Читать книгу Schöttau - Ein Heimatdrama - Michael Schwingenschlögl - Страница 8
6. Das alte Jagdgewehr
ОглавлениеDer nächste Tag brach heran, noch bevor die Sonne ihre ersten goldenen Strahlen in das verschlafene Tal werfen konnte, wusste man, dass es mit dem Winter nun endgültig vorbei war. So grausig, kalt und nebelig der Tag davor gewesen war, desto schöner sollte nun dieser werden. Kein Wölkchen zog über das Himmelsgewölbe, die Temperaturen kletterten unaufhaltsam empor und das brennende Gestirn am Firmament zauberte jedem ein quickfideles Lächeln ins hübsche Gesicht.
So auch dem lieben Johann, der es sich nicht nehmen ließ, sein Frühstück auf der Bank vor seinem Hof zu sich zunehmen. Mit der wohltuenden Sonne im Gesicht und dieser herrlich duftenden Frühlingsluft in der Nase schmeckte ihm sein Honigbrot gleich doppelt so gut. Wohl gestärkt und wetterbedingt noch besser gelaunt machte er sich auf den Weg zum Brenner Georg.
Ich glaube, er war zuvor noch nie so fröhlich auf Wildererjagd gegangen, jetzt kamen seine Tage, das konnte er spüren.
Auch der Brenner Georg war in bester Frühjahrslaune, als er den Johann am Gartentor begrüßte.
Ach, der Georg, der war schon ein feiner Bub, da konnte der Karl stolz auf ihn sein. Er war der Ältere zweier Brüder und kam ganz nach seinem Vater. Am Hof und auf der Alm wirkte er fleißig mit und sein alter Herr führte ihn schon früh in die Jagd und in den Alpinismus ein. Ich würde behaupten, von allen Jungspunden im Schöttauer Tal, war der Georg der Tüchtigste und Tapferste.
Zwei Jahre zuvor, also im Jahre 1897, genauer gesagt im August 1897, lud er die Theresia, Tochter vom Johann, am Kirtag zu einem Tanz ein.
Der Kirchtag in Schöttau war auch immer besonders fein. Die Blaskapelle spielte die größten Hits der damaligen Zeit, dazu wurde getanzt, gesoffen, gefressen und gelacht, herrlich! Feinste Grillspezialitäten wurden serviert und ein eigens für diesen Tag gebrautes Bier ausgeschenkt. Der Pfarrer, der Graf, der Ludwig und der Johann hielten umwerfende Reden und die alten Peitschenknaller traten natürlich auch noch auf, ein Traum! Zuvor gab es natürlich noch eine vierstündige Messe, die Pfarrer Pius immer besonders zelebrierte.
Wie gesagt, am Kirtag im Jahre 1897, tanzte der Georg mit der Theresia, nach dem Tanz küssten sich die beiden, dann verliebten sie sich und ein Jahr später verlobten sie sich. Wie wir ja schon wissen, sollte dann am 6. August 1899 geheiratet werden.
Ja, die zwei waren ein Traumpaar! Die Tochter vom mächtigsten Bauer im Tal und der Bub vom zweitmächtigsten Bauer im Tal, perfekt, was will man mehr?
Damals war das mit der Liebe auch noch viel einfacher. Wenn einem Mann ein Mädel gefiel, dann tanzte er mit ihr, dann küssten sie sich irgendwann, darauf gab es die Verlobung und schlussendlich folgte die Hochzeit. Natürlich nur, wenn der Vater der Braut damit einverstanden war. In Schöttau musste man sich außerdem immer noch den Segen vom Johann holen, aber bei seiner Theresia und dem Buben von seinem besten Freund, war er selbstverständlich sofort einverstanden und davon begeistert. Es war seinerzeit wirklich viel leichter, man musste nicht ewig auf WhatsApp hin und her schreiben, sich keine Gedanken machen und keine komischen Pseudoregeln befolgen. Und die Ehen hielten alle, keine Spur von Scheidungen und Patchworkfamilien. Warum ist so etwas Einfaches wie die Liebe nur so kompliziert geworden? Weil damals alles noch einfacher war, wie ich diese Zeiten nur vermisse. Unsere Gesellschaft wurde ruiniert durch die sozialen Medien und das Internet generell, den Kapitalismus, die Globalisierung, den Zusammenbruch der Monarchie…
Wie bitte? Ich schweife schon wieder ab? Sorry!
Gut, zurück zu unseren beiden Freunden Johann und Georg, denn die genossen gerade einen herrlichen Tag am Berg, obwohl sie einen Wilderer aufspüren mussten. Als die zwei nach einer anstrengenden Wanderung durch den patzigen Schnee einen wunderbaren Aussichtspunkt erreichten, legten sie eine kurze Pause ein.
Der Johann war in diesem Moment glücklich, richtig glücklich. Obwohl ihm seine Familie und auch jede andere Figur in Schöttau sehr viel bedeuteten, das Glück, das einzig wahre Glück, das reine Glück, fand er immer nur oberhalb von 1500 Metern über dem Meer. Dort oben, wo die schroffen Felsdornen begannen, sich in den Himmel zu schrauben, erstreckte sich sein Paradies. Hier war seine eigentliche Heimat. Hier gingen all seine Gedanken verloren, hier verschmolz sein Körper mit dem Berg und sein Geist mit dem schier unendlichen Horizont. Hier war er endlich frei. Hier heroben war er endlich der Enge des Tals entflohen, diese verdammte Enge. Auch wenn der Aufstieg oft so mühsam und schweißtreibend wie das Leben war, hier heroben gab es keine Lasten am Buckel. Keinen Kummer, keine Sorgen, nichts, nur er und der Berg. Er und der über alles und jeden erhabene König Dachstein, dessen steinerne Krone weit über alle Lande hinausleuchtete.
Je höher es ging, je schwieriger und einsamer es wurde, je archaischer sich ihm die Natur wiedergab, desto mehr tauchte er in die absolute Freiheit und in das glasklare Meer des Glücks ein.
Er blickte den mächtigen König voller Ehrfurcht an, der Johann. Still war es, nur der sanfte Wind war noch zu hören.
Nachdem der Johann diesen Moment ein wenig auf sich wirken hatte lassen, klopfte er dem Georg auf die Schulter und tat etwas, das er schon lange nicht mehr getan hatte: Er lud ihn ein.
„Weißt du was, Bub? Kurz vor der Hochzeit unternehmen wir beide ein großes Bergabenteuer. Wir könnten auf den Großen Ödstein im Gesäuse gehen, auf den Hochkönig oder gar auf den Watzmann.“, sagte er zum Georg.
„Liebend gerne! Das würde mich sehr freuen!“, antwortete der sichtlich begeisterte Georg und dann sagte er etwas, das den Johann innerlich schwer traf. Aber der Junge wusste es nicht, weil es zwölf Jahre zurücklag und niemand in Schöttau darüber jemals wieder ein Wort verlor: „Weil du das Gesäuse erwähnt hast, könnten wir doch aufs Hochtor gehen. Du gehst ja schließlich jedes Jahr zweimal dort hinauf, ich würde gerne einmal dabei sein.“
Ja, der Johann ging seit dem Jahr 1887 zweimal jährlich aufs Hochtor und war auch schon davor öfters am höchsten Berg der Ennstaler Alpen.
Aber warum bestieg er diesen Gipfel jedes Jahr zweimal?
Das wusste der Georg eben leider nicht.
Am 8. Juni 1887 wollten der Johann mit seinem beiden jüngeren Brüdern, dem Felix und dem Helmut, aufs Hochtor. Seine jüngeren Geschwister waren zwar auch gerne in den Bergen unterwegs, beide waren aber keine so guten Alpinisten wie ihr ältester Bruder. Immer wieder erzählte der Johann vom Gesäuse, vom Haindlkar, vom Johnsbachtal und vor allem vom Hochtor. Sie wollten dort auch hinauf und der Johann nahm sie eines Tages mit.
Der Felix und der Helmut gingen am Seil, der Johann allein. Er stieg voraus, sprang voller Freude wie eine Gams die imposanten Wände empor, weiste den Weg und seine Brüder stiegen ihm freudig und in flottem Tempo nach. Es war wohl ihr schönstes Erlebnis am Berg. Alles war perfekt, das Wetter, der Stein, die Aussicht und das Gefühl, das in einem hochkommt, wenn ein langersehnter Traum endlich wahr wird.
Zwei entsetzliche, schon fast aus dem Jenseits hallende Schreie waren es, die der Johann nie mehr wieder vergessen konnte. Der jüngste Bruder, der Felix, stürzte ab und riss den mittleren Bruder, den Helmut, mit in den Tod. Johann schloss in jenem Moment seine Augen und wusste sofort, was unter ihm passiert war, dass es keine Chance mehr gab, dass seine Brüder nicht mehr waren. Fassungslos und geistleer starrte er für eine halbe Ewigkeit in die Tiefe. Er konnte spüren, wie der Berg immer kälter und der Himmel immer dunkler wurden. Unter ihm gab es kein Leben mehr, nur noch ein abscheuliches Felsengrab und einen noch viel abscheulicheren Abgrund. Die Zeit stand irgendwie still, wieder steckte in dem sanften Lüftchen, das ihm ins Gesicht blies, der Hauch des Todes. Wieder hatte er zwei Bergkameraden verloren, aber dieses Mal waren es seine beiden geliebten Brüder.
Es dauerte einige Zeit, bis er wieder bei Sinnen war. Als sich sein Geist aufgerappelt hatte, kletterte er zu den beiden Leichen hinab, barg und beerdigte sie in Schöttau.
Seitdem ging der Johann jedes Jahr zweimal auf den 2369 Meter hohen Berg, einmal für Felix und einmal für Helmut.
Aber es war nicht wie beim benachbarten Admonter Reichenstein, dass der Johann Angst vor diesem bleichen Felskoloss bekam. Das Hochtor schenkte ihm jedes Mal Kraft und eine unbeschreiblich tiefe Verbundenheit zu seinen Brüdern. Und er wusste auch, dass es nicht seine Schuld war. Es war ein Felsgriff, der sich lockerte und den Felix und den Helmut in die Tiefe stürzte, es war Schicksal. Auch macht er sich nie Vorwürfe, dass er nicht mit ihnen am Seil ging. So waren sie schneller und der Johann konnte in Ruhe den besten Weg für sie suchen. Unfälle passieren, es war keine Hybris, die ihnen das Leben kostete, sie wussten genau, was sie taten. Wäre der Johann nicht zu hundert Prozent überzeugt gewesen, dass seine Brüder es schaffen würden, hätte er sie nie mitgenommen.
Das war auch das letzte Mal, dass der Johann jemanden auf eine seiner großen Touren mitgenommen hatte, von da an ging er immer nur noch allein.
Anscheinend war er aber nun wieder bereit für einen Partner und dieser sollte sein künftiger Schwiegersohn sein, nur sollte sie ihre Tour nicht aufs schöne Hochtor führen.
„Wir gehen auf die Bischofsmütze im Gosaukamm, einer der schönsten Berge unserer Alpen und die perfekte Herausforderung für uns.“, sagte der Johann und war dabei mir seinen Gedanken wieder bei seinen Brüdern.
„Großartig, da wollte ich schon immer einmal hinauf! Ich freue mich schon sehr darauf!“, antwortete der erfreute Georg.
Nachdem das geklärt war, marschierten die beiden weiter. Sie kamen der gewünschten Stelle immer näher und der Johann zauberte seinen stilvollen Feldstecher hervor.
„Das sind Spuren! Los, hinauf!“, sprach er.
Der Johann und sein künftiger Schwiegersohn hasteten wie der Wind nach oben.
„Schauen wir einmal, wo sie uns hinführen werden.“, meinte der Johann, als sie endlich die Abdrücke im Schnee erreichten. Die Spuren schienen von der Krauter Alm zu kommen, doch sie führten dann nicht weiter zum Gipfel des Kirchenkogels, sondern zweigten kurz vorher Richtung Großer Zinkenstein ab.
„Sie leiten uns in die Südschlucht!“, erkannte der Johann flugs und sprach weiter: „Wollen wir das riskieren? Ein schwieriger Weg unter noch schwierigeren Bedingungen. Das Wetter ist uns heute zwar hold, aber die Lawinengefahr ist dort keine geringe. Nur wenn du dich dabei absolut sicher fühlst, will ich mit dir diesen Weg einschlagen.“
Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, antwortete der Georg zuversichtlich: „Auf jeden Fall! Lass uns einen Wilderer jagen!“
Hurtig folgten sie den Spuren weiter, was manchmal gar nicht so einfach war, da sie über Felsen führten und stellenweise vom Wind schon stark verblasen waren. Ein langer, beschwerlicher Weg, den sie aber mit Bravour meistern konnten und dann standen sie vor der bedrohlichen Südschlucht am Großen Zinkenstein. Mit Vorsicht und Bedacht, aber dennoch zügig, stiegen die beiden in den gefährlichen Abgrund ab und nach einiger Zeit entdeckte der Johann an deren unterm Ende zwei braune Flecken.
Nach einer Betrachtung mit seinem Binokular meinte er: „Das sind sie! Zwei tote Böcke, denen der Kopf fehlt. Komm, wir sehen uns das genauer an.“
Immer wieder blickte der Johann während des Abstiegs nach oben, um nach potenziellen Lawinen Ausschau zu halten. Obwohl die riesigen Schneewechten Furcht gebietend, aber auch gleichzeitig irgendwie eindrucksvoll und majestätisch über ihnen hingen, hatten sie an diesem Tag Glück. Der weiße Tod war ausnahmsweise gnädig und verschonte die beiden.
Als sie dann den Tatort erreichten, fühlte sich der Johann sofort ans Vorjahr erinnert. Beide Böcke wurden selbstverständlich mit einem Blattschuss erlegt. Was waren die Wilderer doch nur für gute Schützen, der Johann hätte es nicht besser gekonnt. Der einzige Unterschied zum letzten Wildschütz war, dass diesen zwei Gamsböcken der Kopf abgetrennt wurde. Wo die beiden Häupter dann gelandet waren, wissen wir ja schon längst. Bei der näheren Begutachtung der leblosen Körper merkte der Johann, dass sie ein für diese Zeit ungewöhnlich großes Einschussloch hatten. Die Viecher wurden mit einer Jagdwaffe gewildert, die gut 50 bis 60 Jahre früher bei der Jagd im Einsatz war.
„Das muss dasselbe Gewehr wie letztes Jahr sein. Ich habe die Bilder noch genau vor meinen Augen und ich erkenne beim besten Willen keinen Unterschied.“, sagte der Johann und wirkte dabei sehr verwundert.
Die Rätsel wurden immer mehr, nur blieben die Antworten aus, und das quälte den Johann sehr.
Nach einer kurzen Pause, bei der er in seinen Gedanken versank, meinte er weiter: „Wenn ich ihn nicht im Dezember erschossen hätte, würde ich glauben, dass der gleiche Wilderer wieder zurückgekehrt ist. Unser jetziger Wildschütz trifft so gut wie der Alte und das Gewehr scheint ebenfalls ident zu sein. Seit wann sind diese Wilderer solche Meisterschützen? Mit dem alten Prügel solche Schüsse zu machen, ist fast schon eine Kunst. Ich verstehe das alles nicht, ich verstehe es absolut nicht.“
Der Georg grübelte ebenfalls kurz und dann fragte er: „Was habt ihr denn mit dem Schießeisen von dem Deppen gemacht?“
„Dein Vater wollte es mit ihm in die Doline bei der Leitnermauer werfen, aber es ist ein schönes, altes Jagdgewehr aus einer Bozner Werkstatt, das wohl recht wertvoll ist. Dieses Prachtstück in das tiefe Loch zu werfen und es für alle Zeiten verschwinden zu lassen, wäre äußerst schade gewesen. Deshalb habe ich es mit ins Tal genommen und am nächsten Tag in unserer Jagdhütte auf der Krauter Alm versteckt.“, antwortete der Johann.
„Die Krauter Alm, von dort schienen ja die Spuren zu kommen, denen wir bis hierhin gefolgt sind.“, meinte der Georg.
Der Johann nickte und murmelte nachdenklich: „Ja, von dort kamen sie.“
„Wer weiß aller, dass die Büchse dort versteckt ist?“, fragte sein künftiger Schwiegersohn.
„Eigentlich nur der Graf und ich. Und jetzt auch du.“, sagte der Johann.
Der Brenner Georg wirkte etwas überrascht und fragte: „Und mein Vater? Weiß er etwa gar nichts davon?“
Da musste der Johann lachen und meinte: „Nein, er wollte es nicht aufheben, weil er Angst hatte, dass es jemand bei uns finden und unangenehme Rückschlüsse ziehen könnte. Ich habe ihn dann beruhigt und gesagt, dass ich es im Waldsee versenkt habe. Du verrätst ihm doch nichts von unserem kleinen Geheimnis, oder? Sonst lässt ihm das keine Ruhe und seine unnötigen Sorgen kommen wieder auf.“
Da musste jetzt auch der Georg lachen und sprach: „Ich werde schweigen wie ein Grab! Ach ja, warum weiß der Graf eigentlich darüber Bescheid?“
„Wie gesagt, das Gewehr dürfte wertvoll sein und der Graf kennt sich mit diesen Dingern sehr gut aus. Ich habe es ihm gezeigt und er hat gemeint, dass er jemanden in Bern kennt, der uns dafür gutes Geld bezahlen wird.“, antwortete der Johann.
Damit wir nicht noch mehr langweilige Dialogszenen haben, fasse ich die weitere Geschichte zusammen. Einverstanden? Perfekt!
Ihr fragt euch jetzt sicherlich, ob sich der alte Schießprügel noch immer in der Jagdhütte auf der Krauter Alm befand.
Tja, das werden wir in Bälde erfahren, da der liebe Johann vorhatte, dort am nächsten Tag nachzusehen.
Unsere zwei Freunde packten dann die beiden kaputten Gamsböcke und folgten den mysteriösen Spuren talwärts. Der Weg war weiterhin kein einfacher, aber wenigstens waren die schauderhaften Schneewechten über ihnen verschwunden. Sie stiegen hurtig ein bezauberndes Kar ab, nur hatten sie für die malerische Umgebung keine Augen, denn die waren stets auf die geheimnisvollen Tritte im Schnee gerichtet. Einige Zeit lang konnten sie sie noch problemlos verfolgen, aber als sie in den Wald kamen und der Schnee dort mit den schwindenden Höhenmetern linear immer weniger wurde, verloren sie die Spuren irgendwann aus den Augen.
Eines schien aber klar zu sein: Der Wildschütz dürfte nach Schöttau, oder zumindest in dessen Richtung gegangen sein.
War der garstige Bursche gar einer ihrer eigenen Leute?
Dieser Gedanke plagte auch den Johann, aber er konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.
War es denn dann ein Gast? Wollte der Wilderer eine falsche Fährte legen?
Wie bitte? Richtig, die Gamsköpfe tauchten dann in Schöttau auf, von daher ist es nur logisch, dass die Spuren dort hinführten. Aber wenn ich ein paar geheimnisvolle Fragen in den Raum werfe, dann kommt gleich viel mehr Spannung auf. Und wer sagt denn überhaupt, dass der Wilderer direkt mit den Köpfen in unsere Lieblingsstadt gezogen ist? Na eben!
Weil wir gerade bei Spannung und Fragen sind, schauen wir kurz zur Krauter Alm.
Eine uralte Jagdhütte aus dunklem Holz, die aber sehr gut gepflegt wurde und sich in einer wildromantischen Lage am Waldesrand befand. Drinnen war nicht viel los. Ein paar Bilder vom Erzherzog Johann und vom Kaiser Franz Joseph hingen an den Wänden, dazwischen natürlich einige Geweihe. Zwei kleine Betten standen auch noch dort drinnen sowie ein Tisch, ein paar Stühle und ein gut gefüllter Schnapskasten. Die lieben Jäger brauchten schließlich damals schon ihr Zielwasser.
Aber nun zum Wesentlichen: War das Schießeisen also noch in der eben beschrieben Jagdhütte? Was fand der Johann, als er am Tag darauf das geheime Versteck im Boden öffnete?
Nichts, die edle Donnerbüchse war verschwunden. Jetzt wurde ihm auch endgültig klar, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Wildschützen gab.
Er setzte sich auf die Bank vor der Hütte, trank einen Schnaps, zündete sich eine Zigarette an und dachte nach. Sehr lange dachte er nach, die Zeit und die Gedanken schwammen davon, aber Erklärungen fand er keine.
Woher hatte der neue Wilderer von dem Gewehr gewusst? Welche Rolle spielten der Graf und vor allem der Pfarrer in dieser rätselhaften Geschichte? Warum bekam der Ludwig diesen Zettel an die Türe genagelt? Sollten noch mehr Köpfe und Zettel folgen? Was war bloß die verdammte Verbindung zwischen den beiden Wilderern? War der Neue auf einem Rachefeldzug?
Die Fragen in seinem Kopf wurden immer mehr und die Antworten immer weniger.
Erst nachdem ein paar Stunden vergangen waren und die Sonne eindrucksvoll in einem orangen Schleier hinter den Bergen verschwand, kam ihm eine der wichtigsten Fragen in den Sinn: „Wie kann ich ihn ausfindig machen und ihn stoppen?“
Der Johann war am Dienstag in der Jagdhütte, am Mittwoch passierte nicht viel, am Donnerstag noch weniger und am Freitag war es soweit, der Graf kam zurück.
Allerdings kam er nicht allein, sondern hatte einen ganzen Konvoi von Arbeitern, Baumaterialien und Möbel mit im Gepäck. Offenbar waren seine Geschäfte ein voller Erfolg gewesen und das neue Hotel konnte jetzt endlich fertiggebaut werden.
Der Moosbacher Gustl war vor lauter Freude über den Geldregen komplett aus dem Häuschen und gönnte sich zur Feier des Tages einen seiner besten Weine.
Auch der Ludwig war entzückt und hörte schon die Schöttauer Kassen unaufhaltsam klingeln.
„Jetzt geht es bergauf!“, meinte der feine Herr Graf zum überglücklichen Bürgermeister.
Die gesamte Stadt war hell erfreut über die Rückkehr des Grafens und das viele Geld, das er mitbrachte. Alle waren sie auf den Straßen und jubelten dem Adeligen und den vielen Arbeitern zu.
Das zweite Hotel sollte noch viel größer und luxuriöser als das Erste werden. Drei Bars waren geplant, ein großes Restaurant und einen schönen Wintergarten konnte man sich nun auch noch dazu leisten.
„Wir werden alle reich!“, quietschte der vergnügte Ludwig, als die Arbeiter sofort Hand am Bau anlegten.