Читать книгу Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller - Michael Vahlenkamp - Страница 18
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Оглавление»Komme so bald wie möglich wieder zurück«, mahnte Herold. »Eigentlich brauche ich dich auch hier.«
»Ja, ja.«
Jacob war schon fast weg, froh mal fortzukommen. Bei der normalen Mühlenarbeit konnte er zwischendurch wenigstens mit Friedhelm herumulken, aber da der für die Reparaturarbeiten nicht zu gebrauchen war, hatte Herold ihn vorerst nach Hause geschickt.
Jacob sollte wieder eine Besorgung in der Stadt machen. Herold hatte ihm etwas von dem Geld mitgegeben, das sie sich von Herrn von Elmendorff geliehen hatten und ihm aufgetragen, was er kaufen sollte. Also schmiss sich Jacob seine Hasenfelltasche über die Schulter und machte sich auf den Weg.
Doch keine hundert Schritte von der Mühle entfernt kamen ihm ein Mann in den Vierzigern und zwei jüngere Kerle, die diesem sehr ähnlich sahen, entgegen. Was wollten die hier? Sie alle guckten grimmig, und sie sprachen miteinander, als sie ihn erblickten.
Schließlich standen sie sich gegenüber.
»Ist er das?«, fragte der Ältere. Er war nicht viel größer als Jacob, aber sehr kräftig gebaut.
Der Kerl zu seiner Linken nickte. Er und der andere waren wohl ein paar Jahre jünger als Jacob. Sie hatten die typische schmächtige Statur von Heranwachsenden.
»Wer soll ich sein?«, fragte Jacob. Er kannte weder den Älteren noch seine Söhne. Was sollte er mit ihnen zu tun haben?
Anstatt zu antworten, stellte der Ältere ihm eine Frage.
»Kennst du meine Tochter Clara? Ungefähr so groß,« er zeigte eine Höhe mit der flachen Hand, »braunes, langes Haar.«
An Clara konnte Jacob sich allzu gut erinnern. Aber er hatte das Gefühl, dass es besser war, sie erst mal nicht zu kennen.
»Hm, sagt mir nichts. Wieso?«
»Meine Söhne hier sagen aber, dass du es bist, den sie meint. Vor einigen Wochen hast du mit ihr auf dem Markt angebändelt.«
Jacob zuckte mit den Schultern. Er hatte zwar mit Clara ein paar äußerst süße Stunden verbracht, doch das war nicht gerade etwas, das man ihrem Vater und ihren Brüdern anvertraute.
»Tut mir leid, dass ich euch da nicht weiterhelfen kann.«
Er wollte weitergehen und die drei einfach stehenlassen, aber der Alte packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest.
»Wir sind noch nicht fertig, Jungchen. Clara ist schwanger.«
Ach, du Scheiße, das fehlte ihm noch.
»Äh - das war ich nicht.« Er merkte selber, wie dumm das klingen musste. »Kann sein, dass ich ihr auf dem Markt begegnet bin, aber wir haben nur kurz miteinander gesprochen.«
»Clara sagt aber, dass du der Einzige bist, mit dem sie je zusammengewesen ist. Du musst dazu stehen, sie heiraten und sie und das Kind versorgen.«
»Nie und nimmer! Ich bin nicht der Vater des Kindes.«
Jacob erinnerte sich, dass er Clara entjungfert hatte. Doch das hieß ja nicht, dass sie nicht hinterher etwas mit anderen Männern gehabt hatte.
»Clara behauptet es aber.«
Verdammt noch mal, wie kam er hier bloß wieder heraus?
»Vielleicht lügt sie ja. Kann doch sein, dass sie sich an mich vom Markt her erinnert und dass sie mit jemanden zusammen war, den sie nicht kennt, oder der nicht von hier ...«
Weiter kam er nicht. Claras Vater packte ihn erneut an der Jacke und schüttelte ihn so, dass seine Tasche herunterfiel und der Inhalt auf dem Boden verteilt wurde.
»Willst du damit sagen, dass meine Tochter eine Hure ist?«, schrie er Jacob an. »Du verdammter Weiberheld. Du bist genau so ein Halunke, wie dein Vater früher war.«
Er holte weit aus und verpasste Jacob eine schallende Ohrfeige, sodass er zu Boden ging. Der Mann packte ihn erneut und zog ihn wieder hoch.
»Was ist hier los?«, hörte Jacob unvermittelt hinter sich Herolds Stimme.
Einmal mehr kam sein Bruder im rechten Moment.
Claras Vater lockerte den Griff und sah zu Herold.
»Was geht dich das an?«, fragte er.
Herold nickte in Jacobs Richtung und kam näher.
»Ich bin sein Bruder, und wenn du ihn angreifst, geht mich das sehr viel an. Lass ihn los.«
Die beiden Jungen wichen ängstlich vor Herolds hünenhafter Gestalt zurück und der Vater ließ Jacob los. Es schien, als wollte er etwas zu Herold sagen, tat es dann aber doch nicht. Offenbar hielt er momentan alle Mühe für vergebens.
»Für heute lass ich es darauf beruhen. Aber so lange du nicht zu deinen Taten stehst, solltest du dich gut umsehen, wenn du alleine unterwegs bist«, sagte er zu Jacob.
Er winkte seinen Söhnen und sie gingen fort.
»Was sollte das bedeuten?«, fragte Herold.
Jacob bückte sich und suchte seine Schreibutensilien zusammen, die auf dem Boden verteilt waren.
»Keine Ahnung, die müssen mich verwechseln.«
Mit der Wahrheit nahm er es ja nie so genau, aber er fühlte sich nicht gerade wohl dabei, seinen Bruder anzulügen. Es war halt eine Notlüge.
Herold sah ihn scharf an.
»Fang nicht mit allen Leuten, die dir begegnen, Streit an. Als Müller haben wir es auch so schon nicht leicht. Da muss man sich nicht noch zusätzliche Feinde machen.« Er dreht sich um und ging zur Mühle zurück.
Jacob legte seine Sachen in seine Tasche und machte sich auf den Weg zur Stadt, in der Hoffnung, den Kerlen nicht nochmal zu begegnen.
Auf dem Markt herrschte ein reges Treiben. Viele Oldenburger Bürger waren unterwegs, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Die meisten sahen gut gelaunt aus, wozu das schöne Wetter sicherlich seinen Teil beitrug. Jacob ging an ein paar Kindern vorbei, die eine tote Maus an einen Faden gebunden hatten und nun versuchten, eine Katze zum Spielen zu bewegen. Die Katze, die offenbar wusste, dass kein Leben mehr in der Maus war, hatte daran nicht das geringste Interesse, sie sah den Anstrengungen der Kinder mit halb geschlossenen Lidern zu.
Am Gemüsestand reihte sich Jacob in die wartenden Kunden ein, meistenteils Frauen. Wie sein Bruder ihm eingebläut hatte, schloss er seine Hand um das gefüllte Geldsäckchen, um nicht im Gedränge bestohlen zu werden.
Das allgegenwärtige Gesprächsthema waren die Morde. Wohin man auch hörte, wurde darüber gesprochen. Und so sprachen die Frauen vor ihm in der Schlange ebenso darüber.
»Drei Tote sind es jetzt schon. Und wer weiß, wie viele noch dazu kommen«, sagte eine dünne Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln wichtigtuerisch.
»Ja, man traut sich abends ja schon gar nicht mehr auf die Straße«, meinte eine andere, die sich fortwährend die Nase in einem Tuch schnäuzte.
»Wahrscheinlich wird man nie herausfinden, wer die Leute umgebracht hat.« Die Dünne nickte bedeutungsvoll.
»Ach, was heißt hier ‚wer‘? Es müsste ‚was‘ heißen. Ein Fluch ist es, was die Leute umbringt, nichts anderes. Es ist genauso wie damals.«
»Ja, genauso wie damals«, echote die Dünne.
Jacob wurde hellhörig. Wie damals? Gab es so etwas denn schon mal in Oldenburg?
»Was heißt hier ‚wie damals‘?«, fragte er.
Die Dünne sah ihn über ihre Schulter hinweg an, als wollte sie ihn mit ihrem Blick für die Einmischung strafen.
»Na, eben wie damals, als schon mal die ganzen Toten im Stadtgraben gefunden wurden.«
Davon hörte Jacob zum ersten Mal.
»Wann war das?«
Die andere Frau schien ihm wohlgesonnener. Sie nahm das Tuch von der Nase und lächelte ihn an.
»Das war vor ungefähr zwanzig Jahren. Es geschah immer auf die gleiche Weise. Das liegt daran, dass ein Fluch auf dieser Stadt lastet. Ein Fluch, der alle zwanzig Jahre wiederkehrt.«
Sie schnäuzte sich weiter und drehte sich zum Gemüsestand um, weil sie an der Reihe war.
Hinter ihm gab es plötzlich lautes Gekreische. Die Kinder wollten die Untätigkeit der Katze wohl nicht so einfach hinnehmen. Sie hatten ihr die tote Maus an den Schwanz gebunden. Das arme Tier rannte wie geistesgestört herum und wälzte sich auf dem Boden, um den Fremdkörper wieder loszuwerden. Die Kinder gaben lautstark ihre Freude darüber zum Ausdruck.
»Du solltest dich doch beeilen«, sagte Herold, als Jacob wieder bei der Mühle eintraf.
»Das habe ich doch.«
Das hatte er wirklich, schon alleine, weil er nicht unbedingt dem Vater und den Brüdern der schwangeren Clara nochmal begegnen wollte.
Herold brummte unwillig zur Antwort. Er nagelte gerade zwei Bretter aufeinander.
»Sag‘ mal, wusstest du, dass es vor zwanzig Jahren schon einmal mehrere Tote gegeben hat?«
»Hmm«, Herold kniff die Augen zusammen. »Ja, stimmt. Damals war ich noch klein. Das muss zu der Zeit gewesen sein, als wir zu Bernhard gekommen sind. Oder vielleicht auch etwas früher.«
»Dann weißt du wahrscheinlich nicht viel darüber, oder?«
»Nein, das ist zu lange her.«
»Und was weißt du darüber, dass unser Vater ein Halunke war?«
Mit dieser Frage wollte er Herold überrumpeln, in der Hoffnung, dass er mit seinem Wissen nicht so wie sonst hinter dem Berg hielt. Seit Claras Vater das heute zu ihm gesagt hatte, ging es ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Die Überrumpelungstaktik funktionierte leider nicht.
»Woher hast du das denn?«
»Claras ... ich meine, der Mann von heute Vormittag hat es gesagt.«
»Ich weiß nicht, was der meint. Für mich war unser Vater kein Halunke.«
Jacob sah seinem Bruder an, dass er ihm irgendetwas verschwieg. Aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte: Wenn Herold etwas nicht erzählen wollte, dann war es äußerst schwierig, das aus ihm herauszubekommen.
Im nächsten Moment lenkte er auch gleich mit einem anderen Thema ab.
»Morgen will ich übrigens anfangen, nach Hilfsarbeitern zu suchen. Für den Anfang will ich zwei einstellen. Dann kommen wir schneller voran.«
Damit wandte er sich ab und kümmerte sich wieder um die Bretter. Für ihn gab es halt nur seine Mühle.