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Ein Rundgang durchs Haus

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Um mich nicht schon wieder in die Berichte einarbeiten zu müssen, beschließe ich kurzerhand mal nach meinen anderen Abteilungen zu schauen. Immerhin bin ich hier ja Chef von einhundertachtunddreißig Menschen.

Zuerst schau ich einmal ins Büro von Yasmin Kalt und Helmut Glaser. Yasmin wird von jedem im Haus Yasi genannt und sie lebt in, sagen wir einmal, seltsamen Umständen. Yasi führt eine lesbische Beziehung mit vier Frauen zugleich und lebt mit diesen wiederum zusammen in einer Wohngemeinschaft. »Survival Kätz« nennt sich das Ganze und die Mädels verbindet eine grausame Kindheit, in der sie alle häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Yasi ist eine attraktive, junge Frau mit langem, schwarzem Haar und einem leichten asiatischen Touch, sehr quirlig und stets ein klein wenig übermotiviert.

Glaser hingegen ist das Gegenteil, also nicht so ganz, denn auch er ist motiviert, aber ansonsten besonnen und ein ruhender Pol, so wie es sich für einen Familienvater gehört.

In ihrem Büro angekommen, sitzen die beiden vor ihren Monitoren und erstellen Berichte vom Streifendienst. Auch sie haben einige von den Raubüberfällen aufgenommen, weshalb Yasi auch gleich zu erzählen beginnt.

„Ach Scheffe“, ein Wort, welches ich gar nicht mag, allerdings habe ich mich auch nie getraut, es ihr zu verbieten, „Sie wollen sicher Bescheid wissen, was uns bei der Überfallserie so alles aufgefallen ist. Also, da es alle reiche Säcke waren, die es erwischt hat, hatten die auch dementsprechend fette Anwesen. Alles mit großen Gärten und hohen Sichtschutzhecken. Da war es für die Täter ein leichtes, sich zu verstecken, um dann ungesehen zuzuschlagen. Ich persönlich glaube, dass die beiden Kleinen einen Sprachfehler haben oder einen Dialekt sprechen, der auffällig ist. Warum sonst sollen sie so verschwiegen sein? Auf jeden Fall werden ich und der Helmut uns weiter damit beschäftigen, sofern es unser Streifendienst zulässt.“

Das war nun eine Menge Information auf einmal, aber so ist sie eben, die Yasi. Kaum hat sie ihren Monolog beendet, meldet sich auch schon der Piepser an ihrem Gürtel, woraufhin sie auch schon nach ihrem Telefon greift und bei der Zentrale anruft. Ein paar »jajas« und »okays« später sagt sie zu Glaser: „Helmut, wir müssen los, da brennt ein Auto in der Sandgrube“, und schon sind die beiden verschwunden.

Ich hatte immerhin »Hallo« und »Tschüss« gesagt, soweit ist Helmut Glaser gar nicht gekommen, von ihm konnte ich keinen Laut vernehmen.

Ich gehe dann mal runter in unser Pressebüro, eine Einrichtung, für die ich viel Lob bekommen habe. Selbst der Innenminister war schon hier, um es zu besichtigen. Dabei habe ich nur zwei Streithähne, die mit der »Optimierung der inneren Abläufe« beschäftigt waren, mit einer neuen Aufgabe betraut. Die beiden haben sich aufgerafft und eine Presseabteilung aus dem Boden gestampft, um die mich andere Dienststellenleiter beneiden.

Im Büro treiben sich auch erwartungsgemäß einige Reporter herum und warten auf die nächsten brandheißen News, um sie dann gleich in ihr Notebook zu tippen, um diese dann anschließend an die jeweilige Redaktion zu schicken.

Kim Yang, unser chinesischer Fachmann für die neusten »asiatischen Studien«, sitzt an seinem Rechner und bearbeitet sämtliche Berichte, die aus den verschiedensten Abteilungen eingehen und Gerhard Treiber unterhält sich angeregt mit den Presseleuten.

Nun haben die Pressefuzzis auch mich bemerkt und lenken ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich.

„Herr Schlempert, welche Neuigkeiten gibt es zu den Überfällen? Was können Sie aktuell über die Täter sagen?“, fragt der Erste.

„Was ist an den Gerüchten dran, dass Sie in den letzten Tagen zwei Leichen aufgefunden haben?“, der Nächste.

Das lässt mich aufhorchen, woher beziehen diese Geier nur ihre Informationen?

„Eins nach dem anderen“, besänftige ich die Menge, „zu den Raubüberfällen kann ich nur sagen, dass wir jede gesicherte Information unmittelbar zur Pressestelle weiterleiten. Ich versichere Ihnen, wir werden weiterhin alles, was wir wissen, hierher weiterleiten.“

„Und was hat es mit den Leichen auf sich? Weshalb wurden wir darüber nicht informiert?“, bohrt der andere weiter nach.

„Das hat auch eine ganz einfache Erklärung“, gebe ich ruhig zurück. „Dass ich an den Fundorten anwesend war, ist reiner Zufall. Beide Fälle fallen aber nicht in unseren Zuständigkeitsbereich.“

„Was soll das heißen?“, lässt der Typ immer noch nicht locker.

„Das heißt, dass Sie Ihre Informationen bei den Dienststellen in Landau und Pirmasens einholen müssen.“

„Aber Sie waren doch vor Ort, da können Sie uns doch sicher auch davon berichten“, nervt der Pressefritze langsam aber sicher.

Dann lass ich ihn eben an meinem Wissen teilhaben: „Nach meinen Beobachtungen handelte es sich in beiden Fällen um einen Suizid, mehr weiß ich auch nicht. Wie Sie bereits sagten, habe ich die Leichen nur aufgefunden, mehr auch nicht.“

Bevor denen noch mehr blöde Fragen einfallen, dreh ich mich schnell um und eile die Treppe zum Keller hinab.

Auch unser Technikexperte Klaus Reuter hat es sich in seiner Werkstatt etwas weihnachtlich gemacht. In einer Ecke steht ein gezierter Weihnachtsbaum. Allerdings ist das kein üblicher Baum, so wie man ihn in diesen Tagen in jedem Schaufenster sieht, an dem von Klaus hängen anstatt Kugeln und Lametta, Schraubenschlüssel, Ersatzteile und Einbauanleitungen. Die letzteren hat er liebevoll zu Papiersternen gefaltet. An der Decke entlang baumeln Lichterketten, die ein ganz besonderes Licht auf unseren Rennwagen, den Fiat 128 3p Berlinetta werfen. Und den hat der Torben, ein Junge der uns im Herbst bei einer Amoklage ins Netzt gegangen ist, blitzblank poliert. Der Torben macht bei uns eine Art Praktikum, so als Resozialisierung kann man sagen. Sein Vater ist schon vor seiner Geburt abgehauen und seine Mutter sitzt mit ihrem Lebensgefährten in Haft. Die haben irgendwelche verbotene Videos gedreht und ins Netzt gestellt. Nun lebt der Junge in der jugendpsychologischen Abteilung des Pfalzinstituts und wurde von meinem Freund, dem Richter Eberhard Palanowski, sozusagen als Enkelsohn adoptiert. Heute ist er nicht hier, sicherlich wegen therapeutischer Maßnahmen in der Klinik.

Der Klaus dagegen ist wie immer schwer am Schuften. Seine Beine schauen wie so oft aus dem Fußraum von einem Zuffenhausener Sportwagen heraus.

Um ihn nicht wieder zu erschrecken, gehe ich zur Eingangstür zurück und klopfe an.

„Komm nur her, Dieter!“, höre ich seine Stimme aus dem Fußraum. „Heut hab ich dich kommen gehört.“

„Okay, und was macht mein Lieblingsschrauber denn heute?“ Ich will ja auch wissen, was in meinem Laden so läuft.

„Na, ich verpasse der Mühle das Standardprogramm. Steuergeräteoptimierung, Nebel- und Öl-Werfer, eine Fahrgastzellenpanzerung und eine dicke Bremse. Den bekommen die in Berlin bei der Regierung, weißt du?“

Jetzt weiß ich es. Eigentlich sollte ich diese Dienstleistung denen in Rechnung stellen, jeder nutzt aus, dass ich den besten Mechatroniker habe und das alles nur, weil mein Vorgänger, der Heuler, überall mit seiner Werkstatt geprahlt hat.

Der Klaus hat aber echt was drauf. Meinen Mini hat er so aussehen lassen, als wäre es die letzte Schleuder und dabei hat das Teil dreihundertachtzig und mit einem Booster kurzzeitig sogar vierhundertfünfzig PS. Dazu habe ich auch das Standardprogramm, nur ohne Panzerung, das würde den Mini zu schwer machen, was ich nicht wollte. Bei meinem sportlich angehauchten Fahrstil achtet man auf jedes Gramm. Zumindest beim Auto. Da mein Körper inzwischen auf stattliche einhundertzwanzig Kilo angewachsen ist, muss eben mein Wagen auf seine Linie achten. Aber ab morgen werde ich wieder Sport treiben. So oder so ähnlich sehen meine guten Vorsätze seit Monaten aus.

Da Klaus nun aus dem Fußraum geklettert kommt, versuche ich, als guter Chef, etwas Konversation zu betreiben: „Na du?“, sag ich. „Wie geht die Arbeit von der Hand?“

„Ach das wird doch von Tag zu Tag schlimmer“, schimpft er, was ich von ihm gar nicht gewohnt bin, „inzwischen muss ich alle relevanten Steuergeräte mit einer Bleihaut versehen, um sie vor Angriffen von Mikrowellen und Magneten zu schützen. Zudem bauen die Hersteller inzwischen so viel Müll in die Autos, dass für mein Zeug fast kein Platz mehr bleibt. Da werden die Karren so vollgestopft mit diesem Abgasentgiftungsscheiß, sind aber, wenn sie dann auf der Straße gemessen werden, trotzdem die größten Dreckschleudern. Da vergeht einem doch der ganze Spaß am Umbauen.“

„Ganz ruhig, Klaus“, versuche ich etwas Dampf aus dieser Unterhaltung zu nehmen, „wenn dir das alles hier zu viel wird, dann sollen die Berliner ihre Autos woanders umbauen lassen.“

„Ja, das habe ich doch schon versucht, aber die finden doch keinen. Na ja, der Torben hat da ein echtes Talent und gute Nerven, den werde ich wohl zu meinem Nachfolger ausbilden müssen.“

„Aber du weißt schon, dass der Junge zuerst einen Schulabschluss machen muss?“, werfe ich da mal ein.

„Ja und er ist da auch echt am Büffeln, das Opagetue vom Eberhard und die Arbeit hier in der Werkstatt tuen ihm echt gut.“

„Und dass er mir immer wieder Streiche spielt, gehört das auch zu dem Kapitel »tut ihm echt gut«?“

„Komm Dieter, jetzt sei doch nicht spießig, du weißt doch, was sich liebt, das neckt sich und dich liebt er eben am meisten.“

Na, das ist eine Liebe, auf die ich verzichten könnte! Also gut, ich hab ja auch einiges mit dem Jungen erlebt. Wir haben einmal zusammen Wäscheklammern von Balkonen geworfen. So als Wettkampf, ein Duell sozusagen.

Gut, das gehört nun nicht hierher. Also gehe ich doch lieber wieder nach oben. Timo, der auch mein offizieller Stellvertreter ist, nimmt mir es krumm, wenn ich mich, ohne mich abzumelden, zu lange im Haus herumtreibe. Im Treppenhaus treffe ich dann auch wieder auf unseren Handwerker, der am Boden kniet und mit einem Hämmerchen hier und da klopft.

„Was sellen des schunn werrer gäwwe?“ (Ich würde mich freuen, den Zweck dieser Tätigkeit zu erfahren), frage ich erstaunt.

„Ah wäschd, ich muss gugge wu genuch Madderial esch um die Dräächer vumm Ufzuch feschd zu mache“ (Ich ertaste die tragenden Strukturen, um später daran die statisch relevanten Teile des Außenlifts anzubringen), bekomme ich zur Antwort. Dann lass ich ihn mal machen.

In meinem Büro ist alles beim Alten, was bedeutet, dass Laura und Timo weiterhin in ihre Bildschirme vertieft sind. Timo schaut kurz auf, um mir zu sagen, dass Hansi auf einen Rückruf wartet. Wenn ich den Hansi anrufen soll, dann mach ich das eben.

„Schlempert, du Teufelskerl!“, legt er gleich los, bevor ich überhaupt zu Wort komme. „Wenn es um Mord geht, ist dein Riecher unübertroffen.“

„Jetzt bitte mal in einem Tempo, bei dem auch ich mitkomme“, trete ich auf die Bremse.

„Na, mit deiner Leiche, die bei Tahleischweiler-Fröschen. Ich habe den Claus von der Pathologie in Kaiserslautern noch einmal angerufen und die Gerinnungswerte von dem Toten überprüfen lassen, was prompt ein Volltreffer war. Der Mann war schon mindestens vierundzwanzig Stunden tot, bevor er von der Brücke gefallen wurde.“

„Hab ich dir nicht gesagt, dass da was nicht stimmt?“, freue ich mich. „Ich wusste doch gleich, dass da mehr dahinter steckt.“

„Na, da werden sich die Kollegen in Pirmasens aber freuen“, lacht Hansi, „jetzt haben die einen Mord an der Backe, den sie aufzuklären haben.“

Ach ja, da hat Hansi vollkommen recht. Das ist ja gar nicht mein Fall, da müssen sich die Pirmasenser Kollegen darum kümmern. Okay, dann lege ich wieder auf und kümmere mich um Raubüberfälle, Außenaufzüge, einen frustrieten Kfz-Mechatroniker und um die Presse.

Süßer die Schellen nie klingen!

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