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2. Ein alter Dämon kehrt zurück

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Der Johann verließ mit einem feschen Winterhut am Kopf gerade sein trautes Heim, als das ganze Übel seine Bahnen nahm. Ein Mann kam auf ihn zu gerannt und war dabei völlig aus dem Häuschen.

Es war der Kaufmann, der Greiler Walter, der keuchend zum Johann rief: „Komm mit! Du musst zum Ludwig! Sofort!“

„Ich bin ja eh schon am Weg ins Rathaus! Warum bist du noch nicht dort und rennst stattdessen wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend?“, antwortete er dem lieben Walter.

Dieser rang nach seinem Sprint quer durch Schöttau noch immer nach seinem Atem und meinte: „Nein, nicht ins Rathaus, du sollst zum Ludwig nachhause kommen! Es ist etwas passiert!“

Unser Johann runzelte die Stirn, zündete sich ein tabakhaltiges Lungenfrühstück an und fragte: „Jetzt? Was soll denn jetzt in aller Herrgottsfrüh schon Großartiges passiert sein? Ist er in seinem Rausch wieder die Stiegen hinuntergestürzt?“

„Nein! Komm einfach mit, dann wirst du es schon sehen! Der Pfarrer ist auch schon dort und der Brenner Karl holt den Grafen.“, antwortete der Kaufmann und drängte auf den morgendlichen Spaziergang zum Anwesen des Bürgermeisters.

„Ja, ja, gehen wir!“, brummte der Johann.

Als die beiden dann knapp vor ihrem Ziel waren, trafen sie auf den Grafen und den Brenner Karl, die beide ebenfalls hurtig durch die nebligen Gassen schritten.

„Guten Morgen, Herr Graf! Guten Morgen, Karl!“, grüßte sie der Johann.

„Schauen wir einmal, ob es ein guter Morgen wird.“, meinte der feine Herr Graf mit strenger Miene.

Still war es und kalt, fürchterlich kalt, der Wind war bissig, eisige Nadelstiche quälten ihre hübschen Gesichter und in ihren Augen konnte man ihnen noch den Rausch des letzten Abends ansehen.

Die vier Männer traten ins Haus ein und bewegten sich Richtung Stube, dort warteten nämlich bereits der Ludwig und der Pfarrer. Es war eine schöne, alte Bauernstube mit viel Holz, viel Rauch und wenig Licht.

In der Türschwelle angekommen, schmiss der Bürgermeister dem illustren Quartett einen Zettel zur Begrüßung zu und brüllte wie von Sinnen: „Da schaut, was mir jemand an die Haustüre genagelt hat!“

Knallrot war sein Kopf, leicht grauslich anmutende Schweißperlen tröpfelten fröhlich von seinem Gesicht hinunter und aus seinen beiden Sehorganen schimmerte die Angst hervor. Eine alte Angst, eine längst vergessene und äußerst böse Angst. Ja, ihr Bürgermeister hatte schon einmal besser ausgesehen, wenn auch nicht viel.

Der Johann hob das zerknüllte Schmierpapier auf und las laut vor, was darauf in Großbuchstaben stand: „ICH SCHLITZ DICH AUF, DU FETTE SAU!“

Er reichte den vermeintlichen Liebesbrief dem Grafen weiter, zündete sich noch eine Tabakstange an und sagte mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht: „Ein Lausbubenstreich! Und darum veranstaltest du zu dieser frühen Stunde so ein Theater?“

„Jetzt setzt euch alle einmal nieder! Der gute Ludwig ist da einer anderen Meinung.“, sprach der Pfarrer mit seiner rauchigen Stimme.

Sein Blick war wieder streng, sehr streng, aber das war er immer.

Die vierköpfige Morgenvisite kam den Worten des geistlichen Vaters nach und nahm auf den schönen Holzstühlen bei Tisch Platz.

„Das war kein Lausbubenstreich!“, schrie der beleibte Stadtchef und wollte, mit wilden Gesten untermalt, seine Sicht der Dinge erläutern.

„So!“, fuhr der edle Graf dazwischen und meinte weiter: „Ludwig, du trinkst jetzt einmal einen Schnaps und beruhigst dich schön dabei! Was soll es denn sonst sein?“

Unser lieber Ludwig griff nach einer Flasche Sliwowitz, die zufälligerweise schon am Tisch stand und genehmigte sich einen relativ großzügigen Schluck daraus. Nachdem die wohltuende Spirituose in seinem Saumagen schwamm, der ihm ja drohte, aufgeschlitzt zu werden, schien er wieder etwas gechillter zu wirken und rief: „Er ist zurück! Er will uns alle holen!“

Der Pfarrer ließ sich nicht lumpen, machte selbstverständlich bei der lustigen Schnapsverkostung am frühen Morgen mit und nachdem auch er einen überdimensionalen Schluck Sliwowitz intus hatte, meinte er: „Unsinn, Ludwig! Wir haben das doch alles vorher schon besprochen! Der Johann hat ihn im Dezember erschossen, der Schrecken ist längst vorbei!“

Nun meldete sich einmal der Brenner Karl zu Wort: „Genau so ist es! Ich bin ja an dem Tag dabei gewesen, als ihn der Johann erledigt hat, ein glatter Blattschuss, wie man es von ihm gewohnt ist.“

Dann lachte er, schnappte sich ebenfalls die mittlerweile schon gut geleerte Flasche und ließ den herrlichen Brand der blauen Früchte genussvoll über seine Lippen quellen.

Der aufgewühlte Ludwig schüttelte nur seinen roten Kopf und sagte: „Aber genau so hat es doch aufgehört! Zuerst hat er uns den ganzen Sommer über die schönsten Böcke weggeschossen und als ihn der Pichler Wilhelm in die Falle getrieben hat und ihn dabei fast geschnappt hätte, hat er ihm ins Knie geschossen und lachend gemeint, er erschießt uns alle, wenn wir ihn weiterhin verfolgen. Der Johann, der Graf und ich werden die Ersten sein, hat er zum Pichler gesagt.“

Da musste der Johann kräftig mit seiner Faust auf den Tisch pochen und sprach dabei ernst: „Ludwig! Ich habe den Wilderer am 3. Dezember erschossen, weit oben bei der Leitnermauer. Ein glatter Blattschuss, wie der Karl es richtig gesagt hat, der ist sofort tot gewesen. Und außerdem haben wir die Leiche dann verschwinden lassen, sonst hätte die ja noch einer von diesen angerannten Gästen gefunden.“

Pfarrer Pius nickte und sagte: „Nur unser Herr Jesus Christus konnte von den Toten auferstehen! Oder meinst du gar, dass der Wildschütz Jesus war? Das war doch nur ein verrückter Rabauke aus dem Ennstal oder droben aus Gosau. Niemand kannte ihn und niemand vermisst ihn. Niemand war hier und hat nach einem verschwundenen Kerl in schwarzem Lodengewand gefragt.“

Mittlerweile zeigte die verschnörkelte Kuckucksuhr in der Bauernstube halb acht an, der Johann sah dies, erhob sich und meinte dabei: „Wie gesagt, nur ein Lausbubenstreich! Und überhaupt, der Wilderer wollte uns doch erschießen und nicht aufschlitzen. Abgesehen davon, dass er schon seit Monaten tot ist. Da haben eben gestern ein paar Rotzlöffel heimlich Bier getrunken und sich dann den Blödsinn ausgedacht. Aber auf jetzt, wir müssen noch kurz in den Rathauskeller und alles fertig machen.“

Ja, der gute alte Rathauskeller, eine tolle Spelunke. Eigentlich war es ja ein schönes Gewölbe, in dem der Sagerer Ferdinand sein Bier ausschenkte und jeden Sonntag ein kleiner Umtrunk für die Männer nach der heiligen Messe veranstaltet wurde, damit die Frauen in Ruhe den Braten kochen konnten. Nur nagte schon ein wenig der Zahn der Zeit an dieser hippen Partylocation und die feuchte, abgestandene Luft mit erfrischender Bier- und Tabaknote, sorgte beim Betreten immer für einen kleinen Atemstillstand. Dafür war das Mauerwerk wirklich schön und die große Theke aus dunklem Holz hatte auch ihren Anreiz.

Bevor sich der Johann, der Ludwig, der feine Herr Graf, der Brenner Karl und der Greiler Walter dorthin auf den Weg machten, um eben wie erwähnt, alles herzurichten, denn das war Chefsache, sagte der Pfarrer mit erhobenem Finger: „Beeilt euch, in einer halben Stunde beginnt die Messe!“

Gebete für Sebastian Kurz gab es in diesen Tagen noch keine, aber die Messe war dennoch immer nett. Satte zwei Stunden, von acht bis zehn Uhr morgens, dauerte der sonntägliche Gottesdienst immer und fast eine Stunde davon, nahm die Predigt ein. Ein gottesfürchtiges Geschwurbel voller Pathos, Moral und Geschichten aus der guten, alten Zeit, in dem Pfarrer Pius immer voll und ganz aufging.

Da war es nur selbstverständlich, dass bei dem Frühschoppen im Anschluss, die Krüge weggingen wie sonst nur auf dem Münchner Oktoberfest. Natürlich war das damals schon weit über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. Und natürlich war der Johann auch schon mehrmals dort gewesen und war 1892 sogar mit dem ersten elektrisch betriebenen Fahrgeschäft auf dem Fest gefahren. Obendrein brachte er immer ein großes Fass Festbier mit nach Schöttau, das dann immer freudig verkostet wurde.

Wie bitte? Ja, der Graf durfte es immer anzapfen und bekam den ersten Krug. Der Johann dann den zweiten, der Ludwig den dritten, der Pfarrer den vierten, der Moosbacher Gustl den fünften, der Brenner Karl den sechsten, der Greiler Walter den siebten, der Doktor den Achten und der Lehrer Xaver bekam gar keinen, weil er ein Marxist war.

So zog auch immer ein klein wenig Oktoberfestfeeling nach Schöttau ein. Eine Besonderheit der damaligen Zeit, denn damals fand das Oktoberfest ausschließlich in München statt. Im Gegensatz zu heute, wo mittlerweile jedes schäbige Dorffest in der entlegensten Gegend ja eine „Wies’n“ ist. Jawohl, der Lederhosenballermann in Hinterschaßstetten, wer kennt ihn nicht? Ein „Festzelt“ mit reichlich Raiffeisenbanner und eine billige Saufband genügen und schon stopfen sich alle in ihre Pseudotracht. Wenn dann alle im Vollsuff auf der Bank herumhüpfen, geht die Gaudi dann richtig los. Bis der erste Kasperl das Gleichgewicht verliert und in die Bierkrüge katapultiert wird und ein anderer das trockene Grillhuhn von vorher unter den Tisch kübelt. Wirklich toll, dieses neugeschaffene Bild der wiederentdeckten Liebe zur kitschigen Heimatromantik. Na gute Nacht, aber jeder wie er will.

So, wieder einmal über die Gesellschaft hergezogen, wo waren wir?

Genau, beim Frühschoppen! Meine Güte, da bin ich aber jetzt abgedriftet. Egal, begeben wir uns nun endlich in den Rathauskeller.

Am großen Stammtisch saßen natürlich all unsere Freunde aus der Schöttauer Schickeria und diskutierten über das neue Hotel und vor allem deren Finanzierung.

Ja, es wurde gerade ein zweites Hotel gebaut und dessen Eröffnung war für Anfang Juli geplant. Nur haperte es noch am Geld, um es fristgerecht fertigzustellen.

Weil der Moosbacher Gustl so einen Erfolg mit seinem ersten Hotel hatte, baute man ihm, ohne lange zu überlegen, ein zweites, na Prost Mahlzeit.

Der Moosbacher Gustl war wirklich ein wirtschaftliches Genie. Sein Hotel war seit 15 Jahren von Mai bis Oktober restlos ausgebucht, aber dennoch wurden die Verluste von Jahr zu Jahr größer. Den Typen konnte man mit Geld zuschütten und im nächsten Augenblick war der ganze Zaster auch schon wieder spurlos verschwunden. Zu seinem Glück lag Schöttau recht ab vom Schuss und so blickte kaum einer in seine vorbildlich geführten Bücher. Falls doch jemand einmal daran Interesse bekundete, so wurde ihm prompt ein Riegel vorgeschoben, denn der feine und durchaus mächtige Graf hielt schützend seine Hände über ihn. Der Graf war auch sein größter Finanzier und hatte ihn schon ein wenig in Schladming unterschützt, wo sich der Moosbacher Gustl allerdings nicht mehr blicken lassen konnte. Auch der Johann, der Ludwig und der Pfarrer waren an der Finanzierung des neuen Hotels beteiligt. In letzter Zeit verschwanden sie zusammen mit dem Grafen für einige Tage und machten unten im Ennstal, in Graz und auch in Salzburg irgendwelche höchst schwindeligen Geschäfte. Der Brenner Karl war anfangs ebenfalls dabei, stieg aber dann bald aus, da ihm das Ganze zu heiß wurde.

Ihre fragwürdigen Deals interessierten auch den Xaver, der ihnen nachspionierte und da einen großen Skandal aufdecken wollte. Jedoch bekam der Johann bald Wind davon und klopfte dem Lehrer gehörig auf die Finger. Was da genau zwischen den beiden passiert war, kann ich euch leider nicht sagen. Ich weiß nur, dass der Xaver eines Tages plötzlich ein blaues Auge hatte. Von einer dummen Wirtshausschlägerei in Bad Mitterndorf, wie er meinte. Eine besoffene Geschichte also.

„Keine Sorge, nächste Woche trifft wieder eine nette Summe ein, dann wird das Hotel fertig gebaut.“, versicherte der Graf den restlichen Stammtischgästen.

„Perfekt!“, freute sich der Moosbacher Gustl und streckte seinen Krug in die Höhe.

Na, da kam wieder Freude auf! Nur der Ludwig wirkte noch ein wenig betrübt und nuckelte ungewöhnlich behutsam an seinem schönen Bürgermeisterkrug aus Ton mit dem Schöttauer Wappen darauf .

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Ludwig! Vergiss endlich den komischen Zettel von den Lausbuben.“, sagte der Johann und klopfte ihm dabei auf die Schulter.

„Und wenn es doch keine Lausbuben waren? Dann liege ich vielleicht morgen aufgeschlitzt auf der Straße!“, entgegnete ihm der Bürgermeister.

Der Johann schüttelte seinen Kopf und sagte: „Niemand wird hier aufgeschlitzt! Das waren sicher die Rotzbuben vom Jamminger Max, die machen immer so einen Unfug, das sind die gleichen Deppen wie ihr Vater. Weißt du was? Ich frage ihn jetzt.“

Unser Freund erhob sich, steuerte auf den Tisch zu, an dem der lustige Jamminger Max saß und sagte laut zu ihm: „Max! Haben deine Buben gestern etwas vom Bier gesoffen?“

Der Jamminger Max blickte ihn mit einer wunderbaren Gleichgültigkeit an und antwortete: „Was weiß ich, was die gestern getrieben haben. Wieso?“

„Dem Bürgermeister hat gestern jemand einen Streich gespielt, waren das vielleicht deine Buben?“, fragte Johann weiter.

„Kann schon sein, die treiben ja immer irgendeinen Schabernack, ihre Mutter hat sie total verzogen. Die sollten lieber öfters mit mir in den Wald gehen, als bei dem Trampel daheimbleiben.“, meinte der fröhliche Max.

Ui, diese Ehe schien perfekt zu sein, da flatterten ja direkt noch die Schmetterlinge in seinem Bauch.

„Hast du gehört, Ludwig? Das sind wahrscheinlich die Jamminger Buben gewesen!“, rief der Johann dem Bürgermeister zu.

Dieser nickte nur schwerfällig und trank von seinem Bier. So wirklich wollte er nicht daran glauben und er befürchtete weiterhin Schlimmes. Sein Kopf war noch immer knallrot und der appetitliche Schweiß plätscherte ebenfalls unaufhaltsam sein mitgenommenes Gesicht herab.

Dann ging der Johann zum Stammtisch zurück und setzte sich zum Brenner Karl.

„Na Karl, dein Erich und die Sagerer Marie? Musst du heuer gar zwei Hochzeiten ausrichten?“, fragte er ihn.

Der Brenner Karl lachte und antwortete: „Ja, ich habe ihn schon gefragt, er will erst im Herbst heiraten, weil es da romantischer ist, meint er. Aber mein Georg und deine Theresia werden auf jeden Fall am 6. August heiraten, das ist in den Stein gemeißelt.“

Oh, welch spannende Neuigkeiten, da werden also der Johann und der Brenner Karl bald miteinander verwandt sein, das passt doch!

Wie bitte? Wer der Brenner Karl eigentlich war?

Der Brenner Karl war im Prinzip so etwas wie Johanns kleiner Bruder, obwohl er ein halbes Jahr älter war. Wie der Johann war auch der Brenner Karl ein stattlicher Recke, auch wenn er vielleicht ein bisschen schlanker war und er ein paar Gramm an Muskelmasse weniger hatte.

Karl war immer der Zweite. Er war der zweitgrößte Bauer in Schöttau, er war der zweitbeste Schütze und er war immer als Zweiter auf den schwierigsten Bergen. Außer ein einziges Mal am berühmten Admonter Reichenstein, Johanns Schicksalsberg. Dort war der Johann einmal abgestürzt und hatte sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. Den Abstieg hatte dieser Teufelskerl aber dennoch ohne Hilfe geschafft.

Danach hatte er gehörigen Respekt vor diesem Berg, kehrte oft zurück, versuchte sich erneut an dem bleichen Felsgiganten, drehte aber immer an seiner Absturzstelle wieder um. Er war also doch nicht unbesiegbar, aber dies war auch seine einzige Niederlage.

Obwohl die beiden schon seit der Schule beste Freunde waren und sich immer als Brüder anstatt als Konkurrenten sahen, aber das mit dem Reichenstein hat sich der Brenner Karl einfach nicht verkneifen können.

Und so war er der Erste aus Schöttau, der da oben stand und nicht der Johann, wie sonst immer.

Auch wenn es der Johann nie zugab, aber die Aktion hatte ihn schwer getroffen.

Der Brenner Karl als erster Schöttauer auf seinem Schicksalsberg, in your face, wie man heute so schön sagen würde.

Außerdem war der Brenner Karl einer der wenigen aus der Schöttauer Schickeria, der sich gut mit dem Xaver verstand. Er unterstützte seine Ansichten nicht wirklich, fand sie aber dennoch interessant und die beiden diskutierten und philosophierten ab und zu bei einem guten Glas Wein über die Welt und alles andere.

Bevor wir schon wieder abdriften, begeben wir uns zurück in den Rathauskeller.

Dort sprang nämlich plötzlich die Türe auf und die edle Frau Gräfin trat herein. Sie wirkte ziemlich aufgebracht und eilte mit entsetzter Miene zu ihrem Göttergatten. Die schick gekleidete Adelige fuchtelte wild herum und schrie wie am Spieß, der feine Herr Graf konnte sie nur schwer beruhigen.

„Was ist denn?“, fragte der Johann.

„Eine Katastrophe! Kommt alle mit!“, kreischte die Gräfin.

„Liebste Irmgard, so beruhige dich doch endlich, die Leute schauen schon so komisch.“, sagte ihr mitfühlender Ehemann und strich ihr lieblich über die bleiche Wange.

In Wahrheit machte er sich aber mehr Sorgen um die komischen Blicke der anderen als um seine Gattin.

Die Gräfin wedelte mit ihrem Fächer, atmete tief durch und sprach: „Kommt mit, seht euch die Katastrophe selbst an.“

„Hat man euch einen Zettel an die Türe genagelt?“, fragte der Ludwig, der an diesem Tage selbst schon einen gehörigen Schrecken erlebt hatte.

„Viel schlimmer!“, meinte die feine Gräfin.

„Na dann gehen wir eben!“, sagte ihr Gatte und ergänzte: „Johann, Ludwig, Pius, Karl, Walter, ihr geht alle mit! Alfred und Peter, ihr ebenfalls, oder brauchen wir keine Gendarmerie, liebste Irmgard?“

„Natürlich brauchen wir die! Die Armee würden wir benötigen!“, quietschte sie.

„So schlimm wird es schon nicht sein.“, meinte der Johann.

„Erzähl uns doch einmal, was denn da passiert ist.“, sagte der noble Herr Graf zu der noblen Frau Gräfin, als sie am Weg zu ihrer feudalen Villa waren.

„Als ich vorhin von Kirche heimgekommen bin, habe ich schon beim Gartentor bemerkt, dass da etwas mit der Haustüre nicht stimmt.“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Übrigens, es ist wieder eine wundervolle Messe gewesen, lieber Pius.“

„Danke, danke! Solch löbliche Worte aus dem Mund einer so fantastischen Dame und einer so vorbildhaften Christin zu hören, ist eine wahre Wohltat in diesen Tagen. Gott schütze Sie.“, bedankte sich der Pfarrer.

„War die Türe denn aufgetreten? Hat wer bei uns eingebrochen? Nicht, dass sie mir mein italienisches Porzellan gestohlen haben.“, meinte der besorgte Graf.

Die hysterische Gräfin rang wieder mit den Tränen und antwortete: „Nein! Draufgenagelt haben sie uns etwas! Aber das werdet ihr bald sehen.“

„Jetzt geht es los! Wir werden alle sterben!“, rief der stets optimistische Bürgermeister.

„Unsinn Ludwig, niemand wird sterben.“, meinte der Johann und schüttelte dabei seinen Kopf.

„Dass dieser Tag kein guter wird, habe ich schon gespürt, als ich in der Früh das Fenster aufgemacht habe und mir diese eisige Luft ins Gesicht geblasen hat. Der Teufel hat in der Nacht seine Runden gedreht, das habe ich sofort beim ersten Luftzug gemerkt. Es hat nach Schwefel gerochen. Jawohl, der Höllenfürst persönlich geht um!“, sagte der Pfarrer.

Das mit dem Teufel war natürlich nur sein übliches Geschwurbel, aber der Pfaffe hatte schon recht, es war ein seltsamer Tag. Man hatte das Gefühl, es war noch November und nicht schon Anfang April. Neblig war es, so neblig wie schon lange nicht mehr, die Sicht reichte ja kaum mehr als einen Meter weit. Eine graue Walze, die in jedem Winkel Einzug fand und von einem eiskalten Lüftchen begleitet wurde. Ich frage mich nur, wie die werte Frau Gräfin bei diesem Nebel die Haustüre vom Gartentor aus sehen konnte, wie sie uns eben erzählt hatte. Ja, sie stand unter Schock und wir werden in Bälde wissen, ob das auch berechtigt war, oder ob sie maßlos übertrieb.

Die kleine Gruppe war der Villa schon sehr nahe, ein äußerst beschwerlicher Spaziergang bei diesem Wetter.

„Dieser verdammte Nebel wird ja immer dichter! Ich hoffe, wir verlaufen uns hier draußen nicht.“, sagte der Ludwig und der Johann entgegnete ihm: „So ein Blödsinn! Wir gehen ja nur zum Grafen und wandern nicht irgendwo in der Schweiz umher.“

Nach einigen weiteren zurückhaltenden Schritten in der Nebelsuppe, standen sie nun endlich vor der Haustüre und schauten alle dumm aus der Wäsche.

„Das ist ja ein Gamsbock!“, stellte der Graf richtig fest und fuhr mit seiner profunden Analyse fort: „Da hat uns wer den Kopf von einem Gamsbock an die Türe genagelt. Ja, Kruzifix!“

„Während wir alle in der Kirche waren! Ich habe es euch gesagt, der gefallene Engel treibt sich herum!“, ergänzte der Pfarrer und streckte ihnen seinen Zeigefinger ins Gesicht.

„Das ist ein Zeichen! Man wird uns alle holen!“, rief der Ludwig, der von dem kleinen Spaziergang noch immer völlig außer Atem war.

Der Empfänger des netten Geschenks wirkte viel gelassener als der Ludwig oder gar die vornehme Gräfin, die wieder Rotz und Wasser heulte und meinte nur: „Den Bock muss ja wer gewildert haben.“

„Freilich, oder glaubst du, dass sich der Bock selbst den Kopf abgeschnitten und ihn dann auf deine Türe genagelt hat? Jetzt haben wir schon wieder einen Wilderer, aber der wird genauso enden wie der Erste.“, sagte der Johann zu unserem adeligen Captain Obvious.

Alfred, der Gendarm, meldete sich jetzt einmal zu Wort, denn bei so einer Untat konnte der Gesetzeshüter nur schwer schweigen: „Sollen wir da ermitteln?“

Der Johann griff sich auf die Stirn und sagte: „Ihr zwei Vögel habt ja noch nie irgendwo ermittelt! Ihr sitzt ja nur in eurer bequemen Wachstube und spielt Karten!“

„Pass ja auf, was du da sagst!“, meinte der Alfred.

Der Johann sah ihn aber nur mit einem strengen Blick an und befahl: „Es ist besser, wenn ihr jetzt wieder von hier verschwindet. Und dass das klar ist, die Angelegenheit regeln wir wieder selbst. Ach ja, ihr habt hier nichts gesehen.“

„Was hätten wir bei diesem Nebel auch sehen sollen?“, fragte der Alfred, ehe er mit seinem ähnlich motivierten Kollegen in der grauen Trübung verschwand.

„Ich brauche sofort einen Schnaps, sonst überlebe ich den Tag nicht.“, sagte der verschwitzte Ludwig zum Grafen und der Pfarrer schloss sich diesem Wunsch natürlich an: „Ich auch!“

„Sauft nicht immer so viel, wir brauchen einen klaren Kopf! In drei Wochen werden wieder mehr Gäste kommen und da können wir so einen Wildschütz nicht gebrauchen! Letztes Jahr haben das die Leute noch lustig gefunden, aber es wirft kein gutes Licht auf uns, wenn dauernd irgendwelche Wilderer durch unser Land ziehen.“, meinte der überhaupt nicht erfreute Johann.

„Da hat er recht.“, sagte der Graf und fragte noch: „Was sollen wir denn da jetzt machen?“

„Du lässt nun einmal von deinen Leuten den depperten Kopf da entfernen. Und wir machen uns auf die Suche, irgendwo wird ja schließlich noch der Rest von dem Vieh herumliegen.“, antwortete der Johann.

„Ist das derselbe gewesen, der dem Ludwig den komischen Zettel geschrieben hat, oder waren das doch nur die Jamminger Buben und das hier mit dem Gamsbock ist das Werk von einem Verrückten?“, fragte der Graf.

Da war sich niemand zu hundert Prozent sicher, aber einen Zusammenhang hielten doch alle für wahrscheinlich.

Nun standen sie vor dem Gamskopf, die mächtigsten Männer aus Schöttau, und blickten ungewohnt ratlos drein. Normalerweise waren sie Weltmeister darin, ungute Sachen relativ unkommentiert unter den Teppich zu kehren. So wie man das eben in Österreich macht, aber irgendetwas war dieses Mal anders.

Während das böhmische Personal des Grafen den ungustiösen Kopf von der Türe entfernte, sagte der Johann: „Karl, du gehst in die Stadt und trommelst alle Jäger zusammen, jeder mit Gewehr natürlich. Wir gehen dann rauf und suchen die tote Gams. Vielleicht finden wir bei ihr brauchbare Spuren, die uns zu dem Wilderer führen. Dann könnten wir heute den ganzen Spuk beenden, bevor noch mehr passiert.“

Der gute Ludwig konnte dem nur zustimmen: „Ja, weil sonst schlitzt er mich morgen auf und nagelt mich ans Kirchentor.“

Die Angst blitzte ihm noch immer aus den Augen, aber der Pfarrer stellte mit erhobenen Zeigefinger klar: „An mein Kirchentor nagelt niemand etwas!“

Einzig der Graf machte sich andere Sorgen: „Bei dem Wetter wollt ihr auf den Berg gehen?“

„Wir haben keine andere Wahl, es ist Krieg!“, sagte der Johann mit einem fahlen Blick.

Na bitte, da gesellt sich doch glatt das uralte Duell Jäger gegen Wilderer zu unserer famosen Story hinzu, ein Traum!

Ich bin ja wahnsinnig darüber erfreut, dass uns dieses Thema nun begleiten wird. In jedem guten Heimatepos muss sich der fleißige Jägersmann mit dem bösen Wildschütz duellieren, jawohl!

Der Johann war über diese Situation nicht so erfreut wie wir, immerhin hatte sich vor einem Jahr genau dieselbe Problematik schon einmal aufgetan. Sehen wir uns die Geschichte vom Vorjahr einmal genauer an.


Schöttau - Ein Heimatdrama

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