Handelsherr sondern auch Mitglied im Senat und ein politischer Gegner. Er suchte zwischen den Schenkeln der Königin nicht nur seine Freuden sondern auch ihre Unterstützung und Leos ahnte, dass sie dem Handelsherrn mehr zutrug, als ihm lieb war. Er konnte dieses Verhältnis jedoch nicht ohne öffentlichen Skandal beenden und den konnte und wollte der König nicht riskieren. Zu viel stand auf dem Spiel, zu sehr musste er sich gegen die Habgier von Männern wie Tar behaupten, denen der persönliche Reichtum wichtiger war, als das Wohl des Reiches.
Leos-Hod-Telan scheute keinen offenen Konflikt. Als Telan vor zehn Jahren einem Korsarenüberfall begegnen musste, der einer der anderen Städte gegolten hatte, da hatte der König in vorderster Linie gekämpft. Er wusste mit Schwert und Bolzenwaffe umzugehen, wenn er den Feind vor sich sah. Aber inzwischen begegnete er Feinden, denen er mit anderen Waffen entgegen treten musste. Männern, wie dem Handelsherrn Jolos-Tar.
Vor zwanzig Jahren war man dem Volk der Schonosch zum ersten Mal begegnet. Es war ein genügsames und friedfertiges Volk, das im Inneren des Kontinents lebte. Telan hatte das Gebiet der Schonosch respektiert, aber einige Handelshäuser hatten erkannt, wie reich das Land dieser Wesen an wertvollen Bodenschätzen war. Das Handelshaus Jolos-Tar hatte mehrere Zwischenfälle provoziert und die Truppen des Reiches waren mobilisiert worden, um die Ermordung mehrerer Handelsgehilfen zu rächen. Der König war persönlich zur Grenze gereist, um über die Herausgabe der Mörder zu verhandeln, bevor es zum Krieg kam. Dabei hatte er die Schonosch näher kennengelernt und erkannt, welch hohe Kultur sie besaßen und mit welchen Mitteln der Handelsherr Jolos-Tar versucht hatte, einen Krieg zu provozieren, dem die Aneignung des Gebietes der Schonosch folgen sollte, verbunden mit der Ausbeutung ihrer Bodenschätze durch das Haus Tar. Für Leos-Hod-Telan hatte es keinen Zweifel gegeben, wer die Schuld zu tragen hatte und so hatte er die Truppen heim geschickt und dem Handelsherrn Tar Wiedergutmachung auferlegt. Zudem sicherte nun eine kleine Garnison die Grenze zum Gebiet der Schonosch, mit der Einwilligung ihres Stammesrates.
Inzwischen war der König gelegentlich zu diesem Volk gereist, hatte viel über ihre Kultur und ihre magischen Fähigkeiten gelernt und war zu ihrem Freund geworden. Diese Freundschaft hatte ihm allerdings die unversöhnliche Gegnerschaft des Handelsherrn Tar eingebracht.
Unglücklicherweise gehörte Jolos-Tar dem Senat des Königreiches an und verfügte über Geld und Macht. Wo immer Tar die Gelegenheit fand, schwächte er die Position des Königs, um seine eigene zu stärken. Da die Königswürde nicht durch Erbrecht erlangt, sondern durch Wahl des Senats verliehen wurde, konnte es gut sein, dass Tar darauf wartete, selbst zum König ernannt zu werden. Es war also verständlich, das Leos nicht besonders glücklich darüber war, dass Jolos und Jania das Bett, und sicher auch manche Palastinterna, miteinander teilten. Wenigstens hatte der König starken Rückhalt im Volk und bei der Mehrheit des Senats.
Leos-Hod-Telan ging langsam durch die Bibliothek und trat an das große Fenster. Es bot einen prächtigen Ausblick auf einen großen Teil der Stadt und die Lagune. „Was will Tar von mir?“
„Oh, er kann es dir selber sagen. Er ist hier, im Palast. Ich denke, du bist gewillt ihn zu empfangen oder täusche ich mich?“
Er sah sie an, unterdrückte seinen aufsteigenden Zorn. Wahrscheinlich hatte Tar erst vor kurzem das Bett der Königin gewärmt. „Nein, natürlich werde ich ihn empfangen.“
„Schön.“ Jania griff nach einer gedrehten Schnur, die über der Ruhegruppe von der Decke hing. „Dann werde ich ihn rufen lassen.“
„Danach wirst du bitte die Bibliothek verlassen“, sagte er leise. „Deinen Andeutungen habe ich entnommen, dass es um eine Angelegenheit des Reiches oder Senats geht.“
„Ich werde ohnehin erfahren, was du entscheidest.“
„Sicher.“ Seine Stimme war kalt. „Während er zwischen deinen Schenkeln liegt.“
Ihr Lächeln verlor an Freundlichkeit. „Manchmal frage ich mich, warum wir einander geheiratet haben.“
Für einen Moment nahm das Gesicht des Königs einen wehmütigen Ausdruck an. „Weil wir uns einst geliebt haben. Aber das ist lange her.“
Sie erwiderte seinen Blick forschend und nickte dann langsam. „Ja, es ist lange her.“
Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, aber da klopfte es an die Tür der Bibliothek. Die Königin zuckte die schmalen Schultern. „Ich werde deinem Willen entsprechen und den Raum verlassen. Ich mag es nicht, wenn Männer wie eifersüchtige Rüden aufeinander prallen.“
Während sie den Raum verließ, trat Jolos-Tar ein.
Der Handelsherr des Hauses Tar war eine imposante Erscheinung und es gewöhnt, sich in Szene zu setzen. Das üppige Leben hatte seine Gestalt beachtlich gerundet und er versuchte, seinen stattlichen Bauch unter kostbaren Stoffen und Schmuck zu verbergen. Er wirkte behäbig, aber man durfte ihn nicht unterschätzen. Sein Geist war scharf und seine Zunge spitz und dies kombinierte Jolos mit der Fähigkeit, seine Gegner zu täuschen.
„Königliche Hoheit, es ist mir eine Freude, Euch wieder wohlbehalten im Palast zu wissen. Angelegenheiten von großer Bedeutung verlangen Eure Entscheidung.“
„Treten Sie näher, Handelsherr Tar.“ Leos trat wieder an seinen Schreibtisch, deutete auf einen Stuhl und setzte sich. „Nehmt Platz und erklärt mir Euer Begehren.“
Tar ließ sich seufzend nieder. „Ihr seht mich in tiefer Sorge und Betrübnis, Eure Hoheit. Drei der besten Schiffe Telans sind auf hoher See verschwunden.“
Schiffe des Hauses Tar, sonst hätte der Handelsherr allenfalls Befriedigung darüber empfunden, dass die Konkurrenz unter den Verlusten litt, wie der König vermutete. „Es bleiben immer wieder Schiffe auf See, Handelsherr. Niemand beherrscht das Meer. Es gibt und nimmt, wie die Gezeiten kommen und gehen.“
„Ich rede nicht von einem Unglück, Hoheit.“ Das Gesicht des Handelsherrn verzog sich zu einem Lächeln, das der König als schmierig empfand. „Die drei Schiffe verschwanden in kurzer Zeit in einem eng begrenzten Seegebiet.“
„Also möglicherweise Korsaren.“ Der König legte die Fingerspitzen aneinander. „Obwohl es mich überraschen würde, wenn sie erneut einen Übergriff wagen. Wir haben sie damals vernichtend geschlagen und ihre Schiffe verbrannt. Nur eines ließen wir entkommen.“
„Es könnte eine andere Gruppe dieser Bestien sein“, stieß Tar hervor. „Ich erwarte, dass Ihr Schiffe entsendet und diese Mörder bestraft, Eure Majestät.“
„Eine Strafexpedition entsenden?“ Leos lachte leise auf. „Wenn es einen Überfall auf deine Schiffe gegeben hat, Handelsherr, dann sind die Angreifer längst fort.“
„Dann verlange ich Begleitschutz für meine Schiffe.“
„Du verlangst?“ Der König erhob sich hinter seinem Schreibtisch, stützte sich auf die Tischplatte und sah den Handelsherrn drohend an. „Ich kenne meine Pflichten, Handelsherr Tar, und Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern.“
„Natürlich nicht, Eure Hoheit.“ Tar hielt dem Blick des Königs stand. „Aber die Kapitäne der Handelsschiffe wären beruhigt, wenn ich mit der Nachricht zu ihnen zurückkehre, dass Eure Majestät alles tun werden…“
„…für die Sicherheit der Handelswege zu sorgen, nicht wahr?“ Leos lächelte kühl. „Und für die Sicherheit Ihres Profits.“
„Eure Hoheit, Ihr tut mir Unrecht.“ Der Handelsherr räusperte sich. „Das Reich blüht durch den Handel auf. Die drei verschwundenen Schiffe sind ein Anzeichen von Gefahr, die ganz Telan betreffen kann.“
Der König nickte. „Dem stimme ich zu.“ Er trat hinter dem Schreibtisch hervor und schritt, an dem Handelsherrn vorbei, zu einem der Wandregale. Nachdenklich betrachtete er eine dort aufgespannte Karte. Schließlich wandte er sich Tar wieder zu.
„Hören Sie zu, Handelsherr Tar und hören Sie mir genau zu. Die Flotte von Telan kann nicht jedem Handelsschiff Geleit geben. Dazu gibt es zu viele Handelsschiffe und zu wenige Kriegsschiffe. Jedes der Häuser würde den gleichen Schutz beanspruchen und dies mit Recht tun, das wissen Sie, Handelsherr.“ Der König kam wieder zu seinem Schreibtisch zurück und lehnte sich mit dem Gesäß an. „Ich kann auch keine Strafexpedition befehlen, wenn wir den Schuldigen und das Ziel nicht kennen. Wenn Sie also Schutz für ihre Schiffe wollen, dann müssen Sie bedenken, dass dieser Schutz allen Schiffen gleichermaßen gelten muss.“
Jolos-Tar erwiderte den Blick des Königs. „Was werdet Ihr also unternehmen, Eure Hoheit?“
„Das Königreich von Telan ist groß und seine Grenzen müssen geschützt werden. Also haben wir eine große Armee. Wir treiben Handel mit fernen Reichen über weite Distanzen und so müssen auch die Seewege geschützt werden. Dazu braucht die Flotte Schiffe, Handelsherr. Viele Schiffe.“
Tar wusste, worauf der König anspielte. „Schiffe kosten Geld. Sie müssen gebaut und unterhalten werden und ihre Besatzungen erwarten gute Bezahlung. Wollt Ihr Euch nun dafür rächen, dass ich im Senat die Zustimmung zum Ausbau der Flotte verweigerte? Mit allem Respekt, Eure Hoheit, doch eine so mächtige Flotte lässt sich nur durch einen mächtigen Feind rechtfertigen.“
„Es geht mir nicht um Ihre Zustimmung im Senat“, behauptete Leos-Hod-Telan und wusste, dass der Handelsherr dies nicht glaubte. „Es geht um Ihr Verständnis, dass uns Schiffe fehlen.“
„Also wollen Eure Hoheit nichts unternehmen?“
„Natürlich werde ich etwas unternehmen, Handelsherr.“ Der König seufzte. „Ich werde Schiffe entsenden, die nach den verschwundenen Handelsschiffen suchen. Und ich werde Ihrer Bitte entsprechen und den Handelsschiffen Schutz durch die Flotte gewähren. Aber das ist mit einer Bedingung verknüpft.“
„Und mit welcher, Eure Hoheit?“
„Wie ich erwähnte, die Flotte hat nicht genug Schiffe, um jedes Handelsschiff zu begleiten. Ab sofort werden daher die Handelsschiffe in gefährlichen Seegebieten nur im Konvoi fahren.“
„Eure Majestät, ich muss protestieren. Das schränkt die Möglichkeiten des Handels ein.“ Tar schüttelte schockiert den Kopf. „Manchmal ist es schon schwer genug, die Ladung für ein einzelnes Handelsschiff aufzutreiben. Wenn nun mehrere…“
„Einem Konvoi kann ich auch eine Eskorte durch die Flotte beigeben“, warf der König ein.
Handelsherr Tar seufzte abgrundtief. „Nun ja, die meisten Routen sind sicher. Zumal unsere Schiffe sehr schnell und stark sind. Nur das Südmeer bereitet mir Kummer. Mir und den anderen Handelshäusern, natürlich.“
„Natürlich.“ Der König lächelte. „Allerdings hat das Haus Tar den Hauptanteil am südlichen Handel.“
Tar zuckte die Schultern. „Wie die Fügung es bestimmte, Eure Hoheit.“
„Der südliche Handel“, murmelte Leos-Hod-Telan versonnen. „Über das Südmeer ins Königreich der Anram. Ein mächtiges Reich, wie wir es sind, wenn nicht noch mächtiger.“
„Glaubt Ihr…?“
„…das die Anram hinter dem Verschwinden der Schiffe stecken?“ Der König schüttelte den Kopf. „Niemals. Wir haben gute Beziehungen zu den Anramern. Sie hätten nicht den geringsten Grund zu Feindseligkeiten.“
Leos reckte sich. „Ich werde mich mit Admiral Merent-Kai beraten, Handelsherr. Aber wenn Sie mich nun entschuldigen würden? Ich habe einen langen Ritt hinter mir.“
„Natürlich, Eure Hoheit.“ Tar erhob sich ächzend. „Es freut mich, in Eurer Hoheit immer wieder einen zupackenden Mann und entschlossenen Kämpfer zu finden.“
„So wie es mich freut, in Ihnen, Handelsherr Jolos-Tar, immer wieder einen Mann zu erkennen, der seinen Vorteil hinter dem Allgemeinwohl zurückstellt.“
Beide brachten die Lügen glatt über die Lippen, mit jenem geschäftsmäßigen Lächeln, das Politik und Handel ihresgleichen lehrten.
Als der Handelsherr gegangen war, fühlte Leos-Hod sich noch stärker beschmutzt, als zuvor. Dennoch kam er nicht umhin, die Sorge des Händlers zu teilen. Dass drei Schiffe innerhalb kürzester Zeit in einem begrenzten Seegebiet verschwanden, verhieß Unheil und der König war nicht der Mann, der in Ruhe abwartete, bis es ihn ereilte.
Er zog an der gedrehten Schnur und wartete, bis ein Bediensteter hereinsah. „Sende einen Boten zu Admiral Kai. Er soll mich aufsuchen, sobald es ihm möglich ist.“
Was braute sich da im Süden zusammen?