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Der Alkohol

Der Alkohol in seinem Blut hat wohl hauptsächlich dazu beigetragen, denn ich kann mir beim besten Willen überhaupt nicht vorstellen, dass sich jemand, auch wenn er momentan die aller aller tiefste depressive Krise durchleben sollte, die man sich überhaupt nur vorstellen kann, ohne massiven Einfluss dieser oder eventuell einer anderen, sich im falschen Moment sehr teuflisch auf die rationale und humane Entscheidungskraft eines Menschen auswirkende Substanz, sonst für genau diese sehr spezielle Art und Weise der Durchführung dieser sowieso überaus heiklen und alles in Frage stellenden Handlung entschieden hätte. Besagter Schritt war äußerst radikal, mehr als nur ungewiss persönlichkeitsverändernd. In seinen metaphysischen und transzendenten Konsequenzen absolut unklar und unübersichtlich. In der Vielschichtigkeit der möglichen Auswirkungen überhaupt nicht absehbar und das soziokulturelle Umfeld in einer Art und Weise beeinflussend, wie es kaum eine andere Handlung hätte auch nur ansatzweise hätte sein können.

Und da lag er nun, dieses wirklich arme kleine Häufchen Elend und konnte nichts, aber auch wirklich überhaupt nicht das Geringste an der nun vorherrschenden Situation ändern. Nicht nur, dass er das eigentliche Kernziel seines Vorhabens gänzlich verfehlt hatte und damit im besten Fall nur der ewigen Dunkelheit und der eventuell damit verbundenen Gleichgültigkeit entkommen war. Nein, nun musste er sich im tiefsten Inneren seiner Seele auf kognitiver, rationaler, psychischer, emotionaler, sozialer und metakognitiver Ebene mit den nun sehr drastischen und unumkehrbaren Konsequenzen seiner Entscheidung auseinandersetzen. Dies war nun sein Schicksal. Sich das Schicksal selbst geschaffen, welches er von nun aushalten und ertragen, einfach nur ertragen, musste. In uns allen, das sah man dem ganzen Team eindeutig an, auch an den Ältesten und wenn man das so sagen kann Abgehärteten, ging das nicht ausschließlich Spur- und Emotionslos vorbei. Die Krankenhauspsychologin kam sogar und bat, falls notwendig, Vieraugengespräche an. Mir persönlich war nicht danach. Die Stationsleitung stellte es zunächst mal frei und fragte ob sich jemand nicht in der Lage sähe, seine/ihre ursprünglich erworbene individuelle Fachpflegerische Kompetenzen gepaart mit wenigstens ein wenig Fürsorgekraft und motivationalem Antrieb, an diesem ganz speziellen Pflegeklienten in praktischer Umsetzung zum Besten zu geben. Mir persönlich bereitete diese Vorstellung auf Anhieb keinerlei Probleme. Also verstehen sie mich nicht falsch. Nicht das ich auch nur den geringsten Furz von Mitleid oder Einfühlungsvermögen in den ersten Tagen diesem armen Häufchen Elend hätte entgegenbringen können, ob das nun falsch oder richtig ist oder war, sein mal kritisch dahingestellt. Aber ich empfand eben auch keine Abscheu oder gar Hass nein, ich traf komischer Weise auf vollkommene Emotionale Gleichgültigkeit in meinem Herzen. Nur um auch das klar zu stellen, heute in der Retrospektive geht das Geschehene in keinster Weise mehr emotionslos an mir vorüber, so dass ich damals auch sicherlich, wenn auch nur unbewusst, automatisch eine Art von psychoemotionalem Selbstschutz an den Tag gelegt haben musste. Bei einigen sah man es allerdings direkt in ihren Gesichtern, in ihrem Blick, ihrer Mimik ganz eindeutig nicht zwingend Hass, aber mindestens Verachtung und Abscheu und Verunsicherung. Nicht das meine Meinung die tatsächliche Teamstimmung in irgendeiner Art und Weise beeinflusst hätte, nein, dass sicherlich nicht, immer hin war ich nur der Praktikant. Diejenigen welche sich nun bereit erklärt hatten, wenigstens die zumindest zwingenden fachpflegerischen Maßnahmen an ihm durch zu führen, legten, nun die einen mehr, die anderen weniger, aber jeder auf seine ganz einzigartige Art und Weise, eine gewisse eigene Form und Farbe der Reserviertheit an den Tag. Denn jeder war in seiner subjektiven Erlebenswelt ganz klar der Meinung, dass das Ergebnis seiner Entscheidung unterm Strich ein verflucht, aber so richtig beschissener Tausch gewesen sei. Das sind diese Begebenheiten, bei welchen sich jeder auf seine ganz eigene Art und Weise, mit Fragen wie Sinnhaftigkeit, Göttlichkeit und Schicksalhaftigkeit auseinandersetzt.

Und soll ich ihnen etwas sagen, er tat das auch, ganz sicher tat er das und er wusste es, er wusste, dass wir dies auch taten, er wusste es und er sah es sicherlich haar genauso. Sein Gesicht war leer, leer von allem, leer und regungslos doch das er das Leben aus seiner ganz eigenen wie schon zuvor von ihm festgestellten Sicht jetzt nicht nur nicht mehr ertragen konnte, sondern ab diesem Moment es vielleicht auch gar nicht mehr verdiene, dass sah man ihm eindeutig an. Er hatte sich aus Körperlicher somatischer Sichtweise zum Glück nur die linke Hüfte, das Becken, den Oberschenkel und den dazu gehörigen Unterarm gebrochen aber ansonsten hatte er dieses extreme Ereignis, wenn man sich Bewusst macht, welche massiven Kräfte in dieser außergewöhnlichen Situation gewirkt haben müssen, ganz gut überstanden. Er bekam eine Morphium Pumpe, das ist eine Kleine Spritze in einem abgeschlossenen Plexiglasgehäuse, welche an einen intravenösen Zugang angeschlossen war. Er konnte über einen Knopf im Rahmen von genau vorgegebenen zeitlichen Grenzen, sich eigenständig eine kleine Dosis Morphium verabreichen. Obwohl der Spielraum der Dosierung schon relativ hoch eigestellt war begab es sich, das vielleicht auch unterstützt durch die bereits vorherrschende Sensibilisierung dem Alkohol und vielleicht auch noch anderen Substanzen gegenüber, auch nach sehr kurzer Zeit eine Sensibilisierung des Morphins gegenüber stattfand und der Dosisspielraum wohl nicht mehr für eine effektive Schmerzlinderung ausreichte. Er verlangte nach mehr. Natürlich gaben wir dies den diensthabenden Ärzten weiter und selbstverständlich setzte man sich damit auseinander. Denn grundsätzlich sollte niemand in einem Krankenhaus länger Schmerzen ertragen müssen ohne das diese eine zielgerichtete Behandlung und dadurch eben auch Linderung erfahren. Doch man sah jedem sehr genau an, dass aktives Mitleid nicht wirklich aufkam.

3,2 Promille waren es letzten Endes, welche sich zumindest bei der ersten Messung im Krankenhaus in seinem Blutkreislauf befanden und 3,2 Promille waren es sicherlich auch, als sich die Front seines Kraftfahrzeuges, frontal und beinahe gradlinig und in voller egoistischer, suizidaler Absicht in die ebenfällige Front eines sich im direkten Gegenverkehr befindlichen Kraftfahrzeuges bohrte. Zwei Objekte, welche sich mit Minimum einhundert Stundenkilometer aufeinander zu bewegen, frontal aufeinander prallen und zumindest für nur den Bruchteil einer Millisekunde ihre Geschwindigkeit, zumindest in ihre ursprüngliche Richtung beinahe augenblicklich auf null reduzieren, nur um genau in der nächsten, ebenso kurzen Millisekunde, ihre Geschwindigkeit wieder abrupt, auf etwa die Hälfte ihrer Ausgangsgeschwindigkeit, allerdings genau in eine andere Richtung wieder zu erhöhen. Zwei Kleinkinder zwei und vier Jahre alt und ihre Mutter waren tot. Ich weiß nicht ob augenblicklich und unverzüglich, oder ob diese einzigartige Szenerie von Hilflosigkeit und brachialer Zerstörung noch durch unendlich wirkende, Minuten von körperlich unerträglicher schmerzhafter Erfahrungen, in Kombination mit in ihrer unendlichen und unfassbaren Grausamkeit kaum vorstellbaren Bildern abgerundet, begleitet oder regelrecht garniert wurde, bevor sich das herrlich süße von Erlösung und irdischer Leblosigkeit geprägte Bild von Tod und körperlicher Vergänglichkeit über diese höchst tragische Situation und die darin verwickelten kaum gelebten Leben legte.

Liebe, Tod und Pflege

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