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Ein leises Piepsen

Nachdem ich meine Ausbildung zur Fachpflegekraft abgeschlossen hatte verschlug es mich nach einem Jahr der eher schlecht bezahlten vollstationären Altenpflege zu einem in Baden-Württemberg immer weiter expandierenden Intensivpflegedienst, welchen ich bereits durch ein Praktikum während besagter Ausbildung kennenlernen durfte. Besagter Intensivpflegedienst ist ein wahrer Meister darin sich nach außen als kompetent, führsorglich, mitarbeiter- als auch klientenorientiert und höchst professionell dar zu stellen. Also auf gut Deutsch, Scheiße in hübsch glitzerndes Geschenkpapier einzuwickeln und mit verführerisch duftendem Parfum zu besprühen. Doch zu dieser essenziellen und im Nachhinein sehr stark prägenden Einsicht gelangte ich erst viel zu spät. Besagter Pflegedienst stampft mittlerweile eine Intensivpflege-WG nach der anderen aus dem Boden, finanziert aus den Unsummen, welche sich mit der Außerklinischen Intensivpflege verdienen lassen. Die Öffentlichkeitsarbeit geht immer nach derselben Strategie von Statten. Sie pflanzen ihre Wohngemeinschaften in repräsentative, teilweise herrschaftlich anmutende Immobilien, welche auf sehr gut und professionell gestalteten Internetseiten in Kombination mit angeblichen lobreichen Aussagen von Mitarbeitern präsentiert und angepriesen werden oder wurden. Wenn man dies sieht oder liest, kommt in einem sofort das überaus starke, innerliche Bedürfnis auf, den Rest seines vollbeatmeten oder tracheotomierten oftmals massiv eingeschränkten Lebens in solch einer Häuslichkeit verbringen zu wollen. Doch die Realität hat wie so oft ein gänzlich anderes Gesicht. Die Wahrheit ist ganz einfach, so mitarbeiterfreundlich wie dargestellt ist man lange, lange nicht, sonst hätten nicht so viele Mitarbeiter diesen moralisch fragwürdigen Zirkus unter einem Rechtsstreit verlassen. Doch auch dies ist sicherlich ein Stückweit gewollt und gewünscht, denn nun kann man die zwar oftmals besser Ausgebildeten, sprachlich kompetenteren aber auch anspruchsvolleren und kritischeren Mitarbeiter/innen gegen eher nicht immer sehr kompetente, sprachlich und kommunikativ schlechter aufgestellte aber dafür besser führbare unkritische Mitarbeiter austauschen. Mir wird regelmäßig von Mitarbeitern welche dort noch arbeiten und zu welchen ich noch einen freundschaftlichen Kontakt pflege berichtet, das immer wieder Ersatzbeatmungsmaschinen nicht am Strom angeschlossen sind, also im Falle eines Falles nicht Einsatz bereit wären, beschissene Personalschlüssel vorherrschen und selbst einfachste Fachpflegerische oder Hygienische Standards einfach nicht eingehalten werden.

Als ich dort damals meine Tätigkeit begann, gründete besagter Intensivpflegedienst gerade die erste Wohngemeinschaft für außerklinische Intensivpflege. Diese war in einer riesigen im Brutalismus Stiel erbauten Villa, welche sich über mehrere Eben erstreckt untergebracht. Von außen eine echt geile Hütte und von innen für fast alles geeignet, außer für die außerklinische Intensivpflege. Doch es ging wie immer nicht um die inneren Werte. Wie immer hatte die Form über den Inhalt gesiegt, auf ganzer Linie. Als ich dort meine fachpflegerische Tätigkeit begann, waren in besagter Wohngemeinschaft gerade mal zwei von insgesamt acht möglichen Pflegeklienten untergebracht. Diese lagen auf der Oberen von insgesamt drei Ebenen der Villa. Die Tage vergingen und langsam aber sicher stieg die Anzahl der dort betreuten Pflegeklienten.

Mehrere Mitarbeiter hatten schon zuvor darauf hingewiesen, das sollte sich die Einrichtung mit Intensivklienten füllen und diese auf allen drei Ebenen verteilt seien, eine effektive und zwingend notwendige Signal- also Alarmwahrnehmung, speziell während der Nachtschicht, wenn nur zwei Pflegekräfte anwesend seien, nicht mehr sicherheitsgewährleistend zu bewerkstelligen und zu garantieren sei. Ich meine jedem schwachsinnigen Affen hätte sofort eingeleuchtet das eine Pflegekraft welche sich gerade in einem Zimmer der oberen Ebene befindet und in selbem Zimmer gerade die Beatmungsmaschine, in Zusammenspiel mit einem Sauerstoffkonzentrator brummt, niemals in der Lage sein könnte, einen Alarm, welcher eventuell von einer anderen Ebene ausgeht und sich durch mehrere Stahlbetonwände quälen müsste, wahr zu nehmen. Dieser Umstand war meinen damaligen Vorgesetzten sicherlich auch klar und das Problem lag nicht an mangelnder Einsicht oder eben Schwachsinn, sondern an mangelnder Bereitschaft in Korrelation mit Gleichgültigkeit welche sicherlich durch fehlende gesetzliche Vorschriften bestärkt und durch blanke Geldgier zusätzlich befeuert wurde.

Denn die einzige Reaktion und gleichzeitig das Ergebnis, welche auf diese mehrmals mündlich als auch schriftlich geäußerte potentielle Gefahrenquelle folgte, war eine überaus schwachsinnige Dienstanweisung, welche besagte, dass man eben nicht mehr zu zweit in einem Zimmer Pflegen dürfe und stetig eine nahe Anwesenheit an der oberen als auch Unteren Ebene zu gewährleisten sei. Was man denn nun tun sollte, wenn einer der beiden Pflegekräfte einmal dem durchaus Menschlichen drang der Defäkation nachgehen müsste, was eventuell je nach Masse, Beschaffenheit und aktueller Darmtätigkeit ein wenig Zeit in Anspruch nehmen könne, wüsste man nun aber auch nicht so genau. Man hätte schon damals sofort eine Rufanlage einbauen und zumindest einen Teil der Beatmungsmaschinen daran anschließen können, oder sich eine andere Form der Lösung überlegen können. Doch das hätte natürlich Geld gekostet und aufgrund von eben fehlenden gesetzlichen Vorgaben bestand nun auch rechtlich aus der Sicht unserer Geschäftsführung wohl nicht wirklich zwingend Handlungszwang und die Mitarbeiter- als auch Klientensicherheit ist unter diesen Umständen doch auch mehr als nachvollziehbar zu vernachlässigen. Oder meinen sie etwa nicht?

So begab es sich nun, dass wir eines Tages einen neuen Pflegeklienten zur professionellen Betreuen und fachpflegerischen Versorgung bekamen, welcher unter massiven, am ganzen Körper meist bei Berührung auftretenden Spasmen also unkontrollierbaren heftigsten Muskelkrämpfen litt. Besagter Klient lag im Koma und war vollbeatmet. Sie müssen sich vorstellen, dass sobald sie diesen armen Mann, welcher wenige Wochen zuvor an einer massiven Hirnblutung, nach einer traumatischen Einwirkung auf den Schädel litt, anfassten zum Beispiel an den Füßen, anfing am ganzen Körper unkontrolliert zu zucken. Dies machte nicht nur eine effektive und fachpflegerisch Lagerung mehr als schwierig, sondern erschwerte natürlich sämtliche fachpflegerischen Handlungen enorm. Es blieb ihnen also überhaupt nichts anderes übrig, als diesen speziellen Pflegeklienten zu zweit zu versorgen, da einer den armen Kerl festhalten musste damit dieser nicht aus dem Bett sprang sobald die zweite Kraft an ihm arbeitete. Auch dieser Umstand wurde der Geschäftsführung zum damaligen Zeitpunkt ohne nennenswerte Reaktion mitgeteilt. Also verstießen wir Nacht für Nacht gegen besagte geist- und sinnfreie Dienstanweisung um eben beschriebenen Neuzugang einigermaßen professionell versorgen zu können.

Eines Nachts, es war eine Nacht wie jede andere gingen wir also wie immer zu zweit in besagtes Zimmer. Wir beeilten uns, das taten wir immer, denn keinem von uns war wirklich wohl dabei, von sämtlichen akustischen Reizen, welche aus jedem anderen der sieben belegten Zimmer des restlichen Hauses hätten dringen können, sei es auch nur für sehr kurze Zeit, abgeschnitten zu sein.

Nur um das nochmal zu versinnbildlichen. Acht Pflegeklienten jeder einzelne Minimum tracheotomiert und an einem Pulsoxymeter angeschlossen, welcher bei einem Sättigungsabfall ein akustisches Signal von sich gab, die Hälfte davon vollbeatmet also eine Beatmungsmaschine, welche bei eventuellen Unregelmäßigkeiten ebenfalls akustisch Alarm schlug. Wir saugten ihn schnell ab, da auch seine Sauerstoffsättigung zu wünschen übrigließ. Einer führte den Absaugschlauch, während der andere den Oberkörper an den Schultern festhielt um dem massiven nach oben schnellen des kompletten Oberkörpers, ausgelöst durch natürlichen Hustenreiz in Kombination mit Spasmus entgegen zu wirken. Ein frischer Trachealverband, da der alte durchgenässt war. Jetzt noch schnell Lager, einer hält den Oberkörper, der andere lagert die Beine. Nun hält der Andere die Beine damit sich diese nicht wieder entlagerten, während der zweite den Oberkörper einigermaßen klientenorientiert positionierte. Nun halten beide. Einer oben, der andere unten, bis die immer noch vorherrschenden unkontrollierten ganzkörperlichen Muskelzuckungen nachließen. Unterm Strich vielleicht fünf bis zehn Minuten. Wir traten wieder heraus aus dem Zimmer und bereits wenige Schritte nach dem durchqueren des Türrahmens quoll mir dieser zunächst sehr leise aber eben mit jedem einzelnen Schritt immer deutlicher werdende Piepton in die Ohren. Unsere Schritte wurden in ihrem Takt schneller, eine gewisse Zügigkeit wurde beim Unterfangen besagten Piepton, zu erreichen um dessen Indikation in Erfahrung zu bringen an den Tag gelegt. Je näher man der Geräuschquelle kam desto klarer und eindeutiger war zu vernehmen, dass es sich nicht nur um ein einzelnes Alarmsignal handelte, sondern zwei, welche sich gegenseitig überlagerten. Der erste Alarmton wurde von der Beatmungsmaschine erzeugt, welche uns mitteilen wollte, das die Gänsegurgel, das ist der circa zwanzig Zentimeter lange geriffelte und sehr flexible Kunststoffschlauch, welcher zwischen den eigentlichen Beatmungsschlauch und die Trachealkanüle gesteckt wird um eine flexiblere Handhabung zu gewährleisten, zu zwei Drittel gefüllt mit hellgelben zähen Trachealsekret und dadurch in seinem Durchfluss blockiert war. Dieser Umstand machte den Transport von frischer, zusätzlich mit Sauerstoff angereicherter Atemluft zur Lunge als auch den Abtransport von sauerstoffarmer und Kohlenstoffdioxid angereicherter Luft aus dem Organismus unmöglich. Auf gut Deutsch, besagter Pflegeklient war gerade dabei einfach zu ersticken. Diese Tatsache wurde zusätzlich und eindeutig durch das zweite Alarmsignal untermauert und in seiner Unmissverständlichkeit bestätigt, welches von einem Pulsoximeter erzeugt wurde und welches uns über den mehr als beschissenen Begebenheit informieren wollte, das die aktuelle Sauerstoffsättigung unseres unkoordiniert zuckenden und stark die Augen nach oben rollenden Pflegeklienten nur noch bei einem Wert von 16% lag. Dieser viel zu niedrige Wert konnte eigentlich nur eines bedeuten. Nämlich das trotz, dass mein Kollege besagten Pflegeklienten kurz bevor wir uns zu zweit nach oben begeben hatten, nochmal tracheal abgesaugt hatte, kurze Zeit danach eine massive Sekretmobilisation, eventuell hervorgerufen durch einen starken Hustenreiz stattgefunden und die eben paraphrasierte mehr als unglückliche Situation hervorgerufen haben musste. Wir schauten uns nur für den Bruchteil einer Sekunde an und stimmten uns durch einen kurzen Zuruf sofort aufeinander ab. Wir saugten tracheal ab um die oberen Atemwege vom Trachealsekret zu befreien, wechselten die Gänsegurgel damit wieder ein ungehinderter Durchfluss von Atemluft gewährleistet werden könnte. Nach einer kurzen Phase des manuellen bebeutelns, unter der es uns relativ schnell wieder gelang die Sauerstoffsättigung auf über 80% zu erhöhen, schlossen wir ihn wieder an die Beatmungsmaschine an und allarmierten selbstverständlich auch einen Notarzt. Wären wir vielleicht nur ein paar Sekunden später gekommen hätten wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit reanimieren müssen. Als der Notarzt eintraf gestaltete sich die vorherrschende Situation für einen Außenstehenden wieder relativ unspektakulär. Pulsfrequenz war wieder bei circa 60 Schläge die Minute und die Sauerstoffsättigung lag ebenfalls wieder bei 98%, das unkontrollierte Zucken und das Augenrollen hatten aufgehört. Nur der Umstand das ein zuvor in seinem Bewusstsein nicht eingeschränkter, voll orientierter und zur aktiven nonverbalen Kommunikation fähiger Pflegeklient nun bewusstlos in seinem Bett lag und weder durch massive akustische als auch sensomotorische äußere Reize zu erwecken war, bot Anlass zur Sorge.

Unser einziges Glück in dieser mehr als beschissenen Situation, wenn man das denn wirklich so nennen kann, war, dass niemand aber auch wirklich gar niemand auf die Idee gekommen war, tiefer nachzufragen oder sich mit der Frage auseinandersetzte, weder die Angehörigen dieses armen Mannes, noch die Intensivstation auf welche betreffende Person sehr kurze Zeit danach verlegt worden war, wie es denn eigentlich in einer geschützten und professionell fachpflegerisch betreuten Umgebung hat soweit kommen können. Also ich persönlich hätte diese Frage sehr sehr dezidiert und sicherlich auch mit der Unterstützung eines Rechtsbeistandes, in der Rolle der Angehörigen gestellt. Nach circa einer Woche, wurde besagter Pflegeklient zum Glück ohne nennenswerte Neurologische Folgen wieder zurück in unsere Einrichtung verlegt. Diese Tatsache war eben nicht unbedingt selbstverständlich, immerhin kann man niemals wissen welche Folgen nach so einer massiven Sauerstoffunterversorgung im Gehirn zurückbleiben. Sie können mir glauben, dass das Wort Erleichterung nicht mahl annähernd den Gemütszustand welcher durch diesen Umstand in mir zum Vorschein kam, beschreiben kann. Nach diesem Vorfall wurde auch von Seiten der Geschäftsführung über den Einbau einer Rufanlage, an welche diverse Gerätschaften angeschlossen werden können aktiver nachgedacht und mittlerweile auch in die Tat umgesetzt und auch die Gesetzeslage also die Anforderungen welche man an solche Intensivwohngemeinschaften stellt, hat sich mittlerweile zum Glück geändert.

Doch so ist es eben auf der Welt, es muss eben immer erst mal etwas passieren einfaches vorraushauendes und logisches Denken führt zu nix und auch Humanismus oder Ethische Werte zählen nicht sehr viel, nur wenn konkrete Gesetze vorhanden sind oder man Angst haben muss durch eine Klage viel Geld zu verlieren, dann wird plötzlich Mitarbeitersicherheit und Klientenwohlorientierung groß geschrieben.

Liebe, Tod und Pflege

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