Читать книгу Der wandernde Krieg - Sergej - Michael Schreckenberg - Страница 11

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Er erwachte mitten in der Nacht.

Viele Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ein zu Tode geängstigter Arzt gerade in Augen blickte, in denen er Wahnsinn zu sehen glaubte.

Viele Kilometer von einem anderen Ort entfernt, an dem eine junge Frau gerade mit grimmiger Entschlossenheit im Blick und einer Sporttasche über der Schulter die Tür eines Mietshauses hinter sich zufallen ließ.

Etwas war anders. Etwas beunruhigte ihn. Er versuchte zu ergründen, was es war, sandte seine Gedanken aus und fand nichts. Aber etwas stimmte nicht. Er erhob sich. War er zu träge gewesen?

Er hatte geglaubt, er habe Zeit. Aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er womöglich einen Fehler gemacht hatte. Wieder. Er zögerte eine Weile, aber er wusste, was er zu tun hatte. Wenn er nur gewusst hätte, warum.

Er wühlte in einer Kiste, und jeder, der einen zufälligen Blick durch das Fenster des Wohnwagens geworfen hätte, hätte geglaubt, dort einen arg heruntergekommenen Mann zu sehen, der planlos suchte. Die Tarnung war so sehr seine zweite Natur geworden, dass er nie davon abließ. Aber auch daran würde sich etwas ändern müssen. Wenn seine Befürchtung zutraf. Er holte die Kugel aus der Kiste und rieb einmal behutsam mit einem Zipfel seines T-Shirts darüber. Nicht, dass das irgendwie nötig oder von Bedeutung gewesen wäre, er hatte es sich nur im Laufe der Zeit angewöhnt. Es half ihm, sich zu konzentrieren.

Er setzte sich auf die schmutzige Matratze, schlug die Beine unter und legte die Kugel vorsichtig vor sich ab. Er versenkte sich in ihre Dunkelheit. Nach einer Weile glaubte er, das Heer zu sehen, viele Männer, die stumm und reglos seinen Blick erwiderten. Dann erschien hinter den Reihen etwas anderes. Etwas Rotes.

Er beugte sein Haupt und betete es an.

„Meister.“

Dann lauschte er. Antwortete. Lauschte wieder. Antwortete. Lauschte. Antwortete.

Später legte er die Kugel – nun wieder eine völlig klare Glaskugel – zurück in die Kiste. Dann zog er das schmuddelige T-Shirt und die fleckige Unterhose aus, ging in die Duschkabine des Wohnwagens und duschte zum ersten Mal seit Monaten. Er duschte lange. Er verließ die Kabine. Und während das Wasser schnell an seinem Körper trocknete, begann er sich zu rasieren, und das dauerte lange. Aber danach sah er so glatt und rosig aus und duftete so angenehm dezent nach Aftershave, dass niemand sich den struppigen Bart hätte vorstellen können, der noch vor kurzer Zeit in seinem Gesicht gewuchert hatte. Mit geschlossenen Augen, eine einfache Melodie summend, schnitt er freihändig seine üppige Haarpracht, bis aus der wilden Mähne eine gefällige Kurzhaarfrisur geworden war. Dann griff er in den Schrank und förderte neben weißer, frischer Unterwäsche eine sportliche, graue Baumwollhose, ein ebenfalls graues Polohemd, einen blauen Blazer, ein paar blaue Socken und helle Leinenschuhe zutage. Er zog sich rasch, aber ohne Hast, an. Aus einer Schublade kramte er eine Brieftasche und mehrere Kreditkarten, dazu etwa zehntausend Euro in bar und einen Autoschlüssel. Nach einem kurzen Moment des Überlegens legte er den Autoschlüssel wieder zurück, kramte noch ein wenig und wählte einen anderen. Er zog eine Reisetasche aus weichem Leder aus dem Schrank und füllte sie schnell mit Kleidungsstücken. Zuletzt nahm er die Kugel aus der Kiste, legte sie obenauf, schloss die Tasche und verließ den Wohnwagen, ohne sich umzublicken. Immer noch die Melodie summend ließ er den heruntergekommenen Campingplatz hinter sich, ging eine Zeitlang über Waldwege und kam dann zu einer Straße, der er folgte, bis er einen Parkplatz erreichte. Inzwischen dämmerte es. Er stieg in einen nachtblauen Volvo und fuhr davon.

In dem Moment, in dem er den Parkplatz verließ, ging der Wohnwagen in Flammen auf und verbrannte gänzlich, mit allem, was darin war.

Der wandernde Krieg - Sergej

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